Im Vorfeld der Selber machen Konferenz zu Basisorganisierung, Gegenmacht und Autonomie haben wir die neuen Arbeitsgelegenheiten Asyl (80 Cent Jobs für Geflüchtete) analysiert. Wir kommen zu dem Schluss, dass es eine gemeinsame Organisierung von Geflüchteten und Erwerbslosen geben muss um der gesellschaftlichen Ausgrenzung durch den Arbeitsfetisch zu entgehen.
„A twenty-first-century left must
seek to combat the centrality of work to contemporary life. In the end,
our choice is between glorifying work and the working class or
abolishing them both. […] Yet the latter is the only true postcapitalist
position.“
(Nick Srnicek and Alex Williams, extracts from Inventing the Future: Postcapitalism and a World Without Work)
Einführung
Wir
möchten mit diesem Text zu einer Aufklärung über die prekären Arbeits-
und Lebensverhältnisse von Asylsuchenden auf sachlicher Basis beitragen.
Unsere generelle Kritik am Begriff der Arbeit im 21. Jahrhundert die
sich an der Marxschen Arbeitswerttheorie biopolitischen
Regierungstechniken, postkolonialer und Gender-Theorie orientiert, steht
hier nicht im Vordergrund. Uns geht es in dem Text vielmehr darum, die
inneren und äußeren Widersprüche des „neuen Integrationsgesetzes“ und
der Politik, die dieses Gesetz verabschiedet hat, aufzuzeigen. Ziel ist
es, die Institutionen, die bereits eine Arbeitsgelegenheiten-Asyl
(AGH-Asyl) bei sich geschaffen haben, davon zu überzeugen, diese wieder
einzustellen. Doch viel wichtiger ist es die Betroffenen über die
politischen und rechtlichen Hintergründe dieser Maßnahmen aufzuklären
und eine gemeinsame Diskussion über Widerstand und Organisierung
anzustoßen. Diese gemeinsamen Widerstände sollten jedoch immer auch auf
die generellen ausbeuterischen Verhältnisse sowie das Verhängnis des
Neoliberalismus verweisen, damit sie nicht isoliert werden und als
Reformpaket enden. Das zwischen radikaler Kritik und praktischem Handeln
oft eine Kluft voller Widersprüche liegt, ist uns bewusst. In
Anbetracht der Situation wäre es jedoch eine falsche Entscheidung
untätig zu bleiben.
Außerdem weisen wir auf einen Text der Basisdemokratischen Linken Göttingen hin.
Er bietet einen umfangreichen Überblick und eine Analyse des gesamten
Integrationsgesetzes und hat den Fokus auf die
Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen (FIM). In diesem Sinne ergänzen sich
die Texte, da wir ausschließlich auf die AGH-Asyl fokusieren. Zum
Unterschied zwischen AGH-Asyl und FIM sei auf die erste Fußnote unseres
Textes verwiesen.
Vorwort
Seit dem Inkrafttreten
des „Neuen Integrationsgesetz“ am 7. Juli 2016 sind Asylsuchende, d.h.
Menschen, die sich offiziell im Asylverfahren befinden, dazu
verpflichtet, sogenannten Arbeitsgelegenheiten-Asyl (AGH-Asyl)
nachzugehen.1; 2 Das
Konzept der AGH’s ist nahezu identisch mit dem der Ein-Euro-Jobs, das
im Zuge der Hartz IV – Reformen entstanden ist. Ursprünglich wurde diese
Arbeitsform für Langzeiterwerbslose konzipiert, die – so der Tenor der
Agenda 2010 – dadurch besser und langfristiger in den Arbeitsmarkt
eingegliedert werden sollten. Mit diesem ökonomischen Argument sollte
die Tatsache gerechtfertigt werden, dass Menschen ihre Arbeitskraft für
einen Lohn von gerade mal einem Euro pro Stunde opfern müssen. Mit dem
„Neuen Integrationsgesetz“ sind diese vermeintlichen
Eingliederungsmaßnahmen in den Arbeitsmarkt nun bundesweit für
Geflüchtete während des Asylgesuchs vorgesehen, also auch dann, wenn das
Asyl bereits abgelehnt wurde. Dafür, so das Ziel des Gesetzespakets,
sollen zukünftig 100.000 Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden.
