Montag, 17. Dezember 2012
Mexikanischer Bischof gegen deutsche Waffenhersteller
Polizisten setzen Sturmgewehre aus dem Schwarzwald gegen Bevölkerung ein
Bischof Raúl Vera López leitet nicht nur die Diözese Saltillo im Norden
Mexikos, sondern setzt sich auch in zahlreichen Organisationen für
Menschenrechte ein. In Berlin kritisierte er jüngst deutsche Waffenexporte,
die zur Gewalt auf Mexikos Straßen beitrügen
Von Wolf-Dieter Vogel
Raúl Vera López macht gerne Witze. Zum Beispiel über katholische Priester,
die den Zölibat nicht respektieren oder gerne mal einen über den Durst
trinken. Und natürlich über die Regierung seines Landes. Auch an diesem
Dezembernachmittag sind die Politiker Zielscheibe der Angriffe des
mexikanischen Bischofs. Mit energischer Stimme spricht der 67-Jährige vor
Vertretern von Menschenrechtsorganisationen in Berlin. Sein Thema: Der
mexikanische Drogenkrieg. Hinter der Mobilmachung stecke mehr als der Kampf
gegen die Kartelle, betont Vera später im Gespräch:
--Präsident Calderón schickte die Soldaten aus den Kasernen auf die
Straße, und seither kontrolliert das Militär das Land. Doch diese Präsenz
richtet sich nicht nur gegen die Mafia. Der Drogenkrieg ist auch ein guter
Vorwand, um Kontrolle über die Bevölkerung auszuüben. Man will die Armee und
paramilitärische Gruppen gegen die Bevölkerung in Stellung bringen. Denn
viele sind mit dem neoliberalen System unzufrieden, weil es große soziale
Ungerechtigkeit mit sich bringt.--
Seit langem schon setzt sich Vera für Arme und Ausgegrenzte ein. Zunächst
sandte ihn der Vatikan in die Bundesstaaten Guerrero und Chiapas, 1999
ernannte ihn Papst Johannes Paul II zum Bischof von Saltillo. Dort ist er
bis heute tätig. Besonders stark prägten ihn aber seine Erfahrungen im
südmexikanischen Chiapas.
Der Papst hatte ihn in die Provinz gesandt, um Bischof Samuel Ruiz zu
bändigen, der sich dort für die rebellische indigene Bevölkerung stark
machte. Doch er hatte sich verrechnet: Vera wurde zum engen Mitstreiter von
Ruiz, gemeinsam vermittelten sie zwischen indigenen Guerilleros und der
Regierung. Er erlebte, wie Sicherheitskräfte brutal gegen Zivilisten
vorgingen und von den Regierenden unterstützte paramilitärische Gruppen
Dörfer überfielen:
--Die Regierung griff die gesamte soziale Unterstützerbasis an und ging
gegen ganze Gemeinden vor. Das war der Wahnsinn. Der Krieg gegen die
Aufständischen zerstörte die Gesellschaft. Auch der jetzige Drogenkrieg hat
diese Aspekte der Widerstandsbekämpfung. Die Gewalt, die ich damals in
Chiapas erlebt habe, hat sich auf das ganze Land ausgedehnt.--
Raúl Vera berichtet von den vielen Oppositionellen, die im Schatten des
Krieges von Polizisten, Soldaten und paramilitärischen Gruppen angegriffen
werden: Menschenrechtsverteidiger, Umweltschützer, Frauenrechtlerinnen.
Aktivisten würden ermordet, Gefangene gefoltert, tausende Personen seien
verschwunden. Allein zwischen 2006 und 2011 zählte die Staatliche
Menschenrechtskommission über 5000 Anzeigen gegen Sicherheitskräfte.
