Noch immer gibt es in dem Fall der 43 verschwundenen Studenten in Mexiko keine Gewissheit, was geschehen ist. Schuld daran ist laut den Sonderermittlern die Justiz - ihre Arbeit werde stark behindert.
Von KLaus Ehringfeld
Spiegel Online, 22.2.2016
Fast anderthalb Jahre sind seit dem Verschwinden der 43 mexikanischen Studenten vergangenen. Es gab mehr als 100 Festnahmen, eine 2000 Seiten starke Ermittlungsakte, aber noch keine Verurteilten und keinerlei Gewissheit, was mit den jungen Männern in der Nacht vom 26. auf den 27. September 2014 in der Stadt Iguala im Bundestaat Guerrero passiert ist.
Die unabhängige Expertenkommission GIEI zur Aufklärung des Verbrechens beklagt nun kurz vor Ende des Mandats die Behinderung ihrer Arbeit durch die mexikanische Justiz und ultrakonservative Gruppen im Land.
Die von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission
beauftragten Experten kritisierten am Sonntag in Mexiko-Stadt
"Hindernisse und Schwierigkeiten" bei ihrem Versuch, Licht ins
Dunkel eines der fürchterlichsten Verbrechen in der jüngeren
Geschichte Mexikos
zu bringen.
Die Liste der Vorwürfe ist lang: Die Staatsanwaltschaft
treibe ein juristisches Verwirrspiel, öffne neue unnötige
Ermittlungsstränge, verschleppe aber zugleich Anträge der
Kommission GIEI. Zudem würde den Experten die Befragung von
möglicherweise wichtigen Zeugen beim Militär versagt. Das
alles führe dazu, dass die internationale Gruppe aus Juristen,
Medizinern und Psychologen mit ihren Untersuchungen kaum
vorankäme.
Schmutzkampagne gegen Menschenrechtsanwalt
Besonders gravierend sei zudem, dass der Menschenrechtsanwalt
und die zwei Staatsanwältinnen im Team "diffamiert und
persönlich angegriffen" würden. So hätte die mexikanische
Nichtregierungsorganisation "Bürgerrat für öffentliche
Sicherheit und Strafrecht" gegen die drei Juristen eine
Schmutzkampagne angezettelt.
"Es gibt Sektoren in Mexiko, die versuchen, Verwirrung zu
schaffen und unsere Arbeit zu blockieren", sagte der Spanier
Carlos Beristain, Arzt und Mitglied des Expertenteams. "Mit
den persönlichen Attacken und Diffamierungen soll verhindert
werden, dass wir die Wahrheit ans Licht bringen". Beristain
bedauerte ausdrücklich, dass die Regierung von Präsident
Enrique Peña Nieto sich nicht zu der Schmutzkampagne äußere.
Die Kommission warnte, dass sich die Untersuchungen an einem
"neuralgischen Punkt" befänden und sich nun entscheide, ob das
Schicksal der 43 Vermissten aufgeklärt werden könne. Das
zweite Mandat der GIEI endet am 30. April. Bis dahin wollen
die fünf Juristen, Mediziner und Psychologen ihren
Abschlussbericht vorstellen.
Was bisher bekannt ist
Sicher ist bislang lediglich, dass die Lehramtsstudenten der
Landuniversität von Ayotzinapa in der 100.000-Einwohner-Stadt
Iguala verschleppt und vermutlich ermordet wurden. Sie hatten
dort mehrere Busse gekapert, mit denen sie nach Mexiko-Stadt
zu einer Demonstration fahren wollten.
Eine Allianz aus lokaler Polizei und Schergen des örtlichen
Drogenkartells "Guerreros Unidos" griff die jungen Männer an.
Das Verbrechen hat wegen seiner Brutalität und den politischen
Verwicklungen das ganze Land in Aufruhr versetzt und
international Bestürzung ausgelöst: Es belegt erstmals, wie
eng in einer der größten Demokratien der Welt organisiertes
Verbrechen, Politik und Sicherheitskräfte zusammenarbeiten.