Im
Bundesland Sachsen beträgt die Gesamtzeit einer solchen Maßnahme
gegenwärtig sechs Monate. Die monatliche Arbeitszeit liegt bei maximal
100 Stunden, dafür wird seit dem 1. September 2016 eine
Aufwandsentschädigung von 80 Cent pro Arbeitsstunde berechnet. Am
Monatsende werden bei Vorlage eines Bestätigungsschreibens über die
geleisteten Stunden maximal 80 Euro ausgezahlt.
Arbeiten,
um sich in die Gesellschaft zu ‚integrieren’, hört sich aus der
Perspektive einer Arbeitsgesellschaft erst einmal plausibel an – doch
die Realität sieht anders aus. Dass das Versprechen einer langfristigen
Eingliederung in die deutsche Arbeitswelt für viele der Geflüchteten ins
Leere läuft, wie das Schlüsselwort ‚Integration’ zum Deckmantel einer
strukturellen Ausgrenzung wird, weshalb das neoliberale Arbeitsmodell
für Geflüchtete neue Formen der Prekarisierung mit sich bringt und wieso
das „Neue Integrationsgesetz“ zum Anlass genommen werden sollte, eine
radikale Kritik an kapitalistischen Arbeitsformen zu formulieren, zeigen
ein genauerer Blick in die Gesetzgebung und ein Abgleich mit Beispielen
aus der Praxis.
1) Das Modell „Ein-Euro-Jobs“ hat sich nicht bewährt
Obwohl sich das Reformpaket Agenda 2010
längst als Garant für soziale Ungerechtigkeiten erwiesen hat, soll es
nun anhand der Ein-Euro-Jobs auf Geflüchtete angewandt werden – und zwar
als Maßnahme zur ‚Integration’.3; 4 Dabei
sind die mit dem Lostreten des neoliberal geprägten Reformkonzepts für
Arbeitsmarkt und Sozialsystem angekündigten Eingliederungsprozesse in
die Arbeitswelt nie eingetreten. Konkreter formuliert: die
Ein-Euro-Job-Maßnahmen führten nur geringfügig zu festen
Anstellungsverhältnissen und mehr sozialer Ausgrenzung. Diesen Schluss
lässt auch der Eingliederungsbericht der „Bundesagentur für Arbeit“ aus
dem Jahr 2014 zu, der explizit auf die „geringe Eingliederungsquote von
Arbeitsgelegenheiten“ verweist. Derselbe Bericht offenbart zudem, dass –
entgegen der öffentlichen Propaganda – „eine sofortige Integration in
den Arbeitsmarkt nicht das primäre Ziel dieser Maßnahme“ ist.
Stattdessen sei „die Zielsetzung von Arbeitsgelegenheiten […] vielmehr
die (Wieder-) Herstellung und Aufrechterhaltung der
Beschäftigungsfähigkeit von arbeitsmarktfernen Personen.“5
Das Versprechen der „Integration“ in den Arbeitsmarkt konnte das
Reformpaket also weder halten, noch scheint es wirklich gewollt gewesen
zu sein. Trotz der unscharfen Positionierung der Ein-Euro-Jobber*innen
zwischen „Arbeitsgelegenheiten“ und „Arbeitsmarktferne“ werden sie
dennoch in die Berechnung der Arbeitslosenquote miteinbezogen – jedoch
nicht in der Kategorie der Erwerbslosen, sondern als Arbeiter*innen.
Dadurch lassen sich sinkende Arbeitslosenquoten und steigende
Beschäftigungsquoten erklären. Die verheerenden Folgen des Reformpakets
werden in diesen Statistiken hingegen strategisch verleugnet. So hat die
Agenda 2010 eine massive Stärkung des Niedriglohn- und
Leiharbeitssektors verursacht, die zu einer erhöhten Armutsquote von
Leistungsempfänger*innen geführt und zugleich an der Quote der
Langzeiterwerbslosen nichts verändert hat.6; 7; 8Längst haben sich die Agenda 2010
und ihre Ein-Euro-Job-Maßnahmen als gescheitert und menschenunwürdig
herausgestellt – werden nun aber erneut und entgegen besseren Wissens
als vielversprechendes Modell der Integration gepriesen.
