Die
Reaktionen auf die mörderischen Anschläge in Frankreich, Belgien und
Deutschland 2015 und 2016 zeigen in aller Deutlichkeit, dass wir uns
wieder mitten in einer fatalen Aufrüstungsdynamik befinden – mit
altbekannten sicherheitspolitischen und medialen Reflexen: Neben der
Beschwörung »unserer westlichen Werte« und »unserer Art zu leben«
erschallt der immer gleiche hilflose Schrei nach dem starken Staat: nach
abermaligen Gesetzesverschärfungen, verfassungswidrigen
Militäreinsätzen im In- und Ausland, weiterer Polizei- und
Geheimdienst-Aufrüstung, nach noch mehr Überwachung und Erfassung der
Bevölkerung, nach zügiger Abschiebung von Flüchtlingen bis hin zu
Forderungen, Burkas zu verbieten, eine Nationalgarde mit Reservisten
einzurichten und Lebensmittelvorräte für Notfälle zu bunkern.
Angst ist das Schmieröl der Staatstyrannei – diese Erkenntnis verweist darauf, dass Verunsicherung und Angst als Herrschaftsinstrumente nutzbar sind. Die Umsetzung dieser Politik mit der Angst beschränkt abermalig die Grund- und Freiheitsrechte aller und schädigt Demokratie und Rechtsstaat – das hat sich seit 9/11 immer wieder deutlich gezeigt. Damit werden gerade jene viel beschworenen Werte beschädigt, die es doch zu schützen gilt: Demokratie und Bürgerrechte, Freiheit und Offenheit. Außerdem gerät dabei in Vergessenheit, dass es weder in einer hoch technisierten Risikogesellschaft, in der wir ja leben, noch in einer offenen und liberalen Demokratie absoluten Schutz vor Gefahren und Gewalt geben kann.
Trotz dieser Erkenntnisse, trotz Edward Snowdens NSA-Enthüllungen, trotz der skandalösen Praktiken bundesdeutscher Geheimdienste, ihrer Ineffizienz und strukturellen Kontrolldefizite kommt es nicht etwa zu begrenzenden Reformen, sondern zu einer weiteren Aufrüstung der prinzipiell demokratiewidrigen Geheimdienste. Anstatt Bevölkerung und Unternehmen endlich wirksam vor Ausforschung zu schützen, werden »Verfassungsschutz« und »Bundesnachrichtendienst« noch weiter personell, finanziell und technologisch aufgestockt, stärker zentralisiert, mit Polizei und ausländischen Sicherheitsbehörden enger vernetzt. Der »Verfassungsschutz« darf sich inzwischen ganz legal krimineller V-Leute bedienen; und er darf künftig, wie auch der BND, soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter & Co. anlasslos und systematisch ausforschen.
So unglaublich es klingen mag: Die bisherigen Skandale und illegalen Praktiken werden kurzerhand in Gesetzesform gegossen und legalisiert. Mit dem Effekt, dass unsere Geheimdienste aus der Krise gestärkt hervorgehen, massenüberwachungstauglicher werden und sich so vom Großen Bruder NSA emanzipieren. Darüber hinaus wird demnächst eine Bundesbehörde namens »Zitis« aufgebaut (Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich), die alle Sicherheitsbehörden mit Software versorgen soll, um mittels Entschlüsselungsprogrammen und Staatstrojanern verdächtige Bürger, Firmen, Organisationen und Netzwerke ausspionieren sowie bei Bedarf in lebenswichtige Infrastrukturen einbrechen zu können, wie etwa in Gesundheits-, Verkehrs-, Strom- und Wasserversorgungsnetze. Übrigens entwickelt auch die Bundeswehr solche operativen Fertigkeiten – sowohl zur Cyberverteidigung als auch zu Cyberangriffen. Das bedeutet: die Befähigung zum globalen Cyberkrieg und damit die Eröffnung eines weiteren Schlachtfelds.
