Sonntag, 6. März 2016

Der russische Krieg in Syrien und Moskaus Verhältnis zum Westen



IMI-Analyse 2016/04 - in: AUSDRUCK (Februar 2016)



von: Mirko Petersen | Veröffentlicht am: 2. Februar 2016


Der vollständige Artikel im AUSDRUCK-Layout als PDF: Der russische Krieg in Syrien und Moskaus Verhältnis zum Westen
Seit dem 30. September 2015 führt Russland Krieg in Syrien, wodurch die komplizierte Konfliktsituation in dem bereits fast vollständig zerstörten Land eine völlig neue Dimension erhalten hat. Als die USA 2013 darüber nachdachten, aufgrund des Vorwurfs des Einsatzes von Chemiewaffen gegen Aufständische durch Präsident Bashar al-Assad militärisch in den syrischen Bürgerkrieg einzugreifen, konnte dies durch Moskaus diplomatische Bemühungen abgewendet werden – schlussendlich ließ Assad seine Chemiewaffenbestände unter internationaler Kontrolle vernichten. Während Wladimir Putins Regierung damals noch ein größeres Ausmaß an Gewalt verhinderte, so muss angesichts der jetzigen Lage konstatiert werden: „Das russische Eingreifen ist nichts anderes als ein Beitrag zur militärischen Eskalation.“[1] Im nun folgenden Text wird kurz auf die Vorgeschichte der aktuellen russischen Intervention eingegangen, die Motive der russischen Regierung verdeutlicht sowie einige Anmerkungen zu den Auswirkungen dieser Entscheidung auf Russlands Verhältnis zum Westen gemacht.
Kurze Geschichte des russischen Engagements in Syrien
Das geopolitische Interesse Russlands an Syrien ist keineswegs neu, sondern steht in einer Tradition mit außenpolitischen Motiven des Zarenreiches und der Sowjetunion. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts versuchte das zaristische Russland, die osmanische Kontrolle über Ägypten und Syrien zu lösen, um sich dort selbst zu positionieren und einen strategisch wichtigen Zugang zum Mittelmeer zu erlangen. Die Unterstützung des Osmanischen Reiches durch Großbritannien und Frankreich brachte Russland jedoch von seinen Zielen ab. Während die Bolschewiki zunächst noch skeptisch gegenüber den sowjetischen Möglichkeiten von Einflussnahme im Nahen Osten waren, versuchte die Sowjetunion nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Damaskus als „Tor zum Nahen Osten“ zu etablieren und rüstete Syrien immer wieder auf. Zum einen sollte eine israelische Dominanz in der Region verhindert werden und zum anderen stand die Nutzung des Tiefwasserhafens in der Stadt Tartus im Mittelpunkt, der eine sowjetische Militärpräsenz im Mittelmeer garantierte.[2] Tartus ist heute der einzige Mittelmeerstützpunkt der russischen Marine.[3]
Als der syrische Bürgerkrieg Anfang 2011 (im Kontext des sog. Arabischen Frühlings) begann, sprach sich Russland von Anfang an dafür aus, dass es keine äußeren Eingriffe in diese Auseinandersetzung geben dürfe. Moskau blockierte daher im UN-Sicherheitsrat jegliche Form von Resolution, die auf eine internationale Einmischung abgezielt oder auch nur das Verhalten des Regimes in Damaskus kritisiert hätte. Der propagierten neutralen Haltung widersprach jedoch die Fortsetzung der russischen Waffenlieferungen an die Regierung Assad.[4]
