Freitag, 20. Juli 2012

Betrachtungen zum 20. Juli 1944

Von Dietrich Eichholtz jungeWelt vom 20.07.2012 (auf Kommunisten.online am 20. Juli 2012 – Der Sturz Hitlers und des faschistischen Regimes war im Sommer 1944 überfällig. Schon seit der Vertreibung der Wehrmacht 1943 vom allergrößten Teil des in anderthalb Jahren eroberten sowjetischen Bodens war das Ende abzusehen. Im Laufe des Sommers 1944, nach der erfolgten Invasion in Frankreich, stießen die Westalliierten zur deutschen Grenze an Maas und Saar und im Elsaß vor. Die Rote Armee im Osten gelangte fast bis Warschau, tief nach Südpolen und an die Grenze Ostpreußens. Damit war die deutsche Niederlage mit Händen zu greifen. Irgendeine Strategie, ihr zu entgehen, gab es nicht mehr. Die Überlegenheit der militärischen und wirtschaftlichen Kräfte der Anti­hitlerkoalition war überwältigend. Es war nur noch verzweifelt wenig Zeit, den Krieg vorzeitig zu beenden und damit viele Millionen Menschen beider Seiten vor dem Tod auf dem Schlachtfeld, aber auch unzählige zivile Opfer vor Bombenkrieg und Flucht zu retten, ganz zu schweigen von der Zerstörung der Höhle des faschistischen Untiers selbst. Der deutsche Widerstand in seiner Kompliziertheit und Breite ist auch heute noch nur selten Gegenstand gründlicher historischer Untersuchungen. Sie hätten den antifaschistischen Kampf seit 1933 und vorher ins Blickfeld zu nehmen, den politischen und Arbeiterwiderstand, den Kampf gegen faschistische Unkultur, gegen Rassismus und Judenmord, den Widerstand der Unbeugsamen in Zuchthäusern und Konzentrationslagern, den Kampf in der Emigration, den Widerstand von Einzelnen wie dem Schreinergesellen Georg Elser, den Kampf vor allem gegen Aufrüstung und Krieg, gegen die Verbrechen an anderen Völkern, gegen den Terror in Deutschland selbst und gegen die Zerstörung der eigenen Lebensgrundlagen bei Kriegsende, schließlich die Widerstandsarbeit an der Seite der UdSSR im Umkreis des Nationalkomitees Freies Deutschland seit 1943. Der militärische Widerstand des 20. Juli 1944, jahrelang vorbereitet von einer Gruppe von Offizieren des Heeres, und der mit ihm lose verbundene bürgerlich-konservative Widerstand, die in das Attentat mündeten und nach seinem Scheitern ein so blutiges Ende nahmen, hätte in solchen Untersuchungen seinen angemessenen Platz. Er hat gegenüber den vielfältigen anderen Widerstandsformen nun schon seit 70 Jahren eine überwältigende wissenschaftliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen, erfährt aber immer noch unterschiedliche Bewertungen und in West und Ost oft verschiedene Gewichtung. Hierzu sind aus diesem Anlaß einige kritische Gedanken am Platz. Die kleine Schar von militärischen Verschwörern, die das Attentat schließlich durchgeführt hat, vollbrachte eine große nationale Tat. Henning v. Tresckows Wort, im Juni 1944 schon mit Skepsis bezüglich des Erfolgs der Aktion gesprochen, bleibt bestehen: Es komme darauf an zu handeln, um zu zeigen, »daß die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte unter Einsatz des Lebens den entscheidenden Wurf gewagt hat«. Die Lage im Juni/Juli 1944 Im Laufe des Juni/Juli 1944 schwand im Kreis der Verschwörer bereits die Hoffnung auf einen Erfolg des Attentats, selbst wenn es gelänge, Hitler zu töten. Die westlichen Alliierten kamen in der Normandie zuerst schwer voran, hatten aber Ende Juni Cherbourg, am 9. Juli Caen erobert und marschierten auf Avranches zu, um nach Süden und Westen Raum zu gewinnen und schließlich den Weg zur Atlantikküste und nach Paris zu öffnen. Erwin Rommel und Hans Günther v. Kluge, die