Mittwoch, 17. Dezember 2014
Gefällige Widerständler
Warum Allen W. Dulles den antifaschistischen Kampf der Kommunisten geringschätzte und welche Bedeutung der 20. Juli 1944 hat. Ein Artikel aus dem Jahre 1947
Von Albert Norden
Quelle: JungeWelt vom 26. Nov. 2014
Deutsche Militärs wollten sich von »Hitler und seiner Bande befreien« um »soviel als möglich vor der sowjetischen Besetzung« bewahren zu können. Generaloberst Ludwig Beck (mitte), hier im Juni 1936 im Berliner Grunewald, wäre gern Staatschef geworden FOTO: Bundesarchiv
Am 10. Juli dieses Jahres starb Norbert Podewin. Er war der langjährige Freund und Biograph von Albert Norden, ein deutscher Antifaschist, Kommunist, Journalist und Politiker der KPD und der SED. Norden wurde vor beinahe 110 Jahren, am 4. Dezember 1904, in Myslowitz als Sohn des Rabbiners Joseph Norden geboren, der 1943 im KZ Theresienstadt ermordet wurde. Im Zuge der faschistischen Machtübernahme in Deutschland floh er über die Tschechoslowakei nach Frankreich und 1941 in die USA. Im Exil verfasste er antifaschistische Bücher, wie das »Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror«, sowie Artikel in den Exilzeitschriften German American und Freies Deutschland. 1944 war er Gründungsmitglied des »Council for a Democratic Germany«. Von 1949 an war Norden drei Jahre Leiter der Presseabteilung im Informationsamt der DDR, von 1953 bis 1955 Professor für neuere Geschichte an der Ost-Berliner Humboldt-Universität. Von 1958 bis 1981 war Norden Mitglied des Politbüros des ZK der SED. Am 30. Mai 1982 starb er in Berlin. Die Marx-Engels-Stiftung gedenkt am 29. November mit einer Veranstaltung in ihrem Wuppertaler Zentrum seiner und seines Freundes Norbert Podewin (mehr Informationen unter marx-engels-stiftung.de). Der folgende, leicht gekürzte Text aus der Feder Nordens über die Bedeutung des 20. Juli erschien am 1. Juli 1947 in der Weltbühne. (jW)
Wenn ein Buch den anspruchsvollen Titel »Deutschlands Untergrund« (Germany’s Underground, New York 1947) trägt, dann erwartet der Leser, ein ungefähres Bild der Kräfte zu finden, die seit 1933 in Deutschland selbst den Kampf gegen die Hitler-Diktatur aufnahmen. Aber es scheint, dass diese frühzeitige Opposition gegen den Faschismus und ihr märtyrerreicher Weg weitgehend unbekannt sind, denn von ihr ist in dem Buch kaum die Rede. In seinem Mittelpunkt steht vielmehr das Komplott, das in dem Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 gipfelte.
Und das ist kein Zufall. Die Schichten, die vor und seit 1933 den Kampf gegen den Nazismus führten, waren vorwiegend Sozialisten und Kommunisten, die sich jenseits des Ozeans weitgehender Unbeliebtheit erfreuen, während die Kreise, die den Kern der Verschwörung vom 20. Juli bildeten, vorwiegend zu den konservativen Gesellschaftsgruppen gehörten, die ein gerüttelt Maß Schuld am Machtantritt des deutschen Faschismus trugen. Kein Wunder, dass ihre Überlebenden gegenwärtig in den amerikanischen Salons herumgereicht werden, wo man mit so viel Antipathie von jenen Deutschen spricht, die von der ersten Stunde an gegen Hitler stritten, deren Familiennamen aber kein »von« schmückt und die auch nicht über einflussreiche Positionen in der bürgerlichen Gesellschaft verfügten.
