Im Nachhinein kann man sagen, dass sich diese Strategie, die Konterrevolution in Ungarn zu unterdrücken, um später kontrolliert von oben, den Kapitalismus hinter roten Fahnen mit ‘Wirtschaftsreformen’ wieder einzuführen, ohne große Turbulenzen befürchten zu müssen, für sie voll und ganz ausgezahlt hat.
Der konterrevolutionäre Aufstand in Ungarn vom 23. Oktober bis zum Mitte November 1956
Einleitung
„Der Sieg des Revisionismus in der Arbeiterklasse kann nur zu einem Verrat an der sozialistischen Revolution führen, was zum Faschismus in der einen oder anderen Form führen muss.“(Tony Clark, Einführung zu William B. Bland, ‘A New Surface on ‘The British Road’, COMpass, Februar/März 1975, S. 1).
Der gleiche Autor schreibt in seiner Einleitung zu dem Dokument der PAA (Partei der Arbeit Albaniens) aus dem Jahre 1971, ‘Ein historischer Sieg des Marxismus über den Revisionismus’, dass „ … der Zusammenbruch des Sozialismus unvermeidlich ist, wenn der Revisionismus die Führung einer sich an der Macht befindenden kommunistischen Partei erobert.“ (Tony Clark, http://www.oneparty.co.uk/html/histvict.html).
Quelle: red channel
Der konterrevolutionäre Aufstand in Ungarn vom 23. Oktober bis zum Mitte November 1956 zeigt, welche Folgen es haben kann, wenn der Revisionismus die Führung einer kommunistischen Partei erobert: es führt zur Entfesselung der rechtesten, reaktionärsten Kräfte, zur Entfesselung des weißen Terrors.Dieser weiße Terror konnte in Ungarn durch den Einsatz der roten Armee gestoppt werden und Mitte November 1956 waren ‘Ruhe und Ordnung’ in Ungarn wiederhergestellt. Die Unterdrückung der Konterrevolution bedeutete jedoch nicht, dass in diesem volksdemokratischen Land der Weg zum Sozialismus fortgesetzt werden konnte, den das Land unter Führung von Mátyás Rakosi, dem langjährigen Generalsekretär der Ungarischen Kommunisten Partei (später der Partei der Ungarischen Werktätigen) gegangen war: Denn an der Spitze des sowjetischen Staates und der sowjetischen Armee standen selbst Revisionisten, die obwohl sie heimlich mit der ungarischen Konterrevolution sympathisierten und sie nach Kräften hochpeppelten, gezwungen waren, dem wütenden weißen Terror Einhalt zu gebieten, wollten sie sich selbst nicht als Konterrevolutionäre vor ihrem eigenen Volk und vor der internationalen kommunistischen Bewegung kompromittieren. Ein Nichteingreifen in Ungarn zu dieser Zeit hätte für die Chruschtschowianer bedeutet, dass der konterrevolutionäre Flächenbrand nicht nur Ungarn, sondern auch andere volksdemokratische Länder erfasst hätte. Sie, die neuen Herren im Kreml, die Chruschtschow, Mikojan, Bulganin, Schukow etc. hätten sich selbst als Sympathisanten der rechtesten Kräfte entlarvt und es wäre, zumindest unter ihrer Führung, nicht mehr möglich gewesen, ihr Projekt, für das sie 1953 an die Macht geschoben wurden, nämlich die Restauration des Kapitalismus in der UdSSR, zu verwirklichen.
Im Nachhinein kann man sagen, dass sich diese Strategie, die Konterrevolution in Ungarn zu unterdrücken, um später kontrolliert von oben, den Kapitalismus hinter roten Fahnen mit ‘Wirtschaftsreformen’ wieder einzuführen, ohne große Turbulenzen befürchten zu müssen, für sie voll und ganz ausgezahlt hat.
