Opfer eines »raubgierigen Unternehmens«
Ein blutiger
Bergbaukonflikt in Mexiko überschattet die
NAFTA-Neuverhandlungen / Internationale Gewerkschaften
prangern fehlende Organisationsfreiheit an
Neues Deutschland vom 2.2.2018
von Philipp
Gerber.
Mexiko
Stadt. Seit Anfang November wird eine Goldmine in Guerrero
bestreikt, deren Arbeiter wollen aus dem Kollektivvertrag
mit einer gelben Gewerkschaft aussteigen. Unternehmer und
Staat reagieren mit Gewalt, bisher sind drei Arbeiter
getötet worden, zuletzt ein Streikanführer. Und kürzlich
wurde die Fabrik von Militär und Polizei besetzt. Die Gewalt
gegen die Arbeiter der Mine Media Luna, im Besitz der
kanadischen Torex Gold Resources, zeigt schonungslos die
Lage der Arbeiter in Mexiko auf, und wird deshalb zum Fanal
für die nordamerikanischen Gewerkschaften in den
NAFTA-Neuverhandlungen.
Der am 24.
Januar ermordete Quintín Salgado, einer der Architekten des
Streiks in Cocula, kam zurück aus er Migration in sein Dorf,
als die Goldmine 2013 die Exploration der Metallvorkommen
ankündigte. Quintín Salgado erhoffte sich so ein Einkommen
in seiner Heimat Nuevo Balsas, wurde auch eingestellt, aber
2016, nur Monate nach der Aufnahme der Goldproduktion, kam
es zu einem ersten Konflikt der umliegenden Gemeinden mit
der Fabrik: Fischer stellten einen massiven Rückgang der
Fischbestände im naheliegenden See fest und vermuteten eine
Umweltverschmutzung durch den Tagebau. Tatsächlich gelang es
den Gemeinden mit Unterstützung von Salgado, durch eine
unabhängige Studie nachzuweisen, dass im Flusswasser des Río
Balsas die Konzentration des hochgefährlichen Cyanid 300%
über dem gesetzlichen Grenzwert liegt. Die Reklamationen
verhallten ungehört, dafür wurde Salgado entlassen, weil er
sich auf die Seite der Gemeinden stellte. Seither arbeitete
er als Busunternehmer, unter anderem auch für die
Mitarbeiter der Fabrik.
Als am 3.
November 2017 die 600 Arbeiter des Tagebaus in den Streik
traten und die Zufahrtsstrassen besetzten, war Salagado von
Beginn an mit dabei. Denn sein Kleinbus wurde vom
Unternehmen nur unregelmässig angemietet, zudem musste er
7.5% seines Einkommens an die gelbe Gewerkschaft CTM
abliefern. Die Arbeiter hatten genug von der
unternehmerfreundlichen Gewerkschaft CTM, welche der
regierenden Partei PRI angehört, und wollten zum Nationalen
Bergbausyndikat wechseln. Doch die gelbe Gewerkschaft
reagierte mit Drohungen und die Gendarmerie, extra zum
Schutz von ausländischen Investitionen gegründet, bezog
Position und wurde zusammen mit bewaffneten Zivilisten
gesehen, die in dieser von Mafiaorganisationen dominierten
Region nahe Iguala offen aktiv sind. Bald darauf kam es zur
ersten Gewaltakt: Die streikenden Brüder Víctor und
Marcelino Sahuanitla Peña, die als Zulieferer für das
kanadische Unternehmen arbeiteten, wurden ermordet.
Der Doppelmord
geschah während der Neuverhandlungen des Nordamerikanischen
Freihandelsabkommen NAFTA. Während einer
NAFTA-Verhandlungsrunde in Mexiko Stadt reisten die
Gewerkschafter Bob Laventure und Manny Armenta von der
mächtigen „United Steelworkers“ nach Guerrero, um direkt in
Cocula auf den Streikposten Solidarität zu zeigen. Quintín
Salgado begleitete die beiden Repräsentanten der grössten
nordamerikanischen Gewerkschaft als Übersetzer, dank seiner
Englischkenntnisse aus der Migrationszeit. Zurück in Mexiko
Stadt, prangerten die Gewerkschafter die Zustände in der
mexikanischen Bergbauindustrie vor der internationalen
Presse an. Die Morde in Cocula wurden so zum Politikum auf
höchster Ebene. Das Unternehmen und die mexikanische
Regierung dementierten darauf, die Morde hätten „nichts mit
dem Streik zu tun“, waren doch die beiden nicht in direktem
Sold der Goldmine. Der Streik ging weiter, die Gewalt auch.
Am 24. Januar ermordeten Bewaffnete Quintín Salgado vor
seiem Haus in Nuevo Balsas. Auch die grösste kanadische
Gewerkschaft, Unifor, reklamiert die Gewalt: „Wieviele
Arbeiter müssen noch sterben, bis die Unternehmen und die
korrupten mexikanischen Gewerkschaften endlich zur
Rechenschaft gezogen werden?“, fragt der Präsident von
Unifor, Jerry Dias.
Während in
Nuevo Balsas die Trauerfeiern für den 37-jährigen
Familienvater Quintín Salgado stattfinden, nähert sich ein
Konvoi von Polizei und Militär der Region. Aufgrund der
angespannten Lage haben die Streikenden eine der
Zufahrtsstrassen unbewacht gelassen. Die Sicherheitskräfte
nutzen die Lücke, fahren auf den Hügel, auf dem sich die
Fabrik befindet. Die Goldproduktion soll auf Biegen und
Brechen weitergehen. Ein Kollege von Quintín, der in einer
Reportage der Tageszeitung „El Sur“ anonym zitiert wird,
erinnert sich an den Migranten, der mit grosssen Hoffnungen
aus den USA in seine Heimat zurückkehrte: Nie hätte wohl
Quintin gedacht, dass er sich hier mit seinem Schicksal
einliess, aber „er stiess auf die Engstirnigkeit eines
raubgierigen und gefrässigen Unternehmens“.
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