Freitag, 20. Juli 2012
Verfassungsschutz: "Neuanfang" mit rücksichtslosen Schreibtischtätern
19.07.12 - Die Vorstellung des alljährlichen "Verfassungsschutzberichts 2011" durch Innenminister Hans-Peter Friedrich und den scheidenden Verfassungsschutz-Präsidenten Heinz Fromm stand gestern ganz im Zeichen der Verharmlosung der skandalösen Enthüllungen der letzten Monate und der Orientierung auf einen ominösen "Neuanfang". Fromm heftete sich eine insgesamt "erfolgreiche Arbeit" an die Brust, die nur leider "durch diese unglückselige Angelegenheit" überlagert worden sei. Ein versehentliches "Unglück" war es allerdings nicht, dass systematisch V-Leute in der faschistischen Szene Thüringens und Sachsens angeworben wurden und inzwischen ein großer Teil der Akten darüber vernichtet wurde.
Ein ganzes Netzwerk von offener und verdeckter Förderung, Duldung, Untätigkeit und Wegschauen wurde innerhalb der 17 Bundes- und Landesbehörden des Inlandsgeheimdienstes der BRD über fast 15 Jahre aufgebaut und betrieben, ohne das die Mordserie der Terrorgruppe "NSU" kaum möglich gewesen wäre. Der "Neuanfang", den Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich auf Herbst terminiert hat, soll nun mit Hans-Georg Maaßen als zukünftigem Verfassungsschutz-Präsidenten stattfinden.
Kaum ist die Personalie entschieden, steht der Regierung neuer Ärger ins Haus. Denn Maaßen ist alles andere als ein Mann mit "weißer Weste". Er war als Ministerialdirigent im Außenministerium maßgeblich dafür verantwortlich, dass dem früheren Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz 2002 die Aufenthalts- und Rückkehrrechte entzogen wurden.
Kurnaz, der im November 2001 in Pakistan verhaftet wurde, galt zu dieser Zeit bereits als unschuldig und sollte nach Deutschland abgeschoben werden. Dennoch blockierte die damalige SPD/Grünen-Regierung seine Rückkehr. Infolgedessen verlängerte sich Kurnaz' Gefangenschaft und Folter in Guantanamo um drei Jahre. Man hatte offenbar Angst davor, dass er Details über den Einsatz des KSK ("Kommando Spezialkräfte") der Bundeswehr in Afghanistan kannte, der von den Regierenden stets bestritten wurde.
Maaßen war damals Referatsleiter für Ausländerrecht und für den Fall Kurnaz zuständig. Obwohl Kurnaz ein unbeschränktes Aufenthaltsrecht besaß, berief sich Maaßen in einer Stellungnahme vom 30.10.2002 auf einen Passus, wonach ein Ausländer sein Aufenthaltsrecht verliert, wenn er "sich länger als sechs Monate im Ausland aufgehalten hat". Da Kurnaz jedoch gegen seinen Willen in Guantanamo festsaß, ergänzte Maaßen in trockenem Amtsdeutsch, "... der Gesetzesbegründung ist nicht zu entnehmen, dass es dabei auf die Tatsache der Freiwilligkeit der Abwesenheit ankäme". Der Anwalt von Murat Kurnaz, Bernhard Docke, dazu rückblickend: "Diese Entscheidung war nicht nur juristisch abwegig, sondern auch von menschlicher Kälte geprägt."
Innenminister Friedrich nahm seinen "neuen Mann" gestern in Schutz und verwies darauf, dass die Verantwortung für den Fall Kurnaz die damalige Bundesregierung trage. Das schmälert zwar nicht die üble Rolle Maaßens, den Friedrich als "brillanter Jurist" lobte. In der Tat war für die Entscheidung im Fall Kurnaz der damalige Kanzeramtschef und heutige Fraktionsvorsitzende der SPD, Frank-Walter Steinmeier, hauptverantwortlich. Kein Wunder, dass auch der Innenexperte der SPD, Michael Hartmann, Maaßen verteidigt. "Profunde Sachkenntnis und Weitblick" habe er in der Vergangenheit bewiesen. "Sachkenntnis" vor allem in juristischen Winkelzügen zur Absegnung skrupelloser Entscheidungen. Wenn ein solcher Mann nicht für die "Aufklärung" der Machenschaften des Geheimdienstes berufen ist, wer dann?
Passend dazu berichtete die "Ostfriesen-Zeitung" in Leer bereits am 11. Juli auf der "Thema-Seite" über den "NSU"-Skandal von "gewaltbereiten Verfassungsschützern". Am Tag darauf folgte die Korrektur: "Es muss natürlich 'gewaltbereite Rechtsextremisten' heißen." Für eine wachsende Zahl von Kritikern stellt sich hingegen die Frage, wo - zumindest bei einem Teil des Spitzelapparats - überhaupt der Unterschied sein soll.
Die Vorstellung des "Verfassungsschutzberichtes" erfolgte denn auch wie selten zuvor aus der Defensive. Er ist mehr denn je ein trübes Gemisch aus Denunziation fortschrittlicher Initiativen, Bewegungen und Organisationen, antikommunistischer Hetze und Plattitüden mit systematischer Verharmlosung neofaschistischer Propaganda und Gewalt sowie Ausnutzung des faschistischen islamischen Fundamentalismus zum Vorwand für die Warnung vor "terroristischen Gefahren". Dieser "Verfassungsschutz" gehört aufgelöst! Bestrafung der Verantwortlichen für die Deckung faschistischer Mörder! Verbot und Ächtung aller faschistischen Organisationen und ihrer Propaganda!
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