Die strikte Verteidigung Assads durch Russland muss vor dem Hintergrund des Krieges in Libyen betrachtet werden. Als die NATO im März 2011 – im Zuge von bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen in Libyen – mit der UN Resolution 1973 eine Flugverbotszone etablieren wollte, die sich gegen den damaligen Machthaber Muammar al-Gaddafi richtete, enthielt sich Russland bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat. Auf diese Weise wurde die Flugverbotszone möglich, die jedoch von der westlichen Kriegskoalition zu einer umfassenderen Militärkampagne umgedeutet wurde und zum Regime Change in Tripolis führte. Russland fühlte sich hintergangen und verurteilte das westliche Vorgehen danach sehr deutlich.[5] Außenminister Sergej Lawrow warnte in einer Rede im Dezember 2012, dass es Versuche gebe, „‚das lybische Modell‘ zu einem Präzedenzfall zu machen“[6] und zog explizit die Verbindungslinie nach Syrien. Dort hatte Washington begonnen, gewaltbereite Teile der Opposition gegen das Assad-Regime mit Waffen zu unterstützen, um die „schiitische Achse“ zwischen dem Iran, der Hisbollah und Syrien zu brechen, die einer noch größeren geostrategischen Dominanz der USA im Mittleren Osten entgegensteht. Teile der politischen Opposition der Obama-Regierung forderten sogar eine direkte Militärintervention.[7]
Diese Situation spitzte sich, wie eingangs bereits angedeutet, im August 2013 weiter zu, als es im syrischen Bürgerkrieg zum Einsatz von Giftgas kam. Hierbei behaupteten einige Informationsquellen, Oppositionsgruppen hätten Giftgas benutzt, während andere betonten, dass dies das Werk des Assad-Regimes gewesen sei. Die letztgenannte Interpretation wurde von verschiedenen westlichen Politiker_innen übernommen, um auf eine Einmischung in Syrien zu drängen.[8] Als US-Außenminister John Kerry eher beiläufig erwähnte, dass Assad durch eine international kontrollierte Vernichtung der C-Waffen eine Intervention abwenden könne, griff sein russisches Pendant Lawrow die Bemerkung sofort auf und trieb eine UN-Initiative voran.[9] Das syrische Regime wurde dazu bewegt, seine Chemiewaffen zu zerstören, und eine weitere Eskalation wurde auf diese Weise abgewendet.
Mit dem verstärkten Auftreten des sog. Islamischen Staates ab Mitte 2014 veränderte sich der weiter andauernde syrische Bürgerkrieg erneut. In atemberaubendem Tempo nahm der IS mit brutalsten Mitteln syrisches Territorium ein und brachte, trotz des kurdischen Widerstands und Luftschlägen der USA, innerhalb eines Jahres mehr als die Hälfte des syrischen Territoriums unter seine Gewalt.[10] Mitte 2015 befand sich die syrische Regierung in einer miserablen militärischen Lage und schien durch die Mehrfachbelastung durch IS und diverse weitere Oppositionsgruppen immer weiter in die Defensive gedrängt zu sein.[11]
Den möglichen Sturz Assads vor Augen, begann Russland im Spätsommer 2015 mit Vorbereitungen auf einen Eingriff in den Bürgerkrieg auf Seiten Assads, indem Militärs und Waffen nach Syrien verlegt wurden.[12] Am 30. September 2015 startete die militärische Unterstützung für das Assad-Regime, welche diesem mehrere militärische Erfolge und etwas Luft zum Atmen verschaffte. Allerdings sind die schwer nachprüfbaren Erfolgsmeldungen durch das russische Verteidigungsministerium mit Vorsicht zu genießen. Im Dezember 2015 vermeldete der Verteidigungsminister Sergej Shoigu, dass bereits 8000 militärische Einrichtungen des IS zerstört worden seien. Wie der Journalist Florian Rötzer hervorhebt, würde dies – addiert mit den Erfolgsmeldungen Washingtons – bedeuten, dass der IS militärisch eigentlich schon am Boden liegen müsste, was jedoch offensichtlich nicht der Fall ist.[13]
