Freitag, 23. Oktober 2015

Dass Kommunisten ein Subjekt feiern, das Völkermord an den Armeniern mit ca. 1 Million Tote als „imperialistische Lüge“ und „kriegsbedingte Umsiedelung“ bezeichnet, ist eine Ungeheuerlichkeit.

Kommunisten rechtfertigen keinen Völkermord – sie kämpfen stattdessen gegen die Mörder

Kritik an www.kommunisten.ch

Dass wir Kommunisten Fehler machen, zeigen recht anschaulich die Niederlagen, die wir erleiden mussten. Für uns Deutsche war z. B. das Zögern der Spartacus-Gruppe sich organisatorisch von Ebert und Scheidemann zu trennen, ein wichtiger Fehler. Dadurch hatte die deutsche Arbeiterklasse bei der Novemberrevolution keine revolutionäre Führung. Oder das Zögern vieler Führer kommunistischer Parteien, sich dem chruschtschowschen modernen Revisionismus zu widersetzen, führte letztlich zur Liquidierung des sozialistischen Lagers und der UdSSR. Uns interessieren sehr wohl schwere Fehler von Bruderorganisationen und -parteien – sie müssen es, denn es sind letztlich eigene Fehler.
Wir haben vor allem zwei Beiträge auf Kommunisten.ch zu kritisieren:
1. „Morgenröte in Westasien und der Türkei“, von Doğu Perinçek, Vorsitzender der Patriotischen Partei (Türkei) (siehe);
2. EGMR Strassburg: Doğu Perinçek gewinnt Maulkorb-Prozess gegen die Schweiz. (siehe)
Zu 1:
Doğu Perinçek schreibt: „Die Länder Westasien einerseits und Russland, Deutschland und China andererseits haben sich nunmehr in einer gemeinsamen Front wiedergefunden. Syrien bildet nun die vorderste Front Eurasiens. Die USA haben eine Niederlage erlitten.“
Deutschland-Russland-China – Seite an Seite gegen die USA? Welch ein Unsinn. Dem Autor scheint entgangen zu sein, dass Deutschland in der Ukraine tüchtig mitgemischt hat – gegen Russland. Ihm scheint ferner entgangen zu sein, dass die deutsche Regierung sich in Fragen der Sanktionen gegen Russland besonders hervor tut. Und ihm scheint entgangen zu sein, dass die Dschihadisten in Syrien und dem Irak ihre Mordaktionen zum Teil mit deutschen Waffen begehen, die sie über Saudi Arabien und der Türkei bekommen haben – unter billigender Mitwissserschaft offizieller deutscher Stellen.
Und Doğu Perinçek scheint entgangen zu sein, dass der wesendliche Teil der NATO Response Force, die in erster Linie gegen Russland gerichtet ist, aus deutschen Verbänden besteht.
Weiter Doğu Perinçek: „Unter diesen Bedingungen muss die Türkei Stellung in Westasien und Eurasien beziehen, um ihre territoriale Integrität zu bewahren und den Fortschritt auf dem Pfad der kemalistischen Revolution fortzusetzen.“
Wer bedroht eigentlich die „territoriale Integrität“ der Türkei, wenn nicht die Regierung der Türkei, die einen Krieg gegen die Kurden führt und den IS logistisch und materiell unterstützt? Doğu Perinçek schwafelt in seinem Beitrag von „Fortschritt auf dem Pfad der kemalistischen Revolution“ und offenbart dabei den Hintergrund, die Ideologie seiner Partei, der „Vatan Partisi“ – an Chauvinismus grenzender Nationalismus im Sinne von Mustafa Kemal Atatürk: „Nur der kann sich glücklich schätzen, der ein Türke ist.“
Mit Verlaub: Ich halte das für ähnlich chauvinistisch, wie der Ausspruch Kaiser Wilhelms II. „Am deutschen Wesen mag die Welt genesen.“
