Mittwoch, 17. Dezember 2014
Deutsche Komplizenschaft
IMI-Analyse 2014/036
Das geplante Polizeiabkommen mit Mexiko bedeutet Billigung von
Menschenrechtsverletzungen
http://www.imi-online.de/2014/11/27/deutsche-komplizenschaft/
Peter Clausing (27. November 2014)
Die Ablehnung eines Abkommens zur Zusammenarbeit mit mexikanischen
Sicherheitskräften ist keine „konjunkturelle“ Entscheidung, die sich
erst aus den dramatischen Menschenrechtsverletzungen im mexikanischen
Bundesstaat Guerrero vom September 2014 ergeben hat. Bereits am 1. Juli
2011 wandte sich die die Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko, ein
Netzwerk von 14 Organisationen, brieflich an den deutschen
Außenminister[1] und bezeichnete es als „völlig unangebracht“, ein
solches Abkommen in Betracht zu ziehen. Im Januar 2012 veröffentlichte
dieses Netzwerk ein Positionspapier[2], in dem es seine ablehnende
Haltung ausführlich begründete. Das Papier wurde von Bundesregierung und
Bundestagsausschüssen zur Kenntnis genommen und zur Seite gelegt.
Seitdem sind drei Jahre vergangen und es ist einerseits viel passiert,
andererseits hat sich fast nichts geändert. Im Herbst 2014 gab es
allerdings den berühmten Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Die Vorgeschichte
Die im vorliegenden Kontext wichtigste Nachricht: Das Polizeiabkommen
ist nach wie vor nicht abgeschlossen. Im Gegensatz zu ähnlichen,
ebenfalls mit repressiven Ländern abgeschlossenen Vereinbarung, erfreute
sich das mit Mexiko geplante Abkommen einer unerwartet großen
öffentlichen Aufmerksamkeit. Darüber wunderte sich selbst der zuständige
Ministerialbeamte auf einer Internationalen Mexikotagung im Dezember
2012 in Berlin. Zwar bedürfen Verträge dieser Art der Genehmigung des
Bundestages und des Bundesrates, werden aber in der Regel
„durchgewunken“. Mit Mexiko verhielt es sich anders. Die erste Anfrage
eines linken Bundestagsabgeordneten gab es im Mai 2011 im Rahmen einer
Fragestunde des Bundestages[3], später folgten mehrere „kleine Anfragen“
an die Bundesregierung von der Linken bzw. gemeinsam von SPD und
Grünen[4]. Die Verhandlungen ruhten während des mexikanischen
Wahlkampfes und bis zum Amtsantritt des neuen mexikanischen Präsidenten
im Dezember 2012. Auch danach hatte das Thema offenbar keine Priorität.
Eine erneute Rückfrage bei den zuständigen Stellen im Frühjahr 2014
wurde allerdings dahingehend beantwortet, dass man unbeirrt daran
festhalte, dieses Abkommen abzuschließen.
Zwei Mythen
Dokumentationen[5], die belegen, dass in Mexiko alle Ebenen der
staatlichen Gewalt an Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind, werden
von der deutschen Regierung hartnäckig ignoriert. Stattdessen beruft man
sich auf den Mythos, dass die Menschenrechtsverletzungen auf Übergriffe
von örtlichen Polizeikräften und solchen der mexikanischen Teilstaaten
zurückzuführen seien, während die Bundespolizei der richtige Partner für
die Bekämpfung von Korruption und zur Vermeidung von
Menschenrechtsverletzungen sei.
Das zweite Argument, auf das sich die deutsche Regierung stützt, ist
jener Mythos, dass die mexikanische Regierung ernsthaft um eine
Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit bemüht sei und man ihr deshalb Zeit
(und Unterstützung) gewähren müsse. Doch das von Vertretern des
Außenministeriums beständig wiederholte Argument eines „benefit oft he
doubt“ (Unschuldsvermutung) für die mexikanische Regierung, wird von den
tatsächlichen Verhältnissen schon seit langem ad absurdum geführt.
Mexiko ist Weltmeister im Verschleiern von Zuständen und in der
Errichtung von Kartenhäusern, die den Blick auf die Realität versperren,
so lange man sie nicht anrührt. Ein gravierendes Beispiel, aber bei
weitem nicht das einzige, ist die systematisch von Anwendung Folter.
Mexiko ratifizierte 1987 als eines der ersten Länder die
Antifolter-Konvention der UNO. Doch bis zum heutigen Tag gehört Folter
in diesem Land zum Tagesgeschäft. Von deutschen Regierungsvertretern
wird dieser Zustand nicht bestritten, aber seit Jahren mit dem Verweis
darauf relativiert, dass dies „leider noch immer“ ein Thema sei, weil
man es in Mexiko – salopp gesagt – nicht schaffe, einige sadistische
Dorfpolizisten unter Kontrolle zu bringen. Doch gründliche
Untersuchungen stehen in krassem Gegensatz zu dem „leider noch
immer“-Duktus der deutschen Regierung. Die jüngste – ein im September
2014 von Amnesty International vorgestellter Bericht – spricht von einem
dramatischen Anstieg von Folterfällen in den letzten zehn Jahren. Auch
die Tatsache, dass nach wie vor Geständnisse, die unter Folter erzwungen
wurden, als Beweismittel juristisch anerkannt werden, belegt, dass es
sich hierbei nicht um individuelle Verfehlungen von Polizisten handelt.
Vielmehr geht es hier um ein strukturelles Problem, das die nahezu
vollständige Straflosigkeit für weitere Menschenrechtsverletzungen durch
die Sicherheitskräfte, wie extralegale Hinrichtungen, Vergewaltigungen
und das gewaltsame Verschwindenlassen unschuldiger Personen beinhaltet.
Bundesregierung verteidigt Mythen
Das Staatsverbrechen vom 26. September 2014, bei dem 6 Personen von der
örtlichen Polizei erschossen und 43 Lehramtsstudenten verhaftet wurden,
die seitdem spurlos verschwunden sind, ist emblematisch. Dabei gerät
leicht in Vergessenheit, dass dies „nur“ der stark beachtete Einzelfall
eines Dauerzustandes ist. Nicht umsonst forderten die Teilnehmer_innen
einer 43-stündigen Mahnwache, die vom 31. Oktober bis 1. November 2014
vor der mexikanischen Botschaft in Berlin abgehalten wurde: „Wir wollen
die 43 lebend zurück, und auch die 26.000 anderen!“[6] Es gibt
zahlreiche Belege, dass mexikanische Sicherheitskräfte aller Ebenen,
einschließlich der Bundesebene am Verschwindenlassen von Personen
beteiligt sind. Ein wichtiges Instrument in diesem Zusammenhang ist das
vielfach kritisierte „Arraigo“, das die mexikanischen Behörden
ermächtigt, Personen ohne Haftbefehl bis zu 80 Tage festzuhalten, ein
Konstrukt das der „Schutzhaft“ Nazideutschlands ähnelt. Es gibt keine
offiziellen Statistiken, aber seröse Schätzungen beziffern die seit 2006
in Mexiko verschwundenen Personen auf 26.000, wobei dies durch
Drogenbanden Entführte ebenso einschließt wie die zahlreichen, durch
Sicherheitskräfte willkürlich Verhafteten.
In einer Fragestunde des Bundestages am 15.Oktober 2014 verkündete
Staatsministerin Dr. Maria Böhmer: “Die Bundesregierung hält an der
Absicht fest, das in Verhandlungen befindliche Sicherheitsabkommen mit
Mexiko zum Abschluss zu bringen. Ziel des Abkommens sind die
Verbesserung der Zusammenarbeit mit der mexikanischen Bundesregierung –
ich betone: Bund – und deren Unterstützung bei der Bekämpfung schwerer
und organisierter Kriminalität.”[7]
Knapp drei Wochen später insistierte Michael Roth, ein weiterer
Staatsminister im Auswärtigen Amt, bezüglich einer Aussetzung der
Verhandlungen zu dem Abkommen: „Da es gerade um den Kampf gegen die
organisierte Kriminalität geht, wäre es aus meiner Sicht geradezu
hanebüchen, wenn wir jetzt vor dem Hintergrund dieser schrecklichen
Verbrechen im Bundesstaat Guerrero unsere Verhandlungen aussetzen
würden. Wir brauchen mehr Sicherheit. ... Daher bin ich dafür, dass wir
diese Verhandlungen entschieden fortsetzen“[8]. Dabei schloss er sich
der Sichtweise des EU-Botschafters in Mexiko an, dass aufgrund der oben
erwähnten Vorfälle „keine Notwendigkeit von Konsequenzen für die
Beziehungen zwischen der EU und Mexiko“ erforderlich seien, weil der
Verhandlungspartner die Bundesebene ist, die nicht Urheber der
Menschenrechtsverletzungen im Bundesstaat Guerrero sei.
Auf dünnem Eis
Die Argumentation der Bundesregierung ist schamlos und verhöhnt die
Opfer, denn selbst im aktuellen Fall der 43 Lehreramtsstudenten ist eine
Beteiligung der Bundesebene nachgewiesen:
-- Informationen von mexikanischen Menschenrechtsorganisationen zufolge
wurden die Studenten, bevor sie von der lokalen Polizei angegriffen
wurden, durch bundesstaatliche und föderale Polizeikräfte überwacht.
Diese Kräfte zogen sich mit Beginn der Angriffe durch die lokalen
Polizeieinheiten zurück.
-- Soldaten des 27. Infanteriebataillons und der Bundespolizei
errichteten eine Straßensperre, während die Studenten beschossen und
verhaftet wurden, so dass über diesen Zeitraum der betreffende Ort für
unabhängige Personen, zum Beispiel Journalisten, unerreichbar war.
-- Dort stationierte bundesstaatliche Sicherheitskräfte (das 27.
Infanteriebataillon und das 3. Bataillon der „Spezialkräfte“) sowie ein
Operationszentrum der Bundesgeneralstaatsanwaltschaft wurden in
derselben Nacht über die Übergriffe informiert, ohne dass sie etwas
unternahmen.
-- Zwei Stunden nach dem Vorfall war das Militär direkt am Ort des
Geschehens. Statt die verbliebenen, nicht entführten Studenten zu
unterstützen, wurden diese bedroht, geschlagen und ihnen Hilfe verweigert.
-- Die nationalen Sicherheitskräfte nahmen die Suche nach den 43
verschwundenen Studenten erst acht Tage nach dem Vorfall auf, als sich
ein Handeln aufgrund des öffentlichen Aufschreis nicht mehr vermeiden
ließ. Dabei ging die Bundespolizei während der angeblichen Suche nach
den Verschwundenen gegen die örtliche Bevölkerung vor. Die Bewohner
eines Dorfes, einschließlich der dortigen Kinder, wurden bedroht,
geschlagen, und acht Personen ohne Vorlage eines Haftbefehls festgenommen.
Der oben geschilderte Hergang, der sich aus Meldungen in der
mexikanischen Presse und Aussagen von renommierten
Menschenrechtsorganisationen rekonstruieren lässt, erinnert an die
Verhältnisse zu den schlimmsten Zeiten des kolumbianischen
Bürgerkrieges: Die zentralen Kräfte schaffen die Rahmenbedingungen und
sorgen für Straflosigkeit und die lokalen Kräfte erledigen die Drecksarbeit.
Doch die Ereignisse vom September 2014 sind kein Einzelfall. Ebenfalls
im Bundesstaat Guerrero, wurde am 12. Dezember 2011 in der Hauptstadt
Chilpancingo eine Demonstration, die gewaltsam aufgelöst und dabei zwei
Studenten erschossen. An dem Einsatz waren sowohl die Polizei von
Guerrero als auch Bundespolizisten beteiligt. Ein Teil dieser Polizisten
war mit G36-Sturmgewehren des deutschen Unternehmens Heckler & Koch
bewaffnet. Gegen die Mörder der beiden Studenten gibt es bis heute kein
Strafverfahren. Somit ist weder der Verdacht ausgeräumt, dass die
Erschießung der Studenten mit G36-Gewehren erfolgte, noch, dass die
Schüsse von Bundespolizisten abgefeuert wurden.
Ein weiterer schwerwiegender Fall der jüngsten Zeit wurde von
Sicherheitskräften, die der Bundesregierung unterstehen, direkt
begangen. Am 30. Juni 2014 wurden – Recherchen der Zeitschrift Esquire
México zufolge – 21 unbewaffnete Personen von der mexikanischen Armee
exekutiert.[9] Offiziellen Darstellungen zufolge waren diese angeblich
bei einem Schusswechsel ums Leben gekommen. Erst die Esquire-Recherche
brachte den Vorfall ans Tageslicht. Es gibt zahlreiche Fälle wie diese.
Wenn die deutsche Regierung trotz erdrückender Beweislage darauf
beharrt, dass die mexikanischen Sicherheitskräfte auf der Bundesebene
sozusagen „unbefleckt“ sind, beteiligt sie sich an der Verschleierung
von Straftaten.
Desinteressiertes „Menschenrechtsministerium“
Staatsminister Roth erklärte in der oben erwähnten Fragestunde, dass
sich das Auswärtige Amt „nicht nur als Ministerium für internationale
Beziehungen versteht, sondern vor allem als Menschenrechtsministerium“.
Daraus ergibt sich die Frage, warum das Ministerium seiner selbst
erklärten Verantwortung so ungenügend nachkommt. Eine Antwort darauf
gibt das abschließende Urteil[10] des Permanenten Völkertribunals (TPP).
Dieses in der Tradition der Russell-Tribunale aus der Zeit des
Vietnamkriegs stehende Tribunal hatte sein „Kapitel Mexiko“ im Oktober
2011 aufgeschlagen, zahlreiche Anhörungen durchgeführt und auf tausenden
Seiten dokumentiert. In seiner Abschlusssitzung kam es zu dem Urteil,
dass in Mexiko eine extrem schwere, generalisierte humanitäre Krise
herrscht. Das Tribunal schlussfolgerte, dass dort – gemessen an den
Statuten des Vertrags von Rom und des Internationalen Strafgerichtshofs
– multiple Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen werden und
identifizierte dafür vier grundsätzlich Verantwortliche – die
transnationalen Unternehmen, Drittstaaten, unter anderem Deutschland,
die zugunsten ihrer Konzerne intervenierten, internationale
Institutionen wie den Internationalen Währungsfond und die Weltbank
sowie den mexikanischen Staat. Aus dieser Perspektive wird verständlich,
warum sich Deutschland bemüht, der mexikanischen Verschleierungstaktik
Glaubwürdigkeit zu verleihen.
Anmerkungen
[1] Offener Brief der Deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko an
Bundesaußenminister Westerwelle, 1.7.2011.
[2] Polizeizusammenarbeit mit Mexiko – eine kritische Analyse, 23.1.2012.
[3] Deutscher Bundestag - Stenografischer Bericht, 11.5.2011.
[4] Drucksache 17/8275; Drucksache 17/9116.
[5] Ni Seguridad, Ni Derechos, Human Rights Watch, 9.11.2011; Mexiko:
Schockierender Anstieg von Folterfällen in den letzten zehn Jahren.
Pressemitteilung, Amnesty International, 4.9.2014.
[6] http://vimeo.com/112652424
[7] Deutscher Bundestag - Stenografischer Bericht, 11.10.2014.
[8] Deutscher Bundestag - Stenografischer Bericht, 5.11.2014.
[9] Der Artikel wird ausführlich zitiert in Proceso, 17.9.2014.
[10]
http://www.tppmexico.org/sentencia-de-la-audiencia-final-del-capitulo-mexico-del-tpp/
IMI-List - Der Infoverteiler der
Informationsstelle Militarisierung
Hechingerstr. 203
72072 Tübingen
imi@imi-online.de
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