Sonntag, 16. August 2015

Frieden mit dem Teufel? – Nachdenken mit Kant (Veit Noll)

Die feudale und bürgerliche deutsche Geschichte ist von Krieg und Militarismus geprägt. Jede Generation war Zeitzeuge oder Teilnehmer – mehr oder minder betroffen. Andererseits weist die deutsche Kultur große Denker auf, die sich auch öffentlich für Frieden und die Reduzierung von Militär und damit Rüstung aussprachen, Position bezogen, Überlegungen zu Tathandlungen einbrachten. Einer von ihnen: Immanuel Kant (1724–1804) mit seiner Schrift »Zum ewigen Frieden« aus dem Jahr 1795. Der in Preußen lebende Kant war unter anderem Zeitzeuge des Siebenjährigen Krieges, des Krieges Russlands gegen das Osmanische Reich der Türken, des Bayerischen Erbfolgekrieges zwischen Preußen und Österreich, des Unabhängigkeitskrieges von 13 nordwestamerikanischen Kolonien gegen die Herrschaft Englands, des Ersten Koalitionskrieges gegen das revolutionäre Frankreich ab 1792 – gegen einen Staat, in welchem die politischen und ökonomischen Grundlagen feudaler Herrschaft im Innern durch die eigene Bevölkerung über den Haufen geworfen worden waren. Für die einen erschien dieses letztgenannte menschliche Handeln als Vorbild geeignet, von den anderen wurde es als Gefahr bewertet – je nach Standpunkt und Interessenlage. Kants Zeit ist diejenige des ius ad bellum, des Rechtes auf Krieg. Zugleich hatte man aber auch ein ius in bello, ein Recht im Krieg, entwickelt – Erstechen, In-die-Luft-Sprengen und Verbrennen waren erlaubt, Vergiften aber nicht. In seiner Schrift setzte Kant mit Überlegungen zu äußeren und inneren Bedingungen für einen internationalen Frieden an. Sein ideales Prinzip für Recht und Moral: Handle so, dass du wollen kannst, dass es zum allgemeinen Gesetz wird, wandte er als Forderung auf die Verhaltensweisen von Staaten als entscheidende und handelnde Subjekte an. Ihren gegeneinanderstehenden egoistischen Einzelinteressen stellte er – als einen Spiegel des allgemeinen und gemeinsamen Interesses – ein Recht entgegen, welches für die Völker, die betroffenen Menschen, aufgrund der Aufwendungen und der Folgen des Krieges bestehe. Kant setzte dem herkömmlichen Kriegsrecht ein qualitativ neues, auf Frieden ausgerichtetes internationales Staatenrecht entgegen. So formulierte er in sechs Präliminarartikeln notwendige Bedingungen und Verhaltensweisen in der Form eines internationalen Vertrages, der zwischen Staaten abgeschlossen werden sollte und erläuterte sie. Für reichs-, lehens- und erbrechtliche Rechtfertigungen eines Krieges ließ er keinen Raum. So meinte er: Die notwendige Friedensvereinbarung dürfe keinen Stoff für einen künftigen Krieg beinhalten, müsse also auf Dauerhaftigkeit in Gegenseitigkeit ausgerichtet sein. Ein gleiches Recht gelte für kleine und große Staaten, die auch nicht anderweitig erworben werden dürfen, denn sie gehören der in ihnen lebenden Bevölkerung. Stehende Heere müssten mit der Zeit ganz aufgelöst werden, denn sie bedrohen den Frieden unaufhörlich. Es dürften keine Staatsschulden für Krieg und Militär gemacht werden. Kein Staat dürfe sich gewalttätig in die Verfassung und Regierung eines anderen Staates einmischen. Alles, was ein wechselseitiges Zutrauen von Staaten untereinander gefährde, müsse unterlassen werden. Der internationale Vertrag als Rechtsgrundlage gegenseitigen Verhaltens sollte über einen Völkerbund – nicht über einen Völkerstaat – Verwirklichung finden. Der Völkerstaat führe zur Unterjochung schwächerer Völker. Der Völkerbund setze dagegen die Anerkennung der Existenz eines jeden Staates und ein Recht auf nationale Selbstbestimmung voraus. Einem Interventionsrecht gegenüber einem anderen Staat erteilte Kant damit eine klare Absage, so wie der Angriffskrieg untersagt sei. Dieses Denken impliziert, dass ein solcher Völkerbund auch keinerlei Interventionskrieg zu legitimieren vermag. Kant forderte eine innere Gestaltung des Staates, in der nicht ein Staatsoberhaupt als Eigentümer und Machthaber, sondern sämtliche Staatsbürger selbst beschließen, ob Krieg oder Frieden sei, denn sie würden damit zugleich über die sie betreffenden Drangsale der Kriegsübel, Kosten und Verwüstung entscheiden. Während des jüngsten Krieges gegen Jugoslawien und zu dessen staatlicher Zerschlagung meinte ein Philosophieprofessor der Freien Universität Berlin in einem Radiointerview, dem ich beim Autofahren lauschte, eine solche innere militärisch bedrohende Situation für die Zivilbevölkerung habe Kant in seinem Friedensvölkerrecht noch gar nicht in Betracht ziehen können. – Als ob die Zivilbevölkerung in einem Krieg von Hunger, Elend, Vertreibung, Tötung, Verstümmelung, Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen, Tragen der Kriegseinwirkung und -folgen verschont werden würde. Krieg zum Schutz der Zivilbevölkerung oder der Begriff »Kollateralschaden« sind offener Zynismus unter Nutzung verschleiernder Abstrakta, die die Gedankentiefe schwächen. Tatsächlich war sich Immanuel Kant durchaus bewusst, dass Krieg immer damit einhergeht, den Gegner aus allen nur möglichen Perspektiven zu diffamieren und herabzusetzen. Wir denken dabei an den Nichtchristen als »Ungläubigen«, den »wilden, kulturlosen Türken«, den Nichtpreußen, zum Beispiel Sachsen, die rebellischen Unabhängigkeitsforderer von Nordamerika oder auch an die Herausforderung der französischen Revolutionäre, die »widerrechtlich« ihren König als Herrscher von Gottes Gnaden stürzten und schließlich gar enthaupteten. Der Gegner wird immer als unerträglich schlimm dargestellt – eine Behauptung aufgestellt, die als Kriegsgrund zur Anwendung militärischer Gewalt gegen den anderen Staat und »nebenbei« gegen dessen Bevölkerung herhalten muss. Kant erkannte durchaus, dass in Kriegen von den Machthabern um Ressourcen gekämpft wird. So ergänzte er seine umfassenden Ausführungen zu den Grundlagen eines zu schaffenden Friedensvölkerrechtes um einen entscheidenden Gedanken: Das Recht müsse selbst für eine »Welt von Teufeln« gelten. Der Teufel ist nun der wirklich allerschlimmste, unerträgliche Widerpart, das verderbte Wesen, das Böse. Der Dämonisierung des Gegners im ideologischen Kampf um den Kriegsgrund oder -anlass – einer scheinargumentativen Aushebelung des Friedensrechtes beziehungsweise der Friedenspflicht – entzog er damit methodisch tiefgreifend den Boden. Wer demnach heutzutage – mehr als zweihundert Jahre nach der deutschen Aufklärung – eine »Achse des Bösen« definiert oder auch nur gelten lässt, zeigt, dass er deutsche, internationalistische Kultur mit Immanuel Kant nicht verstanden oder zur Kenntnis genommen oder vor allem andere Interessen als die des Friedens, der Deeskalation und der Abrüstung vertritt. Veit Noll arbeitet als Rechtsanwalt in Salzwedel. 2014 erschien von ihm das Buch »Goethe im Wahnsinn der Liebe. Band 1: Die Flucht 1786«, Einsiedel Forschungsverlag, 386 Seiten, 28,50 €.

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