Führende Kapitalvertreter
Noch weniger verwunderlich dürfte sein, dass der amerikanische Historiker des 20. Juli Allen W. Dulles ist, kein Unbekannter für die Leser der Weltbühne, seitdem an dieser Stelle zum ersten Mal in der europäischen Presse die Verbindungen von Allen und seines Bruders John F. Dulles mit den profaschistischen Kreisen des internationalen Finanzkapitals aufgedeckt wurden (»Graue Eminenz«, Weltbühne, 1. Dezember 1946). Während der ganzen Hitler-Ära bis zur Beteiligung der USA am Zweiten Weltkrieg war Allen W. Dulles Direktor der amerikanischen und der englischen Schroeder-Bank, der ausländischen Finanzagentur des deutschen Stahl-Trusts, die auch direkte Aufträge von der Hitler-Regierung erhielt und deren englischer Zweig mit Dulles Zustimmung sich der »Anglo German Fellowship« anschloss, der politischen Propagandaorganisation für das »Dritte Reich« in England, deren Fäden Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop zog. Die geographisch und politisch in der Wall-Street gelegene Rechtsanwaltsfirma Sullivan & Cromwell, deren Seniorchef John F. Dulles, der Berater Außenminister George C. Marshalls, und deren Mitglied Allen W. Dulles ist, vertritt die Schroeder-Bank in allen juristischen Fragen. Wie sein Bruder John gehört auch Allen zum reaktionären Hoover-Flügel der Republikanischen Partei und wurde ihr New Yorker Schatzmeister.
Diese Tatsachen machen es verständlich, warum Dulles in seinem Buch so wenig über jene authentischen deutschen Antifaschisten zu sagen weiß, die allerdings zu einer Zeit agierten, als die Dulles noch mit den Nazi-Trusts profitable Geschäfte machten. Notgedrungen musste man die Freundschaft aufgeben, als Hitler Amerika den Krieg erklärte, und setzte nun die Hoffnung auf jene Kreise in Deutschland, die sich zwar der Nazigeister entledigen wollten, ohne aber an dem von diesen stabilisierten kapitalistischen System zu rütteln. Darum identifiziert Dulles den deutschen Untergrund mit der Affäre des 20. Juli. Nun wird dieser Tag zweifellos ein wichtiges Datum in der Geschichte der innerdeutschen Widerstandsbewegung bleiben – wenn auch wiederum nicht so entscheidend, wie gewisse Kreise glauben machen wollen, die den langjährigen Widerstand der deutschen Linken gegen den Faschismus ins Dunkel eines recht beredten Schweigens hüllen, damit der Stern der Verschwörer vom 20. Juli umso heller strahle.
Man verstehe uns recht: Wir verneigen uns mit dem schuldigen Respekt vor den Opfern Hitlers, auch wenn sie vorher Marschallstäbe von ihm entgegennahmen und erst dann von ihm abfielen, als Deutschlands militärische Niederlage besiegelt war. Aber das enthebt uns nicht der Pflicht zu untersuchen, warum die Männer des 20. Juli scheiterten, deren Chancen wahrhaftig größer waren als die irgendeiner anderen Antinazibewegung zuvor. Und dafür bietet das Buch von Dulles interessantes Material, das umso bemerkenswerter ist, als er innerlich der Gedankenwelt der wichtigsten Männer des 20. Juli nicht so fern steht. Als Chef des amerikanischen Geheimdienstes für Deutschland mit Sitz in Zürich war Dulles von 1942 bis 45 durch zahlreiche Kontakte mit den oppositionellen Gruppen der Generalität und ihrer Verbündeten in Zivil über deren Ideen und Bewegungen gut unterrichtet und konnte nach der Eroberung Deutschlands sein Wissen durch Einsicht in Originalakten ergänzen.
