Mittwoch, 17. Dezember 2014

Das okkupierte Ost-Jerusalem und die israelischen Kriegstreiber

Von Felicia Langer ZDF und ARD berichten über den Anschlag auf die Synagoge in Jerusalem. Nicole Diekmann, die ZDF-Korrespondentin in Tel Aviv berichtet analytisch über den Anschlag: „Das ist eine neue Dimension, kaltblütig, martialisch, bewaffnet in eine Synagoge gehen, wo Unschuldige beten, nichts ahnend, das ist schon eine neue Qualität.“ (Junge Welt, R.Rupp, 19.11.14) Bei Netanjahu ist das noch deutlicher: „Die Täter sind Tiere in Menschengestalt.“ Ein derartiger Anschlag auf Zivilisten ist durch nichts zu rechfertigen und muss verurteilt werden, was ich auch tue. Aber die mittlerweile hochexplosive Lage im okkupierten Ost-Jerusalem geht zweifelsohne auf das Konto der kriegstreiberischen Regierung Netanjahu, die tötet, kidnappt und verhaftet, enteignet, die die ursprünglich palästinensischen Stadtviertel besiedelt, Häuser zerstört und die Bewohner vertreibt – kurzum, die das Völkerrecht mit Füßen tritt. Jeden Tropfen Blut, der in dem Konflikt vergossen wird, haben letztendlich die israelischen Kriegstreiber auf dem Gewissen; z.B. Außenminister Liebermann, ein Erzrassist, der neulich bekannt gab, natürlich werde Israel Ost-Jerusalem weiter besiedeln, ungeachtet aller internationaler Proteste. In jüngster Vergangenheit wurden in den palästinensischen Vierteln zahlreiche Häuser besetzt oder enteignet oder zerstört, die Zahl der geplanten jüdischen Wohneinheiten geht in die Tausende. – Noch ein bisschen Öl ins Feuer. Trifft es wirklich zu, dass der mörderische Anschlag in der Jerusalemer Synagoge auf nichtsahnende Betende eine „neue Qualität“ bzw. eine „neue Dimension“ darstellt? Erstaunlich, wie lückenhaft das politische Gedächtnis wird, wenn es um jüdische Täter aus Israel geht. Ich habe mich eingehend mit dem Massaker beschäftigt, das der Arzt Dr. Baruch Goldstein, ein israelischer Siedler in Armee-Uniform, am 25.2.1994 in der Al Ibrahimi Moschee in Hebron verübte: 29 nichtsahnende Betende wurden kaltblütig massakriert, zahlreiche verletzt. Der Täter lebte in der benachbarten Siedlung Kirjat Arba, die während der Regierungszeit der Arbeiterpartei mit deren Billigung und Segen in den Jahren 1968 bis 1970 gebaut wurde und sich selbst „Mutter der Siedlungen“ nennt. Mit einem Maschinengewehr und etlichen Magazinen Munition bewaffnet, drang er in die Moschee ein und eröffnete das Feuer. Unter den Toten waren auch Kinder im Alter von 10,11,12 und 13 Jahren. Der jüngste war Maraqa, 10 Jahre alt. Ich habe seine Familie im Oktober 1994 besucht und auch die Überlebenden und ihre Familien getroffen. Einer der Augenzeugen berichtete, dass Goldstein aus nächster Nähe systematisch von der letzten Reihe vor ihm, Reihe für Reihe, bis zur entferntesten kaltblütig beschossen hat. Die vor Ort anwesenden israelischen Soldaten haben nicht eingegriffen. Der Mörder wurde schließlich von den aufgebrachten Gläubigen getötet. – Von vielen jüdischen Israelis wurde und wird Goldstein seither als Held verehrt; sein Grab und das darauf errichtete Denkmal ist zum Wallfahrtsort geworden… Ich habe meine Recherchen vor Ort in einem Buch zusammengefasst, das den Titel trägt „Wo Hass keine Grenzen kennt“. Ich habe es den Opfern gewidmet. Auf jüdischer Seite beruht der Hass auf einer rassistischen Ideologie, auf palästinensischer Seite hat er sich durch die nunmehr 47 Jahre währende Besatzung entwickelt, deren Folgen man als schleichende ethnische Säuberung bezeichnen kann. Machen wir ihnen das Leben unerträglich, dann gehen sie von selbst. Es gibt tatsächlich eine „neue Qualität“ in der Beziehung zwischen Israel und den Palästinensern: Die Palästinenser in den besetzten Gebieten leiden unter immer stärker forcierter Enteignung, Kolonisierung und Strangulierung, die die Aussicht auf einen lebensfähigen eigenen Staat zunichte machen, und die Palästinenser im Kernland unter dem zunehmenden offenen Rassismus und ihrer Marginalisierung in dem Staat, der sich immer mehr als Staat nur für Juden versteht. – Die derzeitige Regierung unter Netanjahu ist offensichtlich friedensresistent und stellt sowohl für den Staat Israel, der nach eigenem Lippenbekenntnis demokratisch sein will, wie für die Region eine Gefahr dar. Jeder friedliebende Mensch sollte die derzeitige israelische Politik ächten und verurteilen, und zwar nicht stillschweigend, sondern in Wort und Tat. Das wäre eine zwingend notwendige „neue Dimension“. Felicia Langer

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