Samstag, 21. Juli 2012

Hartz IV Betroffene als Tafel Begleitmusik?

Arbeitslose nicht als Begleitmusik für 20-Jahre-Tafel-Jubelfeiern missbrauchen: Für die Hartz4-Plattform stellt sich die Frage: ist ein Aktionsbündnis aus mehrheitlich Tafel-Anbietern wirklich tafel-kritisch? 18.07.2012 Beim ersten Treffen des „kritischen Aktionsbündnisses 20 Jahre Tafeln“, Ende Juni in Berlin, kam die Mehrheit der Teilnehmer aus dem Kreis der kirchlichen Anbieter der Tafel-Ausgabestellen, von Caritas und Diakonie, sowie von tafelähnlichen Einrichtungen. Da wundert es wenig, dass später im Protokoll zu lesen ist: „Die Mehrheit der Anwesenden stellte sich hinter die Idee, nicht plakativ gegen die Tafeln zu sein bzw. vorzugehen“ und nur „einige TeilnehmerInnen wünschten sich eine fokussierte Tafelkritik“. Letztere waren Vertreter von vier Hartz IV-Initiativen, von denen kurz nach dem Treffen zwei Gruppen das Bündnis bereits wieder verlassen haben. Für sie steht in dem Bündnis, das Prof. Dr. Stefan Selke gegründet hat, die Glaubwürdigkeit einer ernsthaften Kritik am System der Tafeln in Frage. Nach Recherchen der Hartz-4-Plattform kann das als Rahmen ins Auge gefasste Forschungsprojekt Tafel-Monitor, keine glaubwürdige Grundlage für Tafel-Kritik darstellen. Man fühle sich nach Einschätzung der Hartz4-Plattform eher als Begleitmusik für die Tafel-Jubelfeiern im nächsten Jahr missbraucht. Immerhin definiert das Hochschulprojekt sein Forschungsziel dahingehend, dass es „dezidiert die Seite der Hilfe-Anbietenden in den Blick nimmt“. Nicht zuletzt ist auch seine enge Vernetzung mit der Gründerin der Berliner Tafel sowie Berliner Tafel Stiftung, Sabine Werth, ein Ausschluss-Kriterium für die Mitarbeit in diesem – nach Ansicht von Brigitte Vallenthin – alles andere als tafelkritischem Bündnis. Das „kritische Aktionsbündnis 20 Jahre Tafeln“ ist, so beschrieb Prof. Selke seine Entstehung, eine Idee des „Tafelsymposium“ 2012 der jährlichen Veranstaltung des bis zum Sommer 2013 vom Land Baden-Württemberg geförderten Forschungsprojekts „Tafel-Monitor“. Der „Tafel-Monitor“, ein Forschungsprojekt der Hochschulen Esslingen und Furtwangen, beschränkt sich ausdrücklich nur auf die Interessen der Tafel-Anbieter. Seine Kooperationspartner kommen ausschließlich aus den kirchlichen Verbänden – also von den Betreibern der Tafel-Ausgabestellen. Im Projektbeirat aus Tafel-Praktikern - sitzen Sabine Werth und Vertretern aus Kirchen- und Sozialverbänden sowie Universitäten. Die Seite der Tafel-„Kunden“ ist in diesem Gremium ebenso wenig vertreten wie die der Tafel-Kritiker. Folglich ist die Zielorientierung auch auf das Fortbestehen des Tafelsystems gerichtet. Sowohl Tafel-Monitor als auch das von Prof. Stefan Selke ins Leben gerufene sogenannte kritische Aktionsbündnis blenden bewusst die Hauptgrundlage jeder Tafel-Kritik aus, nämlich – abgesehen von zahlreichen mittlerweile beteiligten Branchen wie Automobilindustrie, Postdienstleistern, Elektronik- und Einzelhandels-Konzernen -, den wirtschaftlichen sowie profitablen immateriellen Nutzen für die Lebensmittelindustrie: - Kosteneinsparung mittels Biomüll-Entsorgung durch die Tafeln, - Steuergeschenke durch Spendenquittungen für das Entsorgte und - kostenlose Image-Werbung. Absurder Weise siedelt der Tafel-Monitor auch die Tafeln bereits „im Netz der Hilfsorganisationen“ und im „Wohlfahrtsmix“ an und präsentiert unter den zahlreichen Tafel-„Optimierungs“-Zielen beispielsweise „für die Träger und Interessenvertretungen von Tafeln die erhöhte Transparenz: - hinsichtlich des