Sonntag, 16. August 2015
Maaßen, Range, Maas … was wollen sie verheimlichen?
Am 10. August hat die Bundesanwaltschaft die Strafverfahren gegen die Betreiber der Internet-Nachrichtenseite „netzpolitik. org“ eingestellt. Das ist ein Erfolg der breiten Empörung über den Versuch der Kriminalisierung von zwei Journalisten, die Geheimdienstpläne bekannt machten und damit bürgerlich-demokratische Rechte und Freiheiten verteidigten.
In Internetforen, TV- und Zeitungsbeiträgen, mit Protesterklärungen von Journalistenverbänden und Gewerkschaften sowie Demonstrationen wurde eine breite Öffentlichkeit mobilisiert und der Angriff auf eine kritische Berichterstattung zurückgeschlagen.
Am 25. März dieses Jahres hatte Hans-Georg Maaßen, neuer Chef des Inlandsgeheimdienstes „Verfassungsschutz“, eine Strafanzeige an das Landeskriminalamt Berlin geschickt. Maaßen war als „Reformer“ des besonders durch seine Verstrickung in die Mordtaten der faschistischen Killerbande NSU verrufenen und in eine Krise geratenen „Verfassungsschutzes“ angetreten: „Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Arbeit des Verfassungsschutzes ist massiv gestört. Wir müssen versuchen, es wieder herzustellen. Dazu gehört insbesondere eine größere Transparenz gegenüber dem Parlament.“1
Wie unerträglich, dass seine ersten „Reformpläne“ nun die beiden „netzpolitik.org“-Blogger Markus Beckedahl und Andre Meister an die Öffentlichkeit brachten. Denn danach will Maaßen alles andere als „Transparenz“: Mit einer eigens dafür eingerichteten Abteilung sollen künftig Internet-Inhalte massenhaft ausgewertet werden (siehe S. 6).
Generalbundesanwalt Harald Range wiederum ließ sich nicht lange bitten und setzte umgehend ein Ermittlungsverfahren wegen „Landesverrats“ und „Verrats eines Staatsgeheimnisses“ gegen die Journalisten in Gang. Range hat sich schon zuvor den unrühmlichen Namen eines Scharfmachers erworben. Es ist die ihm unterstellte Bundesanwaltschaft gewesen, die in Prozessen gegen türkische und kurdische Revolutionäre Anklage erhob und hohe Haftstrafen erwirkte. Auf der Grundlage des – innerhalb der EU einzigartigen – Verbots der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in Deutschland verfolgte er Aktivisten bei Spendensammlungen und Kulturveranstaltungen.
Deutlich im Gegensatz dazu verhielt sich die gleiche Bundesanwaltschaft im Vorgehen gegen die faschistische Terrorgruppe NSU, wo für Range zehn Jahre lang „keine rechtsterroristischen Verbrechen erkennbar“2 waren und wo er alles dafür tat, eine gründlichere Untersuchung der Rolle des „Verfassungsschutzes“ und seiner V-Leute zu verhindern. Hinsichtlich der Zusammenarbeit des amerikanischen Geheimdienstes NSA mit dem deutschen Auslandsgeheimdienst BND beschränkte sich Range darauf, Ermittlungen zur Bespitzelung des Handys der Kanzlerin aufzunehmen. Was kümmern ihn andere Betroffene?
Jetzt wurde er von seinem Vorgesetzten Justizminister Heiko Maas (SPD) zurückgepfiffen, nachdem die Protestwelle gegen die Anzeige gegenüber den beiden Journalisten anschwoll und immer mehr Querverbindungen zu anderen Geheimdienstaktivitäten gezogen wurden. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik wurde ein Generalbundesanwalt von seinem Dienstherren im Justizministerium gekündigt.
Was Heiko Maas von dem ganzen Vorgang wann erfuhr bzw. was er selbst dazu anordnete, ist noch nicht bekannt. Tatsächlich waren Innen- und Justizministerium mindestens seit dem 13. Mai über das eingeleitete Verfahren informiert. Auch die Tatsache, dass der Generalbundesanwalt an die Weisungen des Justizministers gebunden ist, spricht nicht gerade für dessen Beteuerungen, davon überrascht worden zu sein.
Erst zwei Monate zuvor hatte Maas alle höchst persönlich vorgetragenen Wahlversprechen in den Wind geschlagen, sich seinem Parteichef Sigmar Gabriel unterworfen und ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung vorgelegt. Damit hat er die ohnehin anschwellende Krise der SPD vertieft. Denn große Teile der Parteibasis und einer breiten demokratischen Öffentlichkeit sind alles andere als einverstanden damit, dass künftig die Verbindungsdaten aller Nutzerinnen und Nutzer der Telekommunikation gespeichert werden. Wer wann welche Telefonnummer angerufen, wem eine SMS geschickt, unter welcher IP-Kennung im Internet gesurft und wo er sich mit seinem Handy aufgehalten hat – all das soll gespeichert und den „Strafverfolgern“ für Ermittlungen zur Verfügung gestellt werden. Diese sind verpflichtet, ihre Erkenntnisse an die Geheimdienste weiterzugeben. Damit wird eine Totalüberwachung praktisch der gesamten Bevölkerung zu jeder Zeit, an jedem Ort organisiert – ohne jeden Anlass, ohne konkrete Verdachtsmomente, geschweige denn richterliche Genehmigung. Ein neuer Paragraf soll zudem die Verwendung widerrechtlich erworbener Daten unter Strafe stellen. Das richtet sich direkt gegen „Whistleblower“, also Menschen, die gesellschaftliche Missstände aufdecken. Interessanterweise gehen auch nach Rücknahme der Anzeige gegen die „netzpolitik.org“-Blogger die Ermittlungen weiter, wer aus welcher Behörde „Dienstgeheimnisse“ an sie verraten hat.
