Freitag, 7. Dezember 2012

Nachträgliche Sicherungsverwahrung – reloaded

In der Presse war gelegentlich zu lesen, die nachträgliche Sicherungsverwahrung sei abgeschafft oder verboten worden, anhand eines aktuellen Falls möchte ich die aktuelle Rechtslage anschaulich machen. Nachträgliche SV? Bei der Sicherungsverwahrung (§§ 66 ff Strafgesetzbuch) handelt es sich um eine in Gefängnissen vollzogene Form der Freiheitsentziehung im Anschluss an die reguläre Strafe. Man sitzt also erst die Strafe ab und kann dann, im Falle der Anordnung der SV weiter verwahrt werden. Eingeführt 1934 von den Nazis und seit Mitte der 90′er von allen Bundesregierungen (auch unter Rot/Grün) ausgeweitet. War es jedoch früher nur möglich, die SV zusammen mit dem Urteil über die Dauer der Haftstrafe zu verhängen, so dass die Betroffenen vom ersten Tag an wussten, was auf sie zukommt, ist seit Anfang der 2000′er Jahre auch die nachträgliche Verhängung möglich. D.h. erst gegen Ende der Strafhaftzeit stellt die Staatsanwaltschaft einen entsprechenden Antrag und es kommt dann zu einem öffentlichen Prozess, unter Beteiligung von mindestens zwei Gutachtern, die sich über die „Gefährlichkeit“ des Gefangenen äußern müssen. Verbot der nachträglichen SV? Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte die BRD 2009 und in den Folgejahren mehrfach, unter anderem auch wegen dieser nachträglichen SV. Die Menschenrechte verbieten, nachträglich das Strafmaß zu verschärfen; und da der EGMR die SV formal als Strafe einstuft (feinsinnige deutsche Juristinnen und Juristen bestreiten, dass es sich um eine Strafe handelt), ist das nur konsequent. Denn eine nachträgliche Straferhöhung ist verboten. Jedoch binden die Urteile die Bundesrepublik immer nur in den konkreten Einzelfällen derer, die den Gerichtshof angerufen haben. In einem zum 01.01.2011 in Kraft getretenen Reformpaket zur SV wurde dann – zumindest – die Verhängung der nachträglichen SV für Straftaten, die nach dem 01.01.2011 begangen werden tatsächlich abgeschafft; im Umkehrschluss heißt das jedoch, die nachträgliche SV kann weiterhin für Täter verhängt werden, die ihre Taten vor dem 01.01.2011 begangen haben. Der Fall Uwe O. Uwe wurde 1996 angeklagt, eine Frau getötet zu haben; wegen eingeschränkter Schuldfähigkeit wurde er vom Landgericht Stuttgart zu einer Zeitstrafe von 15 Jahren verurteilt und die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Letztere wurde vor einigen Jahren für erledigt erklärt (über seine Flucht aus dem Krankenhaus wurde auch medial breit berichtet), so dass er am 30.11.2012 seine Strafe voll verbüßt gehabt hätte. In den Wochen vor der Freilassung schmiedete Uwe Pläne, er wollte gerne in Richtung Bodensee ziehen und einer seiner ersten Wege sollte ihn in die Natur führen, er wollte einfach nur mal einige Stunden spazieren gehen, immer gerade aus und nicht – wie im Gefängnishof – nur im Kreis. Da Uwes Strafrest nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde, trat Führungsaufsicht ein. Dieses Institut ermöglicht der Justiz, einen Menschen auch trotz Vollverbüßung der Strafe weiterhin zu überwachen und Auflagen anzuordnen. Wobei die Besonderheit besteht, dass die Verletzung dieser Auflagen strafbar ist (vgl. § 145 a StGB). Das Landgericht Karlsruhe – zuständig für die JVA Bruchsal – ordnete u.a. an: Verbot des Alkoholkonsums und unregelmäßige Kontrollen auf Alkoholkonsum; Hausarrest während der Nachtstunden (20.00 Uhr bis 5.00 Uhr); drei Mal pro Woche Meldepflicht bei der Polizei; Mitführen eines Messers wurde verboten, zudem sollte er eine elektronische Fußfessel tragen. Am Freitag, 23.11.2012, also sieben Tage vor der Freilassung, kam die Polizei zu ihm zu Besuch; man machte aktuelle Photos, nahm DNA-Proben und Fingerabdrücke, um die polizeilichen Datenbanken auf den aktuellen Stand zu bringen. Ferner erläuterte die Polizei ihm die Auflagen, belehrte ihn, dass er sich strafbar mache, wenn er gegen diese verstoße und der für ihn zuständige Sachbearbeiter bei der Polizei gab ihm alle Telefonnummern, auch die Privatnummer. Er – Uwe – könne ihn dann gerne jederzeit anrufen, wenn irgendetwas sei. Die wenigen Habseligkeiten von Uwe wurden in einem Paket verpackt, das dann am folgenden Montag (26.11.2012) per Post vorab an die neue Unterkunft geschickt werden sollte. Radio und Fernsehgerät hatte Uwe für einen geringen Euro-Betrag an Mitgefangene veräußert. Der Schock Nur Stunden nach dem Gespräch mit der Polizei wurde Uwe, wie er berichtet, von der zuständigen Gefängnisjuristin und weiteren Beamten in seinem Haftraum aufgesucht, wo ihm ein Telefax übergeben worden sei. Die Staatsanwaltschaft hatte am 15.11.2012 den Antrag gestellt, Uwe in der nachträglichen SV unterzubringen. Dieser Antrag ging, ohne wesentliche Akten, bei Gericht am 16.11.2012 ein und wurde dann am 23.11.2012 an Uwe per