2) Eine (langfristige) Eingliederung in den Arbeitsmarkt lässt sich mit der gegenwärtigen Asylpolitik nicht vereinbaren
Das
Versprechen der „Integration“, die den Ein-Euro-Jobs anhaftet, scheint
im Kontext der rigorosen europäischen Asylpolitik paradox. Ein Großteil
der Geflüchteten, die den neuen „Arbeitsgelegenheiten“ bereits nachgehen
und zukünftig nachgehen werden, haben schlichtweg keine Chance auf
einen dauerhaften Aufenthalt. 2015 wurden rund 33 % aller Asylanträge
negativ beschieden, hinzu kommen 17% sog. formeller
Negativ-Entscheidungen (u.a. Fälle nach dem Dublin-Verfahren).9 Bereits
im ersten Halbjahr 2016 wurden 24,9 Prozent der gestellten Asylanträge
abgelehnt. „Anderweitig erledigt“, z.B. durch das „Dublin-Verfahren und
Verfahrenseinstellungen wegen Rücknahme des Asylantrages“, wurden 13,6
Prozent.10 Zugleich wird die Asylpolitik sukzessive verschärft, neben der fortschreitenden Abschottungspolitik11,
werden immer mehr Länder zu „sicheren Herkunftsländern“ erklärt. Die
Chancen auf Asyl werden dadurch für viele Menschen geringer bis
aussichtslos und dabei immer stärker von ihren Nationalitäten abhängig.
Auch mangelnde Schul- oder Ausbildung, also Ablehnungsgründe, die
Asylsuchende anhand ihrer ökonomischen Nützlichkeit kategorisieren,
können als politisch motiviert gelten. Auch die Bezeichnung „sicherer
Herkunftsländer“ ist hier – bestärkt durch den von Rechts befeuerten
öffentlichen Diskurs – nicht mehr als eine öffentliche Hetzkampagne
gegen alle die als „Wirtschaftsflüchtlinge“ klassifiziert werden.
Aufgrund der geringen Chancen auf Asyl ist die Option auf einen festen
Arbeitsplatz und deshalb auch auf die damit vermeintlich einhergehende
‚Integration’ für einen Großteil der temporären 80-Cent-Jobber zu keinem Zeitpunkt der Ausübung der Arbeit gegeben.
3) 80 Cent statt 1,05 Euro
Für einen Ein-Euro-Job
wird kein Lohn, sondern eine sogenannte „Aufwandsentschädigung“
gezahlt, die im Falle Menschen deutscher Nationalität gegenwärtig bei
1,05 € und in Ausnahmefällen bei bis zu 2 € liegt. Menschen im
Asylverfahren erhalten jedoch nur 80 Cent. Der Grund dafür, Menschen
aufgrund ihrer Nationalität und ihres Aufenthaltsstatus schlechter zu
bezahlen, ist im Gesetz verzeichnet. Das sieht vor, dass die Stellen
vorwiegend zur „Aufrechterhaltung und Betreibung der
Aufnahmeeinrichtung“ und damit in derselben geschaffen werden sollen.
Die „erforderlichen Arbeitsmittel, zum Beispiel Arbeitskleidung oder
-geräte“, sollen von den Trägern der Einrichtungen gestellt werden,
während „Fahrtkosten oder Kosten für auswärtige Verpflegung“ nicht
anfallen würden.12
Im Gegensatz dazu kündigen die aufgestellten Richtlinien zur Schaffung
der AGH-Asyl an, dass 75% der Stellen außerhalb der Heime und
Sammelunterkünfte entstehen sollen.13 Das
würde nicht nur die gesetzlichen Vorlagen unterlaufen, sondern auch die
Unterschiede der „Aufwandsentschädigung“ obsolet machen. Statt die
Unterschiede jedoch direkt aufzuheben, können die Kürzungen
ausschließlich durch Einzelprüfungen und das Engagement der jeweiligen
AGH-Asyl-Stelle rückgängig gemacht werden. 100.000 Arbeitsgelegenheiten
würden dann 75.000 Einzelprüfungen mit sich bringen – ein hoher
bürokratischer Aufwand, der nur schwer zu bewerkstelligen scheint und
zudem die Eigeninitiative der Geflüchteten voraussetzt. Einen solchen
Schritt zu gehen, ist für viele der Betroffenen schlichtweg
unrealistisch. Neben dem meist fehlenden Wissen über die eigenen Rechte
ist ihr Handlungsspielraum durch die Angst vor der potentiellen
Gefährdung des Aufenthaltsstatus, aber auch durch das rassistische Klima
in der Gesellschaft, das jeden möglichen Widerstand als anmaßend
abstempelt, stark eingeschränkt. Wir gehen auch nicht davon aus, dass
sich die einzelnen AGH-Asyl-Stellen, um die Aufstockung der
Aufwandsentschädigung kümmern werden.