Konspirativer Militärzirkel
Dulles nennt als die militärischen Schlüsselfiguren des Komplotts Generaloberst Ludwig Beck, bis zum Sommer 1938 Chef des deutschen Generalstabs; den Generaloberst Kurt von Hammerstein, Oberkommandierender der deutschen Armee von 1930 bis 1934; Feldmarschall Erwin von Witzleben; den Hauptquartiermeister General Eduard Wagner; den Leiter der Wirtschaftsabteilung des Generalstabs, General Georg Thomas; General Hans Oster, die rechte Hand des Admirals Wilhelm Canaris, Leiter der »Abwehr«, der selber ebenfalls die Verschwörung begünstigte; General Friedrich Olbricht und Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg, beide in kommandierenden Positionen der sogenannten Ersatzarmee. Hinzu kamen später nach Stalingrad so einflussreiche Offiziere wie General H. von Tresckow, Stabschef der Mittleren Armeegruppe in Russland, sein Vorgesetzter, der Marschall Fedor von Bock, ferner der Marschall Walther von Brauchitsch und der Panzergeneral Heinz Guderian, die drei letzteren, wie andere mit Vorbehalten, die für ihre Vorsicht, nicht für ihre Tapferkeit zeugten und ihnen am Ende doch nichts ersparten. Als die Alliierten im Juni 1944 erfolgreich in Frankreich eingefallen waren, schlossen sich die Marschälle Günther von Kluge, Oberkommandeur der im Westen stehenden Armeen, und Erwin Rommel, der die Armeegruppe B. befehligte, bedingt der Opposition an, die in dem Militärkommandeur von Paris, General Carl-Heinrich von Stülpnagel, und anderen hohen Offizieren weitere Stützen hatte. Diese eindrucksvolle, bei weitem nicht vollständige Liste umreißt den sehr weiten Kreis der Verschwörung, deren Bedeutung durch die ausschlaggebenden Stellungen der Militärs im Kriege noch unterstrichen wird. Warum also scheitern sie? Nun, wir kennen die Geschichte von der Zeitbombe, die nicht losging, als sie Hitler in dem Flugzeug begleitete, das ihn 1943 von der Ostfront nach Deutschland brachte. Man weiß auch von den verschiedenen Versuchen im Jahre 1944, Hitler zu töten, bis zu dem Hauptattentat, das am 20. Juli nur seine Verwundung herbeiführte. Die Chronisten dieser Episoden tun oft so, als ob das Misslingen der Anschläge für den Fehlschlag der ganzen Aktion verantwortlich sei, durch die Beck an die Stelle Hitlers als Staatschef treten, Witzleben das Oberkommando übernehmen und der frühere Reichs-Preiskommissar und Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler als Reichskanzler ein Kabinett »auf der Grundlage christlicher Tradition und westlicher Zivilisation« bilden sollte. Dem ist nicht so.
Obwohl die Bombe Oberst Stauffenbergs Hitler nicht tötete, hätte der Umsturz durchaus glücken können. Für einige Stunden nach dem Attentat lag der Vorteil des Handelns durchaus bei Beck und seinen Bundesgenossen. Hätten sie ihn nur zu nutzen gewusst! Dort in Ostpreußen das durch die Bombenexplosion und Verwirrung zeitweilig paralysierte Hauptquartier Hitlers und Wilhelm Keitels – hier in Berlin im Kriegsministerium das Hauptquartier der Antinazigenerale. In ihrer Hand war das ganze Telefon- und Morse-Netz zu den Armeekommandos in Deutschland und den besetzten Ländern. In dieser Stunde war vieles möglich. Gewiss wurden die Befehle zur Verhaftung der SS-Offiziere durchgegeben, und tatsächlich begann in Paris und in Wien die Arretierung der Himmlerschen Elemente. Nur, im Mittelpunkt der Verschwörung und Deutschlands, im Nervenzentrum des den Kontinent beherrschenden Militärapparats ließ man kostbare Zeit verstreichen, ohne auch nur jene primitivsten Maßnahmen zu ergreifen, die jeder Aufstand erfordert. Anstatt mit einigen, wenn auch kleinen Truppenteilen, sofort die Regierungsgebäude, Verkehrsknotenpunkte und vor allem das Radio zu besetzen, um die Errichtung der neuen Regierung zu proklamieren, dringend an das Volk zu appellieren, wurde zu spät und nicht energisch genug unternommen. Wir werden gleich sehen, dass die Ursache dafür viel tiefer als in taktischen Fehlern der Rebellen lag. Jedenfalls gab ihr Verhalten den Naziführern die Möglichkeit, sich von dem Schock zu erholen und die Situation wieder herzustellen. Wer aufmerksam Dulles’ Buch liest, wird unschwer die wirklichen Gründe für die Niederlage der Männer vom 20. Juli erkennen.