A. Die Ereignisse vom 23. Oktober 1956 in Budapest
Die Ereignisse vom 23. Oktober markieren den offenen Ausbruch des konterrevolutionären Aufstands in Ungarn. Dazu schreibt die ‘Protest-Chronik’:
„Am Abend des 22. Oktober versammeln sich in Budapest 1.500 Studenten der Technischen Hochschule zu einer Vollversammlung. Zunächst werden hochschulpolitische Fragen diskutiert; im Laufe der Debatte, zu der auch Professoren, Funktionäre und einige Arbeiter stoßen, rücken immer mehr allgemeinpolitische Themen, insbesondere die Kritik an der kommunistischen Partei- und Staatsführung, ins Zentrum der Auseinandersetzung. Am frühen Abend wird eine erste Resolution mit 10 Punkten beschlossen, in der u.a. der Abzug der sowjetischen Truppen, freie Wahlen, Pressefreiheit und eine effektive Wirtschaftspolitik gefordert werden. … Die inzwischen auf mehr als 5.000 Teilnehmer angewachsene Versammlung verabschiedet schließlich gegen 2 Uhr nachts eine erweiterte Resolution, die später als 16-Punkte-Katalog im ganzen Land Verbreitung findet. Für den darauffolgenden Tag hat der ungarische Schriftstellerverband einen Schweigemarsch zum Denkmal des Polen Jószef Bem angekündigt (man will sich dadurch mit der polnischen Konterrevolution, die den Revisionisten L. Gomulka an die Spitze der polnischen Arbeiterpartei geschoben hat, solidarisieren). Trotz eines Demonstrationsverbots (das aber am nächsten Tag von der Regierung wieder aufgehoben wird), ziehen mehr als 50.000 Einwohner von Budapest zum Jószef-Bem-Denkmal. Dort werden die Punkte und eine Proklamation des Schriftstellerverbandes verlesen.“
(Wolfgang Kraushaar, ‘Die Protest-Chronik, 1953-1956′, Hamburg 1996, S. 1471).
Péter Veres, der auf dem Sockel des Bem-Denkmals (Bem, ein polnischer General, der an der Seite der bürgerlichen ungarischen Revolution von 1848/49 gegen die österreichische und russische Reaktion gekämpft hatte) steigt, trägt die Resolution des Schriftstellerverbandes vor. Zu den Punkten zählen u.a.:
-Punkt 3: ‘Nationale Gleichberechtigung’ (gemeint: die sowjetischen Truppen sollen das Land verlassen)
-Punkt 6: ‘Die Beseitigung der Rákosi-Clique’ (gemeint die marxistisch-leninistische Parteiführung um Mátyás Rákosi und Ernö Gerö) und einen Regierungssitz für Imre Nagy (den Wunschkandidaten der Oppostion);
-Punkt 7: ‘ … freie und geheime Wahlen zum Parlament und allen autonomen Organen der Verwaltung’ (gemeint die Zulassung bürgerlicher und rechter Parteien zu den Wahlen).
Bei dem Verlesen der Resolution bleibt es jedoch nicht. Die Demonstration, zu der jetzt auch ein Teil der Führung der Partei der Werktätigen Ungarns (also der Regierungspartei) aufruft, geht weiter und es kommt im Verlauf dieses 23. Oktober 1956 zu zwei Ereignissen, die zeigen, dass es sich nicht um eine gewöhnliche Demonstration von Intellektuellen und Studenten handelt, sondern um mehr:
1. Ein Teil der Demonstranten zieht weiter zum Parlamentssitz. Dort schlägt eine Gruppe von Demonstranten vor, zum Funkhaus in der Sándor-Straße zu ziehen, um die Forderungen über den Sender verbreiten zu lassen. Der Sender bringt jedoch statt der Resolution die Ansprache des gerade aus Belgrad zurückgekehrten (noch) Vorsitzenden der PUW, Ernö Gerö, der mutig die Diktatur des Proletariats verteidigt und zu keinen Kompromissen bereit ist. Es wird versucht, das Gebäude zu stürmen.
Es werden von Soldaten Waffen verteilt…
2. Eine andere Gruppe von Demonstranten zieht dagegen zum Stadtpark, um das sieben Meter hohe Stalin-Denkmal herunterzureißen. Der Statue wird ein Seil um den Hals gelegt. Es gelingt jedoch nicht, ‘Stalin zu Fall zu bringen’. Erst mit herangeschafften Schweißbrennern löst sich die Statue aus der Verankerung. Die Menge ruft: ‘Russen geht nach Hause!’ Die Statue wird in Stücke zerschlagen. Nur Stalins Stiefel lassen sich nicht entfernen. Eine ungarische Nationalfahne, aus der Hammer und Sichel entfernt sind, wird in die Stiefel gesteckt. Teile der Statue werden wie Siegestrophäen durch die Stadt geschleift. Fahnen mit dem Emblem Hammer und Sichel werden verbrannt.
