Dokumentation - in: Kontext Wochenzeitung (359/2018)
von: Anna Hunger | Veröffentlicht am: 14. Februar 2018
Der nachfolgende Beitrag über die IMI erschien in Kontext: Wochenzeitung (Nr. 359/2018)
Die Informationsstelle Militarisierung in Tübingen, kurz Imi, macht keine schöne Arbeit. Aber gute. Und eine, die immer wichtiger wird. Seit mehr als 20 Jahren sammeln die Mitglieder in der Geschäftsstelle Hintergründe zu Kriegen, Militär und Rüstung auf der ganzen Welt.
Jürgen Wagners erste Demo war eine gegen den Golfkrieg zwischen Iran und Irak in den Achtzigerjahren. Damals war er Schüler und hatte immer ein Solarradio im Ranzen, damit er in der Pause Nachrichten hören konnte. „Ich bin aufgewachsen mit dem Slogan ‚Nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz‘. Und dann kam der Balkan“, erzählt Wagner, 43 Jahre alt, ganz in schwarz gekleidet. Damals zerriss die Politikerin Claudia Haydt, heute eine Linke, öffentlichkeitswirksam ihr grünes Parteibuch, weil die Grünen den Einsatz deutscher Soldaten im Rahmen des Nato-Einsatzes im Kosovo befürworteten. „Daran erinnere ich mich noch lebhaft“, sagt Wagner mit einem Grinsen. Das hat ihn beeindruckt und seitdem ist er bei der Imi. Das war 1999.
Sein Platz ist links der Eingangstür im Tübinger Büro, hinter dem großen Sofa, zwischen deckenhohen Regalen voller Bücher und Akten. In der Ecke wächst eine zufriedene Wasserlilie aus einem Waschbecken.
Jürgen Wagner ist einer von vier festen Mitarbeitenden, die von Montag bis Freitag im Tübinger Büro arbeiten und Material sammeln über Aufrüstung, Militär und Kriegseinsätze, dass sie kostenlos im Internet, auf Konferenzen, Vorträgen und in regelmäßig erscheinenden Studien, Analysen und Standpunkten zur Verfügung stellen. Sie recherchieren über die Bundeswehr, die Nato, Russland, die EU, Syrien, Afghanistan, Jemen, alles über Gebiete und Themen, wo es brennt und kokelt.
Die Mitarbeitenden, Beiräte des Vereins und der Vorstand arbeiten ehrenamtlich, der Verein lebt von Spenden. Zuschüsse und Projektgelder von staatlichen Stellen oder Förderung von Stiftungen lehnen sie ab zwecks Unabhängigkeit. Motto: „Antimilitarismus braucht Analysen! IMI braucht Euch!“
Im Kampf gibt es keine weißen Schafe
Wer sich mit den Vieren im Büro unterhält, merkt schnell, dass es keine Guten gibt. Nicht der Westen, nicht der Osten, Norden oder Süden. Im Kampf um Macht und Ressourcen gibt es keine weißen Schafe. Im Grunde weiß man das, besser aber ist, wenn man es ganz genau weiß. Deshalb hat sich die Imi 1996 gegründet, als eine Art Bildungseinrichtung und Servicestelle der deutschen Friedensbewegung, die Materialien zur Verfügung stellt für den Kampf gegen Krieg und Aufrüstung und den Durchblick in einem Metier, das sich lieber bedeckt halten möchte.
Gegründet hat die Imi Tobias Pflüger, Jahrgang 1965, Freiburger, heute Bundestagsabgeordneter für die Linke. In den Neunzigern war er noch Student und die Bundeswehr gerade dabei, das Kommando Spezialkräfte, kurz KSK, in Calw im Schwarzwald aufzubauen. Eine Spezialeinheit, zuletzt in den Medien wegen Hitlergrüßen, Rechtsrock und Schweinskopf-Weitwurf-Wettbewerben bei einer internen Party. Pflüger und Konsorten fanden, die müsse man im Auge behalten. Dringend sogar.