Befehlshaber im Westen, sahen bereits in Kürze den Zusammenbruch der gesamten deutschen Front in Frankreich voraus. Die Rote Armee hatte seit dem 10. Juni an der Leningrader und an der Karelischen Front die Finnen auf ihre Grenzen zurückgetrieben und Leningrad endgültig freigekämpft. Am 22. Juni begann die mit den Alliierten abgesprochene sowjetische Großoffensive gegen die Heeresgruppe Mitte, die gewaltigste zusammenhängende Offensive des Krieges überhaupt. Sie durchmaß in wenigen Wochen auf breiter Front 500 Kilometer und erreichte Minsk (4. Juli), Vilnius (13. Juli), begann mit der Befreiung Ostpolens, Litauens und Lettlands und stieß bereits auf die ostpreußische Grenze vor. Hätte unter diesen Umständen bei einem Gelingen des Attentats die Kraft weniger hundert Todesmutiger ausgereicht, maßgeblichen Einfluß auf die deutsche Politik zu nehmen und sie in Übereinstimmung mit den Zielen der Antihitlerkoalition zu bringen? Einleuchtenderweise hätte der Krieg verkürzt und hätten noch Millionen Opfer, vor allem Blutopfer, den Deutschen und den Alliierten erspart werden können. Aber es gab selbst unter den Attentätern niemanden, der eine unverzügliche, bedingungslose Kapitulation vor allen Alliierten und den sofortigen Rückzug aus allen besetzten Gebieten angestrebt oder sofort zugestanden hätte. Selbst unter den lautersten und klarblickendsten Verschwörern wäre hierüber weder Einverständnis noch Übereinstimmung zu erzielen gewesen. Ein solches Einverständnis hätte auch von ihnen verlangt, den gesamten Krieg Hitlers und der Wehrmacht nicht nur als verloren, sondern als von vornherein – und besonders seit 1941 – als verbrecherisch anzuerkennen. Nehmen wir das Beispiel v. Tresckows. ­Tresckow war als Militär seit der Judenverfolgung vor dem Krieg im Widerstand aktiv geworden. Von 1941 bis 1944 war er ununterbrochen in hoher militärischer Position bei der Heeresgruppe Mitte tätig, zuletzt als Generalmajor. Den Krieg gegen die UdSSR hatte er zuerst eher begrüßt als gefürchtet. Er hatte die deutschen Siege bis 1942 ebenso erlebt wie die ununterbrochenen Rückzüge seit 1943, in seinem Fall bis zu seinem Ende im Juli 1944 bei Bialystok (Selbsttötung). Er war, wenn nicht Akteur, so Zeuge der ungeheuerlichen Verbrechen, die von Anfang an die deutsche Kriegführung in der UdSSR kennzeichneten. Jahrelang sammelte er im Heer Mitkämpfer gegen Hitler, ging früh von der Notwendigkeit aus, ihn zu töten. Ein Faktum bleibt, daß er nicht bedingungslos gegen den Krieg eintrat, den die Wehrmacht im Osten führte, und daß er offensichtlich keine klare Vorstellung von seinem möglichen Fortgang oder Ende besaß. In der Zeit der Rückzüge sprach er, zu Freunden, von seiner Schreckensvorstellung, daß es möglicherweise zu einer Abmachung zwischen Hitler und Stalin kommen könne, den er gleich Hitler für einen Großkriminellen hielt. Auch Graf Stauffenberg zeigte von Milieu und Indoktrination her nicht von vornherein Abneigung gegen den Ostkrieg. Elitär-soldatisch erzogen, rief er noch vor dem Erschießungspeloton im Bendlerblock das »Heilige Deutschland« als seinen Zeugen an: Sicherlich nicht überzeugend gegenüber möglichen Vorwürfen von sowjetischer Seite, die ihm hätte vorhalten können, daß er bis 1943 vom Oberkommando des Heeres mit der Aufstellung antisowjetischer Freiwilligen-Kampfverbände in der UdSSR beauftragt war. Es ist wahrscheinlich, daß viele aus der Reihe der Verschwörer im Juni 1944 die geglückte alliierte Invasion in Frankreich nicht uneingeschränkt begrüßten; hatten sie doch mit der Möglichkeit gerechnet, nach Hitlers Tod gesonderte