Viele Demonstranten tragen die ungarischen Nationalfarben an ihrer Kleidung.
Damit ist die gewaltsame ungarische Konterrevolution, der die bewaffneten ungarischen Einheiten und die kommunistische Partei kaum Widerstand entgegensetzen, ausgebrochen.
Noch in der Nacht zum 24. Oktober rücken sowjetische Panzer zum Stadtrand von Budapest, wo sie mit Molotow-Cocktails empfangen werden.
Schon zu diesem Zeitpunkt kann man sagen:
1. Es ist die ungarische Intelligenz, die die Initiative zu dieser Bewegung ergreift. Es sind die Intellektuellen aus dem so genannten ‘Petöfi-Club’, die die organisatorische und intellektuelle Vorarbeit für die konterrevolutonäre Bewegung leisten. Sie bilden die Speerspitze der Bourgeoisie;
2. Es handelt sich um eine nationalistische, chauvinistische Bewegung, die ihre reaktionären Ziele hinter den Idealen der ungarischen Revolution von 1848/49 verbirgt;
3. Es handelt sich um eine anti-marxistisch-leninistische Bewegung, die mit dem Stalin-Denkmal auch den Marxismus-Leninismus in Ungarn und damit den Sozialismus beseitigen will;
4. Die ‘kommunistische’ Partei, aus der Mátyas Rakosi bereits seit einigen Monaten auf Drängen Chruschtschows und Mikojans entfernt worden ist, setzt der konterrevolutionären Bewegung keinerlei Widerstand entgegen, ja ruft sogar dazu auf, sich ihr anzuschließen!
4. Teile der Militärs sympathisieren mit der Bewegung und verteilen Waffen an die Demonstranten.
Das heißt: Die Konterrevolution ist überall in der Offensive, die Kräfte der Revolution in der Defensive und fast vollständig entwaffnet.
B. Kleiner geschichtlicher Rückblick: Ungarn seit der Befreiung vom Faschismus bis zur Konterrevolution von 1956
1944
19. März: Deutsche Truppen besetzen Ungarn;
Mai: Bildung der ‘Ungarischen Front’ (breites antifaschistisches Bündnis);
23. September: Die Sowjetarmee überschreitet die ungarische Grenze;
Ende September: Die KPU (Kommunistische Partei Ungarns) fordert den Rücktritt der Regierung Lakatos und die Bildung einer Regierung der Ungarischen Front;
1945
13. Februar: Befreiung Budapests durch die Sowjetarmee;
17. März: Einleitung der Bodenreform (Enteignung des feudalen Grundbesitzes und Landverteilung an arme Bauern und Landarbeiter);
4. April: endgültige Befreiung Ungarns durch die Sowjetarmee;
12. April: die neue provisorische Regierung verlegt ihren Sitz von Debrecen nach Budapest;
1946
1. Januar: Verstaatlichung der Kohlebergwerke;
1. Februar: Ausrufung der Republik Ungarn;
1. Juli: Nationalversammlung beschließt auf Initiative der KPU das Gesetz über den Dreijahrplan;
1. Dezember: Verstaatlichung der Eisenwerke;
1947
29. November: Verstaatlichung der Großbanken;
1948
25. März: Verstaatlichung aller Industriebetriebe mit mehr als 100 Beschäftigten;
12.-14. Juni: Vereinigungsparteitag von KPU und SPU (Sozialdemokratische Partei Ungarns. Aus ihr sind die rechten Kräfte bereits entfernt worden);
1949
18. August: Verabschiedung der neuen Verfassung der Ungarischen Volksrepublik;
16. September: Beginn des öffentlichen Prozesses gegen die Verschwörer um Lázsló Rajk (ehemaliger Innen- und Außenminster Ungarns);
28. Dezember: Verstaatlichung sämtlicher Betriebe mit mehr als 10 Beschäftigten;
1950
1. Januar: Beginn des Ersten Fünfjahrplans;
1951
Febr./März: Zweiter Parteitag der Partei der Ungarischen Werktätigen;
1953
5. März: Stalins Tod
27.-28. Juni: ungarische Parteiführung unter Hinzuziehung des stellv. Ministerpräsidenten Imre Nagy wird nach Moskau zitiert und erhält Weisungen, einen ‘Neuen Kurs’ durchzuführen; Rákosi wird gezwungen, sein Amt als Ministerpräsident Ungarns an Nagy, der auf Wunsch Chruschtschows eingeladen wurde, abzugeben, bleibt aber Generalsekretär der PUW;
1954
24.-30 Mai: Dritter Parteitag der PUW;
1955
14. Dezember: Ungarn wird in die UNO aufgenommen;
1956
Ende Februar: revisionistischer 20. Parteitag der KPdSU in Moskau;
12. Juli: Rakosi kündigt die ‘vollständige Liquidierung der Nagy-Verschwörung’ an;
17. Juli: Mikojan erscheint in Budapest auf Weisung Chruschtschows und setzt Rakosi ab, der aus ‘gesundheitlichen Gründen’ zurücktreten muss; Nachfolger wird Ernö Gerö; Nagy wird wieder in die Partei aufgenommen;
6. Oktober: ehrenvolle Beisetzung der sterblichen Überreste des Verschwörers László Rajk. Staatsbegräbnis;
23. Oktober: Beginn der ungarischen Konterrevolution. Nagy wird Regierungschef (damit hat die Konterrevolution die Führung der PUW in ihren Händen)
24. Oktober: Einmarsch sowjetischer Truppen in Budapest, die sich schnell wieder zurückziehen, nachdem Nagy versprochen hat, für Ruhe und Ordnung zu sorgen;
30.10.-4.11.: Wüten des weißen Terrors;
Kommunisten werden durch die Straßen gejagt und Hunderte ermordet;
1.11./4.11.: die sowjetischen Truppen kehren zurück. János Kádár, der selbst zum Kabinett Nagy gehört, stellt mit Hilfe des sowjetischen Botschafters Andropow in Szolnok/Theiß eine ‘Gegenregierung’ auf, die den Truppeneinsatz gutheißt. Nagy flieht in die jugoslawische Botschaft.
10./11.11.: Ende der Straßenkämpfe. Ende der Konterrevolution
Also:
Ungarn, das nach der Befreiung vom Faschismus am 4. April 1945 durch die Sowjetarmee seine bürgerlich-demokratische Revolution zuende führt (Bodenreform, Demokratisierung des Staatsapparats…), tritt etwa ab Ende 1949 in die sozialistische Revolution ein. Damit verschärft sich gesetzmäßig der Klassenkampf. Die rechten und revisionistischen Kräfte versuchen, vom Ausland unterstützt, mit allen Mitteln, diesen Prozess aufzuhalten und rückgängig zu machen. Dazu werden verschiedene Strategien entwickelt.
C. Die Pläne der ungarischen und internationalen Konterrevolution
1. Der ‘Plan Tito’
Am 16. September 1949 begann in Budapest der öffentliche Prozess gegen den ehemaligen Außenminister (davor Innenminister) Ungarns, László Rajk, und seine Komplicen Pálffy, Szöny u.a. Er förderte die Verschwörung zutage, die auf Pläne der jugoslawischen Regierung unter Tito/Rankowicz, in enger Abstimmung mit den USA, zurückgingen.
In seiner Vernehmung gestand Rajk, im Auftrag Titos, der wichtigste Organisator der Verschwörung gegen die ungarische Volksrepublik gewesen zu sein. Sein detailliertes Geständnis entlarvte die Pläne Titos und der USA.
Quelle:
‘László Rajk und Komplicen vor dem Volksgericht’, Dietz Verlag Berlin, 1949, Prozessprotokoll.
Der Vorsitzende des Gerichts, Péter Jankó, fragt den Angeklagten Rajk:
‘Haben Sie die Anklageschrift verstanden?’
Rajk: ‘Ja.’
Vors.: ‘Bekennen Sie sich schuldig?’
R.: ‘Ja.’
V.: ‘In allen Punkten der Anklage?’
R.: ‘In allen Punkten.’
(Die Anklage lautete auf Organisierung des Sturzes der ungarischen demokratischen Staatsordnung, also auf Hochverrat)
Rajk schildert in seinem Verhör, wie er schon 1931 in den Dienst der faschistischen ungarischen Horthy-Polizei eintrat, wie die Gestapo seine Rückführung nach Ungarn 1941 aus dem französischen Internierungslager organisierte, wie die USA in den Besitz der Gestapo-Unterlagen kamen und wie er dadurch erpressbar wurde, wie er Seite an Seite mit Tito, Rankowicz u.a., die sich ebenfalls für die Amerikaner verpflichtet hatten, und als Mitglied der Kommunistischen Partei Ungarns für den Sturz der ungarischen Volksrepublik arbeitete. Wie er vorging schilderte Rajk selbst vor Gericht:
‘In engem Zusammenhang mit meiner Spionagetätigkeit steht auch die Unterbringung der Spione. Ich meine hiermit die schon erwähnten Personen Sándor Cseresnyes, den Agenten des jugoslawischen Spionagedienstes, Béla Szász, den Agenten des Intelligence Service, Frigyes Major, den Mann der amerikanischen Kundschafteragentur CIC, Marshall, den Mann der französischen Spionageagentur. Zeitlich kann ich jetzt nicht mehr bestimmen, wann ich die eine oder andere Person auf einen leitenden Posten ernannte.’
V.: ‘Oder ernennen ließ.’
R.: ‘Ebenso gehörte es auch zu meiner Tätigkeit im Innenministerium, dass ich mich nicht nur bemühte, organisierte Leute unterzubringen, sondern auch Personen, die mir als Trotzkisten, Deményisten und Weißhaussisten, Nationalisten, Chauvinisten, Sowjetfeinde und Antikommunisten bekannt waren. … Unter all meinen Taten als Innenminister halte ich für die schwerwiegendste und gleichzeitig für die wichtigste meine Teilnahme an der Verschwörung, die Leitung jener regierungsfeindlichen Verschwörung und Organisation, die ich selbst auf mich nahm und die Rankowicz in Kelebia im Namen Titos als meine Aufgabe bezeichnete.’
V.: ‘Ich bitte um die Hauptereignisse. Es wird in Kelebia eine Jagd veranstaltet. Sie treffen sich mit Rankowicz. Schildern Sie kurz, was sich bei dieser Begegnung ereignete.’
R.: ‘Rankowicz teilte mir durch Brankow (der jugoslawische Geschäftsträger in Ungarn zu der Zeit) mit, dass er nach Beendigung der Jagd in einem Sonderwagen des jugoslawischen Zuges mit mir sprechen möchte. Diese Unterredung fand auch statt. … In allen diesen Ländern, d.h. in allen Volksdemokratien, müsse statt des volksdemokratischen Regierungssystems ein bürgerlich-demokratisches System errichtet werden, d.h. statt der Entwicklung in der Richtung des Sozialismus müsse der Kapitalismus wiederhergestellt werden. Diese bürgerlich-demokratischen Regierungen würden sich statt nach der Sowjetunion nach den Vereinigten Staaten orientieren, und zwar so, dass sie sich um Jugoslawien scharen und unter Führung Jugoslawiens beziehungsweise Titos, der jugoslawischen Regierung, einen zwischenstaatlichen Verband bilden würden, welcher Staatsverband sich dann auf die Vereinigten Staaten stützen würde. Dieser Staatsverband würde gleichzeitig einen militärischen Block auf der Seite der Vereinigten Staaten gegen die Sowjetunion bilden.’
Rajk weiter:
‘Hieran anknüpfend sagte Rankowics, die Lage habe sich indessen so geändert, dass Jugoslawien seine bisherige Reserverolle aufgeben und selbst in den Vordergrund treten müsse. Jugoslawien müsse in den volksdemokratischen Ländern die Kräfte zum Sturz der volksdemokratischen Regierungssysteme organisieren und leiten und einen solchen, auf die Vereinigten Staaten gestützten Staatenbund auf bürgerlich-demokratischer Grundlage als militärischen Block gegen die Sowjetunion ins Leben rufen.’
