Mittwoch, 17. Dezember 2014
Wer „schwarz fährt“, aber das offen kennzeichnet, muss straffrei bleiben!
Betroffene fordern Einhaltung des geltenden Rechts – und Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr
Am heutigen Mittwoch, 26.11.2014, fand im Amtsgericht Starnberg ein Prozess gegen einen vermeintlichen Schwarzfahrer statt. Doch dieser fuhr nicht heimlich ohne Fahrkarte, sondern kennzeichnete sich mit einen auffälligen Schild. Bestraft wurde er trotzdem – das Amtsgericht verurteilte ihn mit kreativen juristischen Verrenkungen zu 20 Tagessätzen. Der so Verurteilte legte Rechtsmittel ein, denn schon nach dem Wortlaut des § 265a im Strafgesetzbuch (StGB) erscheint die Strafe rechtswidrig. Denn danach kann nur bestraft werden, „wer … die Beförderung durch ein Verkehrsmittel … erschleicht.“ Bis vor wenigen Jahren waren die für die Rechtsauslegung im Gerichtssaal maßgeblichen Kommentarbücher sogar noch einhellig der Meinung, dass die klassische Form des sog. Schwarzfahrens bereits nicht strafbar ist. „Die bloß unbefugte Leistungserlangung reicht jedoch für ein Erschleichen nicht aus“, schrieb beispielsweise Urs Kindhäuser im Lehr- und Praxiskommentar zum StGB. Neuere Rechtsprechung hat das zwar in Zweifel gezogen. Doch klar war und ist sowohl in allen Kommentaren als auch den meisten höchstrichterlichen Urteilen, dass eine offene Kenntlichmachung der Fahrscheinlosigkeit ausreicht, um nicht bestraft zu werden. Aus genannter Quelle: „Kein Erschleichen ist es, wenn der Täter offen zum Ausdruck bringt, die Beförderung unentgeltlich in Anspruch zu nehmen.“ Das sah auch das Amtsgericht Eschwege am 12.11.2013 so, als es eine Person in gleicher Fallkonstellation freisprach: „Seine Einlassung, dass er jedoch in allen 3 Fällen vor Fahrtantritt deutlich sichtbar einen Zettel an seine Kleidung geheftet hatte mit der Aufschrift "Ich fahre umsonst" war nicht zu widerlegen. Damit hat er allerdings gerade offenbart, kein zahlungswilliger Fahrgast zu sein, weshalb bereits der objektive Tatbestand des § 265 a Abs. 1 StGB nicht erfüllt ist.“ Das Bundesverfassungsgericht bestätigte diese Auffassung (Beschluss 2 BvR 1907/97 vom 9.2.1998), in dem es „unter dem Erschleichen einer Beförderung jedes der Ordnung widersprechende Verhalten versteht, durch das sich der Täter in den Genuß der Leistung bringt und bei welchem er sich mit dem Anschein der Ordnungsmäßigkeit umgibt“. Entsprechend empört reagierten Zuschauer_innen auf den heutigen Richterspruch: „Die denken sich jedes Mal etwas Neues aus, wie mensch sich verhalten müsste – wie soll ich mich da auf das Gesetz verlassen können“, war noch eine der harmloseren Bemerkungen. Tatsächlich hatten Gericht und Staatsanwaltschaft in der Verhandlung nach Tricks gesucht, mit denen die offensichtliche Straffreiheit noch zu umgehen sei. „Hier galt das Motto: Im geringsten Zweifel gegen den Angeklagten“, raunte eine Besucherin beim Hinausgehen.