Das Fazit des Herrn Doğu Perinçek: „In der Gänze betrachtet, haben sich die Länder Westasiens und Russland, Deutschland und China in einer gemeinsamen Front gefunden.“ … ist schlicht und ergreifend dummes Zeug oder er kennt noch ein Deutschland, das ich nicht kenne. Das „andere“, das es einmal gab, die DDR, stand dem famosen Herrn jedenfalls nicht nahe – so wie auch wir nicht.
Es ist absurd, der deutschen Regierung zu unterstellen, sie fahre einen antiimperialistischen oder auch nur einen Anti-USA-Kurs. Die BRD ist ein treuer Vasall Washingtons, auch wenn damals unter Kanzler Schröder keine deutschen Truppen im Irak eingesetzt wurden. Aber deutsche Truppen entlasteten die USA z.B. in Afghanistan zum Zwecke des Einsatzes im Irak.
Natürlich gibt es Widersprüche zwischen den USA und der EU (siehe das Fuck-EU-Zitat von Victoria Nuland) die Ukraine betreffend. Oder Deutschland favorisierte in der Ukraine die Matschbirne Klitschko, von dem die USA nun gar nicht hielten. Aber auch hier kroch die deutsche Regierung Obama zu Kreuze und feiert heute den Favoriten der USA, den Waffen- und Schokoladefabrikanten Petro Poroschenko.
Aber das sind Randerscheinungen. Deutschland hat, was die Ukraine, Syrien, Palästina usw. immer auf Seiten der USA gestanden und gegen die Völker dieser Länder. Die Widersprüche sind eben die Widersprüche unter imperialistischen Räubern. Ihren Opfern gegenüber sind sie sich immer einig gewesen.
Auch in der Russland-Politik kriecht die deutsche Regierung Washington zu Kreuze. Die Russland-Hetze der bürgerlichen Medien und des Staatsrundfunks zeigen uns das Tag für Tag.
Wo ist die von Herrn Perinçek halluzinierte gemeinsame Politik Deutschlands mit Russland und China gegen die USA?
Zu 2:
Das Urteil des EGMR interessiert uns nur am Rande. Der EGMR ist ein bürgerliches Klassengericht. Wenn es Herrn Perinçek erlaubt, einen Massenmord an einem Volk mit 800.000 bis 1,5 Mio Toten, als Wohnortwechsel hinzustellen, so sagt das viel über das eigenartige Denken dieses Herrn aus.
Zwar fürchte ich, wenn dieses Urteil bekannter wird, werden bei uns in Deutschland Rechte behaupten, Auschwitz sei ein Erholungslager gewesen und die Leugnung des Massenmords an den jüdischen „Untermenschen“, an Zigeunern und Slawen, an Kommunisten, Sozialisten, bürgerlichen Demokraten und Christen wird uns demnächst straffrei entgegenschallen, denn „mit dem Entscheid beseitigt das Gericht in Strassburg eine jahrelang schwelende Rechtsunsicherheit und macht den Weg frei für unvoreingenommene wissenschaftliche Beschäftigung mit der Geschichte“.
Auf die „Beschäftigung mit der Geschichte“, indem Völkermord als Wohnortwechsel umgedichtet wird, kann allerdings die Menschheit gut verzichten.
Aber, dass Kommunisten ein Subjekt feiern, das Völkermord an den Armeniern mit ca. 1 Million Tote als „imperialistische Lüge“ und „kriegsbedingte Umsiedelung“ bezeichnen, ist eine Ungeheuerlichkeit. Unglaublich!
Sollen wir an deren geistiger Zurechnungsfähigkeit zweifeln oder ist das „nur“ extrem niedriges ideologisches Niveau?
Alle historischen Quellen, auch sowjetische, bestätigen den Genozid an den Armeniern. Das müssten sie wissen und nicht auf den kemalistischen Rattenfänger der Vatan Partisi hereinfallen. Wir Kommunisten haben