Ceta und TTIP sind nicht
die einzigen Freihandelsabkommen, die von der EU
derzeit verhandelt werden. Auch das Abkommen mit
Mexiko steht erneut zur Debatte
Von
Saskia
Haun [1]
amerika21
Bei seinem Abschluss vor 16 Jahren galt das globale Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und Mexiko, kurz Globalabkommen, als umfassendes Freihandelsabkommen, das nicht nur die Handelsliberalisierung vorantreiben, sondern auch zu sozialem Fortschritt und Demokratieförderung beitragen sollte. Die Ergebnisse nach 16 Jahren sind allerdings gemischt – gerade in Bezug auf Armutsreduzierung, Arbeitsplatzzuwachs und Verringerung negativer sozialer Effekte.
Seit Juni 2016 befinden sich die EU und Mexiko in
Verhandlungen über eine umfassende Neuauflage. Dabei strebt
die EU die "Global Europe"-Strategie an, eine
Handelsstrategie , die der Union zur externen
Wettbewerbsfähigkeit verhelfen soll und zu deren Zielen
unter anderem der ungehinderte Zugang zu Energie und
Rohstoffen, die beschleunigte Öffnung von
Dienstleistungsmärkten, der verschärfte Schutz geistiger
Eigentumsrechte von Unternehmen und die Durchsetzung
ungehinderter Niederlassungsfreiheit gehören, um den
Einfluss weltmarktorientierter EU-Unternehmen auch außerhalb
Europas weiter zu stärken.
Das Abkommen von 1997
Mexiko war das erste lateinamerikanische Land, das 1997 ein
Globalabkommen mit der EU unterzeichnete, das den
politischen Dialog, den Handel, die Zusammenarbeit und die
sektorbezogene Politik abdeckt. Dieses umfassende
Freihandelsabkommen trat im Jahr 2000 in Kraft und wurde
damit zu dem bis dato umfassendste Handelsabkommen für die
EU.
Kommuniziertes Ziel des Globalabkommens war es zum einen,
die Handelsentwicklung durch eine mehrstufige
Liberalisierung zu fördern sowie den Dienstleistungs- sowie
Kapital- und Zahlungsverkehr schrittweise zu öffnen. Das
öffentliche Auftragswesen wurde dabei nicht gesondert
behandelt.
Daneben wurde beschlossen, den Dialog im Hinblick auf
soziale Fragen und Armutsbekämpfung in den Fokus zu rücken.
Die EU äußerte, sie strebe eine harmonische
Wirtschaftsentwicklung, gestärkt durch die Zusammenarbeit in
Bereichen wie Menschenrechte, Demokratie und
Grundrechteförderung der gefährdetsten Bevölkerungsgruppen
in Mexiko an. Schwerpunkt sollten dabei die Entwicklung der
Bevölkerung, die Förderung und Achtung der Menschenrechte,
Informations- und Bildungsmaßnahmen und sowie demokratische
Grundsätze darstellen1.
Eine Analyse des Abkommens aus heutiger Sicht zeigt: Das
Abkommen deckt zwar umfassend besonders viele Themengebiete
ab, ein Großteil der neueren Sondervorschriften gingen
allerdings nicht unbedingt weiter als bestehende
internationale Verpflichtungen. Etwa bei den
gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen
Maßnahmen und den technischem Handelsbarrieren: Dort gingen
die Maßnahmen nicht über die mit der Welthandelsorganisation
vereinbarten Standards hinaus. In anderen, handelssensiblen
Bereichen, wie etwa dem Dienstleistungssektor, dem
öffentlichen Beschaffungswesen oder auch der
Wettbewerbspolitik, wurden allerdings über internationale
Standards hinaus gehende Bestimmungen getroffen, deren
Folgenabschätzung zum derzeitigen Zeitpunkt nicht klar
beleuchtet wurden2.
Evaluation und der Beschluss zur Modernisierung
Im Januar 2013 beschlossen Mexiko und die EU, die
Möglichkeiten einer allumfassenden Aktualisierung der
strategischen Partnerschaft zu untersuchen. Die Entscheidung
für eine umfassende Modernisierung des Globalabkommens wurde
auf dem siebten EU-Mexiko-Gipfel im Juni 2015 bekräftigt.
