Vor
uns – ein Riesen-Aquarium? Menschen bewegen sich darin, lautlos. Das
Glas dichtet ab, Isolierglas, die Wände eines Bungalows. Von draußen
sind Grillen zu hören, außen – da, wo wir Zuschauer sitzen. Eine
gottverlassene Gegend, in die dieses Eigenheim gebaut wurde. Es ist das
Hamburger Schauspielhaus. »Hysteria – Gespenster der Freiheit«, eine
Uraufführung nach Motiven von Luis Buñuel. Regie führte die Intendantin
Karin Beier. War es im Thalia-Theater die Wut (Ossietzky 19/2016), ist es hier die Angst, die wie eine Käseglocke sich über alle stülpt.
Am Anfang, Pantomimen hinter Glas. Eine Familie, die aus Asien zurückgekehrt ist, wo der Vater arbeitete. Vorbereitungen für eine Einweihungsparty im neuen Haus. Streit. Rotwein auf dem Jackett. Der Hausherr Robert reibt nicht nur an den Scheiben – ein Permanentwischer. Er will im günstigen Licht erscheinen vor seinem Chef Hugo, einem dunkelhäutigen Mann, der ständig am Handy hängt. Der Wischer befürchtet seine Entlassung. Mit den Gästen ist die Sprache ins Stück gekommen. Aufgedrehte Albernheiten. Als Gastgeschenk ein kleiner Buddha mit ausgestrecktem Arm, ein Grüß-August. Verlegenheit. Eine Trommel wird dem Chef hingeschoben – ein Schwarzer muss doch trommeln. Ein Satz, genauso deplatziert: »Ich dachte, die wäre schon tot«, ruft Micky erstaunt, als sie die schmächtige Margret sieht. Besichtigung des Glasbaus. »Wie will er das abbezahlen?« raunt einer. Tanzen in der Gruppe, jeder einzeln. Ein unbekannter und ungebetener Gast kommt, ein Nachbar. Er bringt Unruhe und Unsicherheit, passt nicht zu den Gästen. Von weitem habe er das Licht entdeckt, von außen, alles gut einsehbar. Er schürt Ängste. Unsichere Gegend. Nachts kommen sie. Sein Haus sei zwanzig Minuten entfernt, sonst nichts hier. Nur die Tierversuchsanstalt. Bauarbeiter verschwinden. Die Taxifahrer sprechen vom »Bermuda-Viereck«. Eine Bürgerwehr wurde schon gegründet. Der Arzt geht nach draußen, die Gegend zu erkunden. Kommt mit blutender Wunde am Kopf zurück. Nur gestolpert sei er, keiner glaubt ihm. »Die kommen immer in Gruppen«, stachelt der Nachbar an. Er solle doch jetzt gehen, was er überhört. Ein neuer Mann kommt dazu. Kein Gast. »Wo ist das Geld?« ruft er. Ganz zu Recht, denn er ist Elektriker, Sergej, sein Lohn steht noch aus.
Blicke durch die Scheibe in die Nacht. »Das sind doch Zeichen«, sagt die halbwüchsige Tochter des Hauses, »das hat doch System, ist doch gewollt alles.« Ihre Mutter, die schwangere Hausherrin, die sich nicht aufregen darf – auch nicht bei Horrorgeschichten –, versucht zu beruhigen. Ein Dröhnen, Donnern – Explosion? Im »Tierseuchenzentrum«, wie der Nachbar vermutet. Er hat plötzlich eine Pistole in der Hand. Die Angst expandiert. Woher hat die Schwangere das Gewehr? Etwas knallt gegen die Scheibe, ein großer Vogel – oder es könnte auch eine kleine Drohne sein. Die Fenster und Türen werden verbarrikadiert. Die Gäste wollen bleiben – in Muttis Bett. Die Drehbühne lässt in alle Räume sehen, aber die Sicht wird schlechter. Der Arzt, nackt, will duschen. Es kommt kein Wasser mehr. Handy und Telefon bleiben stumm. Die Schwangere hackt mit einer Axt ein Loch in die Wand: Wasser fließt. Ein Wunder. Die junge Kranke, Margret, sackt an der Scheibe zusammen. Wo sind ihre Tabletten? Auf dem Dach steht einer (von den Gästen?) im weißen Tarnanzug, als bewache er von oben ein Gefängnis. Und alles dreht sich und dreht sich. Essen und Trinkwasser werden knapp. Im Abstellraum, Wühlen im Mülleimer. Immer wieder apokalyptische, poetische Sätze, wer spricht sie? Keine Nahrung? »Papa, wir werden nie einen essen, nicht wahr?« fragt die Tochter den Hausherrn. Nein, »weil wir die Guten sind«, die Antwort. Sie skeptisch: »So?« Alles wird irgendwie angetippt. Verschwörungstheorien. Wer ist schuld? Die anderen, die von außen Kommenden. Das Wort »Flüchtling« wird vermieden. Bald herrscht Chaos im Haus: Man schießt, brüllt, um die Angst zu übertönen. Sterben und auferstehen, vergewaltigen und ein Kind bekommen – oder eine Fehlgeburt. Die Hausfrau drückt etwas an ihre Brust – nun nicht mehr im schneeweißen Hosenanzug – alles ist beschmutzt und unkenntlich geworden. Die Angst hat alle verschlungen. Ist die Hausherrin die Letzte, die übrigbleibt? »Alles ist klar, alles ist Stille. Das ist mein Haus«, tönt sie von der Bühne und: »Wir werden frei sein und sicher hinter diesen Mauern – wir werden das Haus nie mehr verlassen.«
