Sonntag, 16. August 2015
40 Jahre Arbeit an der kollektiven Sicherheit (Norman Paech)
Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre gab es im Kalten Krieg eine kurze Zeit der Entspannung. Obwohl US-Präsident Nixon ein in der Wolle gefärbter Antikommunist war – er war Mitglied im McCarthy-Ausschuss gewesen –, zeigte er sich im diplomatischen Umgang mit dem sowjetischen Parteichef Breschnew nüchtern und pragmatisch. 1969 begann er die Verhandlungen über die Begrenzung strategischer Waffen, die er 1972 zur Unterzeichnung des Strategic Arms Limitation Treaty (SALT I) und des Anti-Ballistic-Missiles Treaty (ABM-Vertrag) in Moskau führte. Es folgten Vereinbarungen in Washington und Jalta über die Begrenzung unterirdischer Atomtests und die Verminderung der Gefahr des unbeabsichtigten Ausbrechens eines Nuklearkrieges. Das sogenannte B-Waffenabkommen von 1972 mit dem Verbot der Entwicklung, Herstellung et cetera von biologischen Waffen war ein Meilenstein in den sonst weitgehend ergebnislosen Abrüstungsbemühungen. Erst 25 Jahre später sollte ein vergleichbares Chemiewaffenabkommen in Kraft treten.
Diese Phase der Entspannung erlaubte es auch der Bundesrepublik, ein neues Kapitel in ihrer Ostpolitik aufzuschlagen. Die Verträge mit der UdSSR, Polen, der DDR und der Tschechoslowakei zwischen 1970 und 1973 sollten die Beziehungen nach Osten entkrampfen, während es den westlichen Alliierten und Moskau in einem Viermächteabkommen 1971 gelang, die Lage in und um Berlin vertraglich zu verbessern. Darüber hinaus vereinbarten sie einen wechselseitigen Gewaltverzicht, die Anerkennung der Unverletzlichkeit der Grenzen und die Nichtigkeitserklärung des Münchner Abkommens von 1938 gegenüber der Tschechoslowakei. Das gleichzeitige Inkrafttreten dieses Berlinabkommens mit dem Moskauer und Warschauer Vertrag am 3. Juni 1972 sollte den inneren Zusammenhang der Bemühungen um Entspannung dokumentieren.
Damit war der diplomatische Boden für die Umsetzung einer alten Idee von einer europäischen Sicherheitskonferenz bereitet. Sie war schon lange zuvor mit dem Vorschlag für eine »Konferenz über Fragen der Europäischen Sicherheit« auf der Tagung des Politischen Beratenden Ausschusses des Warschauer Paktes in Bukarest im Jahr 1966 formuliert worden. Der Vorschlag wurde im Folgejahr von der Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas in Karlsbad aufgenommen und unterstützt. Schließlich – unterbrochen durch den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei im August 1968 – wurde der Vorschlag im März 1969 mit dem »Budapester Appell« des Politischen Ausschusses des Warschauer Paktes zur Forderung nach Einberufung einer »Gesamteuropäischen Konferenz« erhoben. Die NATO reagierte umgehend und erklärte sich im April 1969 in Washington zu einem solchen Treffen mit den osteuropäischen Staaten bereit. Die finnische Regierung nahm den Ball auf und offerierte im Mai 1969 ein Angebot für eine Konferenz in Helsinki. Nachdem die NATO-Staaten sich in Brüssel im Dezember anlässlich des Abschlusses des Viermächteabkommens zu entsprechenden Verhandlungen bereiterklärt hatten, ebneten eine Reihe von Vorbereitungskonferenzen den Weg zur endgültigen Eröffnung der »Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa« (KSZE) am 3. Juli 1973 in Helsinki. Sie endete mit der Unterzeichnung der Schlussakte am 1. August 1975.
Alle 15 Staaten der NATO, sieben Staaten des Warschauer Paktes und 13 blockfreie Staaten nahmen an der Konferenz teil. Die BRD ebenso wie die DDR – am 22. Juni 1973 erst hatte der UN-Sicherheitsrat die Aufnahme beider Staaten in die UNO vorgeschlagen. Die CDU/CSU-Opposition im Bundestag, noch tief in den Laufgräben des Kalten Krieges, hatte sich gegen die Konferenz ausgesprochen. Ihr war die Aufwertung der DDR ein Dorn im Auge. Hatten die einen die Anerkennung des territorialen Status quo in Europa, die Unantastbarkeit der Souveränität und die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten im Auge, wollte die Bundesregierung zum Beispiel gerade die Grenzfrage in der Perspektive einer Wiedervereinigung offenhalten und die Reisefreizügigkeit sowie den freien Zugang zu Informationen sichern.
