Dienstag, 25. Oktober 2016

Spielplatz hinter Stacheldraht


Hamburg eröffnet »Ausreisegewahrsam« für von Abschiebung bedrohte Flüchtlinge. Die ersten Insassen sollen nach Afghanistan »rückgeführt« werden

Von Kristian Stemmler
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Familiengerechte Internierung: Die Stadt Hamburg ließ sich ihre Vorreiterrolle bei Abschiebungen einiges kosten
In Hamburg tritt der »rot-grüne« Senat aktuell den Beweis an, dass sich der Zynismus der deutschen Asylpolitik immer noch steigern lässt. Am Flughafen Fuhlsbüttel nimmt in dieser Woche ein Abschiebeknast seinen Betrieb auf, der von den Medien als »bundesweit erster Ausreisegewahrsam« bezeichnet wird. Bevor abgelehnte Asylbewerber von hier aus in Krieg und Elend zurückbefördert werden, verwöhnt der deutsche Staat sie noch mal so richtig: Die Zimmer haben WLAN und TV, es gibt ein Raucherzimmer und vor der Tür einen Spielplatz für die Kinder. Abschiebung de luxe, dieser Eindruck soll vermittelt werden.
Innenstaatsrat Bernd Krösser (parteilos) legte bei der Pressepräsentation der Anlage mit ihren rund 90 Containern am Freitag Wert auf die Feststellung, es handle sich eben »nicht um einen Abschiebeknast«, wie das Hamburger Abendblatt berichtet. Die Einrichtung sei vielmehr ein »ergänzendes Instrument zur Durchführung von Rückführungen von Ausländern, die hier nicht bleiben dürfen«. In einer Abschiebehaftanstalt dürften Menschen bis zu 18 Monate lang untergebracht werden, so Krösser, in der Einrichtung am Flughafen jedoch nur bis zu vier Tage.
»Vorreiter in Deutschland und hartnäckig bei Abschiebungen« – dieses Bild von sich habe der Senat bei dem Termin am Flughafen vermitteln wollen, schreibt Welt. Dafür ist in einer Stadt, in der Stadtteilinitiativen und Bürgerhäuser unter ständigen Kürzungen leiden, viel Geld da: Mehr als eine Million hat der Bau gekostet, die Betriebskosten beziffert Welt auf mindestens 1,188 Millionen Euro im Jahr. Und das für 20 Plätze, von denen Hamburg 15 nutzt und Schleswig-Holstein fünf.
junge Welt stärken
Die Anlage, die kein Knast sein soll, umgibt ein zwei Meter hoher Zaun mit Stacheldraht, der einen grotesken Kontrapunkt zum dahinterliegenden Spielplatz setzt. Dass es auch sonst nicht immer idyllisch zugehen wird, verrät der »sichere Raum« für randalierende »Insassen«. Streichhölzer und Feuerzeuge sind in der Anlage verboten, Zigaretten muss man sich im Raucherraum an einem »Glimmautomaten« anzünden. Die Mitarbeiter seien geschult, Suizidgefahr zu erkennen, schreibt das Abendblatt.
Kritik kam von kirchlicher Seite. Der Ausreisegewahrsam sei »vor allem ein sehr teures und verfassungsrechtlich bedenkliches Symbol«, sagte Gabi Brasch vom Vorstand des Diakonischen Werks Hamburg gegenüber junge Welt. »1,5 Millionen Euro gibt Hamburg dafür im Jahr aus – für 20 Menschen, die nichts verbrochen haben. Dieses Geld könnte viel sinnvoller für Flüchtlingsschutz, für die Integration von Flüchtlingen oder auch für die Förderung der freiwilligen Rückkehr ausgegeben werden.«
Noch deutlicher wurde der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günther Burkhardt. »Das ist der Beginn einer Brutalisierung der Abschiebepraxis in Deutschland«, sagte er laut Medienberichten. Einrichtungen wie der Ausreisegewahrsam könnten dazu führen, »dass Menschen außer Landes gebracht werden, die nie außer Landes gebracht werden dürften«. Burkhardt bezog sich auf das »Rücknahmeabkommen«, das die Bundesregierung Anfang Oktober mit der afghanischen Regierung abgeschlossen hat.
Hamburg kann es offenbar nicht erwarten, dieses Abkommen umzusetzen. Die taz berichtete am Freitag, bereits am kommenden Donnerstag solle ein Flugzeug mit 50 Passagieren nach Afghanistan abheben. »Das eigentlich Unvorstellbare droht einzutreten: die Abschiebung von Geflüchteten in ein Land, in dem Krieg und Terror herrschen«, sagte Christiane Schneider, flüchtlingspolitische Sprecherin der Linksfraktion. Den Grünen fiel dazu nur ein, mit der SPD in der Bürgerschaft die Wiedereinführung eines »Abschiebemonitorings« zu beantragen. Dabei sollen Abschiebungen beobachtet werden, um »Konflikten in der oft angespannten Situation im Flughafen« vorzubeugen. Der beinharten Law-and-Order-Politik des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz haben die Grünen nichts entgegenzusetzen.

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