Montag, 16. Juli 2012
Schützlinge des Inlandsgeheimdienstes
Zwei ehemalige V-Männer aus Thüringens Neonaziszene wurden nach eigener Aussage vom Verfassungsschutz vor der Polizei gewarnt
Von Claudia Wangerin
jungeWelt vom 14.07.2012 (auf Kommunisten-online am 15. Juli 2012) – Vor die Kamera wollte der ehemalige Thüringer V-Mann und Neonazikader Tino Brandt nicht. Nach einem Fernsehbericht des WDR-Magazins »Monitor« am Donnerstag abend hat er den Reportern allerdings bestätigt, daß der Verfassungsschutz ihn mehrfach vor Strafverfolgungsmaßnahmen warnte. Diesen Verdacht hatten zuvor polizeiliche Ermittler geäußert, die sich in den 1990er Jahren mit dem rechtsextremen »Thüringer Heimatschutz« beschäftigten, aus dessen Reihen die Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) hervorging. »Bei Treffen oder telefonisch« sei Brandt vom Verfassungsschutz informiert worden: »Die haben einen Durchsuchungsbeschluß. Da steht was an«, gibt der seinerzeit hochbezahlte V-Mann zu. »Da wußte ich Bescheid. Habe dann etwa meinen Computer woanders hingebracht und einen alten PC hingestellt.«
Nach Aussage des damaligen Leiters der Abteilung Rechtsextremismus im Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) könnte dieses den Computer sogar selbst gestellt haben: Bei seiner Zeugenvernehmung im Untersuchungsausschuß des Landtags zum NSU-Skandal am Montag hatte Karl Friedrich Schrader ausgesagt, Brandt habe als V-Mann »auch Technik bekommen, Handys, Computer, Fax, Zuschüsse zum Auto«. So habe der Geheimdienst seine Quellen bei Laune gehalten.
Brandts V-Mann-Führer Norbert Wiesner, der den Neonazi 1994 im Alter von 19 Jahren für den Geheimdienst rekrutiert hatte, sagte am selben Tag im Untersuchungsausschuß, zum Führen eines V-Mannes gehöre auch, daß die Person vom Verfassungsschutz gesteuert werde.
Auch der ehemalige V-Mann und Neonazi Thomas Dienel wurde nach eigenen Angaben vom Thüringer Inlandsgeheimdienst vor Polizeimaßnahmen gewarnt. Als die Polizei ihn wegen einer bevorstehenden Aktion zum Geburtstag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß für fünf Tage in Unterbindungsgewahrsam nehmen wollte, habe ihm sein damaliger Kontaktmann vom Verfassungsschutz geraten abzutauchen, zitierte die Thüringische Landeszeitung am Donnerstag Dienel.
Gegen einen hochrangigen Staatsschützer aus Thüringen laufen unterdessen Ermittlungen wegen Geheimnisverrats, Strafvereitelung im Amt und Bestechlichkeit. Die Anschuldigungen gegen den Mitarbeiter der Landespolizeiinspektion Jena stammen nach MDR-Informationen von einem Mann, der bei Ermittlungen im Drogenmilieu festgenommen wurde und auch Kontakte zur rechten Szene habe, sagte der Leiter der Jenaer Landespolizeiinspektion, Heiko Schmid. Die Vorwürfe beträfen jedoch die jüngere Vergangenheit und nicht die 1990er Jahre, betonte Schmid.
Von einem schweren polizeilichen Ermittlungsfehler in Sachen NSU berichtete am Freitag die Süddeutsche Zeitung. Bei der Durchsuchung der Jenaer Garage des späteren »Zwickauer Terrortrios« Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe sei im Januar 1998 eine Adressenliste mit etwa 35 Namen gefunden worden, darunter einige, die inzwischen als Beschuldigte geführt werden, weil sie als Unterstützer der Terrorzelle verdächtigt werden. Damals befanden jedoch die Beamten des Thüringer Landeskriminalamts, die Namen seien »für das hier geführte Ermittlungsverfahren ohne Bedeutung«. Auf der Liste mit der Asservatennummer 23.6.1 soll auch der Name Ralf Wohlleben stehen. Der frühere NPD-Funktionär aus Jena sitzt zur Zeit in Untersuchungshaft, weil er verdächtigt wird, eine Schußwaffe für das Trio besorgt zu haben, dem inzwischen zehn Morde zur Last gelegt werden. Namen und Telefonnummern aus Jena, Rostock, Nürnberg und vor allem aus Chemnitz sollen in der Liste aufgeführt sein.
Die in Sachsen verspätet aufgetauchte Verfassungsschutzakte, wegen der Behördenchef Reinhard Boos am Mittwoch seinen Rücktritt erklärt hatte, scheint unterdessen immer noch nicht vollständig ausgewertet worden zu sein. Die Sondersitzung der Parlamentarischen Kontrollkommission für den Geheimdienst im sächsischen Landtag verlief daher am Freitag in Dresden ergebnislos. Der Vorsitzende des Gremiums, Günther Schneider (CDU), erklärte anschließend, es gebe keine neuen Hinweise auf eine Verwicklung von V-Leuten des Verfassungsschutzes in den Fall. Die Linken-Abgeordnete Kerstin Köditz kritisierte jedoch, sowohl die Leitung des LfV Sachsen als auch Innenminister Markus Ulbig (CDU) seien unvorbereitet zur Sitzung erschienen. »Es konnte keine Auswertung des Amtes zu der jetzt aufgefundenen Akte mit Abhörprotokollen vorgelegt werden«, so Köditz. Naturgemäß könnte so auch keine Aussagen über mögliche Verwicklungen von V-Leuten getroffen werden.
http://www.jungewelt.de/2012/07-14/052.php
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