Rajk zu den Putschabsichten der Verschwörer:
‘Er (gemeint Rankowicz) machte mich darauf aufmerksam, dass Tito darauf bestehe, dass zur Zeit des Putsches oder besser gleichzeitig mit dem Putsch, die ungarische Regierung gleich bei der ersten Aktion in Gewahrsam genommen und drei ihrer Mitglieder, Rákosi, Gerö und Farkas getötet werden. In diesem Zusammenhang sagte Rankowicz: Freilich muss die brutale Wirkung nach außen vermieden werden. Nachher kann man die Sache so erklären, dass der eine durch Unfall, der andere infolge Krankheit, der dritte durch Selbstmord geendet hat oder dass man wegen Fluchtversuch genötigt war, sie zu erlegigen. Nach Rankowicz sind dies die drei Personen, die Tito für so gefährlich hält, dass er unbedingt auf ihrer physischen Vernichtung besteht und diese Aufgabe durchaus durch eine aus jugoslawischen Kadern bestehende Einheit vollstrecken lassen will. …’
V.: ‘Bot er keine andere Waffenhilfe an?’
R.: ‘Neben dieser bewaffneten Kraft stellte Ministerpräsident Tito auch andere Waffenhilfe bei der Ausarbeitung seines Plans in Rechnung, und zwar die im Westen,in der anglo-amerikanischen Zone befindlichen faschistischen Einheiten des ehemals unter Horthy und Szálasi gedienten Militärs, der Polizei und der Gendarmerie.’
(Prozessprotokoll, ebd., SS. 61, 74f, S. 77ff, S. 91).
2. Der Plan der Chruschtschow-Revisionisten für Ungarn
Nach Stalins Ausschaltung am 5. März 1953 hatte sich das Kräfteverhältnis an der Spitze der KPdSU stark zugunsten der Revisionisten um Chruschtschow, Mikojan, Bulganin u.a. verändert. Als im Juni 1953 die marxistisch-leninistische Führungsspitze um Rákosi und Gerö zu einer Besprechung in den Kreml eingeladen wurden, hatte Chruschtschow zuvor darauf bestanden, dass auch Imre Nagy, ein Bucharinist wie Chruschtschow, (Spitzname im Moskauer Exil ‘Kulak’) mit eingeladen wurde. Nagy war nicht nur Titos Wunschkandidat nach der Zerschlagung der Gruppe um Rajk, sondern auch der der Chruschtschow-Revisionisten.
Das Treffen im Kreml vom 13.-16. Juni 1953
An dem Treffen zwischen der ungarischen und der sowjetischen Staatsführung nahmen sowjetischerseits teil: Georgi Malenkow als Ministerpräsident, Lavrenti Berija als Innenminister, Wjatscheslaw Molotow als Außenminister, Nikita Chruschtschow als Sekretär des ZK der KPdSU, Nikolai Bulganin als Verteidigungsminister und Anastás Mikojan, Chruschtschows Mitverschwörer gegen Stalin, als stellvertretender Ministerpräsident.
Mindestens die letzten drei können als klare Revisionisten bezeichnet werden, die darauf hinarbeiteten, dass auch in Ungarn die marxistisch-leninistische Parteiführung von der Bildfläche verschwand.
Und sie hatten darauf bestanden, dass auch Imre Nagy, damals noch stellvertretender Ministerpräsident Ungarns und ehemaliger Landwirtschaftsminister in der provisorischen Regierung, eingeladen wurde.
Das Ergebnis der Verhandlungen war Folgendes:
1. Matyas Rakosi hatte als ungarischer Ministerpräsident seinen Hut zu nehmen.
An seine Stelle sollte Imre Nagy treten.
Rakosi blieb jedoch vorläufig Generalsekretär der Partei.
2. Der Entwicklung der Schwerindustrie sollte fortan in Ungarn nicht mehr Priorität eingeräumt werden; stattdessen sollte die Leicht- und Konsumgüterindustrie stärker gefördert werden, womit ein altes Gesetz für den Aufbau des Sozialismus mit Füßen getreten wurde;
3. Die so genannte ‘Kulaken-Liste’ sollte verschwinden, d.h. die ungarischen Großbauern sollten vor Enteignungen und ‘unangemessenen’ Belastungen künftig verschont werden;
4. Die Kollektivierungen sollten teilweise zurückgenommen werden. Solche Produktionsgenossenschaften, die nicht eindeutig auf freiwilliger Basis entstanden waren, sollten auf Beschluss ihrer Mitglieder wieder aufgelöst werden können;
5. Mihály Farkas, der marxistisch-leninistische ungarische Verteidigungsminister sollte durch István Bata ersetzt werden.