Wie Äußerungen von Außenminister Lawrow zu den russischen Angriffen nahelegen, operiert Russland mit einer äußerst vagen und dehnbaren Definition seiner Gegner. Auf die Frage eines Journalisten, wen Russland außer dem IS in Syrien bekämpfen würde, gab er zu Protokoll: „Diejenigen, die aussehen und handeln wie Terroristen. Ich darf erinnern, dass wir immer sagten, wir würden gegen den ‚Islamischen Staat‘ und andere Gruppierungen kämpfen. Auch die USA stehen auf derselben Position. Vertreter des Koalitionskommandos sagten immer, ihre Ziele seien IS, die Al-Nusra-Front [Al-Quaida-Ableger] und andere terroristische Gruppierungen. Im Allgemeinen ist das auch unsere Position.“[14] Diese vermeintliche Einigkeit in Bezug auf die Ziele ist jedoch nicht vorhanden. Während aus russischer Sicht so etwas wie eine moderate Opposition in Syrien nicht existiert, so wird von US-amerikanischer als auch von französischer Seite häufig auf die Freie Syrische Armee als Partner verwiesen, auf den vertraut werden soll. Ihr Vertrauen auf diesen Teil der Opposition bewiesen die USA bereits durch eine Ausbildung durch die CIA.[15] Dementsprechend gab es Verärgerung darüber, dass die russischen Angriffe auch die FSA trafen.[16]
Russlands Angriffe trafen jedoch nicht nur verschiedene Rebellengruppen, sondern auch die Zivilbevölkerung – zumindest einem Bericht von Amnesty International zufolge, der im Dezember 2015 erschien. [17] Amnesty beobachtete 25 russische Angriffe von Beginn des Krieges bis November 2015 und meint, dass in sechs dieser Angriffe mind. 250 Zivilist_innen ums Leben gekommen sind. Der Report spricht von Hinweisen auf „systematische Verletzungen des humanitären Völkerrechts“, wobei Angriffe auf einen Markt, auf ein Krankenhaus und auf eine Moschee als Beispiele genannt werden. Zusätzlich klagt Amnesty informationelle Vertuschungsmanöver Russlands in Bezug auf diese Verbrechen an. Diese hier aufgeführten Vorfälle zeigen die Brutalität des Krieges, sind jedoch keineswegs einer speziellen russischen Kriegsführung zuzuordnen. Wer über russische Kriegsverbrechen spricht – und dies sollte in aller Ausführlichkeit getan werden –, der darf über die westlichen Verbrechen in der Region, die entscheidend zum aktuellen Desaster in Syrien beigetragen haben, nicht schweigen!
Russische Kriegsziele
Was sind nun die Ziele, die Russland dazu bewogen haben, sich auf dieses militärische Abenteuer außerhalb seiner unmittelbaren Nachbarschaft einzulassen? Einer der einflussreichsten verteidigungspolitischen Analytiker aus Russland, Ruslan Pukhow, nennt vier Ziele:
1.) die Gefahr einer Intervention des Westens und seiner Verbündeten verhindern,
2.) die Regierung Bashar al-Assads stabilisieren und gegen die gefährlichsten Teile der Opposition vorgehen,
3.) militärischen Druck auf den IS ausüben, damit dieser seine finanziellen Ressourcen auf seine eigene Verteidigung konzentrieren und so seine Aktivitäten in Zentralasien (also in russischer Nachbarschaft) zurückfahren muss,
4.) (soweit wie möglich) ausländische Kämpfer des IS, primär aus den ehemaligen Sowjetrepubliken, umbringen, damit diese nicht mehr Russlands Sicherheit gefährden können.[18]
Diese vier Aspekte umreißen die russischen Kriegsmotive in Syrien recht gut, müssen jedoch zum besseren Verständnis genauer beschrieben und eingeordnet werden.
Beginnen wir zunächst mit den beiden letztgenannten Aspekten, dem Einfluss des IS in Zentralasien und den IS-Kämpfern aus den ehemaligen Sowjetrepubliken. Diese beiden Aspekte, die vom Kreml mit einer direkten Bedrohung Russlands assoziiert werden, erklärte Wladimir Putin zu den hauptsächlichen Gründen der russischen Intervention. [19]