Friedensverhandlungen mit den Westmächten zu führen, den deutschen Staat und das Heer retten und das Staatsgebiet von Besetzung freihalten zu können. Mit solchen Verhandlungen rechneten schon seit 1942 eine ganze Reihe von Oppositionsgruppen und Widerständlern, besonders Nichtmilitärs, die Gelegenheit hatten, Kontakte mit Verhandlungspartnern in England, der Schweiz, Schweden und anderen Ländern zu knüpfen. Für geheimdienstlich tätige britische und US-Dienststellen – bekannt ist besonders die europäische Residentur des Office of Strategic Services (OSS) in Bern unter Allan Dulles geworden – hatten solche Kontaktversuche hohen Nachrichtenwert, ohne daß sie bei Präsident Roosevelt, anders als bei Churchill, auf vorrangiges Interesse stießen. Die Zukunftsvorstellungen der dort vorstelligen deutschen Unterhändler waren selten ausreichend miteinander abgestimmt, vielfach wenig fundiert und wirklichkeitsfremd. Als ihr Hauptziel benannten sie ein Abkommen mit den Westalliierten darüber, die Sowjetunion von allen Verhandlungen auszuschalten und »ein kommunistisches Deutschland zu verhindern« (OSS-Bericht an das State Department, Mai 1944). Doch all das mindert nicht die Größe der Tat des 20. Juli 1944 und beschädigt nicht den Mut und die Todesverachtung der Akteure. Die Attentäter waren es, die der Wehrmacht, der gewaltigsten imperialistischen Aggressionsarmee ihrer Zeit, einen Rest ihrer soldatischen Reputation hätten retten können. Ihre erinnerungswürdige Tat ging damals unter im Blut und Tod von Hunderten, ja von Tausenden, die grausam hingemordet wurden. Scheitern des Attentats Das unglückliche Scheitern des Attentats lag an Umständen, die bekannt sind. Ungeachtet der Schwierigkeiten, die es dem schwerbehinderten v. Stauffenberg bereitete, seine Aktentasche mit dem Sprengstoff zu präparieren, gelang es, sie in der Nähe Hitlers zu plazieren. Die Wirkung der Bombe war verheerend. Elf der annähernd dreißig Anwesenden wurden so schwer verletzt, daß viele von ihnen starben. Von den übrigen blieben so gut wie unverletzt nur Hitler und Keitel. Stauffenberg und sein Helfer Werner v. Haeften konnten vorher ein Flugzeug nach Berlin besteigen, überzeugt von dem Ende Hitlers. In Berlin erreichte sie ihr Schicksal. Es scheiterten auch alle vorbereiteten militärischen Aufstandsvorbereitungen (»Walküre«). Noch nach dem Anschlag lebten bürgerliche Oppositionelle anscheinend in den alten Vorstellungen, nach denen man mit den Westalliierten über die Reichsgrenzen von 1914 werde diskutieren können, über den Einbehalt Österreichs und des Sudetengebiets und Tirols mit Bozen und Meran. Das Ziel, jede Besetzung Deutschlands zu vermeiden, spielte bei Carl Friedrich Goerdeler noch nach seiner Verhaftung eine Rolle. General Hans Speidel, damals Generalstabschef der Heeresgruppe B unter Rommel, nach dem Krieg oberster Militär in der BRD und in der NATO, schilderte seine Hoffnungen später offenherzig in seinen Erinnerungen: »Dem Waffenstillstand – keiner bedingungslosen Kapitulation – sollten Verhandlungen für einen Frieden folgen, der den Weg zur Ordnung und nicht zum Chaos zu weisen hätte.