Von Mumia Abu-Jamal
Beginnen wir mit den grundsätzlichen Fragen: Wer ist Julian Assange? Und warum ist sein politischer Kampf für uns alle von Bedeutung? Der 1971 in Townsville in der australischen Provinz Queensland geborene Journalist ist der Gründer der globalen Enthüllungsplattform Wikileaks. Sein Kollektiv hat mit der Erfassung und Weitergabe von internen Regierungsdokumenten auf der ganzen Welt für Furore gesorgt.
Dafür geriet Assange ins Fadenkreuz der Sicherheitsbehörden, wurde gejagt und schließlich in Großbritannien ins Gefängnis gesteckt. Dort sitzt er nach seinem gewaltsam beendeten politischen Asyl, das ihm sieben Jahre lang in der Botschaft Ecuadors gewährt worden war, nun schon seit über fünfzig Wochen im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, weil er mit seiner Flucht in die Botschaft angeblich die Meldeauflagen der britischen Justiz verletzt haben soll. In Wahrheit hat er jedoch mit diesem Schritt versucht, seine Auslieferung an die USA zu verhindern, die ihn wegen Verletzung des US-Spionagegesetzes ins Gefängnis stecken wollen. Als Bürger Australiens, das dem britischen Commonwealth angehört, schuldet Assange den USA keinerlei Gefolgschaft, aber das US-Imperium herrscht eben nicht nur über sein eigenes Territorium, sondern über die ganze Welt.
Als Wikileaks im Juli 2010 auf seiner Website Hunderttausende Dokumente über die US-Kriegszüge gegen Afghanistan und Irak veröffentlichte, belegten diese Dokumente die Kriegsverbrechen des US-Imperiums und zeichneten ein vernichtendes Bild seiner Politik.
Wenn man das Imperium angreift, dann schlägt es zurück. Für die Veröffentlichung der Dokumente, die die Vereinigten Staaten vor der Weltöffentlichkeit in große Verlegenheit brachten, drohen Assange nach seiner Auslieferung an die USA 175 Jahre Gefängnis.
Die Kriege im Irak und in Afghanistan gelten heute weithin als die größten Fehlleistungen der US-Außenpolitik. Denn die Kriege für den »Regimewechsel« in beiden Ländern wurden auf der Grundlage von Lügen und Fehlinformationen geführt. Erinnert sei hier an die angeblich im Irak vorhandenen »Massenvernichtungswaffen«. Tausende und Abertausende Menschen starben aufgrund dieser von der US-Regierung in die Welt gesetzten Fata Morgana.
Julian Assange trug durch seine journalistischen Enthüllungen dazu bei, bei vielen Menschen ein Bewusstsein für die Grundelemente imperialistischer Kriege zu wecken. Er hat nicht »spioniert«, wie die US-Regierung in ihrer Propaganda behauptet. Spione arbeiten heimlich für Regierungen und Militärs. Journalisten wie Assange sehen indes ihre Aufgabe darin, die Öffentlichkeit zu informieren und durch die Herstellung von Transparenz die Gesellschaft zu demokratisieren.
Das US-Imperium hat in der Vergangenheit immer wieder alle Unterdrückungsinstrumente eingesetzt, um seine Gegner zum Schweigen zu bringen, und es hat dabei keinen Unterschied zwischen US-Bürgern und sogenannten Ausländern gemacht. Erinnert sei an das Terrorurteil gegen Julius und Ethel Rosenberg, die 1953 wegen »Verschwörung zur Spionage für die Sowjetunion« auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet wurden. Auch der Fall von Ferdinando »Nicola« Sacco und Bartolomeo Vanzetti, zwei aus Italien in die USA eingewanderten Arbeitern, kommt einem dabei in den Sinn. Sie wurden 1927 wegen eines angeblichen Raubmodes hingerichtet, in Wahrheit aber als Angehörige der anarchistischen Arbeiterbewegung und wegen Kriegsdienstverweigerung verfolgt. Und schließlich die Kampagne gegen die New Yorker Ortsgruppe der Black Panther Party. 1969 wurden 21 ihrer Mitglieder – die »Panther 21« – mittels erfundener Anklagepunkte der »Verschwörung zum Mord an mehreren Polizeibeamten und zur Zerstörung von Gebäuden, darunter vier Polizeiwachen, durch Bombenanschläge« beschuldigt und vor Gericht gezerrt. Zwar wurden sie 1971 von allen Anklagepunkten freigesprochen, sie waren aber politische Gefangene des Staates.
Auch Julian Assange ist Opfer eines politischen Rachefeldzuges. Darum ist es keine Frage, dass auch er ein politischer Gefangener ist, dessen Freiheit wir fordern müssen.
Übersetzung: Jürgen Heiser
junge Welt 14.9.2020
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