Fax übermittelt. Uwe berichtete, ihm habe diese Mitteilung ganz real den Boden unter den Füßen weggezogen und in ein schwarzes Loch gestoßen. Zu diesem Unglück kam auch noch Pech dazu, denn sein langjähriger Rechtsanwalt, der die ganze Vita von Uwe O. kannte, starb wenige Wochen zuvor, so dass erst seitens des Gerichts ein neuer Anwalt gefunden werden musste. Am Dienstag, 27.11.2012 wurde Uwe dann, gefesselt und von Beamten bewacht nach Stuttgart eskortiert, wo man ihm den vorläufigen Unterbringungsbefehl eröffnete (ähnlich einem Haftbefehl ermöglicht dies der Justiz, Uwe nun bis zum für 2013 geplanten Prozess über die Frage der endgültigen Anordnung der nachträglichen SV im Gefängnis zu behalten). Wie Uwe erzählt, werfe man ihm im wesentlichen vor, die Tat nicht aufgearbeitet zu haben und er sei in Haft auch durch einen Most-Fund auffällig geworden. Anlässlich einer Zellenkontrolle habe man nämlich vor einigen Jahren 20 Liter Most in seinem Haftraum vorgefunden. Kritik am Vorgehen der Staatsanwaltschaft Ungeachtet der Tatsache, dass nach der Rechtssprechung des EGMR die nachträgliche Anordnung gegen die Menschenrechte verstößt und Uwe also gute Chancen hat, dort später eine Klage zu gewinnen, verdient doch die Stuttgarter Staatsanwaltschaft auch aus anderen Gründen erhebliche Kritik. So sieht die Strafprozessordnung vor, dass ein Antrag auf nachträgliche SV „spätestens sechs Monate vor“ der Haftentlassung gestellt werden soll (§ 275 a StGB in der früheren Fassung). Bei Herrn O. wartete die Staatsanwaltschaft bis 15 Tage vor der Haftentlassung. Es mag interessieren, dass es sich um die selbe, möglicherweise überforderte, Vollstreckungsabteilung der Staatsanwaltschaft Stuttgart handelt, die schon die monatelange unrechtmäßige Inhaftierung eines Gefangenen in der JVA Bruchsal zu verantworten hatte (vgl. „Freilassung auf Schwäbisch“ ). Die Behörde sah sich auch nicht in der Lage, die für das weitere Verfahren relevanten Akten vorzulegen; der Staatsanwalt sicherte dem Gericht lediglich zu, man werde sich bemühen, alsbald auch noch die Prozessakten nachzureichen. Einem Menschen nur Tage vor der Freilassung derart den Boden unter den Füßen weg zu ziehen, kann man wohl mit Fug und Recht als seelische Grausamkeit einstufen. Selbst wenn man berücksichtigt, dass Uwe O. getötet hat und das Leid seines Opfers, wie auch deren Angehörige und Freunde schwer wiegt, es war das Gericht, das eine zeitlich befristete Haftstrafe verhängte und gerade nicht die lebenslange Haftstrafe. Besteht Hoffnung für Uwe O.? Zur Zeit liegt Uwe die meiste Zeit im „Nest“, wie er sein Bett nennt, oder sitzt am leeren Zellentisch und starrt vor sich hin. Die Anstalt ist besorgt, er könne sich das Leben nehmen und kontrolliert nachts in unregelmäßigen Abständen seine Zelle, was ihm wohl ebenso lästig ist, wie den Beamten, die verpflichtet wurden, nach ihm zu schauen. Der Anstaltsarzt zeigt sich großzügig mit der medikamentösen Versorgung (Schlafmittel und Antidepressiva). Es kann durchaus sein, dass das Oberlandesgericht auf Haftbeschwerde den Unterbringungsbefehl aufhebt oder außer Vollzug setzt, oder dass 2013 das Landgericht zu dem Ergebnis kommt, dass von Uwe O. doch keine konkrete Gefahr (mehr) ausgeht. Aber all das steht in den Sternen. Geradezu schizophren mutete die Situation am Freitag, 30.11.2012 an: Wie Uwe erzählt, seien an diesem Morgen, es wäre sein Entlassungstag gewesen, Polizeibeamte erschienen, um ihn in die Bodenseeregion zu fahren und ihn bei den ersten Stunden in Freiheit zu begleiten (und so auch zu überwachen). Ihnen war bis zu diesem Morgen gar nicht bekannt, dass für Uwe die nachträgliche Sicherungsverwahrung beantragt wurde. Am darauf folgenden Sonntag musste Uwe O. mit Verdacht auf einen Herzinfarkt vorübergehend ins Städtische Krankenhaus verlegt werden, so sehr setzte ihm die Situation zu. Ausblick für andere Gefangene Das Schicksal von Uwe O. sprach sich in Windeseile in der JVA herum, und es wird dann auch von Gefängnis zu Gefängnis weiter berichtet (werden). Da die Vollzugsanstalten in den für die Gestaltung des Vollzuges so wichtigen „Vollzugsplänen“ der Inhaftierten eine eigene Rubrik haben: „nachträgliche Sicherungsverwahrung“ und dann darunter entweder steht: „Erfüllt die formalen Voraussetzungen“ oder „Erfüllt nicht die formalen Voraussetzungen“, trägt das Geschehen auch zur Verunsicherung nicht weniger Gefangener bei: Dass sie nämlich selbst bis Tage vor Haftentlassung niemals sicher sein können, dass nicht doch einem Staatsanwalt einfällt, die nachträgliche SV zu beantragen. So sieht die Realität 2012 aus – trotz angeblich abgeschaffter nachträglicher SV! Thomas Meyer-Falk c/o JVA – Z. 3113 Schönbornstr. 32 D-76646 Bruchsal www.freedom-for-thomas.de www.freedomforthomas.wordpress.com

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