„Was tun die da? Wer informiert die Öffentlichkeit darüber? Denn die Bundeswehrt selbst würde das nicht tun“, erinnert er sich an die Anfänge. „Verbreitung und Veröffentlichung von Informationen friedenspolitischer Art“, so steht es unter anderem als Zweck in der Vereinssatzung. Anfangs saßen die Imi-Mitglieder in Pflügers Arbeitszimmer in dessen Wohnung und sammelten Artikel aus Lokal- und Regionalzeitungen, die über Aktivitäten in den ortsansässigen Kasernen berichteten.
Seit 2000 hat die Informationsstelle ihren Sitz im Tübinger Sudhaus, erster Stock, rechts geht es in die beiden Büros, links in ein Besprechungszimmer und in das Archiv, das bis unter die Decke vollgestopft ist mit Aktenordnern.
2001, das Jahr der Anschläge auf das World Trade Center in New York, sei eine Art Schlüsseljahr gewesen, sagt Jürgen Wagner. Für die Welt und für ihn selbst. „Seit 2001 sind wir nicht mehr rausgekommen aus dem Arbeiten. Es gab seitdem kein Jahr mehr ohne Krieg.“ Wagner hat zu der Zeit sein Studium für vier Jahre unterbrochen, weil ihm die Arbeit bei der Imi wichtiger war. Zu informieren in einer Gesellschaft, in der das Thema Krieg und Frieden immer weiter wegrücke, sagt er, auch geistig. „Krieg und Frieden ist heute nicht mehr so virulent, wie das bei der alten Friedensbewegung war. Der Kalte Krieg war eine ganz andere Bedrohung, als wenn heute jemand den Afghanen und Syrern den Arsch aufreißt.“
Die Öffentlichkeitsarbeit des Militärs entlarven
Das, sagt er, sei halt weit weg, auch trotz der Geflüchteten, die nach Deutschland kommen. „Es sind viele gegen Rüstungsgeschäfte und Krieg, aber das schlägt sich nicht im Wahlverhalten nieder“, sagt Wagner. „Bis zu 70 Prozent der Deutschen wollen keine Aufstockung des Rüstungsetats, aber sie sind für die Sicherheitspolitik. Das geht nicht miteinander.“ Und jetzt gebe es auch noch die AfD als Partei des Nationalismus. Die mache ihre Arbeit noch notwendiger.
Egal wie sie sich nach außen hin darstelle, sagt Christoph Marischka, Friedenspolitik sei immer antikapitalistisch und antirassistisch. Er ist seit 2001 dabei, ein bedachter Typ, der immer erst eine Weile überlegt, bevor er spricht, sitzt neben einem Regal voller Militärzeitschriften und Magazinen, die sie hier im Imi regelmäßig analysieren. Lieblingsstück: die Sonderausgabe von „Y“, der Bundeswehrzeitung, zum Thema Liebe, Lust und Partnerschaft mit Artikeln wie „Soldatenherzen schlagen höher“ oder „Bitte nicht stören“ – ein Text über Sex im Einsatz. Immerhin: „Hauptmann Müller sieht es entspannt“ und Fallschirmjägerfeldwebel Jahn empfiehlt Soldaten in festen Partnerschaften: „Selbstbefriedigung ist da eine gute Alternative und sorgt für Triebabfuhr“. Über das Heft können sich alle vier im Büro immer wieder beömmeln.
