Montag, 26. Februar 2018

Offener Brief ans Deutsche Institut für Menschenrechte

Am 6.12.2017 stellte das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) wie vor einem Jahr einen Bericht zur „Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland“ vor. Letztes Jahr kritisierte die-BPE den Bericht mit einem offenen Brief, siehe hier. Leider musste  die-BPE  auch in diesem Jahr mit einem offenen Brief auf gravierende Mängel in dem Bericht hinweisen:

Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener e.V.
Haus der Demokratie und Menschenrechte
Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin
Fax: 030-782 8947
die-bpe@berlin.de
www.die-bpe.de

8. Februar 2018
Sehr geehrte Frau Prof. Rudolf,

nunmehr zum zweiten Mal stellte das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) am 6. Dezember 2017 seinen Menschenrechtsbericht vor. Nach dem Gesetz über die Rechtsstellung und Aufgaben des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMRG) besteht der Zweck dieses Berichts insbesondere darin „die Öffentlichkeit über die Lage der Menschenrechte im In- und Ausland [zu] informieren und zur Prävention von Menschenrechtsverletzungen sowie zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte bei[zu]tragen.“

Schon mit der Veröffentlichung des ersten Menschenrechtsberichts 2016 hat die Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener (die-BPE) ihre Bestürzung über die darin zum Ausdruck gebrachte Ignoranz, gegenüber den in Deutschland weitläufig und routiniert ausgeübten Formen psychiatrischer Folter und Gewalt geäußert. Mit der Vorlage des aktuellen Menschenrechtsberichts 2017 scheint es für uns dringend geboten, diese Kritik zu erneuern.

In Bezug auf die Rechte von Menschen mit vermeintlichen oder tatsächliche psychischen Problemen, thematisiert Ihr Bericht lediglich den Entzug des aktiven und passiven Wahlrechts für Betroffene, die entmündigt wurden oder die nach dem Verüben einer Straftat auf unbestimmte Zeit in psychiatrischen Einrichtungen eingesperrt bleiben. In besorgniserregender Weise lassen Sie dabei die rechtlichen und strukturellen Zusammenhänge außer Acht, welche überhaupt erst die Voraussetzung für derartige und weitergehende Menschenrechtsverstöße schaffen. Dem haben wir stets das Selbstbestimmungsrecht und Betreuung nie gegen den natürlichen bzw. erklärten Willen, sowie den Anspruch auf einen gleichberechtigten Strafprozess und regulären Strafvollzug für alle Straftäter gegenübergestellt.

Der Betrachtungszeitraum des vorliegenden Reports gilt als Anlass für eine dringende Auseinandersetzung mit der rasanten Verschlechterung der Rechtslage für psychiatrisierte Menschen. So wurde mit der fortschreitenden Ausarbeitung weiterer Psychisch-Kranken-Gesetze auf Landesebene – etwa in Nordrhein-Westfahlen oder Hessen – die weitere Ausübung von menschenrechtswidriger Gewaltformen legislativ manifestiert. Als Sondergesetze sind selbige grundsätzlich diskriminierend[1] und mit den Verpflichtungen der UN-Behindertenrechtskonvention daher unvereinbar[2]. Erst mit der Ausgabe von Wahlprüfsteinen anlässlich der Landtagswahlen 2016[3] [4] und 2017[5 [6 [7] [8] sowie der zurückliegenden Bundestagswahl[9], mussten der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener (BPE) und die-BPE erneut feststellen, wie rudimentär das diesbezügliche Bewusstsein in der parlamentarischen Parteienlandschaft in Deutschland ausgeprägt ist. Dies macht folglich deutlich, wie dringend es hier geboten ist, sowohl den Bundestag als auch die Öffentlichkeit, von Seiten des DIMR über dieses Missverhältnis in Kenntnis zu setzen und sich gegen diese gesetzliche Diskriminierung zu engagieren.

Unterdes hat die Bundesregierung mit der Ausarbeitung eines weiteren Gesetzes die Menschenrechtslage im vergangenen Jahr dramatisch verschärft. Das Gesetz zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen mit dem trügerischen Zusatz und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten, ermöglicht es fortan Zwangsbehandlungen in jedem Krankenhaus in Deutschland vorzunehmen. Das diesem Gesetz zugrundeliegende Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht[10] hat gezeigt, dass die Betroffenen dabei sogar mit der Amputation von Körperteilen gegen den eigenen Willen rechnen müssen. Auch hier wäre es dringend geboten seitens des DIMR auf die einschlägig gegenläufigen menschen- und völkerrechtlichen Abkommen und Autoritäten hinzuweisen, die extra implementiert wurden, um der Universalität der Menschenrechte auf einer supranationalen Ebene zu wahren und umso mehr, wenn die nationale Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts menschenrechtlich derart versagt.