6. andere Maßnahmen: wie eine begrenzte Amnestie und die Unterstellung reduzierter Sicherheitskräfte unter das ungarische Innenministerium.
Die Folge für Ungarn:
Die Regierung Rakosi musste am 3. Juli 1953 zurücktreten und am folgenden Tag wählte die ungarische Nationalversammlung Imre Nagy zum Ministerpräsidenten. Damit hatte die ungarische Volksrepublik auf Drängen der Revisionisten im Kreml schon zu dieser Zeit einen Ministerpräsidenten, der 1936 aus der ungarischen KP ausgeschlossen war, als Anhänger Bucharins galt und später als Landwirtschaftsminister der Bodenreform nur zögernd zugestimmt und der Kollektivierung der Landwirtschaft Widerstand entgegengesetzt hatte, sie aber nicht verhindern konnte.
In seinem Regierungsprogramm geht Nagy dann noch weit über die Moskauer Vorschläge hinaus, verspricht die Kulakenwirtschaften und private Unternehmen zu fördern und die ‘Demokratisierung’ voranzutreiben.
Dies hat für den ungarischen Sozialismus, der erst in seinen Kinderschuhen steckt, folgende Auswirkungen:
1. Die Zahl der Kollektivfarmen geht zurück: Von den 376.000, die vor dem Juni 1953 auf Kollektivfarmen gearbeitet hatten, sind es danach nur noch 250.000 und die von solchen sozialstischen Farmen bewirtschaftete Fläche geht um mehr als ein Viertel zurück.(Vgl. János Rainer, ‘The New Course in Hungary in 1953′, Washington D.C., Juni 2002, S. 18).
2. Die katholische Kirche, die Stütze des ungarischen Feudalregimes und der Habsburger Monarchie, der schwärzesten Reaktion, erhält verstaatlichtes Eigentum, Archive und Bibliotheken zurück. Der 1948 wegen Hochverrats verurteilte Kardinal und Herzog Mindzenty wird aus dem Gefängnis vorzeitig entlassen und nur noch unter Hausarrest gestellt. Er ist später, im Oktober 1956, eine der wichtigsten Symbolfiguren und Träger der Konterrevolution, der von den USA unterstützt wurde.
3. Durch das Abgehen vom Primat der Schwerindustrie, was mitten im Planzeitraum des Ersten Fünfjahrplans erfolgt, kommt es zu erheblichen Störungen im Mechanismus der zentralen Planwirtschaft und das ökonomische Gleichgewicht wird empfindlich gestört.
(János Rainer, ebd., S. 44).
4. Ein Großteil der wegen konterrevolutionärer Verbrechen Verurteilter wird durch die Amnestie entlassen, darunter auch Horthy-Faschisten, die später während der Konterrevolution eine üble Rolle spielen sollten.
Es gelingt den Marxisten-Leninisten um Rakosi und Gerö jedoch noch einmal, Nagy 1955 abzusetzen und aus der Partei auszuschließen (im Juli 1956 wird sogar die Verschwörung um Nagy aufgedeckt), als jedoch Nagy kurz vor seiner Entlarvung steht, interveniert die revisionstische Kreml-Führung, schickt Mikojan und Suslow nach Budapest, um Rakosi zum Rücktritt zu zwingen. Nagy wird wieder in die Partei aufgenommen. Rakosi geht ins sowjetische Exil, aus dem er nicht wieder zurückkehren darf. Nur seine Beisetzung darf 1971 in Ungarn stattfinden.
Die Strategie der Chruschtschow-Revisionisten besteht also darin, sich massiv in die inneren Angelegenheiten der ungarischen Volksrepublik einzumischen, ihre revisionistischen Wunschkandidaten an die Spitze der Partei zu bekommen, die Marxisten-Leninisten zu entmachten, um Ungarn auf den Weg der Restauration zu bringen. Der ‘Neue Kurs’ für Ungarn, der im Juni 1953 beschlossen wurde und den sich die ungarische Partei im Oktober voll zu eigen macht, stellt zwar noch einen Kompromiss dar, bietet jedoch für die ungarische Konterrevolution günstige Möglichkeiten, die nächsten Schritte einzuleiten. Sie ist dann im Oktober 1956 so stark – auch in der ungarischen Partei und im Staat besetzt sie alle wichtigen strategischen Positionen – so dass ihr kaum noch Widerstand entgegengesetzt werden kann. Der noch verbliebene marxistisch-leninistische Vorsitzende Ernö Gerö ist so weit isoliert, dass er nichts mehr ausrichten kann. Nagy wird nach Ausbruch der Konterrevolution mit Zustimmung der Chruschtschowianer wieder neuer Regierungschef und sorgt dafür, dass der konterrevolutionäre Prozess weiter gehen kann: Alle möglichen rechten, ja selbst faschistischen Parteien sprießen wie Pilze aus dem Boden, alle Maßnahmen zur Beruhigung der Lage (Ausgehverbote) werden sabotiert und unterlaufen, so dass nach dem Rückzug der sowjetischen Truppen Ende Oktober die Konterrevolution dazu übergehen kann, mit den Kommunisten offen abzurechnen.
D. Weißer Terror in Ungarn (Oktober/November 1956).
Quelle: Aus der Dokumentation des Informationsbüros des Ministerrates der Ungarischen Volksrepublik (‘Die konterrevolutionären Kräfte bei den Oktober-Ereignissen in Ungarn’)
-Aussage des Zeugen László Oravecz:
‘Am 31. Oktober 1956 befand ich mich um 14.30 Uhr an der Echke Lenin-Ringstraße und wurde dort Zeuge folgenden Vorfalls:
Auf dem Bürgersteig ging ein Mann in Khaki-Hosen und Sportjacke des Sportvereins ‘Dozsa’. Jemand rief: ‘Das ist einer von der AVO (Name des ungarischen Sicherheitsdienstes). Die Menge stürzte sich auf den Mann und begann, ihn zu misshandeln. Im Tumult warf ihm jemand ein Drahtseil um den Hals und dann wurde er, schon bewusstlos, an einen Baum vor dem Eisenwarengeschäft Ecke Lenin-Ringstraße und Aradistraße aufgeknüpft. Dem Ermordeten hängte man eine Tafel mit der Aufschrift um: ‘AVO-Hauptmann Tóth. So wird’s jedem AVO-Mann ergehen!’
- Seite 12: Bild mit einem zu Tode gequälten Polizisten, dem man die Zeitschrift ‘Kommunist’ auf die Brust gelegt hat;
-Seite 13: Bild eines Ermordeten, dem man die Dokumente des XX. Parteitags der KPdSU auf die Brust gelegt hat (!);
-Seite 14: Foto des Nachrichtenmagazins ‘Der Spiegel’ von einem faschistischen Gemetzel;
-Seite 31: lange Reihe ermordeter Kommunisten vor dem Haus des Stadtparteikomitees in Budapest;
Seite 40: ‘In der Nacht zum 3. November zerstörte eine Gruppe unter Führung des Großbauern János Gál das sowjetische Kriegerdenkmal und zog dann zum Dorfrat, um mit dessen Leiter abzurechen;
-Seite 41: Den Kopf eines ermordeten Kommunisten hat man mit einem Bajonett am Fußboden aufgespießt und ein Lenin-Bild auf die Leiche gelegt;
(nur eine kleine Auswahl der Greueltaten)
Lehren aus ‘Ungarn 1956′
Die Herrschaft des Revisionismus in der kommunistischen Bewegung führt bei Zuspitzung der Klassenkämpfe zu faschistischem Terror und blutiger Abrechnung mit der sozialistischen Revolution und seinen Trägern. Wer den Faschismus und die Konterrevolution nicht will, muss konsequent NEIN sagen zum Revisionismus – in all seinen Facetten. Wer den Revisionismus duldet, ihm Vorschub leistet oder ihn vertritt, damit er sich in die revolutionäre Arbeiterbewegung einschleichen und ausbreiten kann, leistet auch dem Faschismus Vorschub.
Für den Aufbau einer wahrhaft revolutionären Arbeiterpartei, frei von Revsionismus, die die Lehren der Vergangenheit beherzigt. Für den Wiederaufbau einer wahrhaft marxistisch-leninistischen Partei auch in Ungarn!
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