« Hitler und seine Mordbanden hatten viele Monate Zeit, sich blutig zu rächen, soweit ihre Macht noch reichte. Himmlers zuverlässige Schergen übernahmen die Verfolgung der inneren Opposition. Die Opferzahlen werden hier auf 700 unmittelbar nach dem Attentat Festgenommene geschätzt, von denen bis Kriegsende ein erheblicher Teil ermordet wurde. Die Gelegenheit, nach früher angelegten Listen gleichzeitig 5000 bis 6000 »Verdächtige« zu verhaften und viele zu morden, etwa Arbeiterführer wie Thälmann, ließ sich die SS nicht entgehen. Geiselhaft (»Sippenhaft«) gegen ungezählte Angehörige der »Verdächtigen«, auch gegen Kinder, wurde in großer Zahl verhängt, jetzt besonders gegen Angehörige von Mitgliedern des NKFD und von Überläufern. Hitler und die Generalität Die militärische Führung hatte 1941 voll hinter dem Kriegsplan für »Barbarossa« gestanden. Die hohe Generalität teilte früh Hitlers Pläne und arbeitete sie bis auf die letzte Panzerdivision durch. Mitte 1944 war die Welt eine völlig andere geworden und brach für die einstigen »Blitzkrieger« zusammen. Die Handvoll Verschwörer des 20. Juli waren die einzigen, die unter Einsatz ihres Lebens handelten – und scheiterten. Hitlers Generäle, einige tausend geschulte Militärs, die seit Stalingrad beispiellose Niederlagen und Rückzüge erlebt hatten, waren jetzt an drei Landfronten nahe an die deutschen Grenzen zurückgeworfen und führten auch zur Luft und zur See einen absolut hoffnungslosen Krieg. Das größte Verbrechen dieser Kaste besteht darin, daß sie den verlorenen Krieg bis zur schimpflichen Niederlage weiterführte. Sie selbst überlebte ihn mit mäßigen Verlusten und auskömmlichen Pensionen. In grundverlogenen Memoiren legten viele dieser »Helden« nach dem Krieg ihre »Erfahrungen« nieder, bar jeden Schuldbewußtseins und ihrer Wiederverwendung im Kalten Krieg gegen die UdSSR harrend. Geraume Zeit nach dem Krieg erschienen genauere Zahlen über die deutschen Kriegsverluste. Bei ihrer Analyse wurde unabweisbar klar, was für ein schreckliches Verbrechen am eigenen Volk es war, seit dem Sommer 1944 den Krieg bis zum elenden Ende fortzuführen. An deutschen Kriegstoten, eingerechnet die Opfer von Vertreibung und politischer Verfolgung (ohne Holocaust-Opfer), die Vermißten und die ihren Verletzungen Erlegenen, waren während des gesamten Krieges 7,7 Millionen zu zählen. Bis zum 20. Juli 1944 waren es 2,8 Millionen, in den letzten neuneinhalb Monaten danach über 4,8 Millionen, das sind fast zwei Drittel der Gesamtzahl. Oder: Die Zahl der täglichen Opfer bis zum 20. Juli betrug 1600, die danach täglich 16640. Für diese mörderische Bilanz der letzten Kriegsphase allein den »Führer« verantwortlich zu machen, seine fehlende oder verfehlte Strategie, seinen krankhaften »Siegeswillen« oder Größenwahn, die Inszenierung seines eigenen Untergangs, die ihn je länger, desto mehr zu beschäftigen schien, ist armselig. Die unwürdige Unterwerfung unter ihren »Obersten Kriegsherrn« ist zwar ein besonderes Schandmal der genannten Kaste, doch auch die »Angst« seiner Generalstäbler »vor dem Strick«, die er höhnisch pries (zu Goebbels, 2.12.1944), erklärt nicht das Phänomen, daß sich nach dem 20. Juli kein einziger einsichtiger Offizier mehr fand, der die Entschlossenheit besaß, von seiner Pistole Gebrauch zu machen und wenigstens Hitler über den Haufen zu schießen. Das Motivbündel, das die Wehrmachtführung veranlaßte, das große Verbrechen am eigenen und an anderen Völkern fortzusetzen, ist vielfältig und ist bisher nicht überzeugend geklärt. Zwei oder drei der wichtigsten Beweggründe für das schmähliche moralische Versagen der Marschälle, Generale und hohen Stabsoffiziere sollen diskutiert werden, da sie näherer Untersuchung bedürfen. Als erstes zu nennen: Diese Kaste hatte mit wenigen Ausnahmen am Ersten Weltkrieg teilgenommen. Ihr Denken war seitdem durchtränkt mit wildem Nationalismus und Revanchismus, gegründet auf tiefen Haß gegen die Schwäche und den »Verrat« der »Heimat«, worunter sie vor allem die Arbeiterparteien und die Novemberrevolutionäre verstanden. Vorrangig war ihre anti­revolutionäre, besonders antikommunistische Verhetzung, aufgeladen mit zunehmend virulentem Antisowjetismus. Der Faschismus bediente dieses Denken; er wurde zur herrschenden Ideologie, wie bei den Hitlerschen Terrorbanden, so bei erheblichen Teilen der Offizierskaste, die in den wenigen Jahren der forcierten Aufrüstung und Kriegsvorbereitung auf das Zehn- und Zwanzigfache anwuchs. Mit Kriegsbeginn war aus der Hunderttausend-Mann-Armee das Millionenheer der profaschistischen Wehrmacht entstanden, die offiziell die Beseitigung von »Versailles« und das Wiedererstehen Deutschlands als Groß- und Weltmacht auf ihre Fahnen schrieb. Zehntausende von jungen Kadern, viele verblendet, wurden neu in diese Wehrmacht aufgenommen und rasch befördert. Die offene Faschisierung der Wehrmacht nahm massiv zu (NS-Führungsoffiziere; Einführung des Hitler-Grußes). Was in unserem Zusammenhang noch schwerer wog, war die Beförderung von vielen Tausenden älterer Kader mit Weltkriegserfahrung und langjähriger nationalistischer Tradition zu höheren und höchsten Laufbahnen. Es ist bisher sehr wenig darüber bekannt, wie viele solcher Leute schon vor dem Krieg ausdrücklich den Kampf gegen Juden und Bolschewiki guthießen, ob sie nun v. Fritsch oder Halder, v. Reichenau oder Schörner hießen. Ferner spielte in dem Massenheer der Wehrmacht das Karriere- und Geltungsdenken eine enorme, bis heute unterschätzte Rolle. Wer für seine Offizierslaufbahn im Ersten Weltkrieg den Grund gelegt hatte, war in der Zeit nach 1933 und besonders während des Krieges von der Gunst des nunmehrigen Kriegsherrn abhängig, was seine Karriere und seinen Rang betraf. Das galt uneingeschränkt für die Kriegsperiode seit 1942 und besonders für die Endphase seit 1944, als Hitler als Oberbefehlshaber des Heeres bis in Kleinigkeiten hinein als »Feldherr« regierte und sich im Generalstab wie im Wehrmachtführungsstab mit hörigen Kreaturen umgab. Wer ihm als Militärfachmann kritisch gegenüberstand und ihm allzu deutlich überlegen war, wurde zurückgesetzt, oder auch als unbrauchbar nach Hause geschickt. So erging es im März 1944 den Feldmarschällen Ewald v. Kleist und dem ehrgeizigen Erich v. Manstein, der als bewährter Schreibtischmörder Hunderttausende eigner und gegnerischer Soldaten dahingeopfert hatte, ohne aber doch die Rückzüge bis zur polnischen und zur rumänischen Grenze aufzuhalten. Die Korruption des hohen Offizierskorps nahm gewaltige Ausmaße an. Hitler war sich ihrer Wirksamkeit voll bewußt und baute sie zu einem ausgeklügelten System aus, das er fest in eigenen Händen behielt. Seine Mittel waren vielfältig: Beförderungen, Absetzungen, Versetzungen, Bestrafungen, Verleihung von Orden und Ehrenzeichen, mitunter an ganze Einheiten bewährter Führer, Dotationen von Landgütern, große Geldsummen, häufig unter Ausspielen eines Heerführers und Generals gegen andere. Typisch war schließlich, daß moralische Bedenken gegen das sinnlose Abschlachten auch der eigenen Soldaten keine Rolle mehr spielten, dagegen rein professionelle Argumente dafür geltend gemacht wurden, mit den durchhaltegewohnten Truppen ohne Rücksicht auf Verluste wenigstens innerhalb der deutschen Grenzen einen »erträglichen« Frieden – möglichst unter Zurückdrängung der Roten Armee – zu erreichen. Gerade diese Haltung von hohen und höchsten Befehlshabern, die selbst kaum je Pulverdampf rochen, erntet bis heute viel Lob bei der offiziellen Geschichtsschreibung und dient dazu, eine Art positiver Wehrtradition aufrechtzuerhalten.

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