IMI-Analyse 2016/36 - in: AUSDRUCK (Oktober 2016)
Die unerträgliche Demokratiefeindschaft des Kommando Spezialkräfte
von: Thomas Mickan | Veröffentlicht am: 17. Oktober 2016
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Mit verdeckten Gesichtern werden sie losgelassen, um tabula rasa zu machen. Sie gehen bis zum Ende, töten, verletzen und fühlen sich dabei noch als selbstlose Kämpfer für Freiheit, Demokratie und das deutsche Grundgesetz.[1] Dessen Boden haben sie jedoch mit jedem ihrer Einsätze hinter sich gelassen: die Rede ist vom Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr.
1996 gegründet, sollte es zuvorderst eingesetzt werden, um deutsche Geiseln aus Kriegsgebieten zu befreien. Es galt die deutsche Flagge in den Boden der internationalen Spezialkräfte zu stecken, um für den Fall, dass Deutsche befreit werden müssen, nicht auf ausländische Spezialkräfte angewiesen zu sein. Wie viele Menschen jedoch mit Hilfe des KSK tatsächlich befreit wurden und nicht etwa durch Lösegeldzahlungen oder Verhandlungen ist unbekannt. Ob dafür die Millionen für das KSK tatsächlich sinnvoll waren, und nicht lieber das gleiche Geld in gute Diplomat_innen und Lösegelder investiert worden wäre, bleibt also ein Geheimnis. Erst 2015 zeigte das Beispiel einer entführten Entwicklungshelferin in Afghanistan, dass trotz großen Aufgebots vom KSK und dem Hackerkommando der Bundeswehr, die gleich Teile des ganzen afghanischen Mobilfunknetzes angriff, zum Schluss die Rettung der Person über eine Lösegeldzahlung erfolgte – vermutlich mit einem Bruchteil dessen, was der ganze Einsatz des Militärs gekostet hat.[2]
Wenn der Staat die Kontrolle scheut, muss er es geheim halten
Militär ohne Geheimhaltung ist unvorstellbar. Jedes Militär, auch die Bundeswehr, ist auf diese angewiesen. Militär konstituiert sich immer mit Blick auf abzuwehrende feindliche Gruppen oder Bedrohungen. Diese gilt es – des eigenen Vorteils oder Schutzes wegen – möglichst uninformiert zu lassen. Auch gibt es für das Militär und dessen politisch Verantwortliche einen Binnenanreiz zur Geheimhaltung gegenüber der eigenen Bevölkerung, da die hohen finanziellen Aufwendungen und menschlichen Verluste gerade in einer Demokratie gleichzeitig hohe politische Kosten bedeuten.
Geheimhaltung und Demokratie, ideal verstanden als freie und gleiche Möglichkeit der Willensbildung, -artikulation und -durchsetzung, stehen damit jedoch in einem Spannungsverhältnis. Das Primat von informierten Bürger_innen wird erheblich verletzt. Auch die an Abgeordnete delegierte Kontrolle des Militärs ist einerseits kaum effektiv, andererseits nicht sachangemessen bei Fragen mit erheblicher ethischer Tragweite wie Krieg und Frieden, die neben politischen Expert_innengremien ein gesamtgesellschaftliches Meinungsbild für ihre Legitimation in einer Demokratie benötigen. Es stellt sich so das Problem, dass die Geheimhaltung die Bürger_innen daran hindert, sich angemessen zu informieren und zu urteilen. Auch eine umfassende Information der Öffentlichkeit durch die Medien ist gerade im Bereich der militärischen Angelegenheiten durch die Geheimhaltung stark eingeschränkt.[3]
Stellt sich dieses Problem für das Militär im Allgemeinen, so ist dies für das KSK im Speziellen ebenso ein Problem, verschärft sich allerdings durch die spezifische Tätigkeit und die Ideologie des Vorborgenen.
Tätigkeitsfeld: Unkontrollierte Gewalt
„Wie viele Menschen hat die Bundeswehr in Afghanistan getötet?“, diese Frage stellte ich mir vor einiger Zeit.[4] Diese Frage ist relevant, weil sie beim deutschen Einsatz in Afghanistan hilft, dessen Folgen möglichst realistisch einzuschätzen und aufzuarbeiten. Bei den 288 Tötungsfällen, die ich ermitteln konnte, weil sie medial aufgegriffen wurden, zeigte sich, dass diese Zahl nur das konservative Minimum und kaum mehr als ein erster Anfang zur Beantwortung meiner Frage sein kann. Ferner verdeutlicht die Zahl eben nur sehr abstrakt, welche Kriegsverantwortung Deutschland trägt, bleiben doch die individuellen Schicksale und die ganzer betroffener Familien wahrscheinlich lange noch unbekannt. Was allerdings in meinem ersten Versuch einer Erhebung bis auf einen einzigen Fall fast völlig unberücksichtigt blieb, war das Ausmaß der Tötung durch das KSK. Sie werden schlichtweg geheim gehalten und vor der Öffentlichkeit verborgen.
Für eine Parlamentsarmee, wo gerade die Legislative durch das Parlamentsbeteiligungsgesetz und eine parlamentarische Kontrolle wenigsten den dünnen Schein von Legitimität und Legalität gewähren soll, ist die Praxis des KSK gerade in Fragen von Tötungen untragbar. Sie entbehrt sich jeglicher rechtlichen Grundlagen und damit irgendeiner Legitimität. Auch das Argument einer vermeintlichen Notwendigkeit zur Geheimhaltung greift hier nicht mehr, da auch nachträglich weder über die eigenen Verluste, die Tötung Anderer noch über die Einsatzländer öffentlich berichtet wird. Die Gefahr, dass mögliche Strategien des KSK entlarvt werden, bestünde zumindest in dieser rudimentären Form nicht. Aber Aufrichtigkeit und Demokratie zählen für die Männer in Uniform anscheinend nicht, der Boden des Grundgesetzes ist bei den KSK-Tötungen noch nicht einmal mehr zu sehen. Wo allerdings nicht mehr die Aussicht auf eine Strafverfolgung bei besonders exzessivem Einsatz von Gewalt oder möglichen Kriegsverbrechen besteht – auch wenn bisher noch keine Bundeswehrsoldat_in dafür verurteilt wurden – sinkt die Tötungsschwelle. Die im Strafrecht vorzufindende Idee von Abschreckung, verliert sich hier vollends, weil keine sinnvolle Ermittlung oder Verfolgung aufgrund der Geheimhaltung möglich ist.
