Wiener Zeitung v. 6.2.2016
Von Dalia Villegas Moreno/dpaAn die vier Millionen Wanderarbeiter sind in Mexikos Landwirtschaft tätig.
Coahuayana. Zur Schule ging Rumualdo
Chamu Cipriano nur bis zur dritten Klasse. Dann brach der
mexikanische Bub mit dem unnachgiebigen Blick ab, um auf die
Felder zu ziehen. "Ich bin 13 Jahre alt und denke, dass ich alt
genug zum Arbeiten bin", sagt Chamu, der seinen Vornamen nicht
leiden kann. Mit den Eltern und seinen drei jüngeren Schwestern
sammelt er zwölf Stunden am Tag Chili-Früchte im Teilstaat
Michoacan an Mexikos Pazifik-Küste. "Darin sind wir gut", sagt
Chamu. Die Ernte der scharfen roten Paprika dauert von Dezember
bis Mai - solange kann seine Familie mit einem Einkommen rechnen.
Danach wird sie auf der Suche nach einer neuen Arbeit
weiterziehen.
Rund vier Millionen Wanderarbeiter sind in
Mexikos Landwirtschaft tätig, schätzt die Bürgervereinigung
"Fuerza Migrante". Davon seien etwa 1,5 Millionen Jugendliche und
Kinder, sagt der Vorsitzende Pedro Fernandez Carapia. Obwohl
Minderjährige nicht auf den Feldern arbeiten dürfen, ist die
Beschäftigung ganzer Familie in Mexiko weit verbreitet. Sie
könnten oft weder lesen noch schreiben und seien extrem arm.
Drei bis sieben
Euro Tageslohn
Die Arbeit auf dem Feld ist oft die einzige
Möglichkeit, wenigstens etwas Geld zu verdienen. Nach Angaben von
"Fuerza Migrante" verdienen Wanderarbeiter umgerechnet etwa drei
bis sieben Euro am Tag. Vor allem in Michoacan, dem Teilstaat mit
Mexikos größter landwirtschaftlicher Produktion, ziehen
Wanderarbeiter fast das ganze Jahr über von einer Ernte zur
nächsten.
Auch hier sind viele von ihnen Jugendliche -
obwohl die Strafen für Kinderarbeit verschärft wurden, wie
Fernandez sagt. Die Gesetze seien noch immer zu lasch, kritisiert
er. Der Staat toleriere die Ausbeutung der Kinder und ihrer Eltern
durch mexikanische und internationale Unternehmen. Diese würden
die Notlage der Menschen ausnutzen. Die Arbeitsbedingungen
erinnerten an "Sklaverei", klagt Fernandez. Kinder arbeiten
demnach oft mit hochgefährlichen Chemikalien in der prallen Sonne.
Viele sind unterernährt, dehydriert und von Insekten zerstochen.
Zur Schule gehen sie nicht.
Mexikanische Behörden wollen die Situation der
Wanderarbeiter verbessern, im vergangenen Jahr flossen umgerechnet
15 Millionen Euro Staatsgelder in ein dafür vorgesehenes
Regierungsprogramm. In etwa 20 speziellen Heimen werden
Wanderarbeiter in Michoacan mit Essen versorgt und verarztet.
Unterricht stehe auch auf dem Programm, heißt es.
Kinder trinken
Alkohol
Doch die Realität sieht meist anders aus, wie der
Vorsitzende von "Fuerza Migrante" bei diversen Heimbesuchen
feststellte. Die Unterkünfte seien meist überbelegt, unhygienisch
und unsicher. Ein weiteres Problem sei der Alkohol. Er habe sogar
Kinder Bier trinken sehen, die so ihre Erschöpfung lindern
wollten, sagt Fernandez.
Von sechs Uhr früh bis sechs Uhr abends sammelt
Chamu mit seiner Familie in Michoacan die scharfen roten Chilis.
Die Schule habe er aus eigenen Stücken abgebrochen, sagt die
Mutter des Buben. "Er wollte nicht mehr lernen, es würde ihm
nichts bringen", habe er ihr gesagt. Von da an brachte Chamu stets
einige Centavos nach Hause. Nun will er sein erarbeitetes Geld
sparen: Der junge Wanderarbeiter träumt davon, in die USA
auszuwandern.
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