Dienstag, 15. September 2020

Wie die Rechtsradikalen ins Zentrum der schwedischen Politik rücken


Schweden: Brennende Vorstädte„… Wie in Deutschland Angela Merkel überstand Löfven politisch die Entscheidung, viele Flüchtlinge ins Land zu lassen, musste jedoch bei der Reichstagswahl 2018 mit drei Prozent weniger Federn lassen. Die rotgrüne Minderheitsregierung konnte er weiter führen, allerdings braucht er nun das Tolerieren zweier liberaler Parteien, die in Wirtschaftsfragen entfernt von den Sozialdemokraten stehen. Die Schwedendemokraten (SD) konnten angesichts der Unzufriedenheit über die Migrationspolitik über 17 Prozent erreichen. Im Unterschied zur AfD gibt es sie als Bewegung bereits seit Ende der 70er Jahre und sie haben ihre Wurzeln im Rechtsradikalismus. Auch können sie sich nun als einzig migrationskritisches Original darstellen und den anderen Parteien vorwerfen, ihre Konzepte wie ihren scharfen Ton nur übernommen zu haben. Die Hemmungen, mit den Rechten zu kooperieren, sind vor allem bei den bürgerlichen Parteien “Die Moderaten” (M) und “Christdemokraten” (K) mittlerweile geschwunden. M-Parteichef Ulf Kristersson, Löfvens künftiger Herausforderer bei den Wahlen in zwei Jahren, verlangte vor kurzem, Schweden solle nur 5000 Asylsuchende pro Jahr aufnehmen; 2019 ließ das Land rund 22.000 Personen über die Grenze. Eine für Schweden historisch niedrige Zahl. (…) Lange waren die Sozialdemokraten für einen integrationsorientierten Ansatz bei der Verbrechensbekämpfung bekannt. (…) Stefan Löfven hat nun erstmals eingeräumt, dass es einen Zusammenhang zwischen Zuwanderung und Kriminalität gibt, nachdem die Polizei davor warnte, dass vierzig Clans systemgefährdend für Schweden seien…“ – aus dem Beitrag „Die Hemmungen, mit den Rechten zu kooperieren, sind geschwunden“ von Jens Mattern am 12. September 2020 bei telepolis externer Link zur nicht nur aus Schweden bekannten Übernahme rechtsradikaler Positionen durch die „bürgerliche Mitte“ einschließlich der Sozialdemokratie… Siehe dazu einen weiteren Beitrag zur Übernahme rechtsradikaler Positionen durch die bürgerliche Politik, eine Meldung, die die Geschichte des Rechtsradikalismus in Schweden etwas deutlicher macht – und einen Beitrag, aus dem deutlich wird, dass der grassierende Rassismus keineswegs nur Refugees gilt…
  • „Wind in ihren Segeln“ von Jesper Bengtsson am 07. September 2020 bei Internationale Politik und Gesellschaft externer Link zum Prozess der Übernahme politischer Positionen der Rechten unter anderem (aus sozialdemokratischer Sicht): „… Erwartet wurde ein Konsens, herausgekommen ist eine Regierungskrise. Nach einjährigem hartem Ringen sollte die schwedische Migrationskommission eigentlich im August ein neues migrationspolitisches Konzept vorlegen. Dieser Kommission gehören alle im Parlament vertretenen Parteien an. Angestrebt wurde eine Neuregelung, die sich auf einen breiten Konsens stützt und den nicht enden wollenden Migrationsdebatten ein Ende setzt, denn diese spielen den erstarkenden Rechtspopulisten in die Hände. Maria Malmer Stenegard sitzt für die konservative Moderate Partei in der Kommission und berichtet von einer tiefen Spaltung des Gremiums. Die Sozialdemokratische Partei (SAP) sei die einzige Partei, die hinter allen Vorschlägen stehe. Stenegards christdemokratischer Kollege Hans Eklind vermisst in dem endgültigen Entwurf eine Reihe wichtiger Punkte und bemängelt, etliche Probleme wie die Rückführung von Migranten in ihre „Heimatländer“ seien ausgeklammert worden. Wenn die Kommission am 15. September ihren endgültigen Entwurf vorlegt, werden wohl nur die regierenden Sozialdemokraten mit allen 26 Vorschlägen