Kann man den Staat Israel mit dem Apartheidregime in Südafrika
vergleichen? Die Frage ist sehr umstritten. Ein Gastbeitrag von Dror
Dayan.
Beim Schulstreik gegen Rassismus wurde Israel als Apartheidstaat bezeichnet. Für Manche in Deutschland, wie das „Jüdische Forum für Demokratie und Gegen Antisemitismus“, ist dieser Begriff bloß ein krummes Messer in der Hand der dunklen Gestalt des „Antisemitismus von links“. Für andere hilft der Vergleich, heutige Zustände durch historische Begriffe zu analysieren.
Für Ehud Barak, den ehemaligen Regierungschef Israels, ist es eine zwangsläufige Folge der Besatzung Westjordanlands, dass Israel zum Apartheidstaat wird. Für Palästinenser*innen in Palästina ist der Begriff Lebensrealität, was die meisten Deutschen jedoch eher wenig interessiert. Mit diesem Artikel werde ich versuchen, den Begriff der Apartheid in Bezug auf Palästina zu erläutern.
Der Staat Israel kontrolliert das historische Palästina, vom Jordan bis zum Mittelmeer. Mittendrin befinden sich kleine Enklaven (oder „Banutstans“, in Anlehnung an der südafrikanischen Apartheid) in Westjordanland, die unter Kontrolle der palästinensischen Autonomiebehörde stehen. Und diese Autonomiebehörde steht wiederum unter Kontrolle des israelischen Staates. Noch eine Enklave ist der Gaza-Streifen, ein Freiluftgefängnis, das von Israel nur da nicht abgeriegelt ist, wo seine Kolleg*innen aus Ägypten das gerne selbst übernehmen.
Diese Situation muss erst mal verstanden werden, um die Frage zu beantworten, ob in Palästina Zustände der Apartheid herrschen. Ein einfaches Beispiel: Ein*e israelische*r Staatsbürger*in kann – bis auf diese kleinen Enklaven – das ganze Land bereisen. Doch ein*e Palästinenser*in aus dem Westjordanland kann sich praktisch nur innerhalb seines*ihres Wohnorts bewegen. Das bedeutet in der Regel keine Ausreise aus dem Westjordanland in die Gebiete, die 1948 besetzt wurden (das heutige Israel). Das bedeutet auch beschränkte Bewegungsmöglichkeiten zwischen den jüdischen Siedlungen oder sogar innerhalb palästinensischen Städten in den Gebieten, die 1967 besetzt wurden (Westjordanland und Gaza).
Dazu kommt weitere Diskriminierung innerhalb des Westjordanlands, wie ungleiche Wasserverteilung, wiederholende Versuche der Segregation in Bussen oder getrennte Straßen. Das alles zeigt, dass im Westjordanland Apartheidzustände längst existieren.
Die zionistischen Argumente gegen den Apartheidbegriff versuchen ihn in der Regel dadurch zu entkraften, dass jedes Element isoliert vom Gesamtbild betrachtet wird. Ein beliebtes Argument des liberalen Zionismus ist die Behauptung, innerhalb der ’48er Gebiete herrsche kein Apartheid, weil Palästinenser*innen Top-Models und Soldat*innen werden können; die ’67er Gebiete dagegen seien bloß temporär „okkupiert“ und werden spätestens übermorgen an einen souveränen palästinensischen Staat übergeben. Wer dann die gesamte Situation im Lande in den letzten 68 Jahren nicht betrachtet, könnte solche Argumente noch glauben.
Diese Segregation in der Einreise wird noch deutlicher in den Einbürgerungsverfahren. Denn jede jüdische Person, ganz egal von wo, kann nach Tel Aviv fliegen und sich einen israelischen Pass mit allen dazugehörigen Rechten besorgen. Was einer jüdischen Französin möglich ist, deren Familie seit Jahrhunderten nichts mit dem Land zu tun hatte, ist ihrer palästinensischen Nachbarin, Tochter einer geflüchteten Familie aus Al-Jalil oder Jaffa, strengst verboten.
Uns hilft diese Analyse in erster Linie, um uns von dem sinnlosen Gerede einer Zwei-Staaten-Lösung zu verabschieden. Denn das Oslo-Abkommen, das die Gleichberechtigung der Palästinenser*innen einleiten sollte, hat das Apartheidregime nur zementiert. Und wie wir am Beispiel Südafrikas sehen, bedeutet auch eine formelle Entkolonisierung, mit gleichen Rechten für alle Menschen, nicht gleich ihre Befreiung.
Aus diesem Grund ist eine linke Auseinandersetzung mit den verschiedenen Lösungsansätzen immer wichtig. Wir dürfen dabei nur nicht vergessen, dass Apartheid – „Getrenntheit“ – auch die Trennung der jeweiligen Arbeiter*innenklassen bedeutet, die sich dann nur schwer zu einer einheitlichen revolutionären Klasse entwickeln könnten, solange sie durch Kolonialismus gespalten sind.
https://www.klassegegenklasse.org/ist-israel-ein-apartheidstaat/
Beim Schulstreik gegen Rassismus wurde Israel als Apartheidstaat bezeichnet. Für Manche in Deutschland, wie das „Jüdische Forum für Demokratie und Gegen Antisemitismus“, ist dieser Begriff bloß ein krummes Messer in der Hand der dunklen Gestalt des „Antisemitismus von links“. Für andere hilft der Vergleich, heutige Zustände durch historische Begriffe zu analysieren.
Für Ehud Barak, den ehemaligen Regierungschef Israels, ist es eine zwangsläufige Folge der Besatzung Westjordanlands, dass Israel zum Apartheidstaat wird. Für Palästinenser*innen in Palästina ist der Begriff Lebensrealität, was die meisten Deutschen jedoch eher wenig interessiert. Mit diesem Artikel werde ich versuchen, den Begriff der Apartheid in Bezug auf Palästina zu erläutern.
Was ist Palästina, was ist Israel?
Israel sei kein Apartheidstaat, sagen Diplomat*innen, Israel-Fans und „Hasbara“ (Aufklärung)-Agent*innen, da seine palästinensischen Bürger*innen die gleichen Rechte besitzen wie ihre jüdischen Mitbürger*innen. Sie können ins Parlament gewählt werden, sind Fernsehmoderator*innen oder Schönheitskönig*innen, so ein häufiges Argument. Doch das stimmt einfach nicht: Im israelischen Gesetzbuch befinden sich über 50 diskriminierende Gesetze gegen palästinensische Staatsbürger*innen Israels. Gleichzeitig ist dieses Argument auch ein gutes Beispiel für die Notwendigkeit, die Situation in Palästina als eine koloniale Situation im gesamten Land zu verstehen.Der Staat Israel kontrolliert das historische Palästina, vom Jordan bis zum Mittelmeer. Mittendrin befinden sich kleine Enklaven (oder „Banutstans“, in Anlehnung an der südafrikanischen Apartheid) in Westjordanland, die unter Kontrolle der palästinensischen Autonomiebehörde stehen. Und diese Autonomiebehörde steht wiederum unter Kontrolle des israelischen Staates. Noch eine Enklave ist der Gaza-Streifen, ein Freiluftgefängnis, das von Israel nur da nicht abgeriegelt ist, wo seine Kolleg*innen aus Ägypten das gerne selbst übernehmen.
Diese Situation muss erst mal verstanden werden, um die Frage zu beantworten, ob in Palästina Zustände der Apartheid herrschen. Ein einfaches Beispiel: Ein*e israelische*r Staatsbürger*in kann – bis auf diese kleinen Enklaven – das ganze Land bereisen. Doch ein*e Palästinenser*in aus dem Westjordanland kann sich praktisch nur innerhalb seines*ihres Wohnorts bewegen. Das bedeutet in der Regel keine Ausreise aus dem Westjordanland in die Gebiete, die 1948 besetzt wurden (das heutige Israel). Das bedeutet auch beschränkte Bewegungsmöglichkeiten zwischen den jüdischen Siedlungen oder sogar innerhalb palästinensischen Städten in den Gebieten, die 1967 besetzt wurden (Westjordanland und Gaza).
Dazu kommt weitere Diskriminierung innerhalb des Westjordanlands, wie ungleiche Wasserverteilung, wiederholende Versuche der Segregation in Bussen oder getrennte Straßen. Das alles zeigt, dass im Westjordanland Apartheidzustände längst existieren.
Die zionistischen Argumente gegen den Apartheidbegriff versuchen ihn in der Regel dadurch zu entkraften, dass jedes Element isoliert vom Gesamtbild betrachtet wird. Ein beliebtes Argument des liberalen Zionismus ist die Behauptung, innerhalb der ’48er Gebiete herrsche kein Apartheid, weil Palästinenser*innen Top-Models und Soldat*innen werden können; die ’67er Gebiete dagegen seien bloß temporär „okkupiert“ und werden spätestens übermorgen an einen souveränen palästinensischen Staat übergeben. Wer dann die gesamte Situation im Lande in den letzten 68 Jahren nicht betrachtet, könnte solche Argumente noch glauben.
Apartheid an den Grenzen
Aber es gibt noch ein weiteren wichtigen Aspekt der israelischen Apartheid, der viel weniger thematisiert wird. Israel hält die hundertprozentige Kontrolle über alle Grenzübergänge. Die Entscheidung, wer in das Land einreisen darf, liegt in den Händen des israelischen Sicherheitsdiensts. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob die Person in die ’48er- oder ’67er-Gebiete reist, welche Herkunft oder Reisedokumente sie hat, oder wo sie geboren ist. Mit diesem Mittel sind die rund sieben Millionen palästinensischen Geflüchteten davon abgehalten, ihre Heimat auch nur zu besuchen, von Rückkehr ganz zu schweigen. Ausländischen Aktivist*innen und Unterstützer*innen der Palästina-Solidarität kann die Einreise auch beliebig verboten werden. Selbst palästinensische Staatsbürger*innen Israels müssen oft mit langen Schikanen bei der Aus- und Einreise rechnen. Jüdische Staatsbürger*innen laufen in der Regel durch.Diese Segregation in der Einreise wird noch deutlicher in den Einbürgerungsverfahren. Denn jede jüdische Person, ganz egal von wo, kann nach Tel Aviv fliegen und sich einen israelischen Pass mit allen dazugehörigen Rechten besorgen. Was einer jüdischen Französin möglich ist, deren Familie seit Jahrhunderten nichts mit dem Land zu tun hatte, ist ihrer palästinensischen Nachbarin, Tochter einer geflüchteten Familie aus Al-Jalil oder Jaffa, strengst verboten.
Israel ist nicht Südafrika
Auch wenn die Bezeichnung des Staates Israel als Apartheidstaat von Aktivist*innen schon seit langem verwendet wird, haben aktuelle Kampagnen wie BDS oder die „Israelische Apartheid Woche“, aber auch Filme wie „Roadmap to Apartheid“, dem Begriff zu einer größeren Verbreitung verholfen. Apartheid ist aber auch ein völkerrechtlicher Begriff. So beschreibt die UN das Verbrechen der Apartheids:Unmenschliche Taten, die den Zweck haben, eine Herrschaft von einer ethnischen Gruppe von Menschen über jeder anderen ethnischen Gruppe von Menschen und ihre Unterdrückung zu etablieren und aufrechtzuerhalten.Daraufhin listet das Dokument eine lange Reihe von Aktionen eines Staates auf, die Apartheid ausmachen. Diese werden Palästinenser*innen nur zu bekannt vorkommen: illegale Verhaftungen; Auferlegung von lebensbedrohlichen Zuständen; Verweigerung und Einschränkung des Rechtes auf Arbeit oder Ausbildung; Ghettoisierung; Landraub; und vieles mehr. Aber wie auch führende Figuren der südafrikanischen Anti-Apartheid-Bewegung sagen, ist die israelische Apartheid in vielerlei Hinsicht brutaler als die damalige in Südafrika. Die massive Bombardierungen Gazas, die Weigerung des Rechts auf Rückkehr für Geflüchtete und die ethnische Säuberung im Jahr 1948 sind Geschehen, die mit ihrer Gewalt und Grausamkeit teilweise auch die Verbrechen Pretorias überschatten.
Warum der Apartheidbegriff wichtig ist
Um eine Lösung für die gesamte Situation in Palästina finden zu können, muss verstanden werden, dass Israel ein kolonialer Apartheidstaat ist. Doch der Vergleich mit Südafrika darf auch nur mit Vorsicht gezogen werden, da wir als Linke wohl wissen, dass der Sturz des Apartheidregimes zusammen mit der Erhaltung des kapitalistischen Systems die schwarzen Massen Südafrikas nur bedingt befreit hat.Uns hilft diese Analyse in erster Linie, um uns von dem sinnlosen Gerede einer Zwei-Staaten-Lösung zu verabschieden. Denn das Oslo-Abkommen, das die Gleichberechtigung der Palästinenser*innen einleiten sollte, hat das Apartheidregime nur zementiert. Und wie wir am Beispiel Südafrikas sehen, bedeutet auch eine formelle Entkolonisierung, mit gleichen Rechten für alle Menschen, nicht gleich ihre Befreiung.
Aus diesem Grund ist eine linke Auseinandersetzung mit den verschiedenen Lösungsansätzen immer wichtig. Wir dürfen dabei nur nicht vergessen, dass Apartheid – „Getrenntheit“ – auch die Trennung der jeweiligen Arbeiter*innenklassen bedeutet, die sich dann nur schwer zu einer einheitlichen revolutionären Klasse entwickeln könnten, solange sie durch Kolonialismus gespalten sind.
https://www.klassegegenklasse.org/ist-israel-ein-apartheidstaat/
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