Insgesamt ist in der aktuellen Entwicklung eine Expansion von psychiatrischer Gewalt zu beobachten.[11] Die aufgezeigten Veränderungen veranschaulichen, wie sehr sich dieser Trend auch in Deutschland niederschlägt – etwa auch beim Ausbau geschlossener Einrichtungen[12] – und die Interessen und Rechte von Psychiatrie-Erfahrenen immer weiter zurückgedrängt werden und damit ein neuer, seit Jahrzehnten unerreichter Tiefststand, auszumachen ist. Dem muss von menschenrechtlicher Seite entschieden und umtriebig entgegengetreten werden. Mit der anhaltenden Untätigkeit und Verschwiegenheit gegenüber diesen Zuständen leistet das DIMR keinen Beitrag dazu und wird seinen Aufklärungspflichten nicht vollumfänglich gerecht.

Diese Politik des DIMR, gepaart mit den befürwortenden Einlassungen des Instituts zu einer geplanten Professionalisierung des Betreuungswesens, hat in persönlichen Gesprächen im vergangenen Jahr bereits zu erheblichem Unmut auf unserer Seite geführt. Wider besseren Wissens unterstützt das DIMR hier, dass die privatautonome Vorsorgevollmacht in Frage gestellt bzw. durch Berufsbetreuer ersetzt werden kann. Die Vorsorgevollmacht ist die wichtigste rechtliche Errungenschaft, mit der die Selbstbestimmungsrechte der Betroffenen gegen die Zwangspsychiatrie verteidigt werden können. Die Bitte von uns, um eine öffentliche Stellungnahme gegen die Professionalisierung des Betreuungswesens und die Parteinahme für die Erhaltung der selbstbestimmten Vorausverfügung, hat ihr Institut abgelehnt. Damit fällt das DIMR der Verwirklichung eines zentralen Menschenrechts fatal in den Rücken (siehe: Die Behindertenrechtskonvention Vorwand für den Angriff auf die Selbstbestimmung: Der Forschungsbericht „Qualität in der rechtlichen Betreuung“).

Sie haben es auch diesmal in Ihrem Menschenrechtsbericht nicht für nötig gehalten, die besonders schwerwiegenden Menschenrechtsverstöße der Entrechtung, Gewalt und Folter[13], die gegen psychiatrisierte Personen in Deutschland täglich verübt werden, kritisch zu thematisieren. Gleichzeitig torpediert ihr Institut die bislang erkämpften Selbstbestimmungsrechte von Psychiatrie-Erfahrenen. Diese Entscheidungen zeigen deutlich, auf welchen besorgniserregenden politischen Kurs sich das DIMR zusehends begeben hat. Wir möchten Sie deshalb eindrücklich darauf hinweisen, dass eine derart katastrophale Tätigkeit des DIMR die Beziehungen und das Vertrauensverhältnis zu den Betroffenen und deren Repräsentanten und Interessenvertretungen nachhaltig verschlechtert und bereits verschlechtert hat.

Auch ist es vollkommen unverständlich, dass das DIMR zwar gegenüber dem UN-Menschenrechtsrat im Rahmen des aktuellen Universal-Periodic-Review-Verfahrens und der Thematisierung „besonders wichtiger Bereiche“ auf die Problematik eingeht[14] und sogar konstatiert, dass eine „grundsätzliche Überprüfung des Systems der Psychiatrie aus menschenrechtlicher Sicht“ sowie eine „Ausrichtung hin zu einer Psychiatrie ohne Zwang“ nicht erkennbar sind, dies aber gegenüber dem Deutschen Bundestag verschweigt. Dabei sollte sich gerade die von Ihnen veröffentlichte Handlungsempfehlung[15] zur „Untersuchung des Systems der Psychiatrie aus menschenrechtlicher Sicht und insbesondere eine Ausrichtung hin zu einer Psychiatrie ohne Zwang“ gezielt an diesen nationalen Gesetzgeber richten.

Aus diesem Grund fordern wir Sie anlässlich der Vorlage des Menschenrechtsberichts 2017 abermals dazu auf, sich in diesem Format zukünftig kritisch mit den angesprochenen Themenfeldern auseinanderzusetzen und dabei auch konstruktiv die Expertise von Betroffenen, die sich für eine gewaltlose Psychiatrie und die vollumfängliche Verwirklichung der Menschenrechte in diesem Bereich einsetzen, mit einzubeziehen. Als Betroffene sind wir besonders privilegiert psychiatrische Gewaltmaßnahmen hinsichtlich ihrer menschenrechtsverletzenden Weise zu beurteilen und möchten dieses Wissen in diesem Zusammenhang gerne im Sinne einer Verbesserung zur Verfügung stellen.

Mit freundlichen Grüßen

(Für den Vorstand von die-BPE: René Talbot        Uwe Pankow         Ole Arnold Schneider)

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[1] United Nations High Commissioner for Human Rights & Office of the High Comissioner & The Secretary-General (2009): Annual report of the United Nations High Commissioner for Human Rights and reports of the Office of the High Comissioner and the Secretary-General: Thematic study by the Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights on enhancing awareness and understanding of the Convention on the Rights of Persons with Disabilities (A/HRC/10/48). Human Rights Council, 10th session, agenda item 2 (General Assembly); http://www2.ohchr.org/english/bodies/hrcouncil/docs/10session/A.HRC.10.48.pdf [Abruf 10.01.2018].
[2] United Nations Committee on the Rights of Persons with Disabilities (2014): General Comment No. 1.
Article 12: Equal recognition before the law (CRPD/C/GC/1). Committee on the Rights of Persons with Disabilities, 11th session (Convention on the Rights of Persons with Disabilities);
https://documents-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/G14/031/20/PDF/G1403120.pdf  OpenElement [Abruf 10.01.2018].
[3] Werner-Fuss-Zentrum (2016): Wahlempfehlungen zur Landtagswahl in Meck-Pomm; https://www.zwangspsychiatrie.de/2016/08/wahlempfehlungen-zur-landtagswahl-in-mek-pom  [Abruf 10.01.2018].
[4] Werner-Fuss-Zentrum (2016): Wahlempfehlungen zur Wahl des Abgeordnetenhauses in Berlin; https://www.zwangspsychiatrie.de/2016/09/wahlempfehlungen-zur-wahl-des-abgeordnetenhaus-in-berlin/ [Abruf 10.01.2018].
[5] Werner-Fuss-Zentrum (2017): Wahlprüfsteine für die Landtagswahl im Saarland; https://www.zwangspsychiatrie.de/2017/03/wahlpruefsteine-fuer-die-landtagswahl-im-saarland [Abruf 10.01.2018].
[6] Werner-Fuss-Zentrum (2017): Wahlprüfsteine für die Landtagswahl in Schleswig-Holstein; https://www.zwangspsychiatrie.de/2017/05/wahlpruefsteine-fuer-die-landtagswahl-in-schleswig-holstein [Abruf 10.01.2018].
[7] Werner-Fuss-Zentrum (2017): Wahlprüfsteine für die Landtagswahl in NRW; https://www.zwangspsychiatrie.de/2017/05/wahlpruefsteine-fuer-die-landtagswahl-in-nrw/ [Abruf 10.01.2018].
[8] Werner-Fuss-Zentrum (2017): Wahlprüfsteine für die Landtagswahl in Niedersachsen; https://www.zwangspsychiatrie.de/2017/10/wahlpruefsteine-fuer-die-landtagswahl-in-niedersachsen/ [Abruf 10.01.2018].
[9] Werner-Fuss-Zentrum (2017): Wahlprüfstein zur Bundestagswahl 2017; http://www.die-bpe.de/Wahl_2017 [Abruf 10.01.2018].
[10] Bundesverfassungsgericht (2016): Beschluss des Ersten Senats vom 26. Juli. 1 BvL 8/15 – Rn. (1-103);
http://www.bverfg.de/e/ls20160726_1bvl000815.html
[Abruf 10.01.2018].
[11] Sashidharan, S. P. & Saraceno, B. (2017): Is psychiatry becoming more coercive? The rising trend is damaging for patients, unsupported by evidence, and must be reversed. The BMJ; 357: j2904.
[12] Giertz, K. & Gervink, T. (2017): »Man wird sich seinen eigenen gesunden Menschenverstand nicht dadurch beweisen können, dass man seinen Nachbarn einsperrt.« Kritik am Auf- und Ausbau geschlossener Heiminstitutionen. Soziale Psychiatrie; 41 (3): 20–23.
[13] Committee on the Rights of Persons with Disabilities (2015): Concluding observations on the initial report of Germany (CRPD/C/DEU/CO/1). Committee on the Rights of Persons with Disabilities (Convention on the Rights of Persons with Disabilities); http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Pakte_Konventionen/CRPD_behindertenrechtskonvention/crpd_state_report_germany_1_2011_ConObs_2015_en.pdf [Abruf 10.01.2018].
[14] Deutsches Institut für Menschenrechte (2017): Bericht im Rahmen der dritten Überprüfung Deutschlands im Universellen Periodischen Überprüfungsverfahren (Universal Periodic Review) des UN-Menschenrechtsrates 2018. Deutsches Institut für Menschenrechte; http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/Weitere_Publikationen/DIMR_Bericht_fuer_UPR_2018.pdf [Abruf 23.01.2018].
[15] Deutsches Institut für Menschenrechte (2017): Empfehlungen im Rahmen der dritten Überprüfung Deutschlands im Universellen Periodischen Überprüfungsverfahren (Universal Periodic Review, UPR) des UN-Menschenrechtsrates 2018. Deutsches Institut für Menschenrechte; http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/Weitere_Publikationen/DIMR_Empfehlungen_fuer_UPR_2018.pdf [Abruf 23.01.2018].
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Brief als pdf zum Ausdrucken: offener Brief zum Bericht des DIMR 2017

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