Verfechter einer solchen Hochrüstung behaupten, nur so könne man Terroranschläge verhindern, was auch schon passiert sein soll – eine eher gewagte Behauptung, die schon aus Geheimhaltungsgründen kaum überprüfbar ist. Das alles erinnert mich an einen nachdenklichen Aphorismus von Wolfgang Bittner: »Geplanter Anschlag / Keine konkreten Hinweise, / doch der Innenminister warnt / vor Terroranschlägen. / Wer weiß, / was er plant.«
Im Zuge der skizzierten Antiterrorpolitik erleben wir einen dramatischen Strukturwandel vom demokratischen Rechtsstaat zum bisherige Grenzen überschreitenden Sicherheits- und Präventionsstaat, in dem die Eingriffsschwellen immer weiter abgesenkt werden. So kommt es seit Jahren nicht nur zu einer machtkonzentrierenden Vernetzung von Polizei und Geheimdiensten, sondern – neben der Militarisierung der Außenpolitik – auch zu einer Militarisierung der »Inneren Sicherheit«, wie sie aktuell wieder forciert betrieben wird. Im Mittelpunkt steht dabei der Bundeswehreinsatz im Inland, der in Einzelfällen längst schon Realität ist, selbst gegen Demonstrierende, aber noch ausgeweitet und abgesichert werden soll – geschichtsvergessen muss man sagen und unter Missachtung jener wichtigen Lehren aus der deutschen Geschichte, wonach Polizei und Militär, ihre Aufgaben und Befugnisse strikt zu trennen sind.
Die Bundeswehr, längst von einer Verteidigungs- zu einer weltweit agierenden Interventionsarmee mutiert, soll künftig selbst in Friedenszeiten – also ohne militärischen Angriff von außen – im Innern des Landes flexibler eingesetzt werden. Und zwar nicht nur im bereits zulässigen Fall von Katastrophen und schweren Unglücken, nicht nur im Spannungs- oder Notstandsfall nach den umstrittenen Notstandsgesetzen, sondern quasi auch als nationale Sicherheitsreserve im Inland, als »Hilfspolizei« mit eigenen hoheitlichen Kompetenzen und militärischen Mitteln. So etwa zur Terrorabwehr – einer klassischen Aufgabe der Polizei. Nachdem die Bundeswehr während des Münchner Amoklaufs bereits in Alarmbereitschaft versetzt worden war, soll sie nun mit Bundes- und Länderpolizeien gemeinsame Manöver zur Bewältigung »terroristischer Großlagen« durchführen.
Diese schleichende Entgrenzung des Militärs vollzieht sich in Etappen:
Erstens: Das Bundesverfassungsgericht hat 2012 den Bundeswehreinsatz im Innern zur Gefahrenabwehr auch unterhalb der Notstandsschwelle für grundgesetzkonform erklärt: Militäreinsätze im Inland sollen danach auch in »Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes« – also etwa bei schweren Terrorangriffen im Inland – erlaubt sein, und zwar auch mit militärischen Kampfmitteln. Damit hat sich das Gericht praktisch als Gesetzgeber geriert und die Verfassung nicht nur interpretiert, sondern geändert – unter Umgehung der für Verfassungsänderungen erforderlichen Hürde einer Zweidrittelmehrheit des Bundestags. In seinem Minderheitsvotum hat Verfassungsrichter Reinhard Gaier diese Entscheidung moniert: Es müsse stets berücksichtigt werden, »dass der Einsatz von Streitkräften im Inneren mit besonderen Gefahren für Demokratie und Freiheit verbunden ist« und »die Streitkräfte niemals als innenpolitisches Machtinstrument« mit militärischen Waffen eingesetzt werden dürften. Nun ist genau das möglich.
