Bei den kommenden Präsidentschaftswahlen in Mexiko soll eine indigene Kandidatin antreten
Von Mirjana Mitrović, Mexiko-Stadt
Neues Deutschland v. 24.10.2016
Für Mexiko ist es ein Paukenschlag:
Passend zum 20-jährigen Jubiläum des Nationalen Indigenen
Kongress (CNI) regten die Zapatistischen Streitkräfte der
Nationalen Befreiung (EZLN) an, eine indigene Frau zu
suchen, um sie bei der Wahl 2018 als
Präsidentschaftskandidatin aufzustellen. Diese Nachricht
entfachte eine heiße Diskussion unter den über 1000
Teilnehmenden. Viele der Delegierten aus indigenen
Gemeinden, wie auch Sympathisant*innen aus dem In- und
Ausland sahen in diesem Vorschlag einen Verrat an den
Prinzipien der Bewegung. Schließlich war die EZLN zur Wahl
2006 mit »der anderen Kampagne« (»la otra campaña«) durch
ganz Mexiko gezogen und hatte zum Wahlboykott aufgerufen.
Die Argumentation: Wer wählen geht, legitimiert die
Regierung. Und nun der Vorschlag, sich ausgerechnet bei
den Wahlen einzubringen. Der 5. CNI-Kongress fand in der
EZLN-Hochburg Chiapas vom 9. bis 14. Oktober statt.
Die gewagte Idee wurde den Teilnehmenden vom
wortgewandten Subcomandanten Galeano (früher bekannt als
Marcos) vermittelt. Es müsse dort angegriffen werden, wo
die Musik spielt: in der Politik. Die indigene Frau soll
als unabhängige Kandidatin in den Wahlkampf ziehen und
einen Rat repräsentieren. Dieser wird aus je einer Frau
und einem Mann, welche von jeder indigenen Gemeinde
entsandt wird, zusammengestellt. Es wird keine Partei
gegründet und es wird auch nicht mit anderen Parteien
zusammengearbeitet. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal
ist die antikapitalistische Einstellung. Doch das
Wichtigste: Es geht nicht darum zu gewinnen, es geht
nicht um die Macht. Das Ziel ist die Stärkung der
indigenen Bewegung, des CNI. Die Notwendigkeit, die
Situation und Belange der indigenen Bevölkerung wieder
in die Öffentlichkeit zu bringen, damit sich die Politik
als auch die mexikanische Gesellschaft damit
auseinandersetzt, wird als dringender denn je
beschrieben.
Neben dem radikalen Wandel von der Ablehnung der Wahl
zur Teilnahme ist auch der Vorschlag, eine Frau die
Bewegung repräsentieren zu lassen, provokant. Dass
Frauenrechte ein Thema sind, mit denen sich die
zapatistische Bewegung auseinandersetzt, wurde auch bei
dem im Rahmen des Kongress stattfindenden Festes in dem
Caracol Oventik deutlich. Eine Tanzaufführung, die
begleitet wurde von einem Lied mit dem Refrain »Die
Frauen nach vorne, die Männer dahinter«, zeigte
humorvoll, aber deutlich, wie wichtig es ist, die Rechte
der Frauen zu betonen. So geht es am Schluss des Liedes
nicht nur um Gesundheit und Bildung, sondern um gleiche
Entscheidungsmöglichkeiten in den Gemeinden wie auch
darum, dass jede Frau selbst beschließen kann, wie viele
Kinder sie bekommt und aufzieht.
Die wenigsten Delegierten erwähnten im Zusammenhang mit
Repressionen die Feminicidios (Frauenmorde) oder den
starken Machismo, unter dem die Frauen zusätzlich - auch
in der eigenen Gemeinde -, leiden. Auffällig war, dass
es bei der Diskussion nicht wenigen Delegierten
schwerfiel, nicht vom »Kandidaten«, sondern der
»Kandidatin« zu sprechen. Die Erklärung von
Subcomandante Galeano, warum dies aber wichtig sei, ist
simpel: Wenn die Gemeinden fragen sollten: wieso eine
indigene Frau? Dann lautet die Antwort: Die Kerle und
Mestizen haben bewiesen, dass sie nicht regieren können.
All dies sind schlagende Argumente für die Delegierten.
So stimmten sie nach einer diskussionsvollen Woche zu,
den Vorschlag in ihre Regionen zu tragen und dort mit
der Basis rückzukoppeln. Vom 30. Dezember bis zum 1.
Januar treffen sich die Delegierten dann wieder. Bei
jenem Kongress geht es dann darum - mit oder ohne den
Beschluss, eine Kandidatin aufzustellen - darum, sich
eine generelle Strategie zur Stärkung des CNI zu
überlegen.
Die provokative Idee hat in jedem Fall bereits jetzt
etwas erreicht: Es wurde eine Diskussion angeregt und
die Frage gestellt, wo sich die indigene Bewegung
aktuell verortet und wohin sie möchte. Und wenn
Subcomandante Galeano mit seiner Prognose richtig liegt,
dann werden die Gemeinden wie ihre Delegierten
reagieren: Zuerst werden sie ungläubig lachen. Wenn sie
merken, dass der Vorschlag ernst gemeint ist, verstört
sein. Dann werden sie diskutieren und vielleicht, wie
die Delegierten am Ende, zum Großteil von der neuen
Offensive überzeugt sein.
Bei der Wahl 2018 sind erstmals auch unabhängige
Kandidaten zugelassen. Unter anderem müssen die Bewerber
mindestens 800 000 Unterschriften von Unterstützern
vorlegen.
Die EZLN hatte Anfang 1994 zu den Waffen gegriffen und
im Bundesstaat Chiapas im Süden des Landes mehrere
Ortschaften besetzt. Der Aufstand wurde schnell
niedergeschlagen. Heute werden einige Gemeinden in
Chiapas von de facto autonomen Räten unter EZLN-Führung
regiert.
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