Die Mitarbeitenden haben heute Newsletter von militäraffinen, geostrategischen Think Tanks abonniert, Alerts zu Bundeswehr, Nato und so weiter. Über ihre Kontakte zur Politik wissen sie, was in die Ausschüsse eingespeist wird und was militärisch passiert auf der Welt, lesen Blogs, Zeitungen, Magazine, Zeitschriften, online und offline, und setzen aus diesen Informationen und einem über Jahre angesammelten Wissen ein Bild zusammen wie bei einem Puzzle. Denn wer sich lange und nachhaltig mit einem Thema befasst, erkennt Strategien und Entwicklungen, kann PR entlarven oder Schönschreiberei zurechtrücken. Mali sei da ein prägnantes Beispiel, sagt Marischka: Was auf Youtube für die Öffentlichkeit wie lustiges Zeltlager aussieht, wird in militärischen Fachzeitschriften ganz anders beschrieben.
Keine Chance für Verschwörungstheorien
Wichtig dabei ist: Alle Fakten, die die Informationsstelle verarbeitet, müssen nachvollziehbar und belegbar sein. Sie nutzen keine dubiosen geheimen Quellen, stellen keine Mutmaßungen an, verarbeitet wird nur, was öffentlich zugänglich ist, um nicht in den Verdacht von Verschwörungstheorien zu geraten. Die braucht es auch nicht. Die Wirklichkeit ist gruselig genug.
Oft rufen Studierende an, die Material zu Militarisierung brauchen oder eine Definition von Militarismus suchen. So wie Alex. Oder Jacky. Beide wollen nur mit Vornamen in einem Artikel vorkommen. Jacky ist 29 Jahre alt und die einzige Frau im Büro. Sie kam über ein Praktikum zur IMI, als sie Politikwissenschaften und Internationale Beziehungen studierte und lernen wollte, kritisch zu schreiben. Ihre Masterarbeit hat sie über einen Militärstützpunkt auf Sizilien geschrieben, den Zusammenhang von Militärbasen und deren Auswirkungen auf das Umfeld analysiert.
Alex studiert Politikwissenschaft und Geschichte. Seine Bachelorarbeit hat er über Frauen in Widerstandsgesellschaften geschrieben am Beispiel Rojava. Seit Juli 2017 macht er ein Praktikum bei der Imi, weil er irgendwann gemerkt hat, dass sich die universitäre Lehre nur wenig kritisch mit EU-Außenpolitik befasst, sagt er: „Die EU wird im Studium als das beste, was man systemkritisch haben kann, gepriesen. Aber die Abschottungspolitik, die Finanzierung von Militär in Diktaturen, wird umgedeutet als Partnerschaft.“ Nicht generell, es gebe auch kritische Geister. Aber im Großen und Ganzen, da sind sich beide sicher, sei „militante Forschung“ an Universitäten eher nicht so erwünscht. Deshalb sei die Imi auch so wichtig, sagt Jacky. „Widerstand braucht Information.“
Alex recherchiert für die Initiative unter anderem zum Thema Aufrüstung und Spezialkräfte, zum US-Militär in der Gegend um Stuttgart, zu Spezialeinheiten in der Panzerkaserne Böblingen, dem Militärischer Teil des Stuttgarter Flughafens, Africom in Möhringen. „Beim Thema Antimilitarismus ist es besonders wichtig, konkrete Ansatzpunkte zu haben und zu schaffen“, sagt er. Fragen zu Krieg an sich, wo er beginne oder ende, seien sehr abstrakt, „aber über Rüstungsstandorte oder ein Militärgelände in der Region zu informieren, ist was Konkretes.“ Und das findet Resonanz: Bis zu 4000 Mal wird die Imi-Homepage pro Tag angeklickt, der 21. Imi-Kongress Ende des vergangenen Jahres war über zwei Tage gut besucht.
