Dienstag, 25. Oktober 2016

Die Linke und Russland (Christophe Zerpka)


Der Kalte Krieg ist wieder da. Die Friedensdividende aus den 1990er Jahren scheint aufgebraucht. Die Vorbereitungen für den »Verteidigungsfall« nehmen Konturen an. Letztes Indiz: Die Bevölkerung soll sich mit Nahrungsmitteln und Wasser eindecken. In den Medien wird schon länger vorgegeben, wer der Feind ist: Russland. Oder – weil heute alles gern personifiziert wird: Putin. Wer die Weltlage objektiv betrachtet und sich durch das mediale Dauerfeuer gegen Russland nicht beeinflussen lässt, muss feststellen, dass die militärische Einkreisung der ehemaligen Sowjetunion nach einer kurzen Pause Anfang der 90er Jahre munter weitergegangen ist. Die NATO-Osterweiterung, die Stationierung von US-Truppen an der östlichen Grenze von Polen und den baltischen Staaten, die Errichtung eines Raketenabwehrsystems in Polen und Rumänien angeblich gegen iranische Flugkörper, schließlich das Werben der NATO für einen finnischen Beitritt lassen kaum einen anderen Schluss zu.

Schließlich der Konflikt in der Ukraine. Sie war neben Weißrussland der letzte Pufferstaat zwischen der russischen Republik und den neuen NATO-Staaten. Mit der Annexion der Krim hat Putin vermutlich verhindert, dass in Sichtweite des Flottenstützpunktes Sewastopol eine NATO-Marinebasis entsteht. Der heutige Hegemon USA hatte 1962 in Kuba ähnlich reagiert, als dort sowjetische Raketen installiert wurden. Bei der Eingliederung der Krim, welche 1954 von Chruschtschow eher symbolisch der ukrainischen Teilrepublik übertragen wurde, spielte das Völkerrecht ebenso wenig eine Rolle wie im Kosovo, in Grenada oder im Irak, um nur einige Beispiele zu nennen.

Wie verhält sich die Linke in dieser neuen Unübersichtlichkeit? Einige Nostalgiker mögen an das durch Ernst Busch pathetisch vorgetragene Lied »Der heimliche Aufmarsch« denken. Dort, wo einst die Heimat der Arbeiterbewegung verortet wurde, wo die Internationale zeitweise die Nationalhymne war, befindet sich heute wie in vielen anderen Ländern eine korrupte Oligarchenrepublik. Wladimir Putin haben es die Russen zu verdanken, dass das Land nicht vollständig auf dem Weltmarkt verramscht wurde, aber mehr auch nicht. Das Land ist geprägt von brutalem Kapitalismus, sozialer Ungleichheit und Willkür. Der Präsident versucht mit Hilfe seiner Partei Einiges Russland eine Art Primat der Politik durchzusetzen, mit zweifelhaftem Erfolg. Linke Parteien sind in Russland marginalisiert, die Regierung pflegt freundschaftliche Beziehungen zu europäischen Rechtsparteien.

Es kann also für die Linke nicht darum gehen, die russischen Oligarchen oder Putin zu verteidigen. Es geht – schlichter kann man es nicht ausdrücken – um den Weltfrieden. Und der wird zurzeit nicht von Russland oder China bedroht. Die Atommächte, allen voran die USA sind dabei, ihre Atomwaffen zu modernisieren, kleiner, zielgenauer zu machen. 180 amerikanische Atomwaffen sind allein in Europa einsatzbereit, etwa 15.000 Atomwaffen sind weltweit gelagert. Die Warnung, dass ein Atomkrieg keinen Gewinner kennt, scheint zu verblassen. Vor allem die europäische Linke sollte ein vehementes Interesse daran haben, sich gegen die NATO und deren Einkreisungspolitik einzusetzen, denn der Kriegsschauplatz wird Europa sein. Die deutsche Linke sollte nicht in die Falle tappen, ihre Ablehnung des Nordatlantikbündnisses auf dem Altar der »Regierungsfähigkeit« zu opfern, wie es Teile der SPD und der Grünen fordern. Selbst Außenminister Steinmeier scheint zu ahnen, dass Europa Gefahr läuft, auf dem Altar einer Strategie der endgültigen Ausschaltung des »Störenfrieds« Russland geopfert zu werden. Wie anders wäre sein Werben um einen Interessenausgleich mit Russland zu interpretieren? Es gilt also, ein breites europäisches Friedensbündnis zu schaffen. Sonst könnte es sein, dass wir uns in gar nicht allzu ferner Zeit nach Lappalien wie Eurokrise und Flüchtlingsproblematik zurücksehnen.

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