Insgesamt sind Verfahren gegen Schwarzfahrer mit Hinweisschild an mindestens fünf Amtsgerichten anhängig. „Was hier passiert, ist nicht Schwarzfahren, sondern Schwarzstrafen – nämlich das Anklagen, Verurteilen und Einsperren ohne Rechtsgrundlage“, lautet ein Satz auf ihrer Internetseite www.schwarzstrafen.de.vu. Was dort auch sichtbar wird: Die Betroffenen wollen nicht nur für ihr Recht, im Fall des offen gekennzeichneten Fahrens ohne Fahrschein straffrei zu bleiben, sondern treten für die Abschaffung des Fahrpreiswesens insgesamt ein. Der nun in Starnberg verurteilte Dirk Jessen formuliert das so: „Hunderttausende von Menschen leben in diesem Land unter Armutsgrenzen und können sich ihre Mobilität kaum noch leisten. Tausende, die das trotzdem machen, sitzen im Gefängnis – nur wegen Schwarzfahrens.“ Fahrpreise seien sozial ungerecht, weil alle gleich viel bezahlen müssten. Nulltarif für alle würde dagegen die Chance zur echten Umverteilung bieten, wenn die Finanzierung aus einer Luxussteuer geschähe, wie Jessen noch im Gerichtssaal vorschlug. Kritisiert wurde auch die fehlende Effizienz von Fahrpreisen: Ein guter Teil der Einnahmen würde zu einem schon durch Fahrkartenverkauf, Automaten, Kontrolle und Werbung verschlungen – die Kosten für die Strafverfolgung und –vollzug nicht mit eingerechnet. Hinzu käme die Zerstörung von Lebensqualität und Umwelt durch den massiven Autoverkehr, der zudem umfangreiche Flächen und Bauten benötigt. Die Betroffenen wollen eine überregionale Kampagne für Gratis-Nahverkehr anstoßen. Ihre Strategie: „Wenn Schwarzfahren mit Kennzeichnung straffrei ist, darf mensch dazu aufrufen und dafür sorgen, dass es viele machen. Dann muss sich der Gesetzgeber bewegen.“ Es käme dann auf ausreichenden politischen Druck an, dass statt einer Verschärfung des Gesetzes die Einführung des Nulltarifs kommt.
Informationen, Gesetzestexte und –kommentare, Urteile und Studien zum Nulltarif unter www.schwarzstrafen.de.vu.
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19.-21.12. in der Projektwerkstatt in Saasen (Kreis Gießen)
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Kreativer und widerständiger Protest ist gut. Das dürfte inkompatibel sein mit dem Versuch, sich ständig mit den Herrschenden und Privilegierten zu verbinden, um kleine Vorteile zu ergattern, aber damit das Ganze selbst zu unterstützen. Es bedeutet aber nicht, zu den Strukturen des herrschenden Systems ohnmächtigen Abstand zu halten. Ganz im Gegenteil: In den Kochtöpfen der Macht herumrühren, genau hinzugucken, Interessen zu demaskieren, Vorhaben frühzeitig und genau zu kennen, verbessert die Handlungsmöglichkeiten. Darum soll es gehen: Die vorhandenen Beteiligungs- und Handlungsmöglichkeiten im Rahmen des bestehenden Systems kennenzulernen, um sie – neben der direkten Aktion – optimal nutzen zu können, z.B. Akteneinsichtsrecht, Verwaltungsklagen gegen Planungen und Behördenentscheidungen, Bürger_innenbeteiligung bei Bauvorhaben, nach Immissionsschutzrecht usw.
26.-28.12. in der Projektwerkstatt in Saasen (Kreis Gießen)
Den Kopf entlasten: Kritik anti-emanzipatorischer Positionen in politischen Bewegungen
In kurzen Vorträgen Workshops und Diskussionen werden Prinzipien vereinfachter Welterklärungen benannt und dann Beispiele vorgestellt, über die jeweils auch kurze Debatten möglich sind. Abschluss ist eine 8-Punkte-Liste für skeptisches Denken.
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Kontakt über:
Projektwerkstatt Saasen, 06401/90328-3, Fax 03212-1434654
Ludwigstr. 11, 35447 Reiskirchen-Saasen (20 km östlich Giessen)
www.projektwerkstatt.de/saasen
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