Mittwoch, 17. Dezember 2014
Luxemburg-Leaks muss Geburtsstunde einer europäischen Steuerpolitik werden
Link, um diese Information auf twitter/facebook zu verbreiten:
http://www.sven-giegold.de/2014/luxleaks-geburtsstunde-europaeischer-steuergerechtigkeit/
Liebe Freudinnen und Freunde, sehr geehrte Damen und Herren,
vor gut zwei Wochen begann die konzertierte Aktion: 80 Journalisten
internationaler Medien lieferten erdrückende Beweise für Luxemburgs
organisierte Steuerdrückerei:
http://www.sueddeutsche.de/thema/Luxemburg-Leaks
Die Schlagzeilen u.a. der Süddeutschen Zeitung und des Guardian zur
Aufdeckung dieser Praktiken überraschten mich zuerst gar nicht. Seit
vielen Jahren kämpfen das Tax Justice Network, Attac, die Grünen und
ich gegen die wohl bekannte aggressiven Steuervermeidung - nicht nur in
Luxemburg. Erst beim Formulieren der ersten Reaktionen wurde uns
wirklich die Bedeutung der Luxemburg-Leaks klar: Die neue
Aufmerksamkeit für das Problem des Steuerdumping könnte die
Geburtsstunde einer europäischen Steuerpolitik werden.
Für ein Ende des Europäischen Steuerdumpings haben wir eine
Aktionswebseite gestartet. Unterstützt dort unsere 10 Forderungen an
Jucker und die EU-Finanzministerinnen und Finanzminister. Sie geht in
Kürze online, hier: http://act-or-go.eu
Der französische Ökonom und Buchautor Thomas Piketty hat das Problem
zuletzt am eindringlichsten formuliert: Europa ist ein reicher
Kontinent, in dem viele Menschen völlig unnötig arm, viele Staaten
unnötig überschuldet sind. Der globalisierte Kapitalismus verteilt die
Vorteile immer ungleicher. Nur eine gerechte Besteuerung vor allem
größter Vermögen und Einkommen würde Investitionen in die Zukunft
unserer Gesellschaft ermöglichen. Der maßlos gewordene Steuerwettbewerb
verhindert aber genau das. Indem multinationale Großkonzerne die
Staaten gegeneinander ausspielen, zahlen sie fast keine Steuern.
Einfache Bürgerinnen und Bürger sowie der lokal verwurzelte Unternehmen
zahlen drauf.
Was soll jetzt aus Jean-Claude Juncker werden, der vom
Problemverursacher in Luxemburg zum neuen Präsidenten der EU-Kommission
wurde? Präsident der Hüterin der Verträge und des fairen Wettbewerbs.
Auch ich und etwa 20 andere Grüne haben ihm unsere Stimmen gegeben,
obwohl wir schon damals wussten, was er in Luxemburg getan hat:
http://www.sven-giegold.de/2014/warum-wir-juncker-als-kommissionspraesidenten-unterstuetzen/
Denn Europa braucht eine starke EU-Kommission, die dem Drängen vieler
Mitgliedsländer zur Renationalisierung und Stillstand mit starken
Initiativen die Stirn bietet. Außerdem hat Juncker für unsere Stimmen
bei der Transparenz bei Lobbykontakten und eine starke ökologische
Orientierung seines Investitionsprojekts versprochen. Natürlich komme
ich jetzt trotzdem ins Grübeln, ob das ein so schlauer Deal war.
Doch wenn man nüchtern darüber nachdenkt, wird klar: Juncker ist
eigentlich ein Glücksfall für den Kampf gegen Steuerdumping und
Steuerhinterziehung. Denn er steht unter Druck, gegen Steuerdumping
liefern zu müssen. Es ist besser, wenn er bleibt und wir ihn fünf Jahre
lang unter Druck setzen können. Es spricht Bände, dass die Gegner der
europäischen Einigung Misstrauensanträge gegen Juncker gestellt haben.
Denn besonders den rechtspopulistischen Europa-Gegnern geht es um die
Personalisierung des europäischen Steuerdumpings statt einer
Europäischen Politik gegen Steuerflucht. In der Parlamentsdebatte bzw.
in der Begründung zum Misstrauensantrag gegen Juncker haben die
rechtskonservative ECR-Fraktion (der auch die AfD angehört) wie auch
die antieuropäische EFDD-Fraktion eine europäische Steuerpolitik als
Reaktion auf LuxLeaks sogar ausdrücklich abgelehnt.
Wenn wir stattdessen den Druck aufrecht erhalten können, ist Juncker
mehr eine Chance als ein Problem für mehr Steuergerechtigkeit. Das ist
auch deshalb gerechter, weil Juncker und Luxemburg nur die Spitze des
Eisbergs sind. Die Sonderabsprachen zwischen Großkonzernen und
Steuerbehörden gibt es viel zahlreicher in den Niederlanden als in
Luxemburg. Und ausgerechnet der niederländische Finanzminister und
Sozialdemokrat Dijsselbloem ist Junckers Nachfolger als Chef der Gruppe
der Euroländer. Auch Staaten wie Deutschland und Frankreich, die unter
dem unfairen Wettbewerb durch Steuerverluste leiden, haben dem Treiben
weitgehend widerspruchslos zugesehen.
Juncker sagte nun gut bei seinen Auftritten zwei Dinge konkret zu:
Einzelabsprachen zwischen Großkonzernen und Steuerverwaltungen sollen
unter den Ländern automatisch ausgetauscht werden. Das ist in der
Wirkung begrenzt aber gut. Zweitens will er an einer gemeinsamen
europäischen Unternehmensteuerbasis arbeiten. Der größte konkrete
Fortschritt zu einer gemeinsamen Unternehmensteuerbasis stammt aus
einem Arbeitsprozess der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G-
20). Bei ihrem letzten Gipfel in Australien wurde ein Aktionsplan der
OECD zur Bekämpfung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung ("BEPS"
- "Base Erosion and Profit Shifting") beschlossen. Damit wollen die
G-20 erreichen, dass Firmen künftig dort Steuern bezahlen, wo sie
wirklich aktiv sind und nicht dort, wo nur ihre Briefkastenfirmen
installiert sind.
Junckers Vorschläge sind ein Schritt in die richtige Richtung, lösen
aber die Probleme nicht. Die aggressive Steuervermeidung wird
weitergehen, wenn auch erschwert. Im Rahmen des BEPS-Aktionsplan
konnten sich die G-20-Staaten nicht auf eine gemeinsame Grundlage für
die Besteuerung von multinationalen Konzernen einigen. Nach wie vor
wird ein multinationaler Konzern nicht als eine Einheit besteuert,
sondern in hunderte von steuerpflichtige Einzelfirmen in
unterschiedlichen Staaten zerlegt, deren Abgrenzung jetzt durch
strengere Regeln bestimmt wird. Das Ergebnis ist somit Stückwerk aus
komplizierten Regeln mit zahlreichen Schlupflöchern. Die G-20-
Vorschläge werden daher sicher ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für
Steuerberater. Wirkungsvoll wären eine wirklich gemeinsame
Steuerbemessungsgrundlage, darauf basierende Mindeststeuersätze sowie
verpflichtende länderbezogene Transparenz für multinationale
Großunternehmen.
Es nutzt nichts der Hydra der Steuervermeidung nur einen Kopf
abzuschlagen. Nur ein konsequentes und umfassendes Programm kann die
Welt von den aggressiven Steuertricks multinationaler Konzerne
befreien. Ideen für ein solch konsequentes Programm gibt es genug.
Schon am Tag nach der Enthüllung der Luxemburg-Leaks habe ich hierzu
einen Grünen Plan vorgelegt. Juncker kann und muss jetzt handeln. So
kann seinen massiven Interessenskonflikt als Geburtsstunde einer
wirklich europäischen Steuerpolitik nutzen und zeigen, dass er jetzt
die Interessen aller Europäer vertritt. Wenn er nicht ernsthaft
handelt, verspielt er den Rest seiner Glaubwürdigkeit. Juncker muss
handeln, oder gehen.
Den notwendigen Druck auf Juncker und anderer Blockierer muss das
Europaparlament mit der Einrichtung eines Untersuchungsausschusses
erreichen. Dafür haben wir Grünen im Europaparlament ein Mandat
vorgelegt. Für die Einsetzung des Ausschusses brauchen wir 188
Europaabgeordnete, die uns unterstützen. Wir Grünen sind 50
Abgeordnete, die Linken 52, die Liberalen 67, die Sozialdemokraten 191.
Für den Untersuchungsausschuss genauso wie für andere nächste Schritte
gilt: Es wird vor allem von den Sozialdemokraten abhängen, ob wir
vorankommen oder nicht. Denn sie haben im neuen Parlament in vielen
progressiven Anliegen eine zentrale Rolle. Doch bisher sind Martin
Schulz, seine Fraktion genauso wie Sigmar Gabriel und die Genossen im
Bundestag im Angesicht der Steilvorlage für mehr Steuergerechtigkeit in
Europa erstaunlich schmallippig. Auch die Große Koalition in Berlin
blockiert in Brüssel beim Kampf aggressive Steuervermeidung. Der
Koalitionsvertrag in Berlin schließt Transparenz über Konzerngewinne
Land-für-Land explizit aus. Genauso ist es bei der Geldwäsche-
Richtlinie: Das Europaparlament will, dass künftig bekannt ist, welche
Eigentümer sich hinter welchem Briefkasten verbirgt - da blockiert in
Berlin die Große Koalition, im Europaparlament ist die SPD gemeinsam
mit der Union dafür. Dazu kommt das Thema Mindeststeuersätze. Natürlich
muss es in einem gemeinsamen Markt keine Einheitssteuern geben, aber
zumindest ein Mindestniveau. Auch dazu ist von Martin Schulz und den
Europäischen Sozialdemokraten nichts zu hören.
Würden die Christdemokraten und Sozialdemokraten sich stärker für
Steuergerechtigkeit einsetzen, käme auch ein anderes Schlüsselprojekt
in Reichweite. Als erste große Initiative hat Juncker versprochen, mit
einem 300 Milliarden Euro Investitionsprogramm die Konjunktur in
Europa in Schwung zu bringen und so die unerträglich hohe
Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Alle Welt wundert sich, wie er das
finanzieren will. Spätestens seit dem Lux-Leaks-Skandal ist klar, wie
wir das machen könnten: Wenn die EU die Steueroasen austrocken würde,
ließen sich mit Mitteln aus Luxemburg aber auch aus den Niederlanden
und Irland noch höhere Investitionspakete finanzieren.
Bei der europäischen Fraktionsklausur in den letzten Tagen im
belgischen Oostende haben wir Steuergerechtigkeit zu einer unserer
sechs Prioritäten für die nächsten 5 Jahre gewählt. Das gibt mir die
Möglichkeit mein Leib- und Magenthema mit Nachdruck zu verfolgen.
Ich würde mich sehr freuen, wenn auch Ihr unsere 10 Forderungen an
Jucker und die EU-Finanzministerinnen und Finanzminister unterstützt
auf http://act-or-go.eu
Mit europäischen Grünen Grüßen
Sven Giegold
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