Mitmachen oder sterben
30.01.2018 15:54 Uhr
Mexiko erlebt eine
beispiellose Gewaltwelle: Mehr als 25.000 Tote gab es
2017. Die meisten der Opfer gehen auf das Konto der
organisierten Kriminalität. Die Situation ist
gefährlicher denn je.
Von Anne-Katrin Mellmann,
ARD-Studio Mexiko
Pablo ist Anfang 20, hat große braune
Augen und trägt eine Zahnspange. Er will seinen Nachnamen
aus Sicherheitsgründen lieber nicht sagen. Auch wenn er in
Mexiko-Stadt weit entfernt von seinem Heimatdorf im
Bundesstaat Guerrero lebt, könnte es für seine dort
gebliebenen Verwandten gefährlich werden, wenn er über die
Mafia berichtet.
Wegen ihr ist Pablo vor einigen Jahren über Nacht
weggelaufen: "Ich lief weg, damit sie mich nicht töteten".
Zwei seiner Freunde wurden erschossen. Seit einigen Jahren
habe die Mafia die Region fest im Griff, erzählt Pablo. Sie
stelle eigene Gesetze auf, wer die nicht befolgt, muss
zahlen oder wird getötet. Sie erpresst die arme
Landbevölkerung, entführt sogar ihr Vieh, verlangt von den
Bauern, dass sie Marihuana und Mohn anbauen statt
Mais. Staatliche Sicherheitskräfte sehen dabei zu oder
kassieren mit.
"Die nehmen dich einfach mit"
Seit der mexikanische Staat den
Kartellen im Jahr 2006 den Krieg erklärte und die Armee
auf die Straßen schickte, eskaliert die Gewalt. 200.000
Menschen kamen ums Leben, Zehntausende verschwanden
spurlos. Wird ein Drogenkartell zerschlagen, entstehen
viele neue Banden. 400 sollen es bereits sein. Sie
rekrutieren junge Männer oder zwingen sie zur Mitarbeit,
auch deshalb könne er nicht mehr in seinem Dorf leben,
klagt Pablo. "Die nehmen dich einfach mit, wenn sie Leute
brauchen. Sie entführen aus den Dörfern, und wenn jemand
versucht abzuhauen, bringen sie seine Familie um. Die
werden gezwungen – Jungs - gerade 15 oder 17 Jahre alt",
erzählt Pablo.
Kaum ein Weg zurück
Selten gibt es einen Weg zurück, weil
sie die schlimmsten Verbrechen begehen müssen. Auch die
Armut treibt Jugendliche in das "vida loca" der Banden -
schnelles Geld, verrücktes, aber kurzes Leben. Eine halbe
Million Mexikaner sind nach Angaben des
Verteidigungsministeriums in der Organisierten
Kriminalität. Sie durchdringt das Land wie ein
Krebsgeschwür. 2017 war mit mehr als 25.000 Toten das
gewalttätigste Jahr bislang. 19.000 der Opfer gingen auf
das Konto der Mafias. Das hat die
Nichtregierungsorganisation Semaforo Delictivo ermittelt,
für die Santiago Roel arbeitet.
"Knete oder Kugel"
"Einen Markt wie den der Drogen kann
man nicht mit Waffen bekämpfen, sondern mit
wirtschaftlichen Mechanismen. Es gibt drei Möglichkeiten:
einen frontalen Krieg, sich dumm stellen und wegschauen -
wie es die USA machen - oder Drogenanbau- und Verkauf
regulieren und den Händlern und Drogenpolitikern das
Geschäft entziehen. Unsere Regierung setzt auf Tod und
Zerstörung, statt auf Leben, Geschäft und Wohlstand.
Würden wir die Drogen heute regulieren, wäre morgen die
Gewalt zu Ende", sagt Roel. Korruption würde es zwar immer
noch geben. Die sei aber dann auf geringerem Niveau als
jetzt, fügt er hinzu. "Im Moment erleben wir die
größtmögliche Gewalt und Korruption. Es geht nach dem
Prinzip: Knete oder Kugel", fügt er hinzu.
Besserung nicht in Sicht
Entweder mitmachen und in dem
Milliardengeschäft Dollar verdienen oder: Sterben. In
diesem Jahr könnte die Gewalt weiter eskalieren, meint
Roel, weil im Sommer ein neuer Präsident gewählt wird und
die Kräfteverhältnisse der Organisierten Kriminalität
deshalb durcheinander geraten. Die
Präsidentschaftskandidaten meiden das Thema innere
Sicherheit bislang. Der aussichtsreiche Linke Andrés
Manuel López Obrador erntete massive Kritik für seine Idee
einer Amnestie für Kartellbosse. Einen echten
Strategiewechsel schlägt niemand vor - trotz der vielen
Toten, Verschwundenen und Flüchtlingen wie Pablo.
https://www.tagesschau.de/ausland/mexiko-453.htmlChiapas98 Mailingliste
JPBerlin - Mailbox und Politischer Provider
Chiapas98@listi.jpberlin.de
https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/chiapas98
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen