Mittwoch, 17. Dezember 2014

[Chiapas98] Interview mit Staatssekretär J. Goméz Robledo (FAZ v. 24.11.2014)

Zur Zeit auf Deutschlandbesuch. Ohne Kommentar. -------------------------------------------- Herr Staatssekretär, warum können kriminelle Banden in mexikanischen Städten wie Iguala faktisch den Bürgermeister einsetzen? Die Unterwanderung durch die organisierte Kriminalität und die Gewalt sind in Lateinamerika nichts Neues. Sie gehen auf den Drogenhandel zurück. Die Nachfrage nach Rauschgift kommt aus den Vereinigten Staaten, aber sie wächst auch in unseren Ländern. Der enormen Macht des organisierten Verbrechens hat Mexiko besser widerstanden als andere Länder, weil unsere Institutionen im Allgemeinen solide sind. Wir sind weit gekommen. Vor wenigen Jahren war es noch ein Tabu, Mexikaner an die Vereinigten Staaten auszuliefern. Inzwischen haben wir viele Drogenhändler ausgeliefert, ohne dass darüber groß diskutiert würde. Und wir haben extrem mächtige Banden zerschlagen. Leider weichen die Verbrecher, wenn man ihnen ein Geschäft verbaut, auf andere aus. Deshalb gibt es jetzt mehr Entführungen. Manche unserer Bundesstaaten haben inzwischen viel bessere Polizeien und Justizwesen. Andere liegen noch zurück. Das gilt auch für Guerrero (wo die 43 Studenten verschleppt wurden). In Iguala konnte das organisierte Verbrechen die lokale Polizei, das Rathaus und das Büro des Sicherheitschefs unterwandern. Ist der Zentralstaat nicht stark genug, das zu unterbinden? Er sollte vermutlich mehr zur Vorbeugung tun. Als Felipe Calderón 2006 Präsident wurde, hatten wir nur 6000 Bundespolizisten. Dabei ist unser Land fünfeinhalbmal so groß wie Deutschland! Wir haben ein Mosaik aus lokalen Polizeien, die sich in ihren Fähigkeiten und ihrer Ausstattung so krass unterscheiden wie bei den Gehältern und anderen Leistungen. Am Ende von Calderóns Präsidentschaft 2012 hatten wir 40.000 Bundespolizisten, die gut ausgebildet, ausgestattet und bezahlt sind. Die neue Regierung unter Präsident Peña Nieto hat zudem eine Gendarmerie mit 5000 weiteren Kräften gegründet. Diese sorgt jetzt in Iguala für Ordnung. Aber Fachleute sagen, dass ein Land unserer Größe eigentlich 100.000 Bundespolizisten benötigt. Ihre Regierung nennt die Verschleppung und mutmaßliche Ermordung der 43 Studenten einen Weckruf. Hat sie also doch geschlafen? Wir wollen damit sagen, dass in einem Land wie Mexiko, das seine Beziehungen zur Welt zum wichtigsten Hebel seiner wirtschaftlichen Entwicklung gemacht hat, so etwas wie in Iguala nicht passieren darf. Der Weckruf geht von der Bevölkerung aus, die auf die Straße geht. Eine solche Reaktion von der Bevölkerung und der Regierung haben wir in den letzten zehn Jahren nie erlebt. Juan Manuel Gómez Robledo Wirklich? Viele habe der Regierung Untätigkeit unterstellt. Die Bundesregierung hat ihren Willen bewiesen, den Vorfall lückenlos aufzuklären. 74 Personen sind inhaftiert: Täter wie Auftraggeber, Bandenmitglieder wie Polizisten. Die Herausforderung besteht auf den unteren Ebenen. Gouverneure und Bürgermeister müssen begreifen, dass solche Dinge Folgen haben. Es fehlte bisher an Abschreckung. Die Politiker haben nicht vor Augen geführt bekommen, dass sie im Gefängnis landen können wie jetzt Igualas Bürgermeister Abarca. Die Kritik an der Bundesregierung bezieht sich nur auf die ersten Tage. Schon seit dem 4. Oktober kümmert sie sich um die Angelegenheit. Die Studenten wurden aber acht Tage vorher verschleppt. Eine Woche Verzögerung ist eine halbe Ewigkeit, wenn es um die Aufklärung einer Straftat geht. Wir haben eben ein föderales System. Der Präsident hat die örtlichen Behörden sofort aufgefordert, sich der Sache anzunehmen, und er hat Hilfe angeboten. Nach einigen Tagen musste der Bund die Sache dann an sich ziehen. Menschenrechtler und Demonstranten sprechen von einem „Staatsverbrechen“. Das ist unangebracht. Wenn sich bestätigt, dass Polizisten in das Verbrechen verwickelt waren, dann trägt der Staat zwar Verantwortung. Aber der Begriff Staatsverbrechen – als Deutscher müssen Sie das wissen – meint Verbrechen, die an der Spitze des Staates geplant und angeordnet wurden. Davon kann keine Rede sein. Die 43 Studenten sind nur ein kleiner Teil von 20.000 bis 30.000 vermissten Personen in Mexiko. Das sind zum großen Teil Personen, deren Aufenthaltsort wir nicht kennen; nicht „Vermisste“ im Sinne des Gesetzes. Aber auf der Suche nach den Studenten wurden rund um Iguala Massengräber mit den Überresten von Menschen gefunden, nach denen niemand gesucht hat. Das soll jetzt keine Entschuldigung für den Staat sein, aber viele solcher Verbrechen gehen auf Kämpfe zwischen Banden zurück. Als sich diese Lage zuspitzte, hatte Mexiko die Wahl: Es hätte sich wie viele lateinamerikanische Länder für eine Einschränkung der Freiheitsrechte und die Verhängung des Ausnahmezustands entscheiden können. Wir haben stattdessen Strukturreformen angepackt, die langfristig den Rechtsstaat stärken. Kurz vor „Iguala“ hatte das Massaker von Tlatlaya Wut ausgelöst. Im Juni erschossen Soldaten 22 Zivilisten. Haben beide Fälle eine gemeinsame Wurzel? Das sind zwei völlig verschiedene Fälle. Dank der Reform des Militärstrafrechts stehen die sieben wegen des Vorfalls in Tlatlaya festgenommenen Soldaten nun vor einem zivilen Gericht. Es gibt keine Straflosigkeit. Präsident Peña Nieto wollte der Welt zeigen, was in Mexiko glänzt – und verstecken, was faul im Staate ist. Jetzt ist die Maske gefallen. Ist die Tragödie von Iguala auch ein PR-Desaster? So würde ich das nicht sagen. Die Regierung hat ja nie aufgehört, für die Sicherheit im Land zu kämpfen, etwa mit der neuen Gendarmerie. Vor knapp zwei Jahren wurden in Mexiko 22,5 von 100.000 Einwohnern umgebracht, jetzt liegt der Wert unter 19, niedriger als in den meisten Ländern Lateinamerikas. Die nationale Tendenz ist gut. Wenn Sie mich natürlich nach Acapulco in Guerrero fragen, sieht die Geschichte anders aus, dort nimmt die Gewalt zu. Unsere Regierung hat dieses Thema nie versteckt. Aber wir wollten auch die Dinge hervorheben, die Mexiko attraktiv machen. Sie haben die Interamerikanische Menschenrechtskommission eingeladen, die Aufarbeitung des Falls der 43 Studenten zu überwachen und Empfehlungen abzugeben. Vertraut die Regierung doch nicht Mexikos Selbstheilungskräften? In Momenten wie diesen ist es gut, für internationale Glaubwürdigkeit zu sorgen. Deshalb freuen wir uns auf die Zusammenarbeit mit den unabhängigen Experten. Auch die Angehörigen der vermissten Studenten haben darum gebeten. Die mexikanische Bevölkerung misstraut dem ganzen politischen System. Wie kann die Regierung den Empörten beweisen, dass die Tragödie von Iguala eine Wende zum Besseren einleiten wird? Ich bin überzeugt, dass wir an einem Wendepunkt stehen, weil der Fall innerhalb und außerhalb Mexikos so viel Beunruhigung verursacht hat. Sie könnte uns daran hindern, die Früchte unserer Wirtschaftsreformen zu ernten. Solche Gewalt darf es nicht mehr geben. Dafür werden wir hart mit den Regierungen der Bundesstaaten arbeiten. Die Augen der Welt ruhen auf Mexiko. URL: http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/amerika/mexikos-staatssekretaer-juan-gomez-robledo-ueber-menschenrechte-13284268-p2.html _______________________________________________ Chiapas98 Mailingliste JPBerlin - Mailbox und Politischer Provider Chiapas98@listi.jpberlin.de https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/chiapas98

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen