USA: Internationale Kampagne fordert Begnadigung des seit 40 Jahren inhaftierten politischen Gefangenen
Von Michael Koch
Leonard Peltiers Sohn Chauncey am 2. Oktober bei einem von Harry Belafonte organisierten Festival in Chattahoochee Hills
Foto: picture alliance / Cheriss May/NurPhoto
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Aufruf: Kundgebung in Berlin
In den
USA sind derzeit knapp 2,3 Millionen Menschen eingesperrt, weitere etwa
4,2 Millionen unterliegen staatlicher Aufsicht und haben zum Großteil
keine Bürgerrechte mehr. Auffällig dabei ist, dass ein überproportional
großer Teil der Gefangenen People of Color sind, darunter viele
Afroamerikaner, Hispanics und Indigene. Beinahe allen Gefangenen
gemeinsam ist, dass sie über keine eigenen finanziellen Mittel verfügen,
um sich vor der Justiz angemessen zu verteidigen.
Ein treibender
Faktor bei der Masseninhaftierung in dem »Land of the free« ist dabei
der ökonomische Anreiz zur beinahe kostenlosen Abschöpfung der
Arbeitskraft dieser Gefangenen in der staatlichen und privaten
Gefängnisindustrie.
Die Masseninhaftierung in den USA ist in
ihrem Ausmaß derzeit beispiellos und nichts anderes als Fortsetzung der
Sklaverei unter anderem Namen. Innerhalb und außerhalb der Gefängnisse
steigt der Widerstand gegen diese Rechtslosigkeit und gegen eine
Gesellschaft, in der Menschen ohne materiellen Wohlstand versklavt
werden.
In Berlin hat sich das Bündnis »Free them all« aus
Gruppen und Einzelpersonen gebildet, die Kämpfe der Gefangenen und ihrer
Angehörigen unterstützen wollen. Zu diesem Zweck führt »Free them all«
kurz vor den US-Präsidentschaftswahlen am 29. Oktober eine Kundgebung
vor der US-Botschaft in Berlin durch (15 Uhr, Pariser Platz). Ein
Schwerpunkt wird dabei auf dem indigenen Gefangenen Leonard Peltier
sowie der generellen Lebenssituation der Native Americans in den USA
liegen. Weiter geht es um die Gefängnisindustrie und die gesundheitliche
Versorgung von Langzeitgefangenen am Beispiel der Nichtversorgung von
an Hepatitis C Erkrankten im US-Bundesstaat Pennsylvania, unter ihnen
der Journalist Mumia Abu-Jamal. Dieser hat selbst in einem Statement aus
dem Gefängnis zur Teilnahme an der Kundgebung aufgerufen.
Geplant
sind zudem Grußbotschaften von weiteren Gefangenen, Livemusik und
Beiträge über Frauen in den Haftanstalten, Solidaritätsarbeit mit
Gefangenen und aktuelle europäische Beispiele von Widerstand gegen die
Gefängnisindustrie. (jW)
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Die
Solidaritätsaktionen für den seit 1976 in den USA inhaftierten
indianischen Aktivisten Leonard Peltier halten an. So fand im Juli ein
Autokorso statt, der vor dem Hochsicherheitsgefängnis in Coleman/Florida
endete, in dem Peltier inhaftiert ist. Im »Red Warrior Camp«, das
Gegner der Dakota Access Pipeline errichteten (
jW berichtete),
wird mit Flugblättern über den Gefangenen informiert. In vielen Städten
der USA finden Mahnwachen, Demonstrationen, Kundgebungen und Konzerte
statt, auf denen die Forderung nach einer Begnadigung Peltiers erhoben
wird. Die Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und Human
Rights Action Centre Washington informierten mit Videos über den Fall
des Gefangenen. Die Musikerlegende Harry Belafonte kam mit Peltiers Sohn
Chauncey zusammen. Auch diesseits des Atlantiks beteiligen
sich Unterstützergruppen an der Kampagne. In Frankfurt am Main finden
monatlich Mahnwachen vor dem US-Generalkonsulat statt. Konzerte und
Lesungen sorgten in zahlreichen Städten für Aufmerksamkeit. Mehrere
tausend Postkarten und über 10.000 Unterschriften für die Freilassung
des Gefangenen wurden an das Weiße Haus übersandt. Anfang Oktober fand
zudem im Deutsch-Amerikanischen Institut Heidelberg ein dreitägiges
Symposium »Free Peltier – Leonard Peltier und der Kampf der Native
Americans in den USA« statt.