4) Der Ein-Euro-Job ist keine Arbeit im klassischen Sinne
Laut der
Gesetzgebung handelt es sich bei den „Integrationsmaßnahmen“ nicht um
‚richtige’ Arbeit. Vielmehr werden Ein-Euro-Jobs als „zusätzliche“14
Tätigkeiten kategorisiert, also als solche, die nur dann „zur Verfügung
gestellt werden, sofern die zu leistende Arbeit sonst nicht, nicht in
diesem Umfang oder nicht zu diesem Zeitpunkt verrichtet werden würde“15.
Per Gesetz und aufgrund der förderrechtlichen Anforderungen sind sie so
zugeschnitten, dass sie mit dem deutschen Arbeitsmarkt nicht
konkurrieren.16
Deshalb müssen sie so gestaltet werden, dass sie keiner ‚ordentlichen’
Arbeit entsprechen, keinen ökonomischen Profit produzieren und keinen
‚bereits integrierten’ Arbeiter*innen den Job ‚wegnehmen’ könnten.
Die im
Gesetz eingeschriebene Kategorisierung der Ein-Euro-Jobs als
Nicht-Arbeit, als eine Tätigkeit zweiter Klasse, verleiht den neuen
(Nicht-)Arbeiter*innen einen ebenso zweitklassigen Status. Der
gesetzlich festgelegte Parameter „Arbeitsmarktferne“ zeigt also deutlich
den Widerspruch zu der viel zitierten ‚Integration durch Arbeit’ durch
die AGH-Asyl. Auch in puncto „ausbleibender ökonomischer Profit“ ist es
fragwürdig, ob gewährleistet werden kann, dass eine ökonomische
Ausbeutung der (Nicht-)Arbeiter*innen durch z.B. Unternehmen oder
städtische Einrichtungen ausgeschlossen bleibt.17; 18
Wie genau lässt sich in der Praxis festmachen, wo ökonomischer Profit
und Arbeitsmarkt beginnt? Wie verhält es sich, wenn Asylsuchende Gebäude
und Gelände städtischer und kommunaler Einrichtungen durch Wartung und
Säuberung19
instand halten und dadurch die Tätigkeit einer/s Hausmeister*in
ersetzen? Wie werden die AGHs zur Säuberung und Aufforstung der Wälder
argumentiert, wenn sie die Arbeit von Forsthelfer*innen ausüben, die
gewöhnlich mit mindestens 8,84 Euro entlohnt werden? Und wie ist es
möglich, dass Unternehmen, wie etwa das Sächsische Fortbildungs- und
Umschulungswerk (SUFW), von der Vermittlung und Schaffung solcher
Maßnahmen profitieren?20
5) Ausbeutung wird zum Gesetz
Seit dem
In-Kraft-Treten des neuen „Integrationsgesetzes handelt es sich bei den
Ein-Euro-Jobs nicht mehr um ‚freiwillige’ Arbeit. Statt dessen sind
„Arbeitsfähige, nicht erwerbstätige Leistungsberechtigte, die nicht mehr
im schulpflichtigen Alter sind, […] zur Wahrnehmung einer zur Verfügung
gestellten Arbeitsgelegenheit verpflichtet“21.
Arbeit, die nur für einen verschwindend geringen Anteil von
Geflüchteten zu einem dauerhaften Aufenthalt und einer ‚besseren Arbeit’
führen würde, ist von nun an nicht nur verpflichtend – eine
strategische Ausbeutung von Menschen, die in ihrer Hoffnung auf Asyl für
80 Cent pro Stunde ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen, ist fest im
Gesetz verankert.22
Bei Verweigerung kann eine Kürzung der Sozialleistungen drohen, über
solche Sanktionierungen entscheiden die Sozialämter der Kommunen, die
für die Verwaltung der Ein-Euro-Jobs zuständig sind. In Dresden wurden
bereits solche Kürzungen praktiziert, wie Mitarbeiter*innen des Ausländerrats Dresden e.V. berichten.23
Auch Asylsuchende erzählten uns bereits vermehrt davon. Dabei ist den
Betroffenen meist nicht bewusst, weshalb ihre Leistungen eingeschränkt
wurden.
6) Integrierende Ausgrenzung – ausgrenzende ‚Integration’
Unter dem
Deckmantel der ‚Integration’ verschärft sich im Zuge des neuen
Integrationsgesetzes die Praxis, Arbeit als eine Technik des
Ausschließens und Ausbeutens von Geflüchteten einzusetzen. Unter
Androhung von Zwangsmaßnahmen werden sie strategisch in prekäre
Arbeitsverhältnisse gedrängt – ohne Aussicht auf Bleiberecht, Arbeit und
sogenannte Integration. Besonders brisant sind solche
Regierungstechniken in Deutschland, einem Land, das sich spätestens seit
dem 20. Jahrhundert als Arbeitsgesellschaft begreift. Arbeit wird hier
vorrangig nicht aus finanziellen Gründen ausgeübt, sondern gehört zu den
wesentlichen Voraussetzungen, um Teil der Gesellschaft zu werden. In
diesem Kontext ist die Strategie, Geflüchtete mit einer Arbeit zu
ködern, die auf dem Arbeitsmarkt nicht anerkannt wird und deshalb
eigentlich gar keine ist, besonders perfide. Beim Versuch, sich durch
Arbeit in die deutsche Arbeitsgesellschaft zu „integrieren“, werden die
Geflüchteten nicht nur ausgebeutet, sondern zugleich in einer Art
doppelten Zwei-Klassensystem abgegrenzt. Erstens von den ‚ordentlichen
Arbeiter*innen’, die den Arbeitsmarkt bespielen und zweitens durch die
Unterschiede der Aufwandsentschädigung im Vergleich mit den
Ein-Euro-Jobber*innen, die durch das Jobcenter verwaltet werden.24
Sie arbeiten, um einem Ausschluss zu entgehen, schaffen es zugleich
jedoch nicht, sich zu ‚integrieren’ und verbleiben in ihrer
marginalisierten Stellung. Dies geschieht obwohl sie bereit sind, genau
das zu tun, was die deutsche Politik offensichtlich am meisten an ihnen
interessiert: ihre (ökonomische) Arbeitskraft für ein Minimum an
Bezahlung zu opfern.
Ein
genauer Blick in das „neue Integrationsgesetz“ zeigt, dass
„Ein-Euro-Jobs“ weder eine schnelle Integration in den Arbeitsmarkt noch
in die Gesellschaft ermöglichen. Rechtliche und inhaltliche
Unstimmigkeiten lassen vielmehr daran zweifeln, ob die ‚Integration‘ der
Geflüchteten durch solche Maßnahmen überhaupt vorgesehen ist. Trotzdem
hält das Bundesamtes für Arbeit und Soziales an der Schaffung von
100.000 Arbeitsgelegenheiten mit dem Ziel der Arbeitsmarktintegration
fest. Es verweist darauf, dass „das Integrationsgesetz (…) von den zu
uns gekommenen Menschen (fordert), (…) diese Angebote zur schnellen
Integration in den Arbeitsmarkt anzunehmen.“25
Dass diese „schnelle Integration in den Arbeitsmarkt“ so gar nicht
möglich, rechtlich mehr als fragwürdig und politisch anscheinend nicht
gewollt ist, interessiert also offensichtlich nicht. Bei den geringen
und ohne vergleichende Bedarfsermittlung festgelegten Leistungen, die
Menschen im Asylverfahren bekommen26; 27,
ist die Bereitschaft Arbeitsgelegenheiten jeglicher Art anzunehmen,
nicht verwunderlich. Dass dabei weitere Räume für ausbeuterische
Verhältnisse entstehen, zeigt ein Beispiel aus dem Jahr 2016:
Mitarbeiter*innen von Asylunterkünften hatten unangemeldete Jobs unter
schlechtesten Bedingungen vermittelt und dafür Provision verlangt.28; 29
Das
Vorgehen der Bundesregierung, ausbeuterische Verhältnisse bei
Geflüchteten zugunsten sogenannter Integrationsmaßnahmen in Kauf zu
nehmen, weist in seiner Ideologie eine deutliche Nähe zu den Forderungen
der Neuen Rechten auf. Dadurch kann die plötzlich so dringlich
gewordene Einführung des Gesetzes als eine Reaktion auf die Erfolge der
rechten Partei Alternative für Deutschland (AfD) und den
generellen Rechtsruck in der Gesellschaft verstanden werden. Im Sinne
von „Wer Asyl will, muss arbeiten – koste was es wolle“ zeichnet sich
dabei sowohl in der parlamentarischen Politik als auch in weiten Teilen
der Gesellschaft die Tendenz ab, Geflüchtete zu (Nicht-)Arbeiter*innen
zweiter Klasse zu degradieren und ihnen dabei ihren Subjektstatus
abzusprechen. Statt ihnen zu (politischem) Handlungsspielraum zu
verhelfen, werden sie durch Maßnahmen wie dem „neuen Integrationsgesetz“
strategisch entrechtet und auf ihr nacktes Leben reduziert. Von
Interesse sind lediglich ihre Körper, jede Möglichkeit der Emanzipation
und deshalb auch der Subjektwerdung wird unterbunden. Damit scheinen
alle Versuche der sogenannten Integration dazu verdammt, ins Leere zu
laufen. Außerdem drängt sich die Frage danach auf, was denn genau
‚Integration’ für die deutsche Bundesregierung und die Gesellschaft, die
solche Gesetze befürwortet, bedeutet.
7) Sind Ein-Euro-Jobs verfassungskonform? Erste Möglichkeiten des Widerstandes
Neben der
politischen Kritik, drängen sich darüber hinaus Fragen nach der
Verfassungsmäßigkeit des neuen Gesetzes und dessen Auswirkungen auf das
Grundgesetz auf. Vor einiger Zeit liefen erneute Verfassungsbeschwerden
gegen Sanktionierung von Hartz-IV-Betroffenen an.30 Ein erster Versuch scheiterte im August 2016 nur aus rein formalen Gründen.31
Ziel ist es, die grundrechtsverletzenden Sanktionen durch einen
positiven Bescheid des Verfassungsgerichtes abzuschaffen. Hier stellt
sich die Frage, ob gleiches nicht auch für die Sanktionen für
Empfänger*innen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz möglich wäre. Die
Leistungen für Asylsuchende sind im Vergleich zu Hartz-IV-Regelsätzen
ohnehin niedriger. Der Vizepräsident des Verfassungsgerichts, Ferdinand
Kirchhof, bezeichnete dies als eine „ins Auge stechende Differenz“32.
So heißt es in einem Urteil des Verfassungsgerichtes vom 18. Juli 2012:
„migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerber und
Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch
ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu
vermeiden, können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards
unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen“,
denn die im Grundgesetz Artikel 1 Absatz 1 „garantierte Menschenwürde
ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“33
Werden diese Leistungen aufgrund der Verweigerung einer AGH-Asyl unter
ein menschenwürdiges Existenzminimum gekürzt, wäre dies
verfassungswidrig. Auch weitere mögliche Kürzungen, die Asylsuchende
treffen, stehen in der Kritik der Verfassungsmäßigkeit.34
Zu diesen Leistungen zählen im Übrigen auch alle Mittel zur „Sicherung
der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem
Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und
politischen Leben umfasst, denn der Mensch als Person existiert
notwendig in sozialen Bezügen.“35
Die Bedenken beruhen auf der Verletzung der Artikel 1 (Menschenwürde)
und 20 (Sozialstaatlichkeit). Über die Frage der Verfassungsmäßigkeit
hinaus ist es an dieser Stelle noch wichtiger, die Potentiale für einen
gemeinsamen Kampf von Hartz-IV-Betroffenen und Asylsuchenden auszuloten.