Selbst die von CDU/CSU und SPD im Jahr 2014 eingesetzte Rühe-Kommission, welche die parlamentarischen Grundlagen von Bundeswehreinsätzen begutachten sollte und mitnichten ein friedenspolitisches Expert_innengremium war, kommt zum Schluss, „die bisherige Unterrichtungspraxis zu geheimhaltungsbedürftigen Einsätzen der Spezialkräfte in das Parlamentsbeteiligungsgesetz zu übernehmen. Ergänzend sollen zum anderen der Auswärtige Ausschuss und der Verteidigungsausschuss des Bundestages nach Abschluss des Einsatzes über die wesentlichen Ziele und Ergebnisse mündlich unterrichtet werden.“[5] Die Forderung eines „mündlichen“ Berichtes ist völlig unzureichend und die lange Aufzählung von Ausnahmen, die nach wie vor nicht berichtet werden sollen, verspricht nur wenig Besserung – dennoch zeigt selbst dieser konservative Bericht den eklatanten Mangel an Kontrolle auf. Ein unzureichender Vorschlag zudem, der selbst nach einem Jahr noch nicht einmal in dieser Form umgesetzt wurde.
Ideologie des Verborgenen
Als das KSK am 13. September 2016 seinen Geburtstag im Schloss Ludwigsburg feierte, folgten mehrere Zeitungen der Nachricht, dass dieser Geburtstag mit über 1.000 Beteiligten(!) selbst eine geheime Veranstaltung sei.[6] Dass vorab auf eine breite Berichterstattung verzichtet wurde, hatte wohl eher mit dem Angst vor Protesten und der Pflege des Geheim-Images zu tun. Von der zum Geburtstag eingeladenen Presse darauf angesprochen, wie der Kommandeur Dag Baehr die bisherige Geheimhaltungspraxis fände, entgegnete er, es gebe keinen Grund, die derzeitige Praxis aufzugeben, allerdings dürfe nach Baehr Geheimhaltung auch nicht zum Evangelium werden.[7] Baehr möchte viel mehr das KSK sogar zu einem „Battle-Lab“[8] umrüsten – einem Kriegslabor, indem bei Übungen, aber auch im Einsatzgefecht, neue Waffen erprobt werden, um sie später in der ganzen Bundeswehr zu nutzen. Wer dabei die eigentlichen Versuchsopfer sind, lässt er offen. 2015 hatte der „Generalinspekteur der Bundeswehr General Volker Wieker, […] eine heer-interne Untersuchung in Auftrag gegeben, wie man dem KSK mehr Autarkie innerhalb der Befehlsketten verschaffen könne.“[9] Dass dies zu noch mehr Geheimhaltung im Kriegslabor KSK führen wird, ist anzunehmen, auch wenn Ergebnisse der Untersuchung nicht öffentlich bekannt sind.
Entgegen der Vorstellung, das KSK würde von Geheimhaltung ummantelt, ist das KSK medial, aber auch in der PR-Strategie der Bundeswehr, weit verbreitet. Oft die einzige Information, die dabei zum KSK kolportiert wird, ist, dass es sich um geheime Elitekämpfer handelt, die ein solch hartes Einstellungsverfahren durchlaufen müssen, dass es nur wenige zu den rund 400 Kommandosoldaten (bisher keine einzige Frau) schaffen. Beim Tag der Bundeswehr, etwa 2016 beim Luftwaffenstützpunkt in Hohn, fernab vom Standort Calw, wurde eine Show inszeniert, die die Ideologie des Verborgenen in Reinkultur verbreitete: Aus einem Hubschrauber seilten sich die Soldaten vermummt ab, befreiten mit viel Feuerwerk eine Geisel und entfernten sich lautlos vor den Augen von Hunderten wieder.[10]
Auch bei Rekrutierungsveranstaltungen wie „Marine Live!“[11] ist das KSK immer wieder Referenzrahmen, um das Besondere, das Geheime, die Elite herauszuheben, um potenzielle Rekrut_innen mit dem Traum von gesellschaftlichem Aufstieg und dem Dazugehören in quasi einer elitären Geheimloge zu blenden. Selbst die Y, das Magazin der Bundeswehr, hat vor einigen Jahren dem KSK ein ganzes Heft (Spezial 09/2013) gewidmet. Besondere Highlights waren dabei das herausnehmbare Poster, das die vermummte Kommandotruppe waffenstrotzend zeigte; sowie ein Artikel über „das tapfere Leben einer Soldatenfrau“. Mit Blick auf das weite Meer wartet dabei die Ehefrau auf ihren Kommandosoldaten, der im Unbekannten Heldentaten verbringt, und noch nicht einmal ihr sagen darf, wann er wiederkommt.[12] Auch der Journalist Christian Thiels lässt sich in diesem Heft zu einer Ode über die geheimen Helden hinreißen, deren Taten die Öffentlichkeit leider nie erfahren wird.[13]
Statt einer unvollständigen Auflistung der Einsätze
Was bleibt, ist die unerträgliche Demokratiefeindschaft des Kommandos Spezialkräfte (KSK). Selbst als Taliban 2013 einen KSK-Soldaten töteten, versuchte die Bundeswehr, die trauernden Eltern im Unklaren zu lassen, drängten sie sogar dazu, keine Todesanzeige in der lokalen Presse aufzugeben und wollten die Sache vertuschen.[14] Wenn die Bundeswehr ihr Banner einer Parlamentsarmee ernst nehmen würde, würde sie auf das KSK verzichten (müssen). Es ist jedoch auch aufgrund umfassender Baumaßnahmen in Calw und einem internationalen Trend zu mehr Einsätzen von Einheiten wie dem KSK sogar noch von einer Ausweitung auszugehen. Die Öffentlichkeit wird dabei im Unklaren gelassen, dem Parlament praktisch jede Möglichkeit einer Kontrolle untersagt. Derweil trainiert das KSK in anderen Ländern wie in Tunesien deren Spezialkräfte, um selbst auf ihre spezielle Weise zu einer unkontrollierten Gewalt im Staat zu werden.[15]
Interview mit einer Calwerin: „Der Rückhalt scheint mir nicht ausgeprägt“
IMI: Als Anwohnerin in Calw darfst du ja dieses Jahr das 20. „Jubiläum“ des KSK miterleben? Weißt du, ob die Bevölkerung zum Geburtstag zu einem Tag der offenen Tür oder Ähnlichem eingeladen sein wird?
Martina Bühler: Es herrscht ja immer die große Vermutung, dass wir Anwohner*innen fast schon als eine Art „Insider vor Ort“ mehr Informationen über das Kommando Spezialkräfte haben, als diejenigen, die weiter weg wohnen. Aber auch für uns lüftet sich der Schleier der Geheimhaltung nicht oder nur spärlich. Natürlich hören wir Hubschrauber fliegen und sehen manchmal Fallschirmspringer der Bundeswehr. Auch gab es vor drei Jahren Übungen an der leerstehenden ehemaligen Lehrerakademie in der Calwer Innenstadt. Die Bevölkerung war nicht informiert und so haben die nächtlichen Schüsse und Explosionen gewaltig für Diskussionen gesorgt.
Vom Galgenberg kann man einen Blick auf das Kasernengelände werfen. Man sieht, dass viel gebaut wird. Unlängst erfuhren wir aus der Zeitung, dass ein neues multifunktionales Trainingszentrum gebaut wird, z.B. ein großes Hallenbad mit Wellenanlage.
Der Bund investiert außerdem in neue Unterkünfte. Die Ausrüstung der Elite-Soldaten sei so umfangreich, dass „fünf Schränke“ nicht mehr ausreichen. Wie harmlos das klingt!
Auch die innere Struktur werde verändert. Details dürften aber nicht verraten werden. (Schwarzwälder Bote Ausgabe 03.09.2016)
In diesem Zeitungsartikel wurde nebenbei darauf hingewiesen, dass das Kommando Spezialkräfte in diesem Jahr sein 20. Jubiläum begeht. Ob die Bevölkerung daran teilhaben „darf“, war bis dahin noch ungewiss. Wenige Tage später war es dann raus: Das KSK feierte sein 20-jähriges Jubiläum unter strenger Geheimhaltung am 13.09.2016 im Schloss Ludwigsburg. Außer der Pressemitteilung war in Calw davon nichts zu merken.
Wie reden eigentlich „die Leute“ in Calw über das KSK? Gibt es da enge Verflechtungen wie beispielsweise in der Garnisonsstadt Stetten am kalten Markt, welches ja nicht allzu weit weg von Calw ist?
Wie ich schon erläuterte, erfährt die Bevölkerung sehr wenig über die Graf Zeppelin Kaserne und ihre Aktivitäten. Der Standort ist im Gegensatz zu Stetten am kalten Markt eigentlich gar nicht mit der Bevölkerung verwoben. Geheimhaltung hat oberste Priorität.
So beteiligte sich das KSK mit Schauübungen zwar am Tag der Bundeswehr, jedoch nicht in Calw, sondern im schleswig-holsteinischen Standort Hohn.
Die Kommandosoldaten, die hier am Ort – teilweise mit ihren Familien – leben, gehen mit ihrer Tätigkeit sehr diskret um.
Das macht es auch schwer, vor Ort Friedensaktivitäten auf die Beine zu stellen. Ich denke, an dieser Stelle geht das Kalkül der Bundeswehr gut auf. Allerdings kann man wohl auch sagen, dass im Gegenzug in der Bevölkerung auch kein besonderer Stolz auf die Eliteeinheit aufkommt. Der Rückhalt scheint mir nicht ausgeprägt.
20 Jahre KSK bedeuten auch 20 Jahre Widerstand dagegen. Gab es Proteste vor Ort, kannst du da einige Zusammenstellen?
Es gab zwei große Ostermärsche 1997 und 2007. Dazu noch kleinere Demonstrationen und Aktionen, z.B. im Dezember 2001 gegen den „Krieg gegen den Terror“. Immer wieder haben wir versucht, darauf aufmerksam zu machen, wie der Umbau der Bundeswehr zu mehr Beteiligung Deutschlands an den Kriegen weltweit führt und welche Rolle das KSK dabei spielt. Dazu haben auch viele Informationsveranstaltungen durch die IMI beigetragen.
Wie waren die Reaktionen auf diese Proteste?
Aus der Bevölkerung gab es die ganze Bandbreite an Reaktionen von Unterstützung bis zu Beschimpfungen. Von der Bundeswehr selbst gibt es kaum Reaktionen. Insgesamt herrscht schnell wieder Schweigen.
Welche Rolle sollte deiner Meinung nach lokaler Widerstand spielen und wo sind dessen Grenzen?
Mein persönliches Empfinden ist, dass es sehr viel schwerer geworden ist, Menschen für den Widerstand zu gewinnen. Das ist auch in Calw nicht anders. Es gibt leider seit langem keine Friedensinitiative mehr in Calw. Von daher sind wir vor Ort auf die Initiative von überregionalen Gruppen angewiesen.
Worin siehst du die besondere Gefahr des KSK?
Aus der zunehmenden Beteiligung an kriegerischen Handlungen resultiert auch eine höhere Terrorgefahr, die durchaus auch den Standort Calw mit seiner Elitetruppe treffen kann.
Die eigentliche Gefahr sehe ich jedoch in der politischen Entwicklung. Es hat ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel stattgefunden. Der Einsatz der Bundeswehr im Ausland und nun auch im Inland wird salonfähig. In der Außenwahrnehmung befreit das KSK Geiseln und beschafft Informationen. Den meisten Menschen ist nicht wirklich klar, dass die Kommandosoldaten zum gezielten Töten ausgebildet werden. Aus Berichten ehemaliger Soldaten wissen wir, dass etliche die psychische Belastung nicht aushalten, nicht mehr einsatzfähig sind und auch kein normales Privatleben mehr führen können.
Wie schätzt du die weitere Entwicklung des KSK ein, auch vor dem Hintergrund, dass du am Standort täglich vielleicht daran vorbeifährst?
Nach den oben genannten Informationen sieht es wohl so aus, als wäre der Standort des KSK auf lange Zeit in Calw festgelegt. Der Standort wächst und wird auch technisch ausgebaut. Etwas befremdet hat mich ein Presseartikel im Schwarzwälder Boten vom 21.09.2016. In diesem wird berichtet, dass Brigadegeneral Dag Knut Baehr seine Truppe gerne als „Battle-Lab“ organisieren möchte. Das KSK soll neue Ausrüstung in Übungs- und Gefechtssituationen erproben. Dadurch soll der Prozess der Neuausrüstung der Bundeswehr von innen heraus beschleunigt werden.
Interview mit einem Aktivisten: „Das KSK muss aufgelöst werden!“
IMI: Du beschäftigst dich sogar schon vor der KSK Gründung mit diesem, also schon seit über 20 Jahren. Warum ist dir dies so wichtig und warum ist das KSK besonders problematisch?
Tobias Pflüger: Das Kommando Spezialkräfte (KSK) ist eine Elitekampftruppe der Bundeswehr, die sich ständig in konkreten Kriegseinsätzen befindet. Dort wird in Kommandoeinheiten getötet und gestorben. Insofern nenne ich das KSK auch die Bundeswehr-Killertruppe. Das KSK ist zugleich ein Symbol dafür, wohin sich die Bundeswehr entwickelt. Es ist die Speerspitze der neuen Bundeswehr, die auf Auslandseinsätze ausgerichtet ist. Und das KSK ist nicht parlamentarisch oder gar öffentlich kontrollierbar. Über die meisten der KSK-Einsätze weiß weder der Bundestag noch die Öffentlichkeit Bescheid.
Du warst auch selbst einmal als Abgeordneter in Calw zu Besuch beim KSK, war das nicht alles geheim und wie war damals dein Eindruck?
Damals wurden uns (ich war mit einem Mitarbeiter und einem Mitglied der damals noch bestehenden örtlichen Friedensgruppe dort) die „Fähigkeiten“, wie es hieß, vorgeführt, in extra Übungen und durch das Zeigen von Material, Gebäuden und Gelände, sowie durch Briefings (davon eines nur für den Abgeordneten, also intern und geheim). Der Aufbau des KSK in Kommandotrupps a vier Kampfsoldaten, mit den verschiedenen Spezialisierungen (Wüste, Dschungel, Straßenkampf etc.) und den Unterstützungssoldaten wurde erläutert. Gespräche mit einzelnen Soldaten waren ebenfalls möglich. Den Besuch haben wir in einer Broschüre dokumentiert, auch mit einigen „erlaubten“ Fotos. Mein Eindruck: Eine professionelle Truppe, mit neuesten Gerätschaften und Waffen, die deutsche Killertruppe eben.
Interessant war auch, dass ich später mal in das BMVg vorgeladen wurde: Ich würde zu viele Truppenbesuche machen und den Übungs- und Arbeitsbetrieb der Bundeswehr – und da wurde besonders das KSK angesprochen – immer wieder lahmlegen. Dann hatten die Besuche ja noch einen zweiten Sinn.
Was hat sich zu heute gerade in Bezug auf die Frage von Geheimhaltung und parlamentarischer Kontrolle geändert? Wie sieht eigentlich die Unterrichtungspraxis der „Parlamentsarmee“ in Bezug auf das KSK aus?
Früher waren der Einsatz des KSK, bzw. ähnliche Truppen explizit ausgewiesen in den Einsatzanträgen der Bundesregierung. Inzwischen kann das KSK nach Rechtsauffassung der Bundesregierung durch die weiten Formulierungen innerhalb nahezu jeden Bundeswehreinsatzes eingesetzt werden. Die Informationen über die konkreten Einsätze fließen nur mündlich in nicht-öffentlicher Sitzung und nur nach Nachfrage und insbesondere im Nachhinein. Und es geht nicht um das „Wie“ eines Einsatzes sondern um die nackte Information. Das alles macht eine parlamentarische und öffentliche Kontrolle nahezu unmöglich. Das KSK ist die Truppe der Bundeswehr, die rein administrativ geleitet wird. Hier ist die „Parlamentsarmee“ explizit nicht gegeben.
Auch die sonst zweifelhafte Rühe-Kommission hatte Kritik an der Unterrichtungspraxis des Parlaments ausgesprochen. Der KSK-Kommandeur versprach beim der 20-jährigen Feier des KSK sogar Besserung, was die Geheimhaltung angeht. Wie wird dies in der Praxis umgesetzt werden?
Mehr KSK-Shows nach außen wahrscheinlich. Und vielleicht mehr quantitative Infos im internen Bereich des Parlamentes. Den Kernbereich der KSK-Einsätze wird doch die Bundeswehr und die Bundesregierung niemals öffentlich machen wollen. Also: warum, wie, als Übung oder als Kriegseinsatz, gegen wen, wie viele Verletzte und Tote, etc.
Es gab über die Jahre auch zahlreichen Widerstand gegen das KSK, an dem du auch beteiligt warst. Was waren dabei die Höhepunkte und worin siehst du für die Zukunft Möglichkeiten des Widerstandes gegen das KSK?
Wir konnten kurz nach der Gründung einen für heutige Verhältnisse riesigen Ostermarsch – unter Beteiligung (und inhaltlicher „Fütterung“) des DGB – organisieren: 5.000 Demonstrant*inn*en 1997 in Calw, das war eindrucksvoll! Auch der Ostermarsch in Nagold, der ehemaligen Eisbergkaserne, in der das KSK damals übte, war gut. Bei den späteren Aktionen hatten wir zum Teil erhebliches Medieninteresse, zum Teil nur wenige Menschen und wenige Medienvertreter*innen. Wir müssen den Protest und den Widerstand gegen das KSK mit den konkreten Bundeswehr-Einsätzen verbinden. Und wir brauchen wieder regelmäßige Analysen und Informationen bei IMI und anderen über das KSK. Wer weiß denn, dass das KSK im Oman oder in Französisch-Guyana war?
Wie siehst du die Zukunft des KSK und was werden zukünftige Einsatzszenarien sein? Das KSK ist ja unter anderem im Gespräch für die gemeinsamen Übungen im Inland mit der Polizei, ist dies realistisch?
Das KSK wird im Häuserkampf speziell ausgebildet, einem zentralen Einsatzszenario der Zukunft für die Bundeswehr, siehe die Übungen im Gefechtsübungszentrum in der Colbitz-Letzlinger Heide und den Bau der Übungsstadt Schnöggersburg dort. Das KSK ist die Speerspitze dieser Form von Einsätzen, insofern passen die Pläne der offiziellen gemeinsamen Übungen mit der Polizei, die ja auch schon stattfanden, „gut“ ins Bild.
Leider ist die konkrete KSK-Realität die einer permanenten Kriegstruppe, deshalb bleiben wir dabei: Das KSK muss aufgelöst werden!
Anmerkungen
[1] Siebold, Sabine (Die Welt, 16.12.2015): So laufen die geheimen Einsätze der deutschen Elitetruppe.
[2] Gebauer, Matthias (SPON, 23.9.2016): Bundeswehr-Hacker knackten afghanisches Mobilfunknetz.
[3] Mickan, Thomas (2014): Die Sache mit der Verschlusssache. IMI-Analyse 2014/010 in: AUSDRUCK April 2/2014, S. 16-21.
[4] Mickan, Thomas (2015): Wie viele Menschen hat die Bundeswehr in Afghanistan getötet? IMI-Analyse 2015/005, update 26.8.2016.
[5] Unterrichtung durch die Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Abschlussbericht der Kommission. Bundestagsdrucksache 18/5000, 16.6.2015, S. 6.
[6] U.a. Kunert, Axel H. (Schwarzwälder Bote, 14.9.2016): Ganz geheim 20 Jahre KSK gefeiert.
[7] Fischer, Michael (Badische Neueste Nachrichten, 14.9.2016): Die härtesten Männer der Bundeswehr.
[8] Kunert, Alex H. (Schwarzwälder Bote, 20.9.2016): KSK als „Battle-Lab“ der Bundeswehr.
[9] Kunert, Alex H. (Schwarzwälder Bote, 12.11.2015): KSK: Ist Einsatzfähigkeit in Gefahr?
[10] Bundeswehr (11.6.2016): KSK und Luftwaffe überzeugen.
[11] Mickan, Thomas (2013): „Marine Live!“, IMI-Analyse 2013/030., in AUSDRUCK Oktober 5/2013, S. 13-15.
[12] Jüttner, Björn (Y, 09/2013): Liebe ist stärker als Angst, S. 104-107.
[13] Thiels, Christian (Y, 09/2013): Die Öffentlichkeit wird es nie erfahren, S. 110.
[14] Hufelschulte, Josef (Focus, 27.5.2016): Eltern klagen an: Bundeswehr versuchte Tod von KSK-Soldat zu vertuschen.
[15] Sandfuchs-Hartwig, Thorsten (Bundeswehr, 4.3.2016): Flintlock 16: KSK übte mit tunesischen Spezialkräften.
Mit verdeckten Gesichtern werden sie losgelassen, um tabula rasa zu machen. Sie gehen bis zum Ende, töten, verletzen und fühlen sich dabei noch als selbstlose Kämpfer für Freiheit, Demokratie und das deutsche Grundgesetz.[1] Dessen Boden haben sie jedoch mit jedem ihrer Einsätze hinter sich gelassen: die Rede ist vom Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr.
1996 gegründet, sollte es zuvorderst eingesetzt werden, um deutsche Geiseln aus Kriegsgebieten zu befreien. Es galt die deutsche Flagge in den Boden der internationalen Spezialkräfte zu stecken, um für den Fall, dass Deutsche befreit werden müssen, nicht auf ausländische Spezialkräfte angewiesen zu sein. Wie viele Menschen jedoch mit Hilfe des KSK tatsächlich befreit wurden und nicht etwa durch Lösegeldzahlungen oder Verhandlungen ist unbekannt. Ob dafür die Millionen für das KSK tatsächlich sinnvoll waren, und nicht lieber das gleiche Geld in gute Diplomat_innen und Lösegelder investiert worden wäre, bleibt also ein Geheimnis. Erst 2015 zeigte das Beispiel einer entführten Entwicklungshelferin in Afghanistan, dass trotz großen Aufgebots vom KSK und dem Hackerkommando der Bundeswehr, die gleich Teile des ganzen afghanischen Mobilfunknetzes angriff, zum Schluss die Rettung der Person über eine Lösegeldzahlung erfolgte – vermutlich mit einem Bruchteil dessen, was der ganze Einsatz des Militärs gekostet hat.[2]
Wenn der Staat die Kontrolle scheut, muss er es geheim halten
Militär ohne Geheimhaltung ist unvorstellbar. Jedes Militär, auch die Bundeswehr, ist auf diese angewiesen. Militär konstituiert sich immer mit Blick auf abzuwehrende feindliche Gruppen oder Bedrohungen. Diese gilt es – des eigenen Vorteils oder Schutzes wegen – möglichst uninformiert zu lassen. Auch gibt es für das Militär und dessen politisch Verantwortliche einen Binnenanreiz zur Geheimhaltung gegenüber der eigenen Bevölkerung, da die hohen finanziellen Aufwendungen und menschlichen Verluste gerade in einer Demokratie gleichzeitig hohe politische Kosten bedeuten.
Geheimhaltung und Demokratie, ideal verstanden als freie und gleiche Möglichkeit der Willensbildung, -artikulation und -durchsetzung, stehen damit jedoch in einem Spannungsverhältnis. Das Primat von informierten Bürger_innen wird erheblich verletzt. Auch die an Abgeordnete delegierte Kontrolle des Militärs ist einerseits kaum effektiv, andererseits nicht sachangemessen bei Fragen mit erheblicher ethischer Tragweite wie Krieg und Frieden, die neben politischen Expert_innengremien ein gesamtgesellschaftliches Meinungsbild für ihre Legitimation in einer Demokratie benötigen. Es stellt sich so das Problem, dass die Geheimhaltung die Bürger_innen daran hindert, sich angemessen zu informieren und zu urteilen. Auch eine umfassende Information der Öffentlichkeit durch die Medien ist gerade im Bereich der militärischen Angelegenheiten durch die Geheimhaltung stark eingeschränkt.[3]
Stellt sich dieses Problem für das Militär im Allgemeinen, so ist dies für das KSK im Speziellen ebenso ein Problem, verschärft sich allerdings durch die spezifische Tätigkeit und die Ideologie des Vorborgenen.
Tätigkeitsfeld: Unkontrollierte Gewalt
„Wie viele Menschen hat die Bundeswehr in Afghanistan getötet?“, diese Frage stellte ich mir vor einiger Zeit.[4] Diese Frage ist relevant, weil sie beim deutschen Einsatz in Afghanistan hilft, dessen Folgen möglichst realistisch einzuschätzen und aufzuarbeiten. Bei den 288 Tötungsfällen, die ich ermitteln konnte, weil sie medial aufgegriffen wurden, zeigte sich, dass diese Zahl nur das konservative Minimum und kaum mehr als ein erster Anfang zur Beantwortung meiner Frage sein kann. Ferner verdeutlicht die Zahl eben nur sehr abstrakt, welche Kriegsverantwortung Deutschland trägt, bleiben doch die individuellen Schicksale und die ganzer betroffener Familien wahrscheinlich lange noch unbekannt. Was allerdings in meinem ersten Versuch einer Erhebung bis auf einen einzigen Fall fast völlig unberücksichtigt blieb, war das Ausmaß der Tötung durch das KSK. Sie werden schlichtweg geheim gehalten und vor der Öffentlichkeit verborgen.
Für eine Parlamentsarmee, wo gerade die Legislative durch das Parlamentsbeteiligungsgesetz und eine parlamentarische Kontrolle wenigsten den dünnen Schein von Legitimität und Legalität gewähren soll, ist die Praxis des KSK gerade in Fragen von Tötungen untragbar. Sie entbehrt sich jeglicher rechtlichen Grundlagen und damit irgendeiner Legitimität. Auch das Argument einer vermeintlichen Notwendigkeit zur Geheimhaltung greift hier nicht mehr, da auch nachträglich weder über die eigenen Verluste, die Tötung Anderer noch über die Einsatzländer öffentlich berichtet wird. Die Gefahr, dass mögliche Strategien des KSK entlarvt werden, bestünde zumindest in dieser rudimentären Form nicht. Aber Aufrichtigkeit und Demokratie zählen für die Männer in Uniform anscheinend nicht, der Boden des Grundgesetzes ist bei den KSK-Tötungen noch nicht einmal mehr zu sehen. Wo allerdings nicht mehr die Aussicht auf eine Strafverfolgung bei besonders exzessivem Einsatz von Gewalt oder möglichen Kriegsverbrechen besteht – auch wenn bisher noch keine Bundeswehrsoldat_in dafür verurteilt wurden – sinkt die Tötungsschwelle. Die im Strafrecht vorzufindende Idee von Abschreckung, verliert sich hier vollends, weil keine sinnvolle Ermittlung oder Verfolgung aufgrund der Geheimhaltung möglich ist.
Selbst die von CDU/CSU und SPD im Jahr 2014 eingesetzte Rühe-Kommission, welche die parlamentarischen Grundlagen von Bundeswehreinsätzen begutachten sollte und mitnichten ein friedenspolitisches Expert_innengremium war, kommt zum Schluss, „die bisherige Unterrichtungspraxis zu geheimhaltungsbedürftigen Einsätzen der Spezialkräfte in das Parlamentsbeteiligungsgesetz zu übernehmen. Ergänzend sollen zum anderen der Auswärtige Ausschuss und der Verteidigungsausschuss des Bundestages nach Abschluss des Einsatzes über die wesentlichen Ziele und Ergebnisse mündlich unterrichtet werden.“[5] Die Forderung eines „mündlichen“ Berichtes ist völlig unzureichend und die lange Aufzählung von Ausnahmen, die nach wie vor nicht berichtet werden sollen, verspricht nur wenig Besserung – dennoch zeigt selbst dieser konservative Bericht den eklatanten Mangel an Kontrolle auf. Ein unzureichender Vorschlag zudem, der selbst nach einem Jahr noch nicht einmal in dieser Form umgesetzt wurde.
Ideologie des Verborgenen
Als das KSK am 13. September 2016 seinen Geburtstag im Schloss Ludwigsburg feierte, folgten mehrere Zeitungen der Nachricht, dass dieser Geburtstag mit über 1.000 Beteiligten(!) selbst eine geheime Veranstaltung sei.[6] Dass vorab auf eine breite Berichterstattung verzichtet wurde, hatte wohl eher mit dem Angst vor Protesten und der Pflege des Geheim-Images zu tun. Von der zum Geburtstag eingeladenen Presse darauf angesprochen, wie der Kommandeur Dag Baehr die bisherige Geheimhaltungspraxis fände, entgegnete er, es gebe keinen Grund, die derzeitige Praxis aufzugeben, allerdings dürfe nach Baehr Geheimhaltung auch nicht zum Evangelium werden.[7] Baehr möchte viel mehr das KSK sogar zu einem „Battle-Lab“[8] umrüsten – einem Kriegslabor, indem bei Übungen, aber auch im Einsatzgefecht, neue Waffen erprobt werden, um sie später in der ganzen Bundeswehr zu nutzen. Wer dabei die eigentlichen Versuchsopfer sind, lässt er offen. 2015 hatte der „Generalinspekteur der Bundeswehr General Volker Wieker, […] eine heer-interne Untersuchung in Auftrag gegeben, wie man dem KSK mehr Autarkie innerhalb der Befehlsketten verschaffen könne.“[9] Dass dies zu noch mehr Geheimhaltung im Kriegslabor KSK führen wird, ist anzunehmen, auch wenn Ergebnisse der Untersuchung nicht öffentlich bekannt sind.
Entgegen der Vorstellung, das KSK würde von Geheimhaltung ummantelt, ist das KSK medial, aber auch in der PR-Strategie der Bundeswehr, weit verbreitet. Oft die einzige Information, die dabei zum KSK kolportiert wird, ist, dass es sich um geheime Elitekämpfer handelt, die ein solch hartes Einstellungsverfahren durchlaufen müssen, dass es nur wenige zu den rund 400 Kommandosoldaten (bisher keine einzige Frau) schaffen. Beim Tag der Bundeswehr, etwa 2016 beim Luftwaffenstützpunkt in Hohn, fernab vom Standort Calw, wurde eine Show inszeniert, die die Ideologie des Verborgenen in Reinkultur verbreitete: Aus einem Hubschrauber seilten sich die Soldaten vermummt ab, befreiten mit viel Feuerwerk eine Geisel und entfernten sich lautlos vor den Augen von Hunderten wieder.[10]
Auch bei Rekrutierungsveranstaltungen wie „Marine Live!“[11] ist das KSK immer wieder Referenzrahmen, um das Besondere, das Geheime, die Elite herauszuheben, um potenzielle Rekrut_innen mit dem Traum von gesellschaftlichem Aufstieg und dem Dazugehören in quasi einer elitären Geheimloge zu blenden. Selbst die Y, das Magazin der Bundeswehr, hat vor einigen Jahren dem KSK ein ganzes Heft (Spezial 09/2013) gewidmet. Besondere Highlights waren dabei das herausnehmbare Poster, das die vermummte Kommandotruppe waffenstrotzend zeigte; sowie ein Artikel über „das tapfere Leben einer Soldatenfrau“. Mit Blick auf das weite Meer wartet dabei die Ehefrau auf ihren Kommandosoldaten, der im Unbekannten Heldentaten verbringt, und noch nicht einmal ihr sagen darf, wann er wiederkommt.[12] Auch der Journalist Christian Thiels lässt sich in diesem Heft zu einer Ode über die geheimen Helden hinreißen, deren Taten die Öffentlichkeit leider nie erfahren wird.[13]
Statt einer unvollständigen Auflistung der Einsätze
Was bleibt, ist die unerträgliche Demokratiefeindschaft des Kommandos Spezialkräfte (KSK). Selbst als Taliban 2013 einen KSK-Soldaten töteten, versuchte die Bundeswehr, die trauernden Eltern im Unklaren zu lassen, drängten sie sogar dazu, keine Todesanzeige in der lokalen Presse aufzugeben und wollten die Sache vertuschen.[14] Wenn die Bundeswehr ihr Banner einer Parlamentsarmee ernst nehmen würde, würde sie auf das KSK verzichten (müssen). Es ist jedoch auch aufgrund umfassender Baumaßnahmen in Calw und einem internationalen Trend zu mehr Einsätzen von Einheiten wie dem KSK sogar noch von einer Ausweitung auszugehen. Die Öffentlichkeit wird dabei im Unklaren gelassen, dem Parlament praktisch jede Möglichkeit einer Kontrolle untersagt. Derweil trainiert das KSK in anderen Ländern wie in Tunesien deren Spezialkräfte, um selbst auf ihre spezielle Weise zu einer unkontrollierten Gewalt im Staat zu werden.[15]
Interview mit einer Calwerin: „Der Rückhalt scheint mir nicht ausgeprägt“
IMI: Als Anwohnerin in Calw darfst du ja dieses Jahr das 20. „Jubiläum“ des KSK miterleben? Weißt du, ob die Bevölkerung zum Geburtstag zu einem Tag der offenen Tür oder Ähnlichem eingeladen sein wird?
Martina Bühler: Es herrscht ja immer die große Vermutung, dass wir Anwohner*innen fast schon als eine Art „Insider vor Ort“ mehr Informationen über das Kommando Spezialkräfte haben, als diejenigen, die weiter weg wohnen. Aber auch für uns lüftet sich der Schleier der Geheimhaltung nicht oder nur spärlich. Natürlich hören wir Hubschrauber fliegen und sehen manchmal Fallschirmspringer der Bundeswehr. Auch gab es vor drei Jahren Übungen an der leerstehenden ehemaligen Lehrerakademie in der Calwer Innenstadt. Die Bevölkerung war nicht informiert und so haben die nächtlichen Schüsse und Explosionen gewaltig für Diskussionen gesorgt.
Vom Galgenberg kann man einen Blick auf das Kasernengelände werfen. Man sieht, dass viel gebaut wird. Unlängst erfuhren wir aus der Zeitung, dass ein neues multifunktionales Trainingszentrum gebaut wird, z.B. ein großes Hallenbad mit Wellenanlage.
Der Bund investiert außerdem in neue Unterkünfte. Die Ausrüstung der Elite-Soldaten sei so umfangreich, dass „fünf Schränke“ nicht mehr ausreichen. Wie harmlos das klingt!
Auch die innere Struktur werde verändert. Details dürften aber nicht verraten werden. (Schwarzwälder Bote Ausgabe 03.09.2016)
In diesem Zeitungsartikel wurde nebenbei darauf hingewiesen, dass das Kommando Spezialkräfte in diesem Jahr sein 20. Jubiläum begeht. Ob die Bevölkerung daran teilhaben „darf“, war bis dahin noch ungewiss. Wenige Tage später war es dann raus: Das KSK feierte sein 20-jähriges Jubiläum unter strenger Geheimhaltung am 13.09.2016 im Schloss Ludwigsburg. Außer der Pressemitteilung war in Calw davon nichts zu merken.
Wie reden eigentlich „die Leute“ in Calw über das KSK? Gibt es da enge Verflechtungen wie beispielsweise in der Garnisonsstadt Stetten am kalten Markt, welches ja nicht allzu weit weg von Calw ist?
Wie ich schon erläuterte, erfährt die Bevölkerung sehr wenig über die Graf Zeppelin Kaserne und ihre Aktivitäten. Der Standort ist im Gegensatz zu Stetten am kalten Markt eigentlich gar nicht mit der Bevölkerung verwoben. Geheimhaltung hat oberste Priorität.
So beteiligte sich das KSK mit Schauübungen zwar am Tag der Bundeswehr, jedoch nicht in Calw, sondern im schleswig-holsteinischen Standort Hohn.
Die Kommandosoldaten, die hier am Ort – teilweise mit ihren Familien – leben, gehen mit ihrer Tätigkeit sehr diskret um.
Das macht es auch schwer, vor Ort Friedensaktivitäten auf die Beine zu stellen. Ich denke, an dieser Stelle geht das Kalkül der Bundeswehr gut auf. Allerdings kann man wohl auch sagen, dass im Gegenzug in der Bevölkerung auch kein besonderer Stolz auf die Eliteeinheit aufkommt. Der Rückhalt scheint mir nicht ausgeprägt.
20 Jahre KSK bedeuten auch 20 Jahre Widerstand dagegen. Gab es Proteste vor Ort, kannst du da einige Zusammenstellen?
Es gab zwei große Ostermärsche 1997 und 2007. Dazu noch kleinere Demonstrationen und Aktionen, z.B. im Dezember 2001 gegen den „Krieg gegen den Terror“. Immer wieder haben wir versucht, darauf aufmerksam zu machen, wie der Umbau der Bundeswehr zu mehr Beteiligung Deutschlands an den Kriegen weltweit führt und welche Rolle das KSK dabei spielt. Dazu haben auch viele Informationsveranstaltungen durch die IMI beigetragen.
Wie waren die Reaktionen auf diese Proteste?
Aus der Bevölkerung gab es die ganze Bandbreite an Reaktionen von Unterstützung bis zu Beschimpfungen. Von der Bundeswehr selbst gibt es kaum Reaktionen. Insgesamt herrscht schnell wieder Schweigen.
Welche Rolle sollte deiner Meinung nach lokaler Widerstand spielen und wo sind dessen Grenzen?
Mein persönliches Empfinden ist, dass es sehr viel schwerer geworden ist, Menschen für den Widerstand zu gewinnen. Das ist auch in Calw nicht anders. Es gibt leider seit langem keine Friedensinitiative mehr in Calw. Von daher sind wir vor Ort auf die Initiative von überregionalen Gruppen angewiesen.
Worin siehst du die besondere Gefahr des KSK?
Aus der zunehmenden Beteiligung an kriegerischen Handlungen resultiert auch eine höhere Terrorgefahr, die durchaus auch den Standort Calw mit seiner Elitetruppe treffen kann.
Die eigentliche Gefahr sehe ich jedoch in der politischen Entwicklung. Es hat ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel stattgefunden. Der Einsatz der Bundeswehr im Ausland und nun auch im Inland wird salonfähig. In der Außenwahrnehmung befreit das KSK Geiseln und beschafft Informationen. Den meisten Menschen ist nicht wirklich klar, dass die Kommandosoldaten zum gezielten Töten ausgebildet werden. Aus Berichten ehemaliger Soldaten wissen wir, dass etliche die psychische Belastung nicht aushalten, nicht mehr einsatzfähig sind und auch kein normales Privatleben mehr führen können.
Wie schätzt du die weitere Entwicklung des KSK ein, auch vor dem Hintergrund, dass du am Standort täglich vielleicht daran vorbeifährst?
Nach den oben genannten Informationen sieht es wohl so aus, als wäre der Standort des KSK auf lange Zeit in Calw festgelegt. Der Standort wächst und wird auch technisch ausgebaut. Etwas befremdet hat mich ein Presseartikel im Schwarzwälder Boten vom 21.09.2016. In diesem wird berichtet, dass Brigadegeneral Dag Knut Baehr seine Truppe gerne als „Battle-Lab“ organisieren möchte. Das KSK soll neue Ausrüstung in Übungs- und Gefechtssituationen erproben. Dadurch soll der Prozess der Neuausrüstung der Bundeswehr von innen heraus beschleunigt werden.
Interview mit einem Aktivisten: „Das KSK muss aufgelöst werden!“
IMI: Du beschäftigst dich sogar schon vor der KSK Gründung mit diesem, also schon seit über 20 Jahren. Warum ist dir dies so wichtig und warum ist das KSK besonders problematisch?
Tobias Pflüger: Das Kommando Spezialkräfte (KSK) ist eine Elitekampftruppe der Bundeswehr, die sich ständig in konkreten Kriegseinsätzen befindet. Dort wird in Kommandoeinheiten getötet und gestorben. Insofern nenne ich das KSK auch die Bundeswehr-Killertruppe. Das KSK ist zugleich ein Symbol dafür, wohin sich die Bundeswehr entwickelt. Es ist die Speerspitze der neuen Bundeswehr, die auf Auslandseinsätze ausgerichtet ist. Und das KSK ist nicht parlamentarisch oder gar öffentlich kontrollierbar. Über die meisten der KSK-Einsätze weiß weder der Bundestag noch die Öffentlichkeit Bescheid.
Du warst auch selbst einmal als Abgeordneter in Calw zu Besuch beim KSK, war das nicht alles geheim und wie war damals dein Eindruck?
Damals wurden uns (ich war mit einem Mitarbeiter und einem Mitglied der damals noch bestehenden örtlichen Friedensgruppe dort) die „Fähigkeiten“, wie es hieß, vorgeführt, in extra Übungen und durch das Zeigen von Material, Gebäuden und Gelände, sowie durch Briefings (davon eines nur für den Abgeordneten, also intern und geheim). Der Aufbau des KSK in Kommandotrupps a vier Kampfsoldaten, mit den verschiedenen Spezialisierungen (Wüste, Dschungel, Straßenkampf etc.) und den Unterstützungssoldaten wurde erläutert. Gespräche mit einzelnen Soldaten waren ebenfalls möglich. Den Besuch haben wir in einer Broschüre dokumentiert, auch mit einigen „erlaubten“ Fotos. Mein Eindruck: Eine professionelle Truppe, mit neuesten Gerätschaften und Waffen, die deutsche Killertruppe eben.
Interessant war auch, dass ich später mal in das BMVg vorgeladen wurde: Ich würde zu viele Truppenbesuche machen und den Übungs- und Arbeitsbetrieb der Bundeswehr – und da wurde besonders das KSK angesprochen – immer wieder lahmlegen. Dann hatten die Besuche ja noch einen zweiten Sinn.
Was hat sich zu heute gerade in Bezug auf die Frage von Geheimhaltung und parlamentarischer Kontrolle geändert? Wie sieht eigentlich die Unterrichtungspraxis der „Parlamentsarmee“ in Bezug auf das KSK aus?
Früher waren der Einsatz des KSK, bzw. ähnliche Truppen explizit ausgewiesen in den Einsatzanträgen der Bundesregierung. Inzwischen kann das KSK nach Rechtsauffassung der Bundesregierung durch die weiten Formulierungen innerhalb nahezu jeden Bundeswehreinsatzes eingesetzt werden. Die Informationen über die konkreten Einsätze fließen nur mündlich in nicht-öffentlicher Sitzung und nur nach Nachfrage und insbesondere im Nachhinein. Und es geht nicht um das „Wie“ eines Einsatzes sondern um die nackte Information. Das alles macht eine parlamentarische und öffentliche Kontrolle nahezu unmöglich. Das KSK ist die Truppe der Bundeswehr, die rein administrativ geleitet wird. Hier ist die „Parlamentsarmee“ explizit nicht gegeben.
Auch die sonst zweifelhafte Rühe-Kommission hatte Kritik an der Unterrichtungspraxis des Parlaments ausgesprochen. Der KSK-Kommandeur versprach beim der 20-jährigen Feier des KSK sogar Besserung, was die Geheimhaltung angeht. Wie wird dies in der Praxis umgesetzt werden?
Mehr KSK-Shows nach außen wahrscheinlich. Und vielleicht mehr quantitative Infos im internen Bereich des Parlamentes. Den Kernbereich der KSK-Einsätze wird doch die Bundeswehr und die Bundesregierung niemals öffentlich machen wollen. Also: warum, wie, als Übung oder als Kriegseinsatz, gegen wen, wie viele Verletzte und Tote, etc.
Es gab über die Jahre auch zahlreichen Widerstand gegen das KSK, an dem du auch beteiligt warst. Was waren dabei die Höhepunkte und worin siehst du für die Zukunft Möglichkeiten des Widerstandes gegen das KSK?
Wir konnten kurz nach der Gründung einen für heutige Verhältnisse riesigen Ostermarsch – unter Beteiligung (und inhaltlicher „Fütterung“) des DGB – organisieren: 5.000 Demonstrant*inn*en 1997 in Calw, das war eindrucksvoll! Auch der Ostermarsch in Nagold, der ehemaligen Eisbergkaserne, in der das KSK damals übte, war gut. Bei den späteren Aktionen hatten wir zum Teil erhebliches Medieninteresse, zum Teil nur wenige Menschen und wenige Medienvertreter*innen. Wir müssen den Protest und den Widerstand gegen das KSK mit den konkreten Bundeswehr-Einsätzen verbinden. Und wir brauchen wieder regelmäßige Analysen und Informationen bei IMI und anderen über das KSK. Wer weiß denn, dass das KSK im Oman oder in Französisch-Guyana war?
Wie siehst du die Zukunft des KSK und was werden zukünftige Einsatzszenarien sein? Das KSK ist ja unter anderem im Gespräch für die gemeinsamen Übungen im Inland mit der Polizei, ist dies realistisch?
Das KSK wird im Häuserkampf speziell ausgebildet, einem zentralen Einsatzszenario der Zukunft für die Bundeswehr, siehe die Übungen im Gefechtsübungszentrum in der Colbitz-Letzlinger Heide und den Bau der Übungsstadt Schnöggersburg dort. Das KSK ist die Speerspitze dieser Form von Einsätzen, insofern passen die Pläne der offiziellen gemeinsamen Übungen mit der Polizei, die ja auch schon stattfanden, „gut“ ins Bild.
Leider ist die konkrete KSK-Realität die einer permanenten Kriegstruppe, deshalb bleiben wir dabei: Das KSK muss aufgelöst werden!
Anmerkungen
[1] Siebold, Sabine (Die Welt, 16.12.2015): So laufen die geheimen Einsätze der deutschen Elitetruppe.
[2] Gebauer, Matthias (SPON, 23.9.2016): Bundeswehr-Hacker knackten afghanisches Mobilfunknetz.
[3] Mickan, Thomas (2014): Die Sache mit der Verschlusssache. IMI-Analyse 2014/010 in: AUSDRUCK April 2/2014, S. 16-21.
[4] Mickan, Thomas (2015): Wie viele Menschen hat die Bundeswehr in Afghanistan getötet? IMI-Analyse 2015/005, update 26.8.2016.
[5] Unterrichtung durch die Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Abschlussbericht der Kommission. Bundestagsdrucksache 18/5000, 16.6.2015, S. 6.
[6] U.a. Kunert, Axel H. (Schwarzwälder Bote, 14.9.2016): Ganz geheim 20 Jahre KSK gefeiert.
[7] Fischer, Michael (Badische Neueste Nachrichten, 14.9.2016): Die härtesten Männer der Bundeswehr.
[8] Kunert, Alex H. (Schwarzwälder Bote, 20.9.2016): KSK als „Battle-Lab“ der Bundeswehr.
[9] Kunert, Alex H. (Schwarzwälder Bote, 12.11.2015): KSK: Ist Einsatzfähigkeit in Gefahr?
[10] Bundeswehr (11.6.2016): KSK und Luftwaffe überzeugen.
[11] Mickan, Thomas (2013): „Marine Live!“, IMI-Analyse 2013/030., in AUSDRUCK Oktober 5/2013, S. 13-15.
[12] Jüttner, Björn (Y, 09/2013): Liebe ist stärker als Angst, S. 104-107.
[13] Thiels, Christian (Y, 09/2013): Die Öffentlichkeit wird es nie erfahren, S. 110.
[14] Hufelschulte, Josef (Focus, 27.5.2016): Eltern klagen an: Bundeswehr versuchte Tod von KSK-Soldat zu vertuschen.
[15] Sandfuchs-Hartwig, Thorsten (Bundeswehr, 4.3.2016): Flintlock 16: KSK übte mit tunesischen Spezialkräften.
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