Jobcenter befragt Schwangere unter Strafandrohung nach ihren Sexualkontakten. So will es den Kindesvater ausfindig machen
Von Susan Bonath
Und von wem kommen die Kinder? Manches Jobcenter scheut sich nicht, auch die intimsten Informationen nachzufragen
Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa- Bildfunk
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Darin soll die werdende Mutter die Namen und Geburtsdaten der Männer auflisten, mit denen sie »in der gesetzlichen Empfängniszeit Geschlechtsverkehr hatte«. Nach Bürgerlichem Gesetzbuch (BGB) umfasst letztere 181 bis 300 Tage vor dem errechneten oder tatsächlichen Geburtstermin. Sollte die Betroffene keine Angaben machen können, mahnt das Jobcenter, habe sie dies »ausführlich und nachvollziehbar« zu begründen. Außerdem soll sie darlegen, welche »intensiven Nachforschungen zur Ermittlung des Kindesvaters« sie selbst angestellt habe. Schließlich verlangt ihr das Amt eine Erklärung ab. In dieser soll sie nicht nur versichern, dass ihre Angaben wahr sind. Sie soll sich darüber hinaus verpflichten, jede Erkenntnis zum möglichen Kindesvater umgehend dem Jobcenter mitzuteilen. Ferner soll sie bekunden: »Ich wurde hiermit ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ich eine strafbare Handlung begehe, wenn ich den Kindesvater absichtlich verschweige oder vorsätzlich falsche Angaben gemacht habe.«
»Wir dachten zuerst, es handele sich um einen bösen Scherz«, sagte Rechtsanwalt Jan Strasmann im Gespräch mit junge Welt. Inzwischen zweifelt er nicht mehr an der Echtheit des Papiers. Er habe schon allerlei Jobcenterschikanen erlebt, berichtete er. »Dass aber derart weitgehend rechtliche und moralische Grundsätze verletzt werden, ist eine neue Qualität.« Eigentlich sei es Sache der Jugendämter, Kindesväter ausfindig zu machen, so Strasmann. Diese fragten die Frauen, ob sie die Väter kennen würden. Das Jobcenter sei hier »definitiv zu weit gegangen«. Strasmann will Konsequenzen prüfen.
Da das Jobcenter Stade nicht über eine eigene Pressestelle verfügt und in der Regel keine Telefondurchwahlen veröffentlicht, fragte jW zunächst bei der dortigen Arbeitsagentur an. Diese gab die Anfrage an den stellvertretenden Geschäftsführer des Jobcenters, Marco Noetzelmann, weiter, der sich am Freitag zurückhaltend äußerte: Die Angelegenheit werde intern überprüft. Dann komme er darauf zurück. Eine Stellungnahme seiner Behörde erreichte jW bis zum Redaktionsschluss am Montag nicht.
Welche Repressionen der Schwangeren drohen, beschreiben das Zweite Sozialgesetzbuch (SGB II) und dazu von der Bundesagentur für Arbeit (BA) erlassene Dienstanweisungen. Zum einen kann das Jobcenter eine Sanktion verhängen, also ihren Regelsatz wegen eines Pflichtverstoßes drei Monate um 30 Prozent kürzen. Zweitens könnte es eine »Ersatzpflicht bei sozialwidrigem Verhalten« geltend machen (siehe auch jW vom 12. September), also fiktiven Unterhalt als »Einkommen« anrechnen.
Drittens könnte das Amt seine nicht ausreichend beantworteten Fragen gesondert als Ordnungswidrigkeit verfolgen (siehe auch jW vom 4. Oktober). Danach darf es die werdende Mutter unabhängig von sonstigen Sanktionen mit einem Bußgeld von bis zu 5.000 Euro belangen, wenn sie, »vorsätzlich oder fahrlässig«, geforderte »Angaben nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig macht«. Die zugrunde liegende BA-Anweisung räumt den Sachbearbeitern in Jobcentern zum Ermitteln, Verfolgen und Bestrafen »ähnliche Kompetenzen wie Staatsanwälten« ein. Nur einsperren dürfen sie danach niemanden. Wie zuerst Bild am Montag unter Berufung auf eine weitere BA-Anweisung berichtete, droht Betroffenen dennoch Erzwingungshaft, falls sie Buß- oder ebenso mögliche Verwarngelder von 55 Euro nicht zahlten. Wovon am Existenzminimum Lebende dies berappen sollen, bleibt ein amtliches Geheimnis.
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