1
Neben der AGH-Asyl bestehen außerdem noch sog.
Flüchtlingsintegrationsmaßnahme (FIM). Der wesentliche Unterschied
zwischen beiden Maßnahmen ist die Zielgruppe: Während die AGH-Asyl alle
Empfänger von Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz einbezieht –
also auch abgelehnte Asylbewerber, richtet sich die FIM explizit an
Menschen im laufenden Verfahren. Anders formuliert ist die AGH-Asyl für
Geflüchtete unter Umständen eine Art Zwangsarbeit, die sogar nach der
Ablehnung, also bei keiner Bleibeperspektive stattfindet!
Quelle: http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Thema-Arbeitsmarkt/faq-arbeitsmarktprogram-fim.pdf?__blob=publicationFile&v=5
Quelle: http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Thema-Arbeitsmarkt/faq-arbeitsmarktprogram-fim.pdf?__blob=publicationFile&v=5
2 Genaue Zahlen zu der Anzahl Maßnahmenteilnehmer*innen sind bisher noch nicht veröffentlicht worden.
5 Eingliederungsbericht der Arbeitsagentur, S.10:https://statistik.arbeitsagentur.de/Statischer-Content/Arbeitsmarktberichte/Aktive-Arbeitsmarktpolitik/generische-Publikationen/Eingliederungsbericht-2014.pdf
6 http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/zehn-jahre-hartz-iv-kampf-gegen-langzeitarbeitslosigkeit-a-1010945.html
11 vgl. EU-Mandatserweiterung für Frontex und „Türkei-Deal“
12 Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Integrationsgesetzes, S.40 http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Meldungen/2016/entwurf-integrationsgesetz.pdf?__blob=publicationFile&v=4
13 http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/fluechtlinge-ein-euro-jobs-fuer-fluechtlinge-sind-nur-cent-jobs-1.3027433
14 Etwa zur „Aufrechterhaltung und Betreibung der Aufnahmeeinrichtung“, vgl. ebd., Absatz (1)
15 Ebd., Absatz (1).
16 vgl. hierzu § 16d Abs. 1 SGB II
Leistungsberechtigte können in Arbeitsgelegenheiten zugewiesen werden,
»wenn die darin verrichteten Arbeiten zusätzlich sind, im öffentlichen
Interesse liegen und wettbewerbsneutral sind.«
19 Hiermit sind explizit auch weitere sogenannte reproduktive Tätigkeiten gemeint.
20 Diese
Fragen sollen keine Lanze für Vorurteile wie: „Die Ausländer nehmen uns
die Arbeit weg“ brechen, es soll hier die Frage nach dem ökonomischen
Interesse der Herrschenden und nach der Ausbeutung im Mittelpunkt
stehen.
21 Vgl. Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), § 5 Arbeitsgelegenheiten, Absatz (4) https://www.gesetze-im-internet.de/asylblg/__5.html
22 Ebd., Absatz (2).
24 Dies betrifft sowohl Menschen mit deutschem Pass, als auch Menschen mit Asylstatus.
27 http://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl115s1793.pdf#__bgbl__%2F%2F*[%40attr_id%3D%27bgbl115s1793.pdf%27]__1472772341300
28 https://www.neues-deutschland.de/artikel/1023758.gefluechtete-muessen-zu-dumpingloehnen-schuften.html
29 https://www.ndr.de/nachrichten/Fluechtlinge-arbeiten-schwarz-fuer-Dumpingloehne,schwarzarbeit156.html
30 https://aktuelle-sozialpolitik.blogspot.it/2016/08/173.html zu den Hintergründen siehe auch: https://www.heise.de/tp/news/Sozialgerichtsurteil-laesst-hoffen-Sanktionen-bei-ALG-II-verfassungwidrig-2671156.html
31 http://www.welt.de/regionales/thueringen/article157477643/Verfassungsgericht-erneut-angerufen.html
32 http://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Urteil-Asylbewerber-muessen-mehr-Geld-bekommen-id21082536.html
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