Sonntag, 4. Oktober 2015
Vor 100 Jahren wurde Ethel Rosenberg geboren. Wer war sie wirklich?
Eingeweiht, aufsässig, ehrenhaft
Von Robert Meeropol
Quelle: jungeWelt vom 28. Sept 2015
„Die Erde wird lächeln, meine Kinder, sie wird lächeln
und über dem Grün des Grabes, wenn wir gesiegt haben werden,
wird die Welt fröhlich sein,
und die Menschen werden sich lieben
in Brüderlichkeit und Frieden.“
(Ethel Rosenberg, in der Todeszelle geschrieben an ihre Kinder)
Am 28. September 1915 wurde Ethel Rosenberg geboren. Vor mehr als 60 Jahren, am 19. Juni 1953, ließ die US-Regierung diese junge Frau und Mutter zweier kleiner Kinder zusammen mit ihrem Mann Julius hinrichten. Das geschah zur Hochzeit des »Red Scare« (Rote Angst) in den Vereinigten Staaten, bekannt auch als die McCarthy-Ära. Nach einer diffusen Anklage waren Ethel und Julius Rosenberg wegen »Verschwörung zur Spionage« verurteilt worden. Die Regierung stellte es so dar, als hätten beide »das Geheimnis der Atombombe« an die Sowjetunion verraten.
Ethel Rosenberg wurde bis heute als einzige Frau in den USA in Friedenszeiten wegen eines Spionagedeliktes hingerichtet, weil sie angeblich während des Zweiten Weltkriegs als Agentin für ein Land tätig gewesen war, das damals mit den USA verbündet war.
Der Fall Rosenberg ist auch bemerkenswert, weil er gründlich erforscht wurde. Durch den »Freedom of Information Act« und juristische Mittel konnte erreicht werden, dass Hunderttausende zuvor geheimgehaltene Dokumente der Anklagebehörde sowie die Vernehmungsprotokolle der Grand Jury offengelegt wurden. Dieses Material enthüllt, dass der einzige Beweis gegen Ethel Rosenberg eine mündlicheAussage war, die jedoch vom Kronzeugen später widerrufen wurde und durch die jetzt freigegebenen Dokumente zusätzlich widerlegt wird. Obwohl heute generell Konsens darüber besteht, dass Ethel Rosenberg sich kaum oder gar nicht an verbotenen Aktivitäten beteiligt hatte, gab bislang keine Regierungsstelle zu, dass sie zu Unrecht hingerichtet wurde.
Wenig ist über das Leben Ethel Rosenbergs bekannt und darüber, was sie vor ihrer Verhaftung Gutes für ihre Landsleute tat. Sie kam als Ethel Greenglass zur Welt und stammte aus ärmlichen Verhältnissen. In den 1920ern war sie eine typische Angehörige der Arbeiterklasse in der Lower East Side, New York. Wie viele andere erhoffte sie einen Aufstieg aus diesen Verhältnissen. Sie absolvierte eine höhere Schulbildung, um später studieren zu können, war eine ausgezeichnete Schülerin und auch als Sängerin und Laienschauspielerin begabt. Lehrer lobten ihre Stimme als außergewöhnlich. Schon als junge Schülerin wurde sie vom Unterricht befreit, um auf Versammlungen der älteren Klassen die Nationalhymne zu singen. Drei Monate vor ihrem 16. Geburtstag schloss sie 1931 ihre High-School-Ausbildung ab. Wegen der Großen Depression konnte sie es sich jedoch nicht leisten, ein College zu besuchen und nahm in der Hoffnung, danach eine Arbeitsstelle zu finden, an einem sechsmonatigen Ausbildungslehrgang zur Bürokauffrau teil.
Die National New York Packing and Shipping Company stellte sie im Büro ihrer Spedition ein. Im August 1935, kurz vor ihrem 20. Geburtstag, beteiligte sie sich an einem Streik für die Anerkennung ihrer Gewerkschaft und für Lohnerhöhungen. Sie bewies großen Mut, als sie an Aktionen gegen Lastwagenfahrer teilnahm, die Streikpostenketten durchbrochen hatten. Wie die New York Times am 31. August 1935 berichtete, zogen »etwa 150 junge Frauen als Streikposten in Gruppen durch den Garment District. Sie legten sich vor Lastwagen auf den Boden und hinderten die Fahrer an der Weiterfahrt.«
Am Ende des Streiks wurde Ethel gefeuert und legte vor dem neu eingerichteten National Labor Relations Board (NLRB) Beschwerde wegen widerrechtlicher Kündigung ein. Das NLRB entschied zu ihren Gunsten. »Es liegen weder Beschwerden noch Beweise dafür vor, dass sie ihre Aufgaben als Angestellte vernachlässigt hat. Die ablehnende Haltung [der Firma] gegenüber Ethel Greenglass erwuchs vielmehr daraus, dass sie eine aktive Gewerkschafterin ist und ihre Kollegen nach der Entlassung [eines Gewerkschaftskollegen] zur Arbeitsniederlegung und zum Protest aufrief.« Ethel blieb aktive Gewerkschafterin und setzte ihr Talent als Sängerin und Mimin dazu ein, auf Gewerkschaftsveranstaltungen Spenden zu sammeln. Dabei lernte sie Julius Rosenberg kennen, den sie später heiratete.
Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs arbeitete sie als einzige Vollzeitfreiwillige für das »East Side Defense Council«. Das war die erste Selbstorganisation für Zivilverteidigung, die schon bald zu einem Modell für weitere im Land wurde. Ethel organisierte Blutspende- und Strickaktionen, hielt Vorträge über die Bedeutung der Kriegsanstrengungen. Ihr erster Sohn Michael kam während des Krieges zur Welt. Ich wurde als ihr jüngerer Sohn nach Kriegsende geboren.
In August 1950 wurde Ethel Rosenberg verhaftet und wegen Verschwörung zur Spionage angeklagt. Dokumente der Bundespolizei FBI belegen, dass die beiden Hauptzeugen der Anklage, David und Ruth Greenglass, Ethel in ihren Vernehmungen zunächst nicht belasteten. David Greenglass erklärte sogar unter Eid, dass seine Schwester nicht beteiligt war. In der 2008 freigegebenen Aussage von Greenglass’ Ehefrau Ruth vor der Grand Jury wird eine Tatbeteiligung von Ethel ebenfalls nicht erwähnt. FBI-Dokumente belegen, dass die Staatsanwaltschaft die Beweislage gegen Ethel Rosenberg als »schwach« einschätzte. Sie solle jedoch trotzdem vor Gericht gestellt werden und eine »harte Strafe« erhalten. Das ließe sich als »Druckmittel« gegen ihren Mann einsetzen, der so zur Zusammenarbeit mit den staatlichen Anklägern gebracht werden könne. Erst nach dem Schmieden dieser Strategie machten zuerst Ruth und dann auch David Greenglass wenige Tage vor dem Prozess neue Einlassungen, die ihren ursprünglichen eidlichen Aussagen widersprachen und in denen sie nun auch Ethel belasteten. Auf diese neuen Zeugenaussagen stützte sich das Gericht bei der Verhängung des Todesurteils gegen Ethel. 2001 gab David Greenglass in einem Fernsehinterview zu, dass seine Aussage falsch war.
Aus einer FBI-Akte ist ersichtlich, dass Prozessrichter Irving R. Kaufman das Todesurteil gegen Julius Rosenberg schon festgelegt hatte, bevor das Verfahren abgeschlossen war; am Ende des Prozesses verurteilte er beide zum Tode. Kaufman rechtfertigte sein Urteil damit, dass er die Behauptung der Anklage übernahm, beide hätten das »größte wissenschaftliche Geheimnis der Menschheit« gestohlen und damit ein Verbrechen begangen, das »schlimmer als Mord« sei. Wir wissen, dass Julius Rosenberg während des Zweiten Weltkriegs Informationen militärisch-industrieller Art an die Sowjetunion weitergegeben hat, aber wir wissen auch, dass die Erklärungen des Richters und der Anklage falsch waren, weil das von Julius weitergeleitete Material nichts mit der Atombombe zu tun hatte.
Die US-Regierung wusste seit Ermittlungen in den späten 1940er Jahren, dass die Sowjetunion Ethel Rosenberg zu keiner Zeit mit einem Codenamen ausgestattet hatte und dass sie folglich keine Agentin war. Die FBI-Akten erhärten das. Ein noch kurz vor der Hinrichtung der Rosenbergs verfasstes FBI-Dokument enthält Fragen an Julius Rosenberg, die auf seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit zielen. Für Ethel hatte das FBI keinen Fragenkatalog ausgearbeitet und auch keine Frage an Julius zur Beteiligung seiner Frau an seinen Aktivitäten vorbereitet. Im Gegenteil lautete eine der Fragen: »Hatte Ihre Frau Kenntnis von Ihren Aktivitäten?« Eine 1953 vor ihrer Hinrichtung verfasste Analyse des FBI beschrieb Ethel als »eingeweiht und aufsässig«, schloss aber nicht daraus, dass sie mitschuldig sei. All das zeigt, dass die US-Regierung Ethel in dem Wissen hinrichten ließ, dass sie sich der Straftat, der sie angeklagt war, nicht schuldig gemacht hatte.
Ethel Rosenberg hat sich den rechtsgerichteten Absichten der US-Regierung widersetzt und ihre politischen Genossen nicht in Straftaten hineingezogen, die sie nicht begangen hatten. Ethel Rosenberg war in der Tat sowohl eingeweiht und aufsässig als auch ehrenhaft und mutig.
Übersetzung: Jürgen Heiser
Weiterführende Literatur:
Robert Meeropol: Als die Regierung entschied, meine Eltern umzubringen. 15 Euro; Giovanna Selmi: Roberts Geheimnis. 10 Euro (beide Zambon Verlag)
Siehe auch:
Staatlicher Mord an Kommunisten in den USA
„Die Erde wird lächeln, meine Kinder, sie wird lächeln und über dem Grün des Grabes, wenn wir gesiegt haben werden, wird die Welt fröhlich sein, und die Menschen werden sich lieben in Brüderlichkeit und Frieden.“ (Ethel Rosenberg, in der Todeszelle geschrieben an ihre Kinder mehr
jW-Artikel zu den offengelegten Geheimdokumenten:
https://www.jungewelt.de/2015/08-28/010.php
https://www.jungewelt.de/2015/08-28/011.php
https://www.jungewelt.de/2008/10-21/042.php
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