Montag, 17. August 2015

Politik kneift vor Garzweiler-Polizeieinsatz

Nach der Bagger-Blockade im RWE-Tagebau Garzweiler beginnt die politische und juristische Aufarbeitung. Unterschiedliche Angaben kursieren über die Zahl der Klimaaktivisten, denen es gelang, die Blockaden zu überwinden. Vor den Vorgängen und den teils rabiaten Polizeieinsatz kneift die Politik bisher weitgehend. Von Jörg Staude Einen Tag nach der aufsehenerregenden Besetzungsaktion des Bündnisses "Ende Gelände" im Braunkohletagebau Garzweiler hat die Polizei in Düren am heutigen Sonntag eine vorläufige Bilanz aus ihrer Sicht veröffentlicht. Bei der Aktion seien insgesamt 36 Personen verletzt worden, heißt es darin, darunter 15 Polizeibeamte. Unter diesen seien wiederum zwei Beamte, die ihren Dienst dann nicht mehr hätten fortsetzen können. Aktivisten wiesen auf Twitter allerdings darauf hin, dass die Polizisten aufgrund des eigenen Pfefferspray-Einsatzes dienstunfähig wurden. Die Polizei zählte bei der Aktion insgesamt etwa 1.200 Demonstranten, von denen 805 dann auf dem Tagebaugelände "angetroffen" wurden. Bei 565 Personen habe vor Ort die Identität festgestellt werden können, 240 seien ins Polizeipräsidium Aachen zur Identitätsfeststellung gebracht worden. Diese habe sich dann sehr lange hinzogen, sodass 164 Personen nach Ablauf der gesetzlichen Zwölf-Stunden-Frist ohne diese Feststellung entlassen worden seien. Die Organisatoren sprechen von 1.500 Aktivisten, die versuchten, aufs Tagebaugelände zu kommen. Bis Sonntagvormittag seien, so die Dürener Polizei weiter, 797 Strafanzeigen gefertigt worden. Die Vorwürfe laufen vor allem auf Haus- und Landfriedensbruch, Verstoß gegen das Waffengesetz und Störung öffentlicher Betriebe hinaus. Die Anzeigen ergingen dabei "gegen Unbekannt", teilte die Sprecherin von "Ende Gelände", Mona Bricke, gegenüber klimaretter.info mit. Inzwischen seien, soweit man das wisse, alle betroffenen Demonstraten wieder aus dem Polizeigewahrsam entlassen worden. Keine Zeile bei Spiegel Online Das Bündnis "Ende Gelände" gibt die Zahl der Verletzten mit etwa 200 an. Dutzende Menschen wurden demnach zum Teil schwer verletzt, eine Person musste mit einer Kopfverletzung ins Krankenhaus eingeliefert werden. Das Bündnis kritisiert die Polizei und den RWE-Sicherheitsdienst scharf. Die Einsatzleitung habe sich eindeutig auf die Seite von RWE geschlagen. Nachdem die nordrhein-westfälische Landesregierung konsequent eine Kohlepolitik für RWE betreibe, lasse sie jetzt auch die Einsatzkräfte im Sinne des Konzerns agieren. Nach Angaben von RWE, so ein Bericht des Westdeutschen Rundfunks, haben sich am Samstag auch mehrere hundert Braunkohle-Mitarbeiter am Tagebau Garzweiler versammelt, um "ein friedliches Zeichen für eine sichere, bezahlbare Energieversorgung und gute Arbeitsplätze zu setzen". Wegen der "Gefährdungslage durch Besetzungen und Aktionen der Aktivisten" habe RWE die Versammlung jedoch abgebrochen. Während viele renommierte Publikationen wie die FAZ, der britische Guardian sowie regionale und öffentlich-rechtliche Medien teilweise ausführlich berichteten – der Tagesschau-Kommentator nannte das Vorgehen von RWE "unangemessen und absurd" –, schrieben andere wie Spiegel Online bis Sonntagabend kein Sterbenswörtchen zu den gesamten Vorgängen. Auch die Politik kneifte weitgehend vor den Vorgängen. Insbesondere zum rabiaten Vorgehen von Polizei und Sicherheitsdienst erhielten selbst Journalisten keine Stellungnahmen oder nur auf explizite Nachfrage. Landes- und Bundespolitik weitgehend sprachlos Bei den Grünen liegt dabei die Vermutung nahe, dass sie sich wegen ihrer Regierungsbeteiligung in Nordrhein-Westfalen in einer Zwickmühle befinden und sich deshalb zurückhalten. Unter den Demonstranten sollen sich aber auch Grünen-Politiker befunden haben. Nur die energiepolitische Sprecherin der Bündnisgrünen im Bundestag, Julia Verlinden, verteidigte die Aktion öffentlich. Ziviler Ungehorsam und friedlicher Widerstand seien "schon immer Teil der Umweltbewegung." Im Wendland zum Beispiel habe der friedliche und entschlossene Protest gegen Atommüll einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass man in Deutschland über eine gerechte und zukunftsfähige Energiepolitik diskutiere. "Die Polizei wird sich die Frage gefallen lassen müssen", so Verlinden weiter, "ob ihre Einsatzmethoden im Zusammenhang mit der Aktion 'EndeGelände' verhältnismäßig waren." Auch JournalistInnen seien an ihrer Arbeit gehindert und offenbar auf Wunsch von RWE durch die Polizei vom Ort des Geschehens entfernt worden. Auch die Linke, die in Düsseldorf in der Opposition ist, blieb weitgehend stumm. Gegenüber klimaretter.info sprach lediglich der energiepolitische Sprecher der NRW-Linken Michael Aggelidis von einer "zum Teil unverhältnismäßigen unmittelbaren Zwangsanwendung durch einige Polizisten". Aggelidis hatte sich Samstag früh selbst vor Ort in der Nähe einer Autobahnunterführung befunden. Nach Ansicht des Rechtsanwalts war dort das polizeiliche Vorgehen "nicht einmal zweckmäßig, den Durchbruch von Demonstranten zu verhindern". Auch sei die Stimmung bei dieser Polizeigruppe "zum Teil recht aggressiv" gewesen. Am Samstagnachmittag hatte allein die Linken-Bundestagsabgeordnete Sabine Leidig eine Mitteilung von "Ende Gelände" auf ihrer Facebook-Seite und kommentierte: "Danke an alle Aktivist*innen, die heute einen wichtigen Beitrag gegen den Klimawandel geleistet haben! Alle Kohlebagger standen still. Ende Gelände!" Der Beitrag ist am Montag um 10.00 Uhr aktualisiert worden

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