Die fünf ehemaligen Sowjetrepubliken in Zentralasien (Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan) sind auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion weiterhin eng mit Russland verbunden – v.a. sowohl durch bedeutende interstaatliche Wirtschaftsbeziehungen als auch durch einen großen Anteil zentralasiatischer Arbeitsmigrant_innen in Russland. Dem IS gelingt es immer wieder, Kämpfer_innen für seine Sache in der wirtschaftlich schwachen und von Armut stark betroffenen Region zu rekrutieren, während die Reaktionen der dortigen Regierungen zwischen Ignoranz und Hilflosigkeit schwanken.[20] Russlands Befürchtungen gehen nun dahin, dass die zentralasiatischen IS-Rekrut_innen nicht „nur“ für den Kampf in Syrien und im Irak angeworben werden, sondern auch Russlands direkte Nachbarschaft destabilisieren oder Terroranschläge in Russland selbst verüben. In Bezug auf Terroranschläge richtet sich der Blick Russlands aber noch stärker auf IS-Sympathisant_innen aus den nordkaukasischen Teilrepubliken, wo Moskau schon seit zwei Jahrzehnten einen brutalen Anti-Terror-Krieg führt.[21] Am 11.10.2015 schien dieses Szenario laut russischen Angaben Form anzunehmen. Die Behörden meldeten, einen Terroranschlag in Moskau vereitelt und eine Gruppe von Verdächtigen aus dem Nordkaukasus festgenommen zu haben.[22]
Der Krieg in Syrien soll durch diese direkte Betroffenheit Russlands (über Zentralasien und den Nordkaukasus) vor der eigenen Bevölkerung stärker legitimiert werden, die dem Konflikt mit einer Mischung aus Skepsis und Gleichgültigkeit gegenübersteht.[23] Plausibel scheint dies in keiner Weise zu sein. Während sich die Anschläge durch nordkaukasische Terrorist_innen in den vergangenen Jahren auf den Nordkaukasus selbst beschränkten, so scheint der Zusammenhang der Gefahr von Anschlägen in russischen Großstädten mit dem Krieg in Syrien auf der Hand zu liegen.[24] Da wirkte ein Statements Putins, das sich allerdings auf die Anschläge in Ankara einen Tag zuvor bezog, geradezu absurd: „Ohne unser Eingreifen [in Syrien] würden schon lange tausende Syrer mit Kalaschnikows auf unserem Territorium stehen.“[25]
Neben diesen Russland direkt tangierenden Faktoren drehen sich die anderen beiden von Ruslan Pukhow angeführten Kriegsmotive um die geopolitische Rolle Russlands im Nahen Osten sowie auf globaler Ebene. Diese beiden eng miteinander verwobenen Motive sind das Verhindern einer westlichen Intervention und die Stabilisierung des Regimes Assads. Auch wenn diese nicht von der russischen Propaganda angeführt werden, müssen sie wahrscheinlich sogar als bedeutendere Motive betrachtet werden. Vor dem bereits erwähnten Hintergrund des Libyen-Krieges gegen das Gaddafi-Regime gilt es nun für den Kreml, ein ähnliches Szenario zu verhindern: „Bloß keine westlich-türkisch-arabische Flugverbotszone zum Nachteil Assads“.[26]
Doch warum setzt sich Russland so massiv für Assad ein? Zunächst gilt festzuhalten, dass Moskau darauf bedacht ist, die Regime im Iran und in Syrien zu unterstützen, da diese der geopolitischen Rolle der USA in der Region kritisch gegenüberstehen. Dies scheint die einzige Möglichkeit für Russland zu sein, seinen ohnehin beschränkten Einfluss im Nahen Osten zu wahren.[27] Die zentrale strategische Frage, durch die das Assad-Regime für Russland Bedeutung erhält, ist die Infrastruktur der Gas-Pipelines der Region, wie die Politologen Mitchell A. Orenstein und George Romer in einem Artikel in der Zeitschrift „Foreign Affairs“ betonen.[28]
