Sonntag, 16. August 2015

Mit Hiroshima begann der Kalte Krieg (Hans Krieger)

Mit dem atomaren Blitz über Hiroshima am 6. August 1945 und drei Tage danach dem zweiten über Nagasaki begann ein neues Zeitalter der Angst. Seitdem lebt die Menschheit unter der Drohung ihrer Selbstauslöschung durch das Zerstörungspotential ihrer technischen Macht. Und es begann die Spaltung der Welt in West und Ost. Hiroshima war das Startsignal für das gigantische Wettrüsten des Kalten Krieges, der mehr als einmal nur um Haaresbreite nicht zum heißen Krieg, zum nuklearen Inferno wurde. Nach amerikanischem Selbstverständnis war der Abwurf der Atombomben eine patriotische Tat. Die 220.000 Menschen, die in Hiroshima und Nagasaki sofort tot waren oder in den folgenden Wochen qualvoll starben, und die weiteren 600.000, die nach langen Jahren entsetzlichen Leidens den Spätfolgen erlagen, waren der Preis für die Rettung von 500.000 amerikanischen Soldatenleben. Denn so viele wären nach offizieller Schätzung bei der Invasion Japans gefallen, die ohne die Atombombe nötig gewesen wäre, um das Inselreich zur Kapitulation zu zwingen. Doch nichts stimmt an dieser zynischen Rechnung. Die Militärberater des Präsidenten Harry Truman hielten mehrheitlich den Einsatz der Bombe für unnötige Barbarei. Der Abwurf erzwang nicht das Kriegsende; das Kriegsende wurde vielmehr hinausgezögert, um die Bombe noch einsetzen zu können. Schon Monate zuvor hatte Japan die Bereitschaft zur Kapitulation signalisiert und nur noch die Zusicherung erbeten, dass Kapitulation nicht den Verzicht auf das Kaisertum als Symbol der nationalen Identität bedeuten würde. Darauf wurde bewusst nicht geantwortet, denn noch war die Kapitulation nicht erwünscht. Nach Hiroshima und Nagasaki spielte die Kaiserfrage überhaupt keine Rolle mehr. Japan kapitulierte und durfte ganz selbstverständlich seinen Kaiser behalten. Nicht Japan sollte mit dem Atombombenabwurf zur Räson gebracht werden; der eigentliche Adressat dieser Einschüchterungsgeste war Stalin. Die Sowjetunion sollte für die Neuordnung der Nachkriegswelt dem Willen der Weltmacht USA gefügig gemacht werden. Dies geht klar aus den Dokumenten hervor, die der amerikanische Politikwissenschaftler und Historiker Gar Alperovitz gründlichst durchforscht hat. Die für Juni 1945 in Potsdam geplante Siegerkonferenz über die Zukunft Europas ließ Truman um mehrere Wochen verschieben, und zugleich trieb er die Atomwissenschaftler, die eine erste Versuchsexplosion in der Wüste New Mexicos vorbereiteten, zu äußerster Eile an. Der Test musste unbedingt noch während der Potsdamer Konferenz gelingen, notfalls bei ungünstigen Witterungsbedingungen. Als Alleinbesitzer einer erfolgreich getesteten Schreckenswaffe wollte Truman die Russen in die Knie zwingen können. Nach dem Eintreffen der Erfolgsmeldung in Potsdam erlebten Trumans Berater einen verwandelten Präsidenten: So herrisch auftrumpfend kannten sie ihn noch gar nicht. Die Vereinbarungen über Russlands Reparationsansprüche gegenüber Gesamtdeutschland wurden aufgekündigt; die Sowjetunion hatte sich an ihre eigene Besatzungszone zu halten. Das prägte nachhaltig die künftige russische Deutschlandpolitik und nicht nur sie. Die Sowjetunion musste sich bedroht fühlen, igelte sich ein und war nun bestrebt, in Osteuropa ein schützendes Bollwerk aufzubauen und zu sichern. Niemand kann wissen, wie die Nachkriegsgeschichte ohne Hiroshima verlaufen wäre; dass sie anders verlaufen wäre, steht außer Frage. Um die Drohung glaubhaft zu machen, musste die USA die Bereitschaft zeigen, die Bombe auch einzusetzen. Darum Hiroshima. Bewusst wurden nicht Industrieanlagen als Ziel gewählt, sondern eine bevölkerungsreiche Großstadt. Und Nagasaki war nötig, um zu demonstrieren, dass Amerika mehr als nur eine dieser furchtbaren Bomben besaß. Die Opfer haben nie Entschädigung erhalten, so wenig wie die Opfer des Krieges in Vietnam, wo 60 Millionen Liter dioxinhaltige Pflanzenvernichtungsmittel über weite Teile des Landes versprüht wurden; noch heute sterben Menschen an den Spätfolgen, werden missgebildete Kinder geboren. An die Opfer zu denken, würde das Selbstbild gefährden, dass Amerika immer für eine gute Sache kämpft. Darum musste 1995 die renommierte Smithsonian Institution in Washington mit massiven Drohungen gezwungen werden, die zum 50. Jahrestag von Hiroshima geplante Gedächtnisausstellung abzublasen. Denn es bestand die Gefahr, dass Ausstellungsstücke wie versengte Kinderkleider oder ein halbverbrannter Teddybär Mitgefühl mit den Opfern wecken könnten. Ein Grundmuster wird hier sichtbar, das bis heute fortwirkt, bis zu den Kriegen in Afghanistan, im Irak und in Libyen und zu den gezielten Tötungen mit Drohnen: Amerika ist durchdrungen von der Ideologie des »gerechten Krieges«, von der Überzeugung, dass dies ein Krieg der Guten gegen die Bösen ist und Amerika selbstverständlich die Guten vertritt. Auf paradoxe Weise soll gerade die Moralisierung der Kriegsführung – Kampf des Guten gegen das Böse – den Einsatz absolut unmoralischer Mittel rechtfertigen. Dies muss uns misstrauisch machen gegen alle Versuche, kriegerische Einsätze mit dem Schutz von Freiheit und Menschenrechten zu begründen. Hiroshima bleibt eine Mahnung. Nicht nur zur Ächtung der Atomwaffen, sondern zur Ächtung des Krieges überhaupt. Alle Energien für die Entwicklung wirksamer Instrumente der gewaltfreien Konfliktlösung einzusetzen ist – anders als Bundespastor und Kriegsministerin uns einreden – die wahre Verantwortung Deutschlands, das zwei Weltkriege verschuldet hat.

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