Aachener Friedenspreis für die Antimilitaristen
Es gibt viele wegweisende Daten in der Geschichte der Imi. Zwei davon seien erwähnt. 2007 meldete eine „nicht näher spezifizierte Behörde“, so sagen sie, Zweifel an der Verfassungstreue des Vereins an. Beinahe wurde ihm deshalb vom Tübinger Finanzamt der Status der Gemeinnützigkeit aberkannt, was für den kleinen Laden das Ende bedeutet hätte. Als sich der Verdacht nicht erhärten ließ, bemängelte die Finanzbehörde, dass die IMI „stark von allgemeinen politischen Themen dominiert wird“ und „politische Zwecke (Beeinflussung der politischen Meinungsbildung) grundsätzlich nicht zu den gemeinnützigen Zwecken“ zählen würden. Bundesweite Empörung und Solidarität rettete der Imi letztlich den Hintern.
2011 hat die Informationsstelle den Aachener Friedenspreis bekommen. In der Laudatio sagte Rolf Gössner, Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, die Imi sei eine „antimilitaristischen Denkfabrik“ und attestierte ihr „eine wohltuend klare, kritisch-ablehnende Haltung zur deutschen Beteiligung an Angriffskriegen, zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren und zum Abbau der Bürger- und Menschenrechte im Zuge des staatlichen Antiterrorkampfes“.
Eine klare Haltung ist manchmal nicht so einfach. Nicht einmal für Menschen, die alles Militärische mit Herz und Seele ablehnen. Denn die wenigsten Revolutionen schaffen einen Umsturz ohne kriegerische Handlungen. Welche Position vertrat man als Pazifist im Libyen-Krieg? Generell im arabischen Frühling? Gibt es vielleicht auch gute Kriege?
„Gerecht jedenfalls sind sie nie“, sagt Marischka „denn um Krieg führen zu können, muss einer erst mal die Mittel haben. Und die sind nicht dazu da, um Gutes zu tun, sondern um Interessen durchzusetzen.“ Und Jürgen Wagner sagt: „Es geht ganz oft darum, einen Binnenmarkt strategisch abzusichern. Man müsste die Nationalstaaten überwinden. Dann würde man sogar Geld sparen.“ Was beide sicher wissen: Es sei höchste Zeit für ernsthafte globale Abrüstung. „Deutschland wäre in einer guten Position, damit anzufangen“, sagt Christoph Marischka. „Mit Freunden drumherum. Und mit einer Geschichte, aus der man lernen könnte.“
Die Informationsstelle Militarisierung in Tübingen, kurz Imi, macht keine schöne Arbeit. Aber gute. Und eine, die immer wichtiger wird. Seit mehr als 20 Jahren sammeln die Mitglieder in der Geschäftsstelle Hintergründe zu Kriegen, Militär und Rüstung auf der ganzen Welt.
Jürgen Wagners erste Demo war eine gegen den Golfkrieg zwischen Iran und Irak in den Achtzigerjahren. Damals war er Schüler und hatte immer ein Solarradio im Ranzen, damit er in der Pause Nachrichten hören konnte. „Ich bin aufgewachsen mit dem Slogan ‚Nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz‘. Und dann kam der Balkan“, erzählt Wagner, 43 Jahre alt, ganz in schwarz gekleidet. Damals zerriss die Politikerin Claudia Haydt, heute eine Linke, öffentlichkeitswirksam ihr grünes Parteibuch, weil die Grünen den Einsatz deutscher Soldaten im Rahmen des Nato-Einsatzes im Kosovo befürworteten. „Daran erinnere ich mich noch lebhaft“, sagt Wagner mit einem Grinsen. Das hat ihn beeindruckt und seitdem ist er bei der Imi. Das war 1999.
Sein Platz ist links der Eingangstür im Tübinger Büro, hinter dem großen Sofa, zwischen deckenhohen Regalen voller Bücher und Akten. In der Ecke wächst eine zufriedene Wasserlilie aus einem Waschbecken.
Jürgen Wagner ist einer von vier festen Mitarbeitenden, die von Montag bis Freitag im Tübinger Büro arbeiten und Material sammeln über Aufrüstung, Militär und Kriegseinsätze, dass sie kostenlos im Internet, auf Konferenzen, Vorträgen und in regelmäßig erscheinenden Studien, Analysen und Standpunkten zur Verfügung stellen. Sie recherchieren über die Bundeswehr, die Nato, Russland, die EU, Syrien, Afghanistan, Jemen, alles über Gebiete und Themen, wo es brennt und kokelt.