1989 begannen Katar und der Iran das im Persischen Golf gelegene South-Pars/North Dome-Gasfeld auszubeuten, das mit 51 Billionen Kubikmetern Erdgas und 50 Milliarden Kubikmeter Erdgaskondensat das größte der Welt ist. Ca. zwei Drittel des Feldes liegen in Katar und ein Drittel im Iran. Seit der Entdeckung des Gasfeldes ist Katar bemüht, seine Exportmöglichkeiten durch die Schaffung von Pipelineinfrastruktur zu verbessern. Der lukrative europäische Markt war ihnen jedoch verschlossen, da es Russland durch seine geografische Lage möglich ist, den europäischen Ländern Gas zu besseren Konditionen anzubieten. Dies versuchte Katar 2009 durch eine Initiative zu verändern, die den Bau einer Pipeline durch Saudi Arabien, Jordanien, Syrien und die Türkei vorsah. Doch ein Glied in dieser Kette, Syrien unter Bashar al-Assad, weigerte sich, nicht zuletzt unter Druck seines Verbündeten Russland, dieser Pipeline zuzustimmen. Der Iran sah durch seine guten Beziehungen zum Assad-Regime nun die Möglichkeit, sein eigenes Gasexportprojekt in die Wege zu leiten: eine Pipeline über den Irak und Syrien zum Mittelmeer. Die entsprechenden Verträge wurden 2012 unterschrieben, doch die Konstruktion konnte durch das politische Chaos und den Krieg in der Region nicht durchgeführt werden.[29]
Nun wird deutlicher, was für eine entscheidende Rolle der Fortbestand oder der Sturz des Assad-Regimes für verschiedene geostrategische Interessen hat. Auf der einen Seite unterstützen die USA das katarische Gas-Projekt, um sowohl den iranischen Einfluss im Nahen Osten als auch Europas Abhängigkeit von russischem Gas zu senken. Russland wäre es am liebsten, wenn gar keine Pipeline in der Region gebaut oder zumindest nur das Projekt des verbündeten Regimes in Teheran realisiert wird. Diese Positionen spiegeln sich auch im syrischen Bürgerkrieg wieder: Katar hat sich massiv für die oppositionelle Rebellengruppen eingesetzt (Spenden von 3 Milliarden US-Dollar zwischen 2011 und 2013), und Russland ist nun für den Erhalt des Assad-Regimes in den Krieg gezogen.[30]
Moskaus Verhältnis zum Westen
Erklärungen sind selten monokausal. Wie nun jedoch gezeigt wurde, ist das strapazierte Verhältnis Russlands zu den USA und EUropa ein Faktor, ohne den die Gemengelage in Syrien nicht erklärbar ist. Der Russland-Experte Kai Ehlers hat deshalb vorgeschlagen, von dem „Ukraine-Syrien-Komplex“ zu sprechen.[31] Doch in Syrien zeigt sich nicht nur die Fortsetzung der russisch-westlichen Streitigkeiten in der Ukraine, sondern die über die globalen geopolitischen Strukturen im Allgemeinen.
Einige europäische Länder (in erster Linie Deutschland und Frankreich) waren und sind nicht immer bereit, die Politik der vollkommenen Eindämmung russischer Macht, die von den USA nach dem Ende des Kalten Krieges vorangetrieben wurde, in vollem Umfang mitzutragen. Zum einen flossen hier eigene Machterwägungen ein, zum anderen war es schlicht die Abhängigkeit von russischem Gas, die ein moderateres Vorgehen EUropas förderte. Mit dem Beginn des massiven Ausbaus des Fracking in den USA (besonders ab 2013) wurde eine erste potenzielle Alternative für die europäische Energieversorgung geschaffen, mit der die Verhandlungsposition Moskaus bereits geschwächt wurde. Eine katarische Pipeline nach Europa wäre ein weiterer massiver Schritt in diese Richtung, die der Kreml um jeden Preis verhindern möchte.
Darüber hinaus sollte noch ein weiterer, bisher noch nicht erwähnter Aspekt im westlich-russischen Verhältnis in Zeiten des Syrien-Kriegs erwähnt werden, nämlich die Terroranschläge in Paris vom 13. November 2015. Im Anschluss an diese Anschläge verkündete der französische Präsident François Hollande eine engere Zusammenarbeit mit den USA, aber auch mit Russland im Kampf gegen den IS.[32] Auch die russische Rhetorik deutete in dieser Situation auf einen verstärkten Schulterschluss mit Frankreich hin,[33] nicht zuletzt, um das Ansehen des eigenen Vorgehens in Syrien im Westen erhöhen zu wollen.