Zweitens: Die EU entwickelt sich in »Strategischer Partnerschaft« zum verlängerten »Kriegsarm« der NATO, aber auch parallel dazu und in Abgrenzung zu den USA in Richtung eines eigenen Militärbündnisses – mit Kurs auf weltweite Kriseninterventions- und Out-of-area-Einsätze, auch zur militärischen Sicherung europäischer (Wirtschafts-) Interessen. Mit dem EU-Vertrag von Lissabon verpflichten sich die Mitgliedstaaten zur schrittweisen Aufrüstung ihrer Armeen – ein einzigartiger Vorgang in der europäischen Verfassungsgeschichte. Die Solidaritätsklausel dieses Vertrags erlaubt gegenseitige Militäreinsätze auch zur (präventiven) Terrorabwehr im Hoheitsgebiet von EU-Staaten. Nach den Terroranschlägen in Frankreich rief die Regierung bekanntlich den (mehrmals verlängerten) Ausnahmezustand aus und aktivierte die Beistands- und Hilfsverpflichtung gemäß EU-Vertrag. Übrigens: Legt man die weite Terrorismus-Definition der EU zugrunde, dann können hierunter neben urban violence selbst Streiks und Blockaden fallen, sobald diese kritische Infrastrukturen gefährden, wie Versorgungseinrichtungen, Telekommunikationsnetze, Behörden oder Banken.
Drittens: Liest man das kürzlich erschienene Weißbuch 2016 des Verteidigungsministeriums, das im Kontext mit EU und NATO die künftige Ausrichtung der Bundeswehr festlegt, so wird schockartig klar, dass es sich um ein Dokument der Aufrüstung und Militarisierung nach außen und nach innen handelt. Danach sollen Auslandseinsätze der Bundeswehr zur militärischen Krisenbewältigung und für geostrategische Interessen flexibler und vermehrt möglich sein – wie es heißt, wegen der »gewachsenen globalen Verantwortung« und »sicherheitspolitischen Verpflichtung Deutschlands in der Welt«. Ein klarer Verstoß gegen das völkerrechtskonforme Verteidigungskonzept, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg bis Ende des Kalten Krieges für Europa, NATO und Bundesrepublik zumindest prinzipiell gegolten hat.
Zum anderen gilt laut Weißbuch der Militäreinsatz im Innern zur Abwehr von Terror und »hybriden Bedrohungen« unterhalb der Verteidigungsschwelle und mit hoheitlichen Zwangsbefugnissen als verfassungsrechtlich abgesichert. Dabei verweisen flexibilisierte Militärinterventionen sowohl nach außen als auch im Innern auf einen fatalen Zusammenhang: Je mehr sich deutsche und EU-Außenpolitik an Militäreinsätzen weltweit beteiligt und gewisse Staaten auch durch Waffenlieferungen als Kriegsparteien wahrgenommen werden, desto größer wird auch die Gefahr von Terroranschlägen gegen die beteiligten Staaten. Das heißt: Die Regierungen wappnen sich gegen mögliche Reaktionen auf ihre eigene Außen- und Kriegspolitik mit Militäreinsätzen im Innern. Kollateralschäden an der Heimatfront inbegriffen.
Demgegenüber ist klar und deutlich festzuhalten: Innere Sicherheit, Gefahrenabwehr und Strafverfolgung sind – auch im Fall von Terroranschlägen – klassische Aufgaben der Polizei und nicht der Bundeswehr. Soldaten sind keine Hilfspolizisten, sie sind nicht für polizeiliche Aufgaben nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sondern zum Kriegführen ausgebildet und mit Kriegswaffen ausgerüstet; und sie sind auch nicht dafür da, personelle Defizite bei der Polizei auszugleichen, die es aufgrund von Einsparmaßnahmen tatsächlich gibt.