Die Mitarbeitenden, Beiräte des Vereins und der Vorstand arbeiten ehrenamtlich, der Verein lebt von Spenden. Zuschüsse und Projektgelder von staatlichen Stellen oder Förderung von Stiftungen lehnen sie ab zwecks Unabhängigkeit. Motto: „Antimilitarismus braucht Analysen! IMI braucht Euch!“
Im Kampf gibt es keine weißen Schafe
Wer sich mit den Vieren im Büro unterhält, merkt schnell, dass es keine Guten gibt. Nicht der Westen, nicht der Osten, Norden oder Süden. Im Kampf um Macht und Ressourcen gibt es keine weißen Schafe. Im Grunde weiß man das, besser aber ist, wenn man es ganz genau weiß. Deshalb hat sich die Imi 1996 gegründet, als eine Art Bildungseinrichtung und Servicestelle der deutschen Friedensbewegung, die Materialien zur Verfügung stellt für den Kampf gegen Krieg und Aufrüstung und den Durchblick in einem Metier, das sich lieber bedeckt halten möchte.
Gegründet hat die Imi Tobias Pflüger, Jahrgang 1965, Freiburger, heute Bundestagsabgeordneter für die Linke. In den Neunzigern war er noch Student und die Bundeswehr gerade dabei, das Kommando Spezialkräfte, kurz KSK, in Calw im Schwarzwald aufzubauen. Eine Spezialeinheit, zuletzt in den Medien wegen Hitlergrüßen, Rechtsrock und Schweinskopf-Weitwurf-Wettbewerben bei einer internen Party. Pflüger und Konsorten fanden, die müsse man im Auge behalten. Dringend sogar.
„Was tun die da? Wer informiert die Öffentlichkeit darüber? Denn die Bundeswehrt selbst würde das nicht tun“, erinnert er sich an die Anfänge. „Verbreitung und Veröffentlichung von Informationen friedenspolitischer Art“, so steht es unter anderem als Zweck in der Vereinssatzung. Anfangs saßen die Imi-Mitglieder in Pflügers Arbeitszimmer in dessen Wohnung und sammelten Artikel aus Lokal- und Regionalzeitungen, die über Aktivitäten in den ortsansässigen Kasernen berichteten.
Seit 2000 hat die Informationsstelle ihren Sitz im Tübinger Sudhaus, erster Stock, rechts geht es in die beiden Büros, links in ein Besprechungszimmer und in das Archiv, das bis unter die Decke vollgestopft ist mit Aktenordnern.
2001, das Jahr der Anschläge auf das World Trade Center in New York, sei eine Art Schlüsseljahr gewesen, sagt Jürgen Wagner. Für die Welt und für ihn selbst. „Seit 2001 sind wir nicht mehr rausgekommen aus dem Arbeiten. Es gab seitdem kein Jahr mehr ohne Krieg.“ Wagner hat zu der Zeit sein Studium für vier Jahre unterbrochen, weil ihm die Arbeit bei der Imi wichtiger war. Zu informieren in einer Gesellschaft, in der das Thema Krieg und Frieden immer weiter wegrücke, sagt er, auch geistig. „Krieg und Frieden ist heute nicht mehr so virulent, wie das bei der alten Friedensbewegung war. Der Kalte Krieg war eine ganz andere Bedrohung, als wenn heute jemand den Afghanen und Syrern den Arsch aufreißt.“
Die Öffentlichkeitsarbeit des Militärs entlarven
Das, sagt er, sei halt weit weg, auch trotz der Geflüchteten, die nach Deutschland kommen. „Es sind viele gegen Rüstungsgeschäfte und Krieg, aber das schlägt sich nicht im Wahlverhalten nieder“, sagt Wagner. „Bis zu 70 Prozent der Deutschen wollen keine Aufstockung des Rüstungsetats, aber sie sind für die Sicherheitspolitik. Das geht nicht miteinander.“ Und jetzt gebe es auch noch die AfD als Partei des Nationalismus. Die mache ihre Arbeit noch notwendiger.