Als Ziel wurde unter anderem vereinbart, den gegenseitigen
Marktzugang für Waren, Dienstleistungen und Investitionen
weiter zu optimieren, eine stärkere wirtschaftliche
Integration und eine bessere Wettbewerbsfähigkeit zu
schaffen sowie ein hohes Maß an Schutz der Rechte des
geistigen Eigentums zu gewährleisten3.
Zur Evaluierung des bestehenden Globalabkommens wurde von
Ecorys im Auftrag der Europäischen Kommission ein
technischer Zwischenbericht erstellt, welcher die
Auswirkungen des Abkommens in Form einer Studie analysiert
und auf dessen Basis politische Empfehlungen ausgesprochen
werden4.
Derzeit werden Interessenvertreter konsultiert, um die im
Report aufgezeigten wirtschaftlichen, sozialen und
Umweltentwicklungen, die dem Abkommen aufgrund von
Datenauswertungen zugeschrieben werden, durch die Erfahrung
Involvierter bestätigen zu lassen. Doch bereits aus den
technischen Teilbericht lassen sich Rückschlüsse auf Stärken
und Schwächen des Abkommens sowie ein möglicher
Handelsbedarf ableiten.
Wirtschaftliche Auswirkungen
Laut Studie trug das Globalabkommen EU-Mexiko dazu bei,
dass der Handel und die Investitionen bilateral stark
zunahmen. Der Warenhandel zwischen der EU und Mexiko
verstärkte sich signifikant, Import- und Exportzahlen
verdoppelten sich. Das Abkommen steigerte das
Bruttoinlandsprodukt Mexikos um 0,34 Prozent, das
EU-Bruttoinlandsprodukt wurde um 0,1 Prozent erhöht. Die EU
ist mit 8,2 Prozent drittwichtigster Handelspartner Mexikos.
Die Handelsbilanz beträgt minus 38 Prozent, die
Import-Ausgaben sind also noch immer höher als die
Export-Einnahmen.
Auf den ersten Blick ein relativ positives Bild: Doch vor
allem Konzerne und große EU-Unternehmen profitierten bisher
von dem Abkommen. Die meisten europäischen Investoren
übernahmen bereits bestehende mexikanische
Unternehmensgruppe, oft wurden jedoch keine neuen
Arbeitsplätze geschaffen.
Neben Erdöl exportiert Mexiko vo allem Produkte der
Elektronik- und Automobilbranche in die EU. Dabei übernehmen
die transnationalen Konzerne oft die Montageproduktion, aber
auch die "Lohnveredelung" durch die Maquiladoras, sprich dem
letzten Schliff, auch um den US-amerikanischen Markt zu
beliefern5.
Dank der Nafta-Parität erheben die Vereinigten Staaten
nämlich auf sowohl in Mexiko als auch in der EU produzierte
Güter niedrigere Zölle als auf Produkte, die direkt aus der
EU stammen.
Anwendung der Demokratie- und Menschenrechtsklausel
Das Globalabkommen beinhaltet eine Demokratie- und
Menschenrechtsklausel, die besagt, dass wirtschaftliche
Beziehung auf der Achtung der Demokratie und der
Menschenrechte basieren. Die Klausel bietet zusätzlich die
Möglichkeit, Wirtschaftsbeziehungen aufzuheben, sollten
Menschenrechte verletzt werden.
Während den Verhandlungen zum Globalabkommen Mitte der 90er
Jahre forderte die EU diese Klausel als Vorbedingung für den
erfolgreichen Verhandlungsabschluss, damals ein innovatives
Element, welches den Anfang für eine neue europäische
Orientierung hin zur Inklusion von Menschenrechten in
Freihandelsabkommen bedeutete. Der Zwischenreport kommt
allerdings zu dem Schluss, dass das Globalabkommen trotz
besagter Klausel keine Auswirkungen auf die
Menschenrechtssituation in Mexiko hat. Das Zwischenergebnis
lautet, Ambitionen des Abkommens im Bereich Menschenrechte
seien nicht umfassend implementiert worden. So wurden bei
der Beilegung von Investitionsstreitigkeiten Menschenrechte
außer Acht gelassen, bei denen multinationale EU-Konzerne
beteiligt waren.
Auswirkungen auf Armut, Ungleichheit und Arbeitsbedingungen
Im Bericht wird der Fall Aguas de Barcelona aufgegriffen,
in dem Angestelltengehälter nicht mit der Firmensatzung und
dem Recht auf gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen
übereinstimmten. Ein weiteres Beispiel ist der Plan Puebla
Panama, an welchem die EU mit Infrastrukturprojekten
beteiligt war und bei welchem implizit
Menschenrechtsverletzungen gegenüber indigenen Völkern in
Kauf genommen wurden. Auch in der Euzkadi tire factory, in
Besitz der deutschen Firma Continental, wurden
Arbeitsrechtsverletzungen festgestellt, wie etwa die
Einführung des 12-Stunden-Arbeitstages, Arbeit am Sonntag
und eine erhöhte Produktionsanforderung ohne Lohnausgleich.
In diesem Fall war die mexikanische Regierung zuerst zu
ängstlich einzugreifen, um Investoren nicht zu verschrecken.
Das Risiko, dass der Arbeitsstandard in Mexiko durch
europäische Firmen aufgrund wirtschaftlicher Interessen
unterschritten wird, ist demnach ein bestehendes Problem.
Arbeitsbedingungen und Arbeitnehmerrechte konnten laut
derzeitigen Ergebnissen keine positive Entwicklung erfahren.
Wenn überhaupt lassen sich indirekte Verbesserungen durch
europäische Schutzmaßnahmen - wie Verbot der Nutzung
gefährlicher chemischer Substanzen - verzeichnen. Im
Einklang mit den beschriebenen wirtschaftlichen Auswirkungen
ergab die Analyse zudem, dass der Einfluss des Abkommens auf
die Verringerung von Armut und Ungleichheit so klein ist,
dass er als unerheblich gilt - und das, obwohl das
durchschnittliche zur Verfügung stehende Einkommen der
Bevölkerung geringfügig gestiegen ist.
Aufnahme der Neuverhandlungen
Die Verhandlungen für ein modernisiertes globales
Kooperationsabkommen wurden Mitte Juni 2016 in Brüssel
offiziell aufgenommen6.
Dabei wurde deutlich, dass das neue umfassende Abkommen den
ehrgeizigen Abkommen gleichkommen soll, welche die EU und
Mexiko seither mit anderen Partnern ausgehandelt haben. Das
derzeitige Abkommen müsse "modernisiert, vertieft und
ausgeweitet werden, um viele zu restriktiv gehandhabte
Geschäftsfelder zu liberalisieren", so der mexikanische
Wirtschaftsminister Ildefonso Guajardo Villarreal.
Vergleichbar mit den zur Verhandlung stehenden Abkommen Ceta
mit Kanada und TTIP mit den USA sollen weitere
Handelsschranken zwischen Mexiko und der EU fallen,
bekräftige zudem die EU-Handelskommissarin Cecilia
Malmström.
Derzeit stehen beide Verhandlungsparteien im Gespräch,
jedoch sind die Verhandlungslinien des Europäischen
Auswärtigen Dienstes und der EU-Kommission noch nicht
veröffentlicht. Die Europäische Kommission kann allerdings
keine Verhandlungsergebnisse durchbringen, ohne die Haltung
des Europäischen Parlaments zu berücksichtigen. Zudem muss
der abgestimmte Text durch die Mitgliedsstaaten sowie die
nationalen Parlamente, darunter also auch den Deutschen
Bundestag, ratifiziert werden.
Bisherige Stellungnahme der Bundesregierung
Die genauen Verhandlungsrichtlinien der Europäischen Union,
die derzeit auf Basis des vom Europäischen Rat erteilten
Mandates handelt, sind bisher nicht veröffentlicht worden.