Unterstützung haben die Polizisten in dieser Zeit aus dem Schwarzwald
bekommen: Das deutsche Rüstungsunternehmen Heckler und Koch lieferte 9 652
Sturmgewehre des Modells G36 nach Mexiko. Bischof Raul Vera ist empört:
--Das Einzige, was zählt, ist das Geschäft. In dem Zustand, in dem sich
Mexiko befindet, ist es moralisch nicht zu verantworten, dass die deutsche
Regierung solche Waffenexporte genehmigt hat.--
Wenige Tage, bevor der Geistliche Ende November in Deutschland ankam, hatte
eine Meldung der Stuttgarter Staatsanwältin Claudia Krauth für Aufregung
gesorgt:
--Es sind Waffen dort aufgetaucht, wo sie nicht hätten auftauchen
dürfen.--
Fast die Hälfte der Gewehre sind in vier Bundesstaaten geliefert worden, für
die Heckler und Koch wegen der schlechten Menschenrechtslage keine
Exportgenehmigung erhalten hatte. Sollte das Unternehmen darüber informiert
gewesen sein, hätte es gegen deutsche Exportgesetze verstoßen. Jürgen
Grässlin geht davon aus, dass dies der Fall ist. Der Sprecher der "Aktion
Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel" hat bereits 2010 Anzeige gegen das
Unternehmen erstattet. Damals war ein ehemaliger Mitarbeiter auf ihn
zugekommen, der sich nun als Kronzeuge zur Verfügung stellt - Jürgen
Grässlin:
--Wenn die Aussage des Informanten, der wie gesagt direkt involviert war
in diesen Rüstungsexportdeal, auch in die Schulung von Polizisten in den
verbotenen Provinzen an der Waffe, zutreffen, dann wusste die
Geschäftsführung von Heckler und Koch um das Geschehen in Mexiko.--
Es sei ein Fortschritt, dass die Strafverfolger den Vorwurf jetzt endlich
ernst nehmen, meint Grässlin. Dennoch fragt er sich: Warum wurde der Export
in alle weiteren Regionen des Landes genehmigt?
--Das Grundgesetz sagt klipp und klar, dass man Waffen nicht an
kriegführende Staaten, nicht an Staaten, die die Sicherheit und den Frieden
nicht gewährleisten, liefern darf. Das ist verboten. Dementsprechend hätte
auch Mexiko diese Gewehre gar nicht erhalten dürfen.--
Angesichts der korrupten Beamten gebe es ohnehin keine Kontrolle, wohin die
Gewehre gehen, ergänzt Bischof Raúl Vera. Auch Kriminelle und Paramilitärs
könnten im Besitz der Waffen sein. Diese Gefahr sieht auch Reiner
Focken-Sonneck, der bei "Brot für die Welt" für die Kooperation mit Mexiko
zuständig ist:
--Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung, der Brot für die Welt
auch angehört, hat vor ein paar Tagen zu diesem Thema verlautbart, dass es
ein böser Trugschluss ist, mit Waffenexporten irgendwo Frieden zu schaffen.
Dass jetzt nachgewiesen ist, dass die Waffen, auf welchen Wegen auch immer,
exportiert worden sind aus Baden-Württemberg nach Mexiko, dass die
ausgerechnet auch in die Staaten gelangt sind, in die sie erklärtermaßen
nicht hätten gelangen dürfen, das zeigt einfach, wie fragil die ganze
Situation in Mexiko ist und wie wenig zuverlässig dann da auch irgendwelche
Restriktionen sein können.--
Focken-Sonneck ist besorgt, weil auch Projektpartner seiner
Entwicklungsorganisation bedroht werden. Die Bundesregierung plant indes
eine Kooperation, um Mexikos Polizei zu stärken. Das Bundeskriminalamt soll
Beamte schicken, um die Kollegen in Übersee zu schulen. Bischof Raúl Vera
hält auch davon wenig:
--Angesichts der schmutzigen Praxis der Polizei ist es ein Fehler, in
dieser Form die mexikanische Regierung zu unterstützen. Vorher muss diese
dazu gezwungen werden, die Korruption innerhalb des Polizeikorps zu beenden
und dafür zu sorgen, dass die Beamten nicht mehr gemeinsam mit der Mafia
gegen die Bevölkerung vorgehen. Sonst ist jede Zusammenarbeit
kontraproduktiv. Es wird uns nicht schützen, wenn die Deutschen ausfeilte
Technologien liefern und unsere Polizisten über Geheimdienst-Strategien
informieren. Im Gegenteil: Das wird sich gegen uns richten.--
Während seines Aufenthalts in Berlin traf der Bischof auch Abgeordnete und
Vertreter der deutschen Regierung. Nicht alle teilten seine kritische
Meinung. Auf der Veranstaltung deutscher Menschenrechtsorganisationen aber
konnte sich der Geistliche großer Zustimmung sicher sein.
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/1950404/
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