Fazit: Mit der inneren Aufrüstung und der Entgrenzung des Militärischen droht der demokratische Rechtsstaat zu einem präventiv-autoritären Sicherheitsstaat zu werden – einem Staat im permanenten Ausnahmezustand, in dem der Mensch zum Sicherheitsrisiko mutiert, Rechtssicherheit und Vertrauen der Bürger verloren gehen. Insgesamt gesehen gibt es eine fatale Tendenz, den Rechtsstaat radikal umzubauen und die verfassungsrechtlichen Grenzen zwischen Polizei und Geheimdiensten zu schleifen, die Grenzen zwischen Innerer Sicherheit und Außenpolitik, zwischen Verteidigung und Intervention, Militär und Polizei zu verwischen – kurz: das Instrumentarium des Ausnahmezustands zu normalisieren und zu schärfen.
Angst ist das Schmieröl der Staatstyrannei – diese Erkenntnis verweist darauf, dass Verunsicherung und Angst als Herrschaftsinstrumente nutzbar sind. Die Umsetzung dieser Politik mit der Angst beschränkt abermalig die Grund- und Freiheitsrechte aller und schädigt Demokratie und Rechtsstaat – das hat sich seit 9/11 immer wieder deutlich gezeigt. Damit werden gerade jene viel beschworenen Werte beschädigt, die es doch zu schützen gilt: Demokratie und Bürgerrechte, Freiheit und Offenheit. Außerdem gerät dabei in Vergessenheit, dass es weder in einer hoch technisierten Risikogesellschaft, in der wir ja leben, noch in einer offenen und liberalen Demokratie absoluten Schutz vor Gefahren und Gewalt geben kann.
Trotz dieser Erkenntnisse, trotz Edward Snowdens NSA-Enthüllungen, trotz der skandalösen Praktiken bundesdeutscher Geheimdienste, ihrer Ineffizienz und strukturellen Kontrolldefizite kommt es nicht etwa zu begrenzenden Reformen, sondern zu einer weiteren Aufrüstung der prinzipiell demokratiewidrigen Geheimdienste. Anstatt Bevölkerung und Unternehmen endlich wirksam vor Ausforschung zu schützen, werden »Verfassungsschutz« und »Bundesnachrichtendienst« noch weiter personell, finanziell und technologisch aufgestockt, stärker zentralisiert, mit Polizei und ausländischen Sicherheitsbehörden enger vernetzt. Der »Verfassungsschutz« darf sich inzwischen ganz legal krimineller V-Leute bedienen; und er darf künftig, wie auch der BND, soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter & Co. anlasslos und systematisch ausforschen.
So unglaublich es klingen mag: Die bisherigen Skandale und illegalen Praktiken werden kurzerhand in Gesetzesform gegossen und legalisiert. Mit dem Effekt, dass unsere Geheimdienste aus der Krise gestärkt hervorgehen, massenüberwachungstauglicher werden und sich so vom Großen Bruder NSA emanzipieren. Darüber hinaus wird demnächst eine Bundesbehörde namens »Zitis« aufgebaut (Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich), die alle Sicherheitsbehörden mit Software versorgen soll, um mittels Entschlüsselungsprogrammen und Staatstrojanern verdächtige Bürger, Firmen, Organisationen und Netzwerke ausspionieren sowie bei Bedarf in lebenswichtige Infrastrukturen einbrechen zu können, wie etwa in Gesundheits-, Verkehrs-, Strom- und Wasserversorgungsnetze. Übrigens entwickelt auch die Bundeswehr solche operativen Fertigkeiten – sowohl zur Cyberverteidigung als auch zu Cyberangriffen. Das bedeutet: die Befähigung zum globalen Cyberkrieg und damit die Eröffnung eines weiteren Schlachtfelds.
