Montag, 5. März 2018

Pensionsfonds und -kassen mit Nebenwirkungen  (Holger Balodis)


Ein Loch in einem Pensionsfonds für EU-Parlamentarier löste vor kurzem eine Welle der Empörung aus: 326 Millionen Euro fehlen und müssen vermutlich aus Steuergeldern nachgeschossen werden. Der Ärger von Tausenden Wutbürgern in Kommentarspalten und sozialen Netzwerken richtete sich aber nicht primär gegen dieses zweifelhafte Instrument der Alterssicherung an sich, sondern gegen die aus deren Sicht »faulen«, »gierigen« und ohnehin »überversorgten« EU-Parlamentarier. Konkret betroffen sind 700 Abgeordnete, die einem 1990 aufgelegten Pensionsfonds freiwillig beigetreten sind. Damals gab es für EU-Abgeordnete noch keine fest zugesagte Pension. Immerhin beteiligten sich die 700 in dem Fonds versammelten Parlamentarier noch zu einem Drittel selber an den Einzahlungen. Die heute geltende Regelung sieht vor, dass EU-Abgeordnete ohne jede Beitragsleistung später aus dem EU-Haushalt eine üppige Rente erhalten (pro Tätigkeitsjahr gibt es 3,5 Prozent der monatlichen Vergütung von derzeit 8611 Euro). Das mag man für ungerecht und überzogen halten. Doch die bevorstehende Pleite des EU-Pensionsfonds zeigt vor allem eines: Instrumente wie Pensionsfonds sind für eine sichere Altersversorgung ungeeignet. Bestätigt wird dies in einer Untersuchung der Eiopa, der europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und der betrieblichen Altersversorgung. Die nahm Ende 2017 immerhin 195 Pensionsfonds, Pensionskassen und ähnliche Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung in 20 Ländern unter die Lupe. Das erschreckende Ergebnis: Gemessen an den Zusagen fehlen aktuell 349 Milliarden Euro. Käme es gar zu einem Börsencrash, prognostizieren die Prüfer den sagenhaften Fehlbetrag auf 702 Milliarden Euro.

Was sagt uns das? Es sind nicht die vielgescholtenen solidarischen, umlagefinanzierten Rentenkassen, die in die Knie gehen und gewaltige Unsicherheit verbreiten – es sind vielmehr die von neoliberaler Seite hochgepriesenen kapitalgedeckten Finanzinstrumente, die offenbar europaweit vor dem Offenbarungseid stehen. Denkbar sind nun zwei Szenarien: Entweder werden Millionen Rentner um Teile ihrer zugesagten betrieblichen Altersversorgung betrogen. Oder diejenigen Institutionen und Arbeitgeber, die einst die Zusagen gemacht haben, müssen gewaltige Summen nachlegen. Die Aufsichtsbehörde bezweifelt, ob sie dazu in der Lage wären. Ein Viertel der untersuchten Unternehmen könnte das die Existenz kosten. Eiopa-Chef Gabriel Bernardino befürchtet als Folge der Betriebsrentenschieflage »negative Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigung«.

Das lässt aufhorchen. Schließlich waren es doch die Befürworter einer Rentenprivatisierung, die in Deutschland ein Drei-Säulen-Modell mit einer Riester-Rente und einer starken Betriebsrente als besonders wachstumsförderlich gepriesen hatten. Die rot-grüne Bundesregierung hat die Alterssicherung nach diesem Vorbild umgebaut. Kritiker wie Professor Winfried Schmähl, der damalige Vorsitzende des Sozialbeirats, hatten das von Beginn an als Irrweg bezeichnet und auf die Nachteile hoher Kosten und einer schlechteren Gesamtversorgung für die Rentner hingewiesen.

Nun ergibt sich durch die aktuelle Schieflage des Pensionsfonds für EU-Parlamentarier eine exzellente Gelegenheit, zu prüfen, ob private Altersvorsorge über Betriebsrenten sinnvoll ist. Ob das EU-Parlament – das negative Beispiel unmittelbar vor Augen – das wirklich tun wird, mag man abwarten.

Wenig Ermutigung liefern die Sondierungen und Verhandlungen für eine neue Bundesregierung: Es sind keine Verbesserungen des Rentenniveaus vereinbart. Das Niveau soll lediglich bis 2025 stabil bleiben, doch das wäre bei den gegenwärtigen Rahmendaten ohnehin der Fall gewesen. Und die versprochene Grundrente (zehn Prozent oberhalb des regionalen Grundsicherungssatzes) ist ihren Namen nicht wert: Sie ist wegen einer strengen Bedürftigkeitsprüfung nichts weiter als eine Sozialhilfe plus. Mit den geforderten 35 Versicherungsjahren werden zudem vergleichsweise wenige Menschen diese Leistung bekommen. Dafür gaben Union und SPD wieder ein klares Bekenntnis zum Drei-Säulen-Modell ab. Das hat inzwischen Tradition.

Die alte Bundesregierung hatte bereits eine Erhöhung der Riester-Förderung und ein sogenanntes Betriebsrentenstärkungsgesetz verabschiedet, das zum Jahresbeginn in Kraft trat. In diesem Gesetz werden die von der Versicherungsaufsicht Eiopa offengelegten Probleme notleidender Pensionsfonds und Pensionskassen elegant umschifft, zumindest aus Arbeitgebersicht. Denn nach dem neuen Betriebsrentenmodell wird der Arbeitgeber komplett aus der Haftung entlassen. Ganz gleich, wie viel oder wie wenig Kapital später einmal für die Ex-Beschäftigten zur Verfügung stehen sollte, das Unternehmen muss keinen Cent nachschießen. Doch es kommt für die Arbeitgeber noch besser: Die Beschäftigten zahlen diese sogenannte Betriebsrente per Entgeltumwandlung weitgehend aus der eigenen Tasche. Und können noch nicht mal sicher sein, dass diese Einzahlungen ihnen später in voller Höhe zur Verfügung stehen. Eine bemerkenswerte Neuinterpretation von dem, was man früher Betriebsrente nannte.


Holger Balodis ist Autor und Fachmann für Alterssicherung. Sein neuestes Buch ist unter dem Titel: »Die große Rentenlüge – warum eine gute und bezahlbare Alterssicherung für alle möglich ist« erschienen (Westend, 208 Seiten, 18 €).

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