Egal wie sie sich nach außen hin darstelle, sagt Christoph Marischka, Friedenspolitik sei immer antikapitalistisch und antirassistisch. Er ist seit 2001 dabei, ein bedachter Typ, der immer erst eine Weile überlegt, bevor er spricht, sitzt neben einem Regal voller Militärzeitschriften und Magazinen, die sie hier im Imi regelmäßig analysieren. Lieblingsstück: die Sonderausgabe von „Y“, der Bundeswehrzeitung, zum Thema Liebe, Lust und Partnerschaft mit Artikeln wie „Soldatenherzen schlagen höher“ oder „Bitte nicht stören“ – ein Text über Sex im Einsatz. Immerhin: „Hauptmann Müller sieht es entspannt“ und Fallschirmjägerfeldwebel Jahn empfiehlt Soldaten in festen Partnerschaften: „Selbstbefriedigung ist da eine gute Alternative und sorgt für Triebabfuhr“. Über das Heft können sich alle vier im Büro immer wieder beömmeln.
Die Mitarbeitenden haben heute Newsletter von militäraffinen, geostrategischen Think Tanks abonniert, Alerts zu Bundeswehr, Nato und so weiter. Über ihre Kontakte zur Politik wissen sie, was in die Ausschüsse eingespeist wird und was militärisch passiert auf der Welt, lesen Blogs, Zeitungen, Magazine, Zeitschriften, online und offline, und setzen aus diesen Informationen und einem über Jahre angesammelten Wissen ein Bild zusammen wie bei einem Puzzle. Denn wer sich lange und nachhaltig mit einem Thema befasst, erkennt Strategien und Entwicklungen, kann PR entlarven oder Schönschreiberei zurechtrücken. Mali sei da ein prägnantes Beispiel, sagt Marischka: Was auf Youtube für die Öffentlichkeit wie lustiges Zeltlager aussieht, wird in militärischen Fachzeitschriften ganz anders beschrieben.
Keine Chance für Verschwörungstheorien
Wichtig dabei ist: Alle Fakten, die die Informationsstelle verarbeitet, müssen nachvollziehbar und belegbar sein. Sie nutzen keine dubiosen geheimen Quellen, stellen keine Mutmaßungen an, verarbeitet wird nur, was öffentlich zugänglich ist, um nicht in den Verdacht von Verschwörungstheorien zu geraten. Die braucht es auch nicht. Die Wirklichkeit ist gruselig genug.
Oft rufen Studierende an, die Material zu Militarisierung brauchen oder eine Definition von Militarismus suchen. So wie Alex. Oder Jacky. Beide wollen nur mit Vornamen in einem Artikel vorkommen. Jacky ist 29 Jahre alt und die einzige Frau im Büro. Sie kam über ein Praktikum zur IMI, als sie Politikwissenschaften und Internationale Beziehungen studierte und lernen wollte, kritisch zu schreiben. Ihre Masterarbeit hat sie über einen Militärstützpunkt auf Sizilien geschrieben, den Zusammenhang von Militärbasen und deren Auswirkungen auf das Umfeld analysiert.