Verfechter einer solchen Hochrüstung behaupten, nur so könne man Terroranschläge verhindern, was auch schon passiert sein soll – eine eher gewagte Behauptung, die schon aus Geheimhaltungsgründen kaum überprüfbar ist. Das alles erinnert mich an einen nachdenklichen Aphorismus von Wolfgang Bittner: »Geplanter Anschlag / Keine konkreten Hinweise, / doch der Innenminister warnt / vor Terroranschlägen. / Wer weiß, / was er plant.«
Im Zuge der skizzierten Antiterrorpolitik erleben wir einen dramatischen Strukturwandel vom demokratischen Rechtsstaat zum bisherige Grenzen überschreitenden Sicherheits- und Präventionsstaat, in dem die Eingriffsschwellen immer weiter abgesenkt werden. So kommt es seit Jahren nicht nur zu einer machtkonzentrierenden Vernetzung von Polizei und Geheimdiensten, sondern – neben der Militarisierung der Außenpolitik – auch zu einer Militarisierung der »Inneren Sicherheit«, wie sie aktuell wieder forciert betrieben wird. Im Mittelpunkt steht dabei der Bundeswehreinsatz im Inland, der in Einzelfällen längst schon Realität ist, selbst gegen Demonstrierende, aber noch ausgeweitet und abgesichert werden soll – geschichtsvergessen muss man sagen und unter Missachtung jener wichtigen Lehren aus der deutschen Geschichte, wonach Polizei und Militär, ihre Aufgaben und Befugnisse strikt zu trennen sind.
Die Bundeswehr, längst von einer Verteidigungs- zu einer weltweit agierenden Interventionsarmee mutiert, soll künftig selbst in Friedenszeiten – also ohne militärischen Angriff von außen – im Innern des Landes flexibler eingesetzt werden. Und zwar nicht nur im bereits zulässigen Fall von Katastrophen und schweren Unglücken, nicht nur im Spannungs- oder Notstandsfall nach den umstrittenen Notstandsgesetzen, sondern quasi auch als nationale Sicherheitsreserve im Inland, als »Hilfspolizei« mit eigenen hoheitlichen Kompetenzen und militärischen Mitteln. So etwa zur Terrorabwehr – einer klassischen Aufgabe der Polizei. Nachdem die Bundeswehr während des Münchner Amoklaufs bereits in Alarmbereitschaft versetzt worden war, soll sie nun mit Bundes- und Länderpolizeien gemeinsame Manöver zur Bewältigung »terroristischer Großlagen« durchführen.
Diese schleichende Entgrenzung des Militärs vollzieht sich in Etappen:
Erstens: Das Bundesverfassungsgericht hat 2012 den Bundeswehreinsatz im Innern zur Gefahrenabwehr auch unterhalb der Notstandsschwelle für grundgesetzkonform erklärt: Militäreinsätze im Inland sollen danach auch in »Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes« – also etwa bei schweren Terrorangriffen im Inland – erlaubt sein, und zwar auch mit militärischen Kampfmitteln. Damit hat sich das Gericht praktisch als Gesetzgeber geriert und die Verfassung nicht nur interpretiert, sondern geändert – unter Umgehung der für Verfassungsänderungen erforderlichen Hürde einer Zweidrittelmehrheit des Bundestags. In seinem Minderheitsvotum hat Verfassungsrichter Reinhard Gaier diese Entscheidung moniert: Es müsse stets berücksichtigt werden, »dass der Einsatz von Streitkräften im Inneren mit besonderen Gefahren für Demokratie und Freiheit verbunden ist« und »die Streitkräfte niemals als innenpolitisches Machtinstrument« mit militärischen Waffen eingesetzt werden dürften. Nun ist genau das möglich.
Zweitens: Die EU entwickelt sich in »Strategischer Partnerschaft« zum verlängerten »Kriegsarm« der NATO, aber auch parallel dazu und in Abgrenzung zu den USA in Richtung eines eigenen Militärbündnisses – mit Kurs auf weltweite Kriseninterventions- und Out-of-area-Einsätze, auch zur militärischen Sicherung europäischer (Wirtschafts-) Interessen. Mit dem EU-Vertrag von Lissabon verpflichten sich die Mitgliedstaaten zur schrittweisen Aufrüstung ihrer Armeen – ein einzigartiger Vorgang in der europäischen Verfassungsgeschichte. Die Solidaritätsklausel dieses Vertrags erlaubt gegenseitige Militäreinsätze auch zur (präventiven) Terrorabwehr im Hoheitsgebiet von EU-Staaten. Nach den Terroranschlägen in Frankreich rief die Regierung bekanntlich den (mehrmals verlängerten) Ausnahmezustand aus und aktivierte die Beistands- und Hilfsverpflichtung gemäß EU-Vertrag. Übrigens: Legt man die weite Terrorismus-Definition der EU zugrunde, dann können hierunter neben urban violence selbst Streiks und Blockaden fallen, sobald diese kritische Infrastrukturen gefährden, wie Versorgungseinrichtungen, Telekommunikationsnetze, Behörden oder Banken.
