Sonntag, 16. August 2015
Magisches Gehege (Manfred Sohn)
Die Mosaiksteine scheinen aus unterschiedlichen Bildern zu stammen: Trotz gewaltiger Sympathiebekundungen bekommen die Erzieherinnen und Erzieher einen Schlichterspruch vorgesetzt, der weit von ihren Forderungen, aber sehr dicht an den Kassenvorstellungen der Stadtkämmerer liegt. Der aufopferungsvolle Streik der Postler ist, wie die FAZ triumphierend kommentierte, »krachend gescheitert«. Landauf, landab werden die Personal- und Betriebsräte quasi mit vorgehaltener Pistole gezwungen, unterschiedlich tiefgreifende Einschnitte in die betrieblichen Altersversorgungswerke hinzunehmen, weil die chronisch niedrigen Zinssätze eine Refinanzierung der Rücklagen für die Unternehmen immer aufwendiger machen. In Griechenland verwandelte sich der euphorische Aufbruch der Januarwahlen, in denen das Wahlbündnis Syriza triumphierte, die demütigende Annahme eines Kürzungsdiktats, das die Leiden der arbeitenden, pensionierten und arbeitslosen Menschen vertiefen wird (s. auch »Griechisches Menetekel«, Ossietzky 5/2015).
Nebeneinandergelegt zeigt sich aber das Bild, dass im modernen Kapitalismus selbst Abwehrerfolge gegen die beständige Erosion von sozialen, politischen und materiellen Errungenschaften aus der Phase zwischen 1949 und 1989 immer höheren Aufwand bei immer geringerem Ertrag benötigen. Mathematisch gesehen zeichnet sich das Bild einer Kurve, die asymptotisch auf einen Punkt zuläuft, der einen kompletten Stillstand signalisiert, egal wie sehr die Protagonisten gewerkschaftlicher und politischer Kämpfe sich auch abmühen, über diesen Punkt hinauszukommen.
Knapp fünfzig Jahre nach dem Erscheinen der deutschen Ausgabe (Ü: Alfred Schmidt) seines Buches »Der eindimensionale Mensch« scheint sich die düstere Ahnung von Herbert Marcuse von der »Unterbindung des gesellschaftlichen Wandels« zu bewahrheiten. Der Befund jedenfalls drängt sich zunehmend auf, dass innerhalb des magischen Geheges von Markt, Tausch, Geld und Staat keine Veränderung mehr möglich ist, die das Wohlbefinden der Menschen, die in diesem Gehege befangen sind, spürbar heben könnte. Die ökonomische und politische Geschäftigkeit nimmt zwar zu, aber die Ergebnisse der Bemühungen nehmen stetig ab.
Das sind Zeiten, in denen es – wie damals, als Marcuse und andere angesichts der lähmenden Stille, die sich über die westlichen Gesellschaften legte, die »Hölle der Gesellschaft im Überfluss« kritisierten – notwendig ist, gründlich nachzudenken über die Voraussetzungen und Kampfmittel linker Aktivitäten.
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