In den zweijährigen Verhandlungen einigte man sich schließlich auf jene »Zehn Prinzipien«, die bereits in der sogenannten Prinzipiendeklaration der UN-Vollversammlung [Res. 2625 (XXV) vom 24. Oktober 1970] als völkerrechtliche Grundsätze anerkannt worden waren. Zu ihnen gehören unter anderem die Achtung der Souveränität und souveränen Gleichheit, die Unverletzlichkeit der Grenzen und die territoriale Integrität der Staaten, das Verbot der Androhung und Anwendung von Gewalt, die friedliche Regelung von Streitigkeiten, die Wahrung der Menschen- und Grundfreiheiten einschließlich der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit sowie das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Alles heute theoretisch unangreifbare, in der Praxis aber immer wieder verletzte Grundprinzipien der internationalen Staatenbeziehungen. Man war sich letztlich einig, keine Abrüstungs- oder Rüstungskontrollvereinbarungen in das Schlussdokument aufzunehmen, welches ohnehin nicht rechtsverbindlich für die Staaten sein sollte. Das einzige, was man zur Verminderung der Gefahr von bewaffneten Konflikten vereinbarte, war, Militärmanöver mit über 25.000 Mann mindestens 21 Tage vorher anzukündigen. Auch wenn die Vereinbarungen unverbindlich für die Staaten blieben, war die Schlussakte das erste bedeutende Dokument vertrauens- und sicherheitsbildender Maßnahmen zwischen Ost und West, die auf jeden Fall einen stärkeren wirtschaftlichen Austausch erbrachten und auf den Folgekonferenzen ausgebaut werden sollten.
Die Folgekonferenzen in Belgrad 1977/79, Madrid 1980/83 und wiederum Helsinki 1992 widmeten sich denselben Themen wie die erste Konferenz: neben den grundsätzlichen politischen Beziehungen die Wirtschaftskooperation, die Menschenrechte und die Prävention bewaffneter Konflikte. Es gab zwar eine Vielzahl begleitender Vorbereitungs- und Expertentreffen, das »Wissenschaftliche Forum« der KSZE tagte wiederholt, doch die Konferenzen verliefen weitgehend ergebnislos. Die USA hatten mit Regierungsantritt von Präsident Jimmy Carter die Entspannungspolitik verlassen und sich wieder einer »Politik der Stärke« zugewandt. Korb III, der sich mit den Menschenrechten befasste, erlangte immer stärkere Bedeutung und wurde Rückhalt für zahlreiche osteuropäische Dissidentenorganisationen und Bürgerrechtsbewegungen wie Charta 77 in der Tschechoslowakei oder Solidarność in Polen, auch Human Rights Watch. Die verbreitete Ansicht, dass die KSZE maßgeblich zum »Zusammenbruch des Ostblocks« (Wikipedia) beigetragen habe, verweist auf die Hintergedanken, mit denen manche westliche Delegation an die Arbeit gegangen ist.
In Madrid 1983 konnte man das Scheitern mit einem Mandat für eine »Konferenz über Sicherheits- und Vertrauensbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa« (KVAE) überdecken. Doch führte auch diese Konferenz zu nicht mehr als dem Ausbau vertrauensbildender Maßnahmen aus der Schlussakte von Helsinki. Die Aufgaben der Konfliktverhütung, Frühwarnung, Abrüstung und friedlichen Streitbeilegung waren keineswegs überflüssig geworden, verlangten aber eine veränderte institutionelle Form. So wurde auf dem Gipfeltreffen 1994 in Budapest beschlossen, die Konferenz in eine Organisation umzuwandeln. Seit dem 1. Januar 1995 arbeitet die »Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa« (OSZE) als regionale Abmachung nach Kapitel VIII UNO-Charta.
Die Themenbereiche ihrer Arbeit sind entsprechend den drei Körben der Schlussakte von Helsinki dieselben geblieben: die politisch-militärische Dimension, die Wirtschafts- und Umweltdimension und die humanitäre (Menschenrechts-)Dimension. Die west-östliche Blockade konnte allerdings auch nicht auf dem ersten OSZE-Gipfeltreffen im Dezember 2010 in Astana überwunden werden. Der Streit über die inhaltliche und strategische Zielsetzung der OSZE blieb ungelöst, und die Verabschiedung eines Aktionsplanes zur Lösung internationaler Konflikte scheiterte ebenso wie der Plan zur Reform der OSZE. Derartige Streitigkeiten beflügeln nicht gerade die Arbeit der OSZE, wie zum Beispiel die Beobachtermission in der Ukraine. Sie balanciert dort im Feld auf der gleichen Grenzscheide zwischen den Interessen der NATO und Russlands wie die Diplomatie hinter verschlossenen Türen. Hinzu kommt, dass die OSZE-Mission über keine Friedenstruppen und kein Mandat zu Zwangsmaßnahmen verfügt. Defizite, die nicht der Konstruktion der KSZE/OSZE anzulasten sind, sondern dem Wiederaufleben der West-Ost-Kontroverse unter neuen Vorzeichen.
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