Wenige Monate nach der Tat präsentierte die mexikanische
Justiz angeblich geständige Schuldige und eine Version der
Tat, die der damalige Generalstaatsanwalt Jesús Murillo Karam
als "historische Wahrheit" bezeichnete. Demnach sollen die
Jungen von Killern der "Guerreros Unidos" getötet und
anschließend auf einer Müllhalde in Cocula, einem Nachbarort
von Iguala verbrannt worden sein. Diese Version wurde sowohl
von der GIEI als auch von den von Angehörigen der Opfer
beauftragten argentinischen Rechtsmedizinern als unhaltbar
verworfen.
Zeugen beim Militär können nicht befragt werden
Die GIEI-Experten bestehen nun darauf, Soldaten und Offiziere
des in Iguala stationierten 27. Infanteriebataillons befragen
zu dürfen. Sie wussten in der verhängnisvollen Nacht von den
Vorkommnissen, waren vielleicht sogar beteiligt. In der
offiziellen Ermittlungsakte tauchen die Militärs allerdings
nicht auf. "Bei einem so gravierenden Fall von
Verschwindenlassen kommt es auf alle verfügbaren Informationen
an. Und die Soldaten sind wichtige Zeugen", betonte am Sonntag
Francisco Cox, chilenischer Menschrechtsanwalt und
GIEI-Mitglied. Aber Anträge auf Befragung der Soldaten werden
immer wieder hinausgezögert.
Parallel dazu verschleppt die mexikanische Staatsanwaltschaft
die Ermittlungen der GIEI zu einem fünften Bus, der in der
Nacht vom 26. September 2014 von den Studenten gekapert wurde.
Die Existenz dieses Fernbusses, der die Route von Iguala ins
amerikanische Chicago bediente, wurde aus der offiziellen
Ermittlungsakte getilgt.
Spur führt zu mysteriöser Fracht im Bus
In dem Bus befand sich möglicherweise eine wertvolle Ladung mit Heroin - was die Studenten nicht wussten. Daher setzten die Verbrecher und ihre Komplizen unter den Polizisten alles daran, die jungen Männer mit dem gekaperten Bus nicht nach Mexiko-Stadt entkommen zu lassen. Dieser Bus könnte der Grund sein, warum die Studenten sterben mussten.
Bereits im Dezember bat die Expertenkommission die
mexikanische Generalstaatsanwaltschaft ein Rechtshilfeersuchen
an die Justiz von Chicago zu stellen, um Erkenntnisse zu den
Drogentransporten zu gewinnen. Aber das Ersuchen leitete die
Anklagebehörde erst zwei Monate später in die USA weiter.
Carlos Beristain, der Arzt in der Gruppe der Sonderermittler,
umschrieb die Situation der GIEI und ihrer Arbeit in Mexiko
mit einer medizinischen Metapher. "Unsere Arbeit ist wie eine
Impfung, mit der wir das Land gegen die weit verbreitete
Straflosigkeit immun machen können." Aber bestimmte Gruppen in
Mexiko sähen das Tun der Experten mehr wie die eines
"Fremdkörpers", der isoliert werden müsse.
Zusammengefasst: Noch immer ist unklar, was mit den 43 verschwundenen Studenten in Mexiko in der Nacht vom 26. auf den 27. September 2014 geschah - und das obwohl Ende April der Abschlussbericht einer Expertenkommission vorgestellt werden soll. Die Sonderermittler beklagen nun, ihre Arbeit würde massiv behindert. Experten würden diffamiert, Zeugen beim Militär dürften nicht befragt werden und die Staatsanwaltschaft verschleppe mit Absicht Anträge.
URL: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/mexiko-die-wahrheit-ueber-die-vermissten-studenten-soll-nicht-ans-licht-a-1078586.html
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