Französische Regierung löst »Dschungel« in Calais auf. 8.000 Flüchtlingen drohen Monate in Auffanglagern in »feindlicher« Umgebung
Von Hansgeorg Hermann, Paris
Während in Syrien und im Irak Bomben fallen und die französische
Armee in Mali und Zentralafrika aufmarschiert, sehen die Opfer der von
der atlantischen Allianz dort mitzuverantwortenden Kriege einer
ungewissen Zukunft entgegen. Die sozialdemokratische Regierung des
Staatschefs François Hollande und seines Premierministers von
Premierminister Manuel Valls lässt seit Montag morgen das
Flüchtlingslager in Calais an der Kanalküste, genannt »Dschungel«, von
mehr als 1.200 Polizisten, Gendarmen und Militärs auflösen. Die von
Hollande als »humanitäre Aktion« verkaufte Räumung verlief bisher
weitgehend friedlich, weil die seit Monaten vor dem Eurotunnel
ausharrenden Menschen den nahen Winter fürchten. Vor allem Familien
erwarten von den Behörden Hilfe für sich und ihre Kinder.
Die »Evakuierung« – so die offizielle Regierungssprache – des riesigen Hüttendorfs und Zeltlagers vor dem Eingang zum Eurotunnel begann am Morgen gegen 6 Uhr und soll in dieser Woche abgeschlossen werden. Mit der Zerstörung der von den Flüchtlingen notdürftig zusammengezimmerten Unterkünfte wollen die vom Staat eingesetzten Abrissunternehmen bereits am heutigen Dienstag beginnen. Die ersten rund 3.000 Flüchtlinge wurden in 60 Bussen in alle Landesteile verschoben. Auch in Gegenden, wo ihnen – vor allem im Süden und Südosten Frankreichs – eine »feindliche« Umgebung droht.
In ihrem Wahlkreis Vaucluse ließ Marion Maréchal-Le Pen, Parlamentsabgeordnete des extrem rechten Front National (FN) und Nichte der FN-Führerin Marine Le Pen, am Wochenende bereits ihre Kampftruppen aufmarschieren. Unter Maximen wie »Frankreich muss französisch bleiben« und »Unsere Gemeinden ohne Immigranten« wollen Maréchal-Le Pen und der FN gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in ihrem Departement vorgehen. Gegendemonstranten versicherten vor Fernsehkameras: »Es sind nicht die Flüchtlingsfamilien, die uns Angst machen, seit heute sind es leider unsere Nachbarn.« Von den rund 700 gegenwärtig in Calais arbeitenden Journalisten aus aller Welt befragte junge Afrikaner wie der Sudanese Suleyman erklärten vor Fernsehkameras, sie wollten »doch nur im Frieden leben«.
Die meist nicht mehr als 40 Jahre alten Kriegsopfer werden zunächst drei Monate mit ihrem Asylantrag beschäftigt sein. Die Wartezeit für die Entscheidung der Behörden wird derzeit mit 14 Monaten angegeben. Danach sollen die »genehmigten« Flüchtlinge möglichst auf europäische Nachbarländer verteilt oder – im Fall der Ablehnung eines Antrags – in die Türkei oder andere »sichere« Länder abgeschoben werden. Wie die Zeitung L’Humanité in ihrer Montagausgabe vorrechnete, sind in Afrika sowie im Nahen und Mittleren Osten derzeit rund zwei Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg und sozialem Elend.
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