Antworten der Bundesregierung auf Kleine Anfragen der
Grünen-Bundestagsfraktion und der Linksfraktion legen
allerdings nahe, dass die derzeit umstrittenen Themen aus
TTIP und Ceta auch im EU-Mexiko-Abkommen eine zentrale Rolle
spielen werden.
So sollen im geplanten neuen Globalabkommen
erneut private Schiedsgerichte etabliert werden, wodurch
jedes internationale Unternehmen, das eine Niederlassung in
Mexiko hat, in Europa vor privaten Schiedsgerichten
flächendeckend klagen kann und andersherum. Die
Bundesregierung verweist in diesem Fall bisher auf die
Ausarbeitung der Verhandlungsrichtlinien des Europäischen
Auswärtigen Dienst und der Europäische Kommission.
Zur Straffung der Menschenrechtsklausel nahm die
Bundesregierung nicht eindeutig Stellung. Wie die Antwort
[4] der Bundesregierung
auf die Kleine Anfrage der Linkspartei nahelegt, sind auch
im neuen Vertrag keine verbindlicheren Vorgaben vorgesehen.
Die Stimme der NGOs
Nichtregierungsorganisationen weltweit kritisieren schon
lange die Unzulänglichkeiten der in diesem Abkommen
formulierten Menschenrechtsklausel, denn eine Missachtung
zieht keine Konsequenzen nach sich. Sie fordern eine
verbindliche menschenrechtliche Folgeabschätzung und
schlagen vor, in einem neuen Abkommen einen
Monitoring-Mechanismus zu etablieren, sowie eine
institutionalisierte Partizipation der Zivilgesellschaft zu
garantieren. Auch deutsche Organisationen wie das
Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika
e.V. (FDCL), Misereor und Brot für die Welt verwiesen
bereits mehrfach auf die wirtschaftlichen Einschränkungen,
die dem mexikanischen Partner durch das Abkommen auferlegt
werden und die innenpolitischen Konflikte, die aufgrund
gemeinsamer industriellen Großprojekte entfacht wurden.
- 1. http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=URISERV%3Ar14011 [5]
- 2. Sanahuja, Jose Antonio,Trade, Politics, and Democratization: The 1997 Global Agreement between the European Unionand Mexico, in: Journal of Interamerican Studies and World Affairs, Vol. 42, No. 2
- 3. EU-Dokument SWD(2015) 290 final
- 4. http://www.fta-evaluation.com/mexico/>http://www.fta-evaluation.com/mexi... [6]
- 5. http://info.brot-fuer-die-welt.de/politik/eu-freihandelsabkommen-mit-mex... [7]
- 6. (Tradoc_154726)
Links:
[1] https://amerika21.de/autor/saskia-haun
[2] “https://www.flickr.com/photos/eeas/18729566422/in/photostream/“
[3] https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/
[4] https://amerika21.de/2016/08/157822/neues-globalabkommen-eu-mexiko
[5] http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=URISERV%3Ar14011
[6] http://www.fta-evaluation.com/mexico/
[7] http://info.brot-fuer-die-welt.de/politik/eu-freihandelsabkommen-mit-mexiko-ausbeutung
[8] https://flattr.com/submit/auto?user_id=amerika21&url=https%3A%2F%2Famerika21.de%2Fanalyse%2F159698%2Fneuauflage-freihandelsabkommen&title=Zur%20Neuauflage%20des%20Freihandelsabkommens%20EU%20%E2%80%92%20Mexiko&description=Bei%20seinem%20Abschluss%20vor%2016%20Jahren%20galt%20das%20globale%20Kooperationsabkommen%20zwischen%20der%20Europ%C3%A4ischen%20Union%20und%20Mexiko%2C%20kurz%20Globalabkommen%2C%20als%20umfassendes%20Freihandelsabkommen%2C%20das%20nicht%20nur%20die%20Handelsliberalisierung%20vorantreiben%2C%20sondern%20auch%20zu%20sozialem%20Fortschritt%20und%20Demokratief%C3%B6rderung%20beitragen%20sollte.&language=de_DE&category=text
[1] https://amerika21.de/autor/saskia-haun
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