Die Aktionen sind an Barack Obama
gerichtet. Traditionell begnadigen die US-Präsidenten kurz vor dem Ende
ihrer Amtszeit eine Reihe von Gefangenen. Die Solidaritätsbewegung will
nun erreichen, dass Obama Peltier in die Liste der Inhaftierten
aufnimmt, die freigelassen werden sollen. Doch auch die Gegner einer
solchen Entscheidung sind aktiv. Die Bundespolizei FBI und reaktionäre
Polizeiorganisationen, rechte Politiker und Indianerhasser machen
Stimmung gegen Peltier.
Der 1944 in Grand Forks, North Dakota,
geborene Leonard Peltier ist ein Anishinabe-Lakota und musste bereits
als Kind rassistische Anfeindungen erleben. Als Jugendlicher wurde er
aufgrund seiner Anwesenheit bei einem »Sonnentanz« verfolgt, da bis
Mitte der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts alle spirituellen Zeremonien
der Indigenen in den USA verboten waren. Zudem wurden damals die meisten
staatlichen Unterstützungsleistungen für Native Americans eingestellt.
Viele Alte, Kranke und Kleinkinder verhungerten.
Medienberichte über massive Polizeigewalt gegen indianische Fischer
empörten und politisierten Peltier, der sich ab 1972 im American Indian
Movement (AIM) engagierte. Dort kümmerte er sich um Erwerbslose,
Alkohol- und Drogenabhängige sowie Kriminalisierte in den indianischen
Großstadtghettos. Später nahm er an diversen Besetzungsaktionen teil und
wurde Sicherheitschef von AIM-Mitbegründer Dennis Banks.
1975
kam Peltier aufgrund eines Hilferufs von Lakotahäuptlingen und
Stammesältesten in die Pine-Ridge-Reservation (South Dakota). Dort hatte
eine anhaltende Mordserie an traditionellen Lakota sowie jungen
politischen Aktivisten die Einwohner alarmiert. Verantwortlich für diese
Morde war der korrupte Stammespräsident Richard »Dick« Wilson, der mit
den »Guardians of the Oglala Nation« (GOON) eine Todesschwadron
aufgebaut hatte. Waffen, Munition und Geld kamen indirekt vom FBI und
dem Bureau of Indian Affairs. In diesem Klima des Terrors rasten am 26.
Juni 1975 zwei bewaffnete FBI-Agenten auf der Jagd nach einem
mutmaßlichen Kleinkriminellen mit Zivilfahrzeugen in ein AIM-Camp. Es
entwickelte sich ein Schusswechsel, bei dem ein junger AIM-Aktivist
sowie beide FBI-Beamte getötet wurden.
Bis heute ist unklar,
wie der Schusswechsel begann und wer die tödlichen Schüsse abgab. Im
Rahmen eines skandalösen Verfahrens wurde Leonard Peltier verurteilt. Er
ist inzwischen mehr als 40 Jahre in Haft. Der heute 72jährige leidet
seit vielen Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls, Bluthochdruck,
Diabetes, an dem schleichenden Verlust seiner Sehkraft und aktuell an
einem Bauchaortenaneurysma, an dem er jederzeit innerlich verbluten
kann.
Der bevorstehende Wechsel im Präsidentenamt ist für
Peltier die möglicherweise letzte Chance, in Freiheit zu gelangen.
Bereits 2000 stand er auf der Begnadigungsliste des damals scheidenden
Präsidenten William Clinton, sein Name wurde aber in letzter Sekunde auf
Druck des FBI gestrichen.
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