Alex studiert Politikwissenschaft und Geschichte. Seine Bachelorarbeit hat er über Frauen in Widerstandsgesellschaften geschrieben am Beispiel Rojava. Seit Juli 2017 macht er ein Praktikum bei der Imi, weil er irgendwann gemerkt hat, dass sich die universitäre Lehre nur wenig kritisch mit EU-Außenpolitik befasst, sagt er: „Die EU wird im Studium als das beste, was man systemkritisch haben kann, gepriesen. Aber die Abschottungspolitik, die Finanzierung von Militär in Diktaturen, wird umgedeutet als Partnerschaft.“ Nicht generell, es gebe auch kritische Geister. Aber im Großen und Ganzen, da sind sich beide sicher, sei „militante Forschung“ an Universitäten eher nicht so erwünscht. Deshalb sei die Imi auch so wichtig, sagt Jacky. „Widerstand braucht Information.“
Alex recherchiert für die Initiative unter anderem zum Thema Aufrüstung und Spezialkräfte, zum US-Militär in der Gegend um Stuttgart, zu Spezialeinheiten in der Panzerkaserne Böblingen, dem Militärischer Teil des Stuttgarter Flughafens, Africom in Möhringen. „Beim Thema Antimilitarismus ist es besonders wichtig, konkrete Ansatzpunkte zu haben und zu schaffen“, sagt er. Fragen zu Krieg an sich, wo er beginne oder ende, seien sehr abstrakt, „aber über Rüstungsstandorte oder ein Militärgelände in der Region zu informieren, ist was Konkretes.“ Und das findet Resonanz: Bis zu 4000 Mal wird die Imi-Homepage pro Tag angeklickt, der 21. Imi-Kongress Ende des vergangenen Jahres war über zwei Tage gut besucht.
Aachener Friedenspreis für die Antimilitaristen
Es gibt viele wegweisende Daten in der Geschichte der Imi. Zwei davon seien erwähnt. 2007 meldete eine „nicht näher spezifizierte Behörde“, so sagen sie, Zweifel an der Verfassungstreue des Vereins an. Beinahe wurde ihm deshalb vom Tübinger Finanzamt der Status der Gemeinnützigkeit aberkannt, was für den kleinen Laden das Ende bedeutet hätte. Als sich der Verdacht nicht erhärten ließ, bemängelte die Finanzbehörde, dass die IMI „stark von allgemeinen politischen Themen dominiert wird“ und „politische Zwecke (Beeinflussung der politischen Meinungsbildung) grundsätzlich nicht zu den gemeinnützigen Zwecken“ zählen würden. Bundesweite Empörung und Solidarität rettete der Imi letztlich den Hintern.
2011 hat die Informationsstelle den Aachener Friedenspreis bekommen. In der Laudatio sagte Rolf Gössner, Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, die Imi sei eine „antimilitaristischen Denkfabrik“ und attestierte ihr „eine wohltuend klare, kritisch-ablehnende Haltung zur deutschen Beteiligung an Angriffskriegen, zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren und zum Abbau der Bürger- und Menschenrechte im Zuge des staatlichen Antiterrorkampfes“.
Eine klare Haltung ist manchmal nicht so einfach. Nicht einmal für Menschen, die alles Militärische mit Herz und Seele ablehnen. Denn die wenigsten Revolutionen schaffen einen Umsturz ohne kriegerische Handlungen. Welche Position vertrat man als Pazifist im Libyen-Krieg? Generell im arabischen Frühling? Gibt es vielleicht auch gute Kriege?
„Gerecht jedenfalls sind sie nie“, sagt Marischka „denn um Krieg führen zu können, muss einer erst mal die Mittel haben. Und die sind nicht dazu da, um Gutes zu tun, sondern um Interessen durchzusetzen.“ Und Jürgen Wagner sagt: „Es geht ganz oft darum, einen Binnenmarkt strategisch abzusichern. Man müsste die Nationalstaaten überwinden. Dann würde man sogar Geld sparen.“ Was beide sicher wissen: Es sei höchste Zeit für ernsthafte globale Abrüstung. „Deutschland wäre in einer guten Position, damit anzufangen“, sagt Christoph Marischka. „Mit Freunden drumherum. Und mit einer Geschichte, aus der man lernen könnte.“
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