Drittens: Liest man das kürzlich erschienene Weißbuch 2016 des Verteidigungsministeriums, das im Kontext mit EU und NATO die künftige Ausrichtung der Bundeswehr festlegt, so wird schockartig klar, dass es sich um ein Dokument der Aufrüstung und Militarisierung nach außen und nach innen handelt. Danach sollen Auslandseinsätze der Bundeswehr zur militärischen Krisenbewältigung und für geostrategische Interessen flexibler und vermehrt möglich sein – wie es heißt, wegen der »gewachsenen globalen Verantwortung« und »sicherheitspolitischen Verpflichtung Deutschlands in der Welt«. Ein klarer Verstoß gegen das völkerrechtskonforme Verteidigungskonzept, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg bis Ende des Kalten Krieges für Europa, NATO und Bundesrepublik zumindest prinzipiell gegolten hat.
Zum anderen gilt laut Weißbuch der Militäreinsatz im Innern zur Abwehr von Terror und »hybriden Bedrohungen« unterhalb der Verteidigungsschwelle und mit hoheitlichen Zwangsbefugnissen als verfassungsrechtlich abgesichert. Dabei verweisen flexibilisierte Militärinterventionen sowohl nach außen als auch im Innern auf einen fatalen Zusammenhang: Je mehr sich deutsche und EU-Außenpolitik an Militäreinsätzen weltweit beteiligt und gewisse Staaten auch durch Waffenlieferungen als Kriegsparteien wahrgenommen werden, desto größer wird auch die Gefahr von Terroranschlägen gegen die beteiligten Staaten. Das heißt: Die Regierungen wappnen sich gegen mögliche Reaktionen auf ihre eigene Außen- und Kriegspolitik mit Militäreinsätzen im Innern. Kollateralschäden an der Heimatfront inbegriffen.
Demgegenüber ist klar und deutlich festzuhalten: Innere Sicherheit, Gefahrenabwehr und Strafverfolgung sind – auch im Fall von Terroranschlägen – klassische Aufgaben der Polizei und nicht der Bundeswehr. Soldaten sind keine Hilfspolizisten, sie sind nicht für polizeiliche Aufgaben nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sondern zum Kriegführen ausgebildet und mit Kriegswaffen ausgerüstet; und sie sind auch nicht dafür da, personelle Defizite bei der Polizei auszugleichen, die es aufgrund von Einsparmaßnahmen tatsächlich gibt.
Fazit: Mit der inneren Aufrüstung und der Entgrenzung des Militärischen droht der demokratische Rechtsstaat zu einem präventiv-autoritären Sicherheitsstaat zu werden – einem Staat im permanenten Ausnahmezustand, in dem der Mensch zum Sicherheitsrisiko mutiert, Rechtssicherheit und Vertrauen der Bürger verloren gehen. Insgesamt gesehen gibt es eine fatale Tendenz, den Rechtsstaat radikal umzubauen und die verfassungsrechtlichen Grenzen zwischen Polizei und Geheimdiensten zu schleifen, die Grenzen zwischen Innerer Sicherheit und Außenpolitik, zwischen Verteidigung und Intervention, Militär und Polizei zu verwischen – kurz: das Instrumentarium des Ausnahmezustands zu normalisieren und zu schärfen.
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