Doch außer die Koordination der verschiedenen Luftangriffe zu intensivieren (was angesichts des Abschusses eines russischen Kampfjets in türkischem Luftraum am 24. November 2015 an Dringlichkeit gewann), konnten sich Frankreich und Russland nicht auf ein tiefergehendes Bündnis einigen. Der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian betonte bei einem Treffen im Dezember 2015 mit seinem russischen Pendant Sergej Shoigu, dass es zu keiner militärischen oder technischen Kooperation kommt und dass Paris nicht die Rolle eines Mediators zwischen Washington und Moskau einnehmen werde.[34]
Es sei an dieser Stelle daran erinnert, dass es bereits nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA für eine Weile schien, als ob Russland und die westlichen Staaten sich durch einen gemeinsamen Kampf gegen einen vage definierten Terrorismus annähern würden.[35] Doch damals, in einer noch deutlich spannungsärmeren Lage als heutzutage, scheiterte eine dauerhafte Allianz daran, dass sich auf keine gemeinsame Sicherheitsarchitektur geeinigt werden konnte. Es kam zur EU- und v.a. zur NATO-Osterweiterung, und die russischen Antworten auf die Expansion des westlichen Einflusses im postsowjetischen Raum waren speziell beim kurzen Georgien-Krieg 2008 und dem Krieg in der Ukraine seit 2014 zu spüren. Islamischer Staat und Kampf gegen Terrorismus hin oder her: Sollte es nicht zu einer grundsätzlichen sicherheitspolitischen Einigung und einem damit verbundenen Interessenausgleich mit Konzessionen aller Seiten kommen, so scheinen weitere Eskalationen im Verhältnis Russlands zum Westen vorprogrammiert.
Anmerkungen
[1] Cremer, Uli: Syrien: Russische Intervention als „Game Changer“ (Grüne Friedensinitiative, 15.10.2015).
[2] Vgl.: Rühl, Lothar: Russlands Interesse an Syrien (faz.net, 10.02.2012).
[3] Von größerer strategischer Bedeutung als der Mittelmeerstützpunkt sind für die russische Marine jedoch die Schwarzmeerflotte und die Kaspische Flotille (vgl.: Klein, Margarete: Russlands Syrienpolitik: Interessen, (Miss)erfolge, Chancen für eine gemeinsame Konfliktlösung, in: Russland-Analysen Nr. 254, 22.03.2013, S. 2-6, hier: S. 3).
[4] Vgl.: ebd., S. 2.
[5] Wladimir Putin bezeichnete den Krieg gegen Gaddafi als „mittelalterlichen Kreuzzug“ (zitiert nach Bidder, Benjamin: Putin gegen Medwedew: Gaddafi befeuert Machtkampf in Moskau: Spiegel Online, 22.03.2011).
[6] Lawrow, Sergej: Russia in the 21st-Century World of Power (Russia in Global Affairs, 27.12.2012; basierend auf einer Rede beim 20. Jubiläum des Rats für Außen- und Sicherheitspolitik am 01.12.2012).
[7] Vgl.: Wagner, Jürgen: Syrien: Die Militarisierung der Proteste und die strategische Unvernunft der Gewalt, in: IMI Ausdruck 2/2012; Ders.: Indirekte Kriege und globale Frontbildung: Der „Westen“ bringt sich neu in Stellung, in: IMI Ausdruck 1/2013, S. 13-14.
[8] Vgl. u.a.: Washington überzeugt von Chemiewaffeneinsatz (faz.net, 26.08.2013); Chulov, Martin/ Booth, Robert/Sparrow, Andrew: Syrian offer on UN team ‚too little, too late‘ (The Guardian, 26.08.2013).
[9] Vgl.: Schmidt, Sarah K.: Gemeinsam gegen Assads C-Waffen (sueddeutsche.de, 14.09.2013).
[10] Vgl.: Neue Eroberungen: Mehr als die Hälfte Syriens in der Hand des IS (Spiegel Online, 21.05.2015).
[11] Vgl.: Gehlen, Martin: Assad gehen die Freunde aus (zeit.de, 10.06.2015).
[12] Vgl.: Verlegung von Kampfflugzeugen und Hubschraubern“ – Macht Russland Ernst mit eigenem Antiterror-Einsatz in Syrien? (RT Deutsch, 01.09.2015); Russland bestätigt Präsenz eigener Soldaten in Syrien (sueddeutsche.de, 09.09.2015).
[13] Vgl.: Rötzer, Florian: Putin und der „wirkliche Grund“ für den russischen Krieg gegen den IS (Telepolis, 11.12.2015).
[14] Außenministerium der Russischen Föderation: Rede und Antworten auf Pressefragen des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, auf einer Pressekonferenz zum Abschluss des russischen Vorsitzes im UN-Sicherheitsrat am 1. Oktober 2015 in New York (Außenministerium der Russischen Föderation, 01.10.2015).