Gebrauchswertes des Angebotes, - auch in Hinblick auf die Öffentlichkeitsarbeit der Tafeln, - sowie die Basis für eine fundierte Diskussion der Funktion und Position der Tafeln im bundesdeutschen Wohlfahrtsmix“ Und nach der am Anbieter-Nutzen orientierten Marktforschung des „Tafel-Monitor“ formuliert dann auch das Aktionsbündnis als erstes Ziel ein kritisches öffentliches Bewusstsein über den Zusammenhang von Sozialstaatsabbau und Tafeln (...) zu befördern“, eine Zielvorgabe, die pikanter Weise eine erstaunliche Nähe zur Ablenkungsstrategie des Bundesverbandes der Tafeln in seiner Presseerklärung vom 20. Juni offenbart, wo es heißt: „Sozialpolitik muss endlich handeln!“, so als handelten die Tafeln als selbstlose Gutmenschen, um dem Sozialstaat unter die Arme zu greifen. Dabei wäre es – wenn der Wohltäter-Drang tatsächlich so groß wäre – für die Player im Tafelsystem ein leichtes aus diesem - dem „Nestle-Prinzip“ ehemaliger Dritt-Welt-Entmündigung – vergleichbaren System auszusteigen und auf Basis der bestehenden Strukturen die Privatisierung in Arbeitslosen-Hand voran zu treiben - das Almosen-Empfänger-System also in tatsächlich selbstlose, praktische Hilfe zur Selbsthilfe umzuwandeln. Stattdessen, stellt die Hartz4-Plattform fest, bauen nicht nur die Tafeln ihr bestehendes System mit Beschleunigung aus – sie vernetzen sich zunehmend mit anderen Bereichen der Armutsindustrie zu eigener, profitabler Wirtschaftsmacht. So ist beispielsweise Sabine Werths Berliner Tafel Stiftung eng verzahnt mit dem Maßnahmen- und Weiterbildungsanbieter Goldnetz e.V./gGmbH in Berlin. Goldnetzgründerin, Gisela Pfeifer-Mellar, ist stellvertretende Vorstands-Vorsitzende von Werths Stiftung. Und Goldnetz wiederum soll inzwischen zu den größten Arbeitgebern im Berliner Bezirk Mitte gehören – im Angebot Sozialmärkte und vor allem Fortbildungen auf Rechnung von Bildungsgutscheinen der Bundesagentur für Arbeit. Das Unternehmen empfiehlt sich auf seiner Website mit den Angeboten: „Entwicklung und Umsetzung von Beschäftigungs- und Qualifizierungs-Projekten im Rahmen der Arbeitsförderungs-, Bildungs- und Sozialpolitik ... Im Wesentlichen sind das die Instrumente und Programme des SGB II und III, beispielsweise ... Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwands- Entschädigung ... Arbeitsgelegenheiten mit Entgelt und berufliche Weiterbildung“ – d.h. 1 Euro-Jobs und Mini-Jobs. Inzwischen hat das Aktionsbündnis zwar den Namen Sabine Werth sowohl von seiner Startseite als auch von der Mitgliederliste gelöscht. Es darf allerdings bezweifelt werden, dass deshalb die „Mutter der Tafeln“ dort keine zentrale Rolle mehr spielen wird. An vollmundigen Erklärungen und dem Selbstbewusstsein, in den unterschiedlichsten Initiativen, in allen Gassen also unterwegs zu sein, mangelt es ihr nicht. Bereits im taz-Interview vom 19. Dezember 2010 hatte sie sogar gemeint, das nötige „Charisma“ zu besitzen, um soziale Proteste in Gang zu bringen. Und am 26 Mai 2011 erklärte sie auf einer Veranstaltung der Bürgerinitiative bedingungsloses Grundeinkommen Berlin: „ich bin ganz bestimmt Trägerin des Ehrenamts-Gens, ganz sicher“ und: Menschen, denen „das am Arsch vorbeigeht, sind Menschen mit denen ich nichts zu tun haben will“. Neben der Hartz4-Plattform hat sich inzwischen auch das Soziale Zentrum Höxter, für das Thomas und Margit Marion Mädel am Berliner Treffen teilgenommen haben, von dem „kritischen Aktionsbündnis 20 Jahre Tafeln“ verabschiedet. (Brigitte Vallenthin)

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