Sonntag, 14. Mai 2017

Richtig so, Frau Ministerin


Ursula von der Leyen, rechtsdrehende Traditionspflege und Neonazis bei der Bundeswehr - und der falsche Zug einer Debatte. Ein Kommentar

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Stellen Sie sich vor, eine rechtsterroristische Zelle in der Bundeswehr fliegt auf. Das zuständige Regierungsmitglied reagiert mit ebenso deutlicher wie vor allem seit langem nicht gehörter Kritik am »Haltungsproblem«, also am strukturellen Muster, das mitverantwortlich zu machen ist dafür, dass offen rechtsradikale Soldaten ihr Unwesen treiben können. Der höchste militärische Repräsentant der Bundeswehr spricht klar von einem »Muster des Wegsehens«. Eine Debatte kommt in Gang, in deren Gefolge die unsägliche Wehrmachtshuberei der Truppe kritisiert, eine Durchsuchung aller Liegenschaften angeordnet, die seit langem geforderte Umbenennung von Kasernen mit Wehrmachtsnamen in Aussicht gestellt und die Überarbeitung des hoch umstrittenen »Traditionserlasses« von 1982 angekündigt wird.
 Genau das passiert gerade – und politisch betrachtet müsste man jetzt eigentlich sagen: Endlich! Doch was machen Teile der Opposition im Bundestag und was tut der Koalitionspartner? Man gefällt sich darin, die Auseinandersetzung um das - sagen wir es offen: Nazi-Problem der Bundeswehr auf dem Umweg der Ministerinnen-Schelte zu einer parteipolitischen Münze zu machen. Da kommt es gerade recht, dass erstens heißer Wahlkampf ist und zweitens Ursula von der Leyen auch wegen anderer Bundeswehr-Altlasten wie den Beschaffungsproblemen knietief im Militärmist steht. Die CDU-Politikerin wird (wieder einmal) wie eine Problemministerin behandelt.
Nur: Was ist denn das Problem wirklich? Wie viele Minister der Truppe haben vor von der Leyen klar ausgesprochen, dass man keine Armee dulden kann, in der sich Soldatentum und Komisskoppkultur an Wehrmachts-Devotionalien ergötzen? Wie viele Politiker haben denn angesichts eines Skandals in ihrem Zuständigkeitsbereich öffentlich und ehrlich sich selbst vorgeworfen, »nicht früher und tiefer gegraben zu haben«? Wer hat es denn vor ihr gewagt, einmal dieses Fass von Untertanengeist und rechtsdrehender Traditionspflege aufzumachen? Man erinnere sich an die Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung - vor allem an den Aufschrei und den offenen Widerstand gegen diese Art der Zerstörung von entschuldigenden Mythen.
Und heute? Ein Ex-Verteidigungsminister der CDU behauptet, die Bundeswehr müsse »nicht von der Wehrmacht befreit werden« - mitten im Schlagzeilenregen über immer neue Funde von NS-Devotionalien. Ein Reservistenlobbyist aus der Partei von Ursula von der Leyen diskreditiert deren Bemühungen, politisch auszumisten, vorsorglich als »Kurzschlusshandlungen«. Und ein SPD-Verteidigungsexperte macht von der Leyen Vorwürfe, sie habe »wirklich schwere Versäumnisse« zu verantworten.
Nun kann man sagen, die Ministerin ist die politisch Verantwortliche. Verantwortung kann heißen, die Konsequenzen zu ziehen - entweder persönlich, das hieße hier Rücktritt. Oder politisch, im Fall der Bundeswehr und ihrem Naziproblem hieße das, dies zu tun, was von der Leyen jetzt anpackt. Würde dies angepackt, wenn jemand anderes kurz vor der Bundestagswahl ins Amt nachrückt? Nein. Ist, was von der Leyen tut, schon genug? Nein. Ist es womöglich auch fehlerhaft? Mag sein.
Wer aber der CDU-Ministerin jetzt vorwirft, es sei bisher nichts hinreichend geschehen, wird sich fragen lassen müssen, was er in den vergangenen - sagen wir: 35 Jahren an praktischer Kritik an Traditionsunkultur und politischer Rechtsblindheit der Bundeswehr geübt hat. Man muss sich doch nur einmal die »Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege in der Bundeswehr« von 1982 durchlesen, um erahnen zu können, wie tief eingegraben da unter die Stahlhelme ein Verständnis von sich selbst und von der Armee ist, das mit dem viel beschworenen Bürger in Uniform nur schwerlich in Einklang zu bringen ist.
Dort ist zwar auch vom Grundgesetz die Rede und von der »Wertgebundenheit der Streitkräfte« - aber was sind das für Werte, die diese Armee vor sich herträgt? Zum Beispiel diese: »Treue, Tapferkeit, Gehorsam, Kameradschaft, Wahrhaftigkeit, Verschwiegenheit sowie beispielhaftes und fürsorgliches Verhalten der Vorgesetzten«. Man könnte so etwas auch als Anleitung bezeichnen, sich gegen demokratische Kritik zu immunisieren, jedwede Transparenz über Entwicklungen in den eigenen Reihen zu behindern, sich unterzuordnen und auch dann die Klappe zu halten, wenn in der Bundeswehr wieder einmal passiert, was nun für eine Debatte sorgt. Nötigenfalls können Soldaten darauf, dass ihnen per Erlass die Tür geöffnet wird für Stahlhelm-Folklore jeder Art: »Nicht jede Einzelheit militärischen Brauchtums, das sich aus früheren Zeiten herleitet, muss demokratisch legitimiert sein.«
Wenn in der Diskussion nun aber mehr über die möglichen Schwächen einer Ministerin gesprochen wird als darüber, wie schnell und wirksam bei der Truppe ausgemistet werden kann, zahlt sich das vielleicht für irgendwen in parteipolitischer Münze aus. Politisch kommt man so wenig voran. Und das ist ja klar: Kritik an Militär und an der von der Politik zu verantwortenden Strategie der Bundeswehr ist und bleibt nötig. Aber auch das muss klar sein: Ursula von der Leyen kämpft hier nicht nur gegen die Opposition und den Koalitionspartner. Sondern gegen eine Organisation, die es sich offenbar nicht gern gefallen lässt, von einer Frau politisch zur Selbstkritik und zur Selbstveränderung gezwungen zu werden.

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