Gegen die Sowjetunion
Die wichtigste Ursache des Versagens der Generale lag darin, dass sie gar nicht für ein neues Deutschland eintraten, sondern nur für eine andere Spielart des deutschen Imperialismus. Sie warfen Hitler nicht so sehr vor, dass er Krieg führte, als dass er ihn falsch führte und zu viel Feinde angenommen hatte. Einer der engsten diplomatischen Vertrauensmänner der Gruppe, der frühere deutsche Botschafter in Rom, Ulrich von Hassell, der nach dem 20. Juli hingerichtet wurde, ließ 1940 dem damaligen englischen Außenminister Lord Halifax ein Memorandum überreichen, in dem Elsaß-Lothringen, der polnische Korridor, Polnisch-Oberschlesien, Österreich und die Sudeten für Deutschland gefordert wurden! Im Januar 1944 schickte Dulles auf Grund der ihm übersandten Botschaften Becks und Goerdelers einen Bericht über die politische Position der Verschwörer nach Washington, in dem es heißt: »Die Gruppe ist nur dann bereit zu handeln, wenn ihr von den Westmächten zugesichert wird, dass sie nach der Beseitigung der Nazis in direkte Verhandlungen mit den Angelsachsen treten kann. Die Gruppe ist ganz besonders daran interessiert, dass Verhandlungen über Washington und London geführt werden, und dass sie nicht direkt mit Moskau zu tun haben werde. Das Hauptmotiv ihrer Aktion ist der leidenschaftliche Wunsch, Mitteleuropa davor zu bewahren, ideologisch und tatsächlich unter die Kontrolle Russlands zu geraten.«
Das war im Januar. Aber noch »im Mai 1944 erhielt Hans Bernd Gisevius (deutscher Vizekonsul in Zürich und Mittelsmann der Verschwörer zu Dulles. A. N.) von Berlin einen Plan, der von der Militärgruppe in der Verschwörung vorgeschlagen war und der immer noch auf der Idee basierte, dass die Deutschen ausschließlich nach dem Westen kapitulieren könnten«.
Anfang Juli kam ein anderer Vertrauensmann der Verschwörer, Theodor Strünck, der nach dem 20. Juli ebenfalls verhaftet und hingerichtet wurde, nach der Schweiz und meldete die Details der unmittelbar bevorstehenden Aktion, auch dass der Oberkommandeur der Heimatarmee, General Friedrich Fromm, und der Berliner Polizeipräsident, Wolf-Heinrich Graf von Helldorff, auf die Seite der Verschwörer getreten seien. Was Strünck über die politischen Gedanken berichtete, von denen die Generalsgruppe in jenen Tagen beherrscht war, gab Dulles in einem Lagebericht am 13. Juli nach Washington weiter. Er berichtet darüber in dem Buch:
»Ich meldete, dass die Verschwörer sich darüber klar seien, dass sie nur noch einige Wochen Zeit hätten, um zu beweisen, dass Deutsche selber Deutschland von Hitler und seiner Bande befreien und ein anständiges Regime errichten könnten und dass die Bedrohung deutschen Gebietes im Osten und ihr Wunsch, soviel als möglich von Deutschland vor der sowjetischen Besetzung zu retten, ihrer Bewegung neuen Anstoß gegeben hätte. Daher werde im Falle eines Gelingens des Anschlages wahrscheinlich ein geordneter Rückzug im Westen erfolgen, während Deutschlands beste Divisionen zur Verteidigung an die Ostfront geschickt werden würden.«
Es ist demnach klar, dass die rebellierenden Generale Fleisch vom Fleisch des deutschen Imperialismus waren, seine alte Taktik des Ausspielens des Westens gegen den Osten fortsetzen wollten und sich derselben Hoffnung hingaben wie das Große Hauptquartier Hindenburgs nach dem Ersten Weltkrieg: nämlich den Krieg nachträglich im Osten, möglichst mit Hilfe westlicher Länder, zu gewinnen. Einstellung des Widerstandes im Westen und Fortsetzung des Krieges im Osten – das war aber nicht nur die Lieblingsidee der Generale. Auch Goerdeler, ein konservativer Freund der monarchischen Staatsform und leitender Kopf bürgerlicher antinazistischer Oppositionskreise, bekannte sich zu dieser Plattform und – es muss gesagt werden – eine sozialdemokratische Gruppe, die zu dem oppositionellen Kreisau-Zirkel des Grafen Moltke gehörte. Dulles berichtet darüber:
»Um Weihnachten 1942 herum trafen sich Carlo Mierendorff, Theodor Haubach und Emil Henk in einem Kurort in den bayrischen Bergen. In Kenntnis der Pläne zur Ermordung Hitlers fragten sie sich: ›Aber was nach Hitler?‹ Wohin würde Deutschland sich wenden? Die amerikanischen und britischen Streitkräfte waren weit weg, und keine baldige Invasion des Kontinents war zu erwarten. So kamen sie zu dem Schluss, dass, solange die Russen die einzige Macht mit großer militärischer Streitkraft auf dem Kontinent seien, Hitlers Verschwinden Deutschland allzu leicht in die Hände des Kommunismus liefern könnte. Deutschland würde von Sowjetrussland überwältigt werden. Emil Henk zufolge beschlossen diese Sozialdemokraten, ihre Mitverschwörer dahingehend zu beeinflussen, Hitlers Ermordung zu verschieben, bis die amerikanischen und englischen Armeen sich auf dem Kontinent festgesetzt hätten. Mierendorff wurde delegiert, um Leuschner (der frühere hessische Innenminister und sozialdemokratische Vertrauensmann im engsten Verschwörerkreis. A. N.) zu überzeugen, und Moltke sollte die Sache mit Beck besprechen. Leuschner stimmte zu, obwohl er die Gefahr der Verzögerung sah; der Schatten der Gestapo war bereits über ihnen allen, und Leuschner hatte Grund genug zu fürchten, dass bis zur Invasion der Untergrund dezimiert sein würde.«
Ungelenke Palastrevolte
Soweit Dulles, und wir möchten uns jeden Kommentar zu einer Politik ersparen, die aus Sorge vor einer zu schroffen Linksentwicklung in Deutschland bereit war, Hitler und seinen Krieg noch länger zu dulden. Hier sind wir bei der innenpolitischen Konzeption der Männer des 20. Juli. Horror erfasste sie bei dem Gedanken an eine Volksrevolution. Ihr Plan bestand darin, das Volk vor das Fait accompli einer Palastrebellion zu stellen. Als am 11. Juli 1944 einer der Verschwörer dem Generaloberst Beck vorschlug, dass die in das Komplott eingeweihten Kommandeure ihre Armeen zum Kampf gegen die Nazis führen sollten, lehnte Beck entschieden ab. »Er wollte keinen Bürgerkrieg.« In der Tat tauchte bei der Skizzierung der Maßnahmen, die sofort nach dem Attentat zu ergreifen waren, nicht einmal der Gedanke auf, sich durch das Radio und andere Mittel an das Volk um Hilfe zu wenden, die deutschen und ausländischen Arbeiter zum Aufstand gegen die Nazifronvögte aufzurufen und so dem Umsturz die breite soziale Basis zu verschaffen. Hier haben wir es mit der innenpolitischen Ergänzung der verdächtigen außenpolitischen Haltung der Verschwörer zu tun, durch die sie ihre eigene Stellung schwächten. Aus der neuen Regierung, auf die sie sich geeinigt hatten und deren komplette Ministerliste vorlag, sollten den zuverlässigen Informationen von Dulles zufolge die Kommunisten völlig ausgeschlossen bleiben. Diese Ausschaltung mag umso mehr befremden, als die Kommunisten doch einen recht beträchtlichen Sektor der Antinaziopposition darstellten. Adam von Trott zu Solz, einer der diplomatischen Vertrauensmänner der Verschwörer – auch er nach dem 20. Juli hingerichtet – gab im April 1944 bei einem Besuch in der Schweiz eine Übersicht über die Lage in Deutschland, aus der Dulles zitiert:
»Der Zug zur äußersten Linken hat erstaunliche Ausmaße angenommen und gewinnt ständig an Triebkraft. Es existiert in Deutschland ein kommunistisches Zentralkomitee, das die kommunistische Tätigkeit in Deutschland leitet und koordiniert. Seine Wirksamkeit ist durch die Anwesenheit von Millionen russischer Kriegsgefangener und Arbeiter in Deutschland mächtig verstärkt, und viele von ihnen sind heimlich organisiert worden. Der ständig wachsende kommunistische Einfluss…«
Für den Entschluss der Verschwörer, dem kommunistischen Flügel der Antinaziopposition keine Regierungsbeteiligung zu gewähren, suchen und finden der Anwalt von Wall-Street und seine adligen Ghostwriters Entschuldigungsgründe, und dabei gelangen sie auf das sonst von ihnen vermiedene Feld der Verleumdung. Die Tatsache, dass die nach dem Reichstagsbrand durch Verhaftung und Ermordung ihrer Funktionärskader beraubte KPD bei den Terrorwahlen am 5. März 1933 eine Million Stimmen verlor, verwandelt sich unter der Feder der Autoren von »Deutschlands Untergrund« in einen »Überlauf von über einer Million Kommunisten zu den Nazis. Danach wurden viele Kommunisten sogar Mitglieder der Gestapo«. Judas Ischariot hat zahlreiche Nachkommen, und bei Errichtung der Nazidiktatur war keine Partei ohne Verräter, wenn auch eine objektive Geschichtsschreibung wird festhalten müssen, dass gewisse bürgerliche Gruppierungen sich mit Haut und Haar und Reichstagsfraktion dem »Dritten Reich« und seinen Ermächtigungsgesetzen verschrieben, während keine Partei so viele Helden des antifaschistischen Kampfes produzierte wie die der Kommunisten. Dulles Behauptung ist also eine Verfälschung des Tatbestandes, die mit dem Nachteil der Unoriginalität den Vorteil verbindet, dass sie die Voreingenommenheit des Autors enthüllt.
Mit den Kommunisten?
Zur Entschuldigung der Gruppe des 20. Juli, die sich der Zusammenarbeit mit den Kommunisten widersetzte, führt Dulles das Argument ins Feld, dass die kommunistischen Untergrundorganisationen von der Gestapo zersetzt worden seien, weswegen ein Kontakt mit ihnen unzweckmäßig gewesen wäre. Nun stimmt es zweifellos, dass Himmlers Geheimpolizei ihre Bemühungen ganz besonders auf die Kommunisten konzentrierte, die ja in der ersten Zeit des Naziregimes als einzige politische Partei den aktiven Untergrundkampf proklamierten und betrieben. Aber gerade die beiden Beweise, die Dulles anführt, erweisen sich bei näherem Hinsehen als nicht stichhaltig.
Er erwähnt die »Rote Kapelle«, jene weitverzweigte, zu den Kommunisten neigende Geheimorganisation, an der zahlreiche bekannte Intellektuelle beteiligt waren und deren Aufdeckung im Zweiten Weltkrieg mit vielen Hinrichtungen endete. Er behauptet, dass sie »durch einen russischen Agenten, der mit Fallschirm in Deutschland absprang, der Gestapo verraten« wurde. In Wirklichkeit ging die Gruppe aus ganz anderen Gründen hoch, die nichts mit Verrat, wohl aber mit der Entschlüsselung einer Geheimchiffre zu tun haben. Da man im State Department, wie ich zu wissen glaube, über den wirklichen Sachverhalt sehr genau informiert ist und Mr. Dulles ein langjähriger höherer Beamter des amerikanischen Außenministeriums war, wäre es ihm nicht schwergefallen, die Wahrheit festzustellen. Allerdings hätte er sich dann der Möglichkeit beraubt, eine tendenziöse Desinformation zu verbreiten.
Die zweite Geschichtsfälschung, derer er sich schuldig macht, bezieht sich auf die unmittelbare Vorgeschichte des 20. Juli. Oberst Stauffenberg fiel beträchtlich aus dem Rahmen der übrigen an der Verschwörung beteiligten Militärs. Wo diese oft nur an die Konservierung der Wehrmacht dachten und in den eroberten Ländern Faustpfänder gegenüber den Alliierten sahen, welch letztere man auseinanderzumanövrieren gedacht, wo sie, die Generale, eine militärische Atempause zu gewinnen trachteten und innenpolitisch eine konservative Regierungsform etablieren wollten, da hatte Stauffenberg eine ganz andere Konzeption. Er lehnte das verantwortungslose Spiel ab, das eine Einheitsfront des nachhitlerischen Deutschlands mit den Westmächten gegen die Sowjetunion betrieb, und er forderte mit einer Energie die auch durch seine schwere Verwundung in Nordafrika nicht beeinträchtig worden war, die Einschaltung der Kommunisten in die Aufstandsfront.
Er fand dabei die Unterstützung des neben Leuschner hervorragendsten Repräsentanten der Sozialdemokratie in der Verschwörung, Dr. Julius Leber, der sich am 22. Juni 1944 mit Anton Saefkow und Franz Jacob traf, den Leitern der zentralen kommunistischen Gruppe. Anfang Juli wurden Saefkow, Jacob, Leber und viele andere Kommunisten und Sozialdemokraten verhaftet und später hingerichtet. Ohne den Schatten eines Beweises macht Dulles für die Verhaftung Lebers und seiner Parteigenossen die angebliche Zersetzung des kommunistischen Untergrundes durch die Gestapo verantwortlich, nicht ohne Leber für sein »etwas zu hastiges« Vorgehen, nämlich für seinen Versuch der Herstellung der gemeinsamen Front mit den Kommunisten, leise zu tadeln. Eine wahrheitsgetreue Geschichte des deutschen Untergrundes wird auch hier die Tatsachen ins rechte Licht rücken.
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