[15] Das CIA-Programm erwies sich allerdings als hochproblematisch, da es, ob gewollt oder ungewollt, nicht nur „moderate“ Aufständische, sondern auch radikalislamistische Gruppen unterstützte und mit ihnen Seite an Seite kämpfte (vgl.: Gartenstein-Ross, David/ Barr, Nathaniell: The CIA’s Syria Program and the Perils of Proxies (The Daily Beast, 19.01.2016)).
[16] Cremer: Syrien, s.o.
[17] Vgl.: Syrien: Hunderte Zivilpersonen bei russischen Luftangriffen getötet (Amnesty International, 23.05.2015).
[18] Vgl.: Pukhow, Ruslan: The Russian Military Campaign in Syria: The Balance of Forces and Possible Risks (Russia in Global Affairs, 21.10.2015).
[19] Vgl.: Rötzer: Putin und der „wirkliche Grund“ für den russischen Krieg gegen den IS, s.o.
[20] Zu der Rekrutierung von IS-Kämpfern in Zentralasien, vgl.: Roth, Klara: Zentralasien und der IS: Debatten um Ursachen und Umgang mit zentralasiatischen Kämpfern, in: Zentralasien-Analysen Nr. 87, 01.04.2015; Islamischer Staat auf dem Vormarsch in Zentralasien? (rbb Inforadio (27.12.2015).
[21] Zur russischen Anti-Terror-Politik im Nordkaukasus, vgl.: Petersen, Mirko: Steilvorlage 9/11. Die Entwicklung der russischen Anti-Terror-Politik im Nordkaukasus, in: IMI Ausdruck 4/2011, S. 31-33.
[22] Verhinderter IS-Terroranschlag in Moskau – Bombenmodell gleicht dem in Ankara (RT Deutch, 12.10.2015).
[23] Vgl.: Sinelschtschikowa, Jekatarina: Syrien-Einsatz: Die Russen haben ein neues Feindbild (Russia Beyond the Headlines, 30.10.2105).
[24] Vgl.: Dornblüth, Gesine: Putin rechtfertigt Luftangriffe im russischen Fernsehen (Deutschlandfunk, 12.10.2015).
[25] Zitiert nach RT Deutsch: Verhinderter IS-Terroranschlag in Moskau, s.o.
[26] Cremer: Syrien, s.o.
[27] Damit lässt sich auch erklären, warum Russland einer Annäherung zwischen dem Iran und den USA skeptisch gegenübersteht. Hinzu kommt, dass die USA über ein Bündnis mit dem Iran den Ölpreis weiter drücken könnte, was den Öl- und Gas-Exporteuer Russland schwächt (vgl.: Wagner, Jürgen: Iran-Deal: Petro-Geopolitik gegen Russland?, in: IMI Ausdruck 4/2015, S.35-37).
[28] Vgl.: Orenstein, Mitchell A./Romer, George: Putin’s Gas Attack. Is Russia Just in Syria for the Pipelines? (Foreign Affairs, 14.10.2015). Für eine ähnliche Erklärung der geopolitischen Gemengelage aus einer anderen politischen Position heraus, vgl.: Ehlers, Kai: Der „Ukraine-Syrien-Komplex“ – was will, was kann Putin? (kai-ehlers.de, 23.11.2015).
[29] Vgl.: Orenstein/Romer: Putin’s Gas Attack, s.o.
[30] Vgl.: ebd.
[31] Vgl.: Ehlers: Der „Ukraine-Syrien-Komplex“, s.o.
[32] Dass sich Frankreich und in der Folge alle anderen EU-Staaten in ihrem Vorgehen auf die EU-Beistandsklausel bezogen, wurde überwiegend als Ausdruck des Bestrebens gewertet, die Strukturen der US-dominierten NATO, in der die Türkei zusätzlich eine schwierige Rolle spielt, umgehen zu wollen (vgl.: Wagner, Jürgen: Beistandsklausel: Wie Terror zum Krieg wird, in: IMI Ausdruck 6/2015, S. 1-3).
[33] Vgl.: Strokan, Sergej/Michejew, Wladimir: Frankreich buhlt wieder um Russland (Russia Beyond the Headlines, 26.11.2015).
[34] Vgl.: Frankreich und Russland einigen sich auf engere Kooperation gegen „Islamischen Staat“ in Syrien (RT Deutsch, 22.12.2015).
[35] Vgl.: Petersen: Steilvorlage 9/11, s.o.

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