Am Anfang, Pantomimen hinter Glas. Eine Familie, die aus Asien zurückgekehrt ist, wo der Vater arbeitete. Vorbereitungen für eine Einweihungsparty im neuen Haus. Streit. Rotwein auf dem Jackett. Der Hausherr Robert reibt nicht nur an den Scheiben – ein Permanentwischer. Er will im günstigen Licht erscheinen vor seinem Chef Hugo, einem dunkelhäutigen Mann, der ständig am Handy hängt. Der Wischer befürchtet seine Entlassung. Mit den Gästen ist die Sprache ins Stück gekommen. Aufgedrehte Albernheiten. Als Gastgeschenk ein kleiner Buddha mit ausgestrecktem Arm, ein Grüß-August. Verlegenheit. Eine Trommel wird dem Chef hingeschoben – ein Schwarzer muss doch trommeln. Ein Satz, genauso deplatziert: »Ich dachte, die wäre schon tot«, ruft Micky erstaunt, als sie die schmächtige Margret sieht. Besichtigung des Glasbaus. »Wie will er das abbezahlen?« raunt einer. Tanzen in der Gruppe, jeder einzeln. Ein unbekannter und ungebetener Gast kommt, ein Nachbar. Er bringt Unruhe und Unsicherheit, passt nicht zu den Gästen. Von weitem habe er das Licht entdeckt, von außen, alles gut einsehbar. Er schürt Ängste. Unsichere Gegend. Nachts kommen sie. Sein Haus sei zwanzig Minuten entfernt, sonst nichts hier. Nur die Tierversuchsanstalt. Bauarbeiter verschwinden. Die Taxifahrer sprechen vom »Bermuda-Viereck«. Eine Bürgerwehr wurde schon gegründet. Der Arzt geht nach draußen, die Gegend zu erkunden. Kommt mit blutender Wunde am Kopf zurück. Nur gestolpert sei er, keiner glaubt ihm. »Die kommen immer in Gruppen«, stachelt der Nachbar an. Er solle doch jetzt gehen, was er überhört. Ein neuer Mann kommt dazu. Kein Gast. »Wo ist das Geld?« ruft er. Ganz zu Recht, denn er ist Elektriker, Sergej, sein Lohn steht noch aus.
Blicke durch die Scheibe in die Nacht. »Das sind doch Zeichen«, sagt die halbwüchsige Tochter des Hauses, »das hat doch System, ist doch gewollt alles.« Ihre Mutter, die schwangere Hausherrin, die sich nicht aufregen darf – auch nicht bei Horrorgeschichten –, versucht zu beruhigen. Ein Dröhnen, Donnern – Explosion? Im »Tierseuchenzentrum«, wie der Nachbar vermutet. Er hat plötzlich eine Pistole in der Hand. Die Angst expandiert. Woher hat die Schwangere das Gewehr? Etwas knallt gegen die Scheibe, ein großer Vogel – oder es könnte auch eine kleine Drohne sein. Die Fenster und Türen werden verbarrikadiert. Die Gäste wollen bleiben – in Muttis Bett. Die Drehbühne lässt in alle Räume sehen, aber die Sicht wird schlechter. Der Arzt, nackt, will duschen. Es kommt kein Wasser mehr. Handy und Telefon bleiben stumm. Die Schwangere hackt mit einer Axt ein Loch in die Wand: Wasser fließt. Ein Wunder. Die junge Kranke, Margret, sackt an der Scheibe zusammen. Wo sind ihre Tabletten? Auf dem Dach steht einer (von den Gästen?) im weißen Tarnanzug, als bewache er von oben ein Gefängnis. Und alles dreht sich und dreht sich. Essen und Trinkwasser werden knapp. Im Abstellraum, Wühlen im Mülleimer. Immer wieder apokalyptische, poetische Sätze, wer spricht sie? Keine Nahrung? »Papa, wir werden nie einen essen, nicht wahr?« fragt die Tochter den Hausherrn. Nein, »weil wir die Guten sind«, die Antwort. Sie skeptisch: »So?« Alles wird irgendwie angetippt. Verschwörungstheorien. Wer ist schuld? Die anderen, die von außen Kommenden. Das Wort »Flüchtling« wird vermieden. Bald herrscht Chaos im Haus: Man schießt, brüllt, um die Angst zu übertönen. Sterben und auferstehen, vergewaltigen und ein Kind bekommen – oder eine Fehlgeburt. Die Hausfrau drückt etwas an ihre Brust – nun nicht mehr im schneeweißen Hosenanzug – alles ist beschmutzt und unkenntlich geworden. Die Angst hat alle verschlungen. Ist die Hausherrin die Letzte, die übrigbleibt? »Alles ist klar, alles ist Stille. Das ist mein Haus«, tönt sie von der Bühne und: »Wir werden frei sein und sicher hinter diesen Mauern – wir werden das Haus nie mehr verlassen.«
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