einverstanden sein. Ihr kleinerer Koalitionspartner, die Grüne Partei, wird nur einige wenige Reformvorschläge mittragen. Um die diversen Einzelbeschlüsse durchs Parlament zu bringen, wird die SAP also auf wechselnde Mehrheiten angewiesen sein – ein herber Rückschlag für die rot-grüne Regierungskoalition. Die Arbeit der Migrationskommission ist vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise von 2015 zu sehen. Damals kamen 163 000 Geflüchtete nach Schweden; die meisten von ihnen waren vor dem Krieg in Syrien geflohen. Schweden nahm pro Einwohner mehr Flüchtlinge auf als jedes andere europäische Land, wenn man von Deutschland einmal absieht. Anfangs gab es in der Bevölkerung und im Parlament massiven Rückhalt für eine liberale Flüchtlingspolitik. Sobald die Zahlen stiegen, ließ die Begeisterung nach. Im November 2015 führte die sozialdemokratisch geführte Regierung „temporäre“ Beschränkungen ein. Fortan wurden nur noch befristete Aufenthaltsgenehmigungen erteilt, das Recht auf Familienzusammenführung wurde eingeschränkt und Familienangehörige bekamen nur noch dann eine Aufenthaltsbewilligung, wenn sie nachweisen konnten, dass finanziell für sie gesorgt ist. Die neue Politik erfüllte ihren Zweck: 2016 stellten nur noch 28 939 Personen in Schweden Asyl, und seither bleibt die Zahl der Asylanträge konstant unter diesem Niveau. Das zeitlich befristete Gesetz von 2015 ließ zwar die Zahl der Geflüchteten sinken, konnte aber die Migrationsdebatten nicht eindämmen…“
  • „Deckmantel Coronaschutz“ von Reinhard Wolff am 09. Juli 2020 in der taz online externer Link macht deutlich, dass der Rassismus auch in Schweden und Norwegen nicht nur geflohenen Menschen gilt, sondern auch „im Inneren“ Feindbilder schafft: „… Norwegen, Finnland und Dänemark halten wegen der deutlich höheren Covid-19-Infektionszahlen in Schweden ihre Grenzen gegenüber den SchwedInnen nach wie vor geschlossen. Grenzverkehr gibt es trotzdem, etwa für Arbeitspendler oder andere „dringende“ Gründe. Eine lückenlose Überwachung ist sowieso unmöglich. Mehr als 200 Straßen verbinden Schweden und Norwegen, Tausende Feld- und Waldwege nicht eingerechnet. Und weil die Samen dem Zug ihrer Rentiere folgen, die nun mal keine Grenzen kennen, gelten diese Grenzen für sie sowieso nicht. Das war 1751, als in Lappland erst mal überhaupt nationale Grenzen gezogen wurden, im „Lappkodicillen“, einer Art Magna Charta der Samen, festgelegt worden. Die gilt bis heute. Auch die im März erlassenen norwegischen Corona­grenzvorschriften enthalten deshalb eine spezielle Ausnahme. Wie kann man also auf die Idee kommen, ausgerechnet einige Dutzend Samen als gefährlichste Infektionsverbreiter einzustufen, gegen die man Militär einsetzen solle, „weil die ja beim Einkaufen unsere Lokalbevölkerung treffen könnten“ (Amundsen)? Wer das vorschlage, wolle ganz einfach nur Stimmung gegen die Samen machen, meint Per-Olof Nutti, Präsident des schwedischen Samenparlaments: „Auch Rentiersamen nehmen die Situation, in der wir uns befinden, sehr ernst. Die überqueren die Grenze ja nicht zum Spaß, oder um norwegische Bürger und Politiker zu ärgern, sondern folgen wie seit ewigen Zeiten der Wanderung ihrer Tiere.“ Es könnte bloße Unkenntnis sein, wenn man die Samen zur Infektionsgefahr hochstilisiert. Aber von Per-Willy Amundsen ist eine lange Liste rassistischer Ergüsse bekannt. Im Juni verteidigte er Oslos Polizei gegen den Vorwurf von Racial Profiling. Das sei geradezu Pflicht der Polizei: „Denn wer ist es denn, der Banden- und Jugendkriminalität organisiert?“...“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=178004

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