Der von den Bloggern enthüllte Plan einer 75-köpfigen Abteilung beim „Verfassungsschutz“ baut auf der Vorratsdatenspeicherung auf und geht noch darüber hinaus, indem dort auch Echtzeitdaten der Telekommunikation in großem Umfang überwacht und systematisch ausgewertet werden sollen (siehe S. 6). Bei all diesen Plänen einer umfassenden Massenüberwachung offenbart sich ein eng verzahntes Zusammenspiel zwischen Innen- und Justizministerium, Geheimdiensten und Generalbundesanwalt.
Gegen wen richtet sich die Datensammelwut?
Viele Menschen mögen sich fragen, was denn diese immer mehr ausufernde Datensammelwut soll. In jedem Krimi nutzen schließlich auch taffe Kommissarinnen und Kommissare Telefondaten, Handy-Ortungen sowie E-Mail-Mitteilungen für die Verbrecherjagd, und wenn sie nicht legal an diese Daten kommen – dann eben illegal. Das scheint schon Alltag und mancher glaubt noch, ihm könne das egal sein, „so lange ich mir nichts zuschulden kommen lasse“.
Bei diesen Überwachungsplänen werden zweifellos auch die individuelle Persönlichkeitsrechte mit Füßen getreten. Vor allem geht es darum, ganze Gruppierungen und ihre organisierten Strukturen auszuspionieren: Wer liest welche Zeitungen oder Internet-Portale, beteiligt sich an Petitionen, geht zu Versammlungen, steht mit wem in Verbindung? Die flächendeckende Datensammlung wird systematisch ergänzt mit direkten Abhörmethoden, illegalen Zugriffen auf Computer und Netzwerke, Kontoverbindungen usw. Bei Demonstrationen werden die Kennzeichen der Autos der Anreisenden registriert, verdächtige Personen werden observiert und linke Organisationen mit Spitzeln durchsetzt. Gegen Streiks oder Demonstrationen richten sich Observierungen über biometrische Personenerkennung.
Der bürgerliche Staat mit seinen Geheimdiensten überwacht nicht nur. Die Massenüberwachung dient der Vorbereitung eines verschärften Vorgehens gegen revolutionäre Entwicklungen und Organisationen. Das zeigt sich bereits bei der Verhaftung und den Prozessen gegen türkische und kurdische Revolutionäre. Schon jetzt ist der „Verfassungsschutz“ maßgeblicher Stichwortgeber des modernen Antikommunismus, der sich nicht zuletzt gezielt gegen die MLPD richtet. Mit unbewiesenen und unbeweisbaren Verleumdungen schürt er Ängste und Vorbehalte, um fortschrittliche und revolutionäre Organisationen gesellschaftlich zu isolieren. Der Geheimdienst selbst kann für seine Lügen und Halbwahrheiten jedoch nicht belangt werden.
Dagegen hat sich eine breite Anti-Antikommunismus-Bewegung entwickelt. Die MLPD versteht sich als Teil dieser Bewegung. In ihrem Prozess gegen den Schöningh-Verlag und dessen Autor, den „Verfassungsschutz“-Mann Rudolf van Hüllen, wurde erstmals die „Unantastbarkeit“ von „Verfassungsschutz“-Behauptungen infrage gestellt. Ein Teil der Verleumdungen gegen die MLPD und ihren Vorsitzenden Stefan Engel wurden den Verantwortlichen untersagt. Der Verlag zog daraufhin sein antikommunistisches Machwerk zum sogenannten „Linksextremismus“ zurück. Von der Untersagung weiterer Diffamierungen sah das Landgericht Essen ab, weil es sich ja um „persönliche Meinungsäußerungen“ handle (siehe S. 8). Das direkte Gegenteil ist der Fall. Werden die antikommunistischen Lügen und Verdrehungen doch unter dem Ettikett einer staatlichen Behörde zigtausendfach über die sogenannten „Verfassungsschutzberichte“ verbreitet. Am 12. August kam es zur Berufungsverhandlung (siehe S. 8/9).
Es ist überfällig, dass auch „Verfassungsschutz“-Präsident Maaßen seinen Hut nimmt und überhaupt der ganze verhasste Inlandsgeheimdienst aufgelöst wird. Gleichzeitig offenbart die aktuelle Affäre, wie hinter der Fassade der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ und des bürgerlichen Parlamentarismus der reaktionäre Staatsapparat ausgebaut wird.
… sie haben mächtige Feinde
Wer einen solchen Aufwand rund um den Globus betreibt – der hat es nötig. Das imperialistische Weltsystem ist immer mehr von Krisen geschüttelt. Wenn tagtäglich tausende Menschen über das Mittelmeer oder durch den Ärmelkanal unter Lebensgefahr vor Krieg, Umweltkatastrophen und Elend fliehen – dann zeigt das, dass Millionen nicht mehr in der alten Weise leben können und wollen. Revolutionäre Entwicklungen wie im kurdischen Teil Syriens, in Rojava, wirken wie ein Fanal, dass es möglich ist, das Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Dieser Kampf für eine gesellschaftliche Perspektive findet wachsende internationale Unterstützung. Getrieben werden die Herrschenden bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zur Faschisierung ihrer Staatsapparate von der Furcht vor der Entfaltung revolutionärer Bewegungen und Organisationen.
Sie werden scheitern. Und das je mehr der Kampf über die Verteidigung und Erweiterung bürgerlicher-demokratischer Rechte und Freiheiten hinausgeht und sich mit dem Eintreten für die Perspektive des Sozialismus verbindet.
1 „Kölner Stadtanzeiger“, 11.8.2015
2 ‑„Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 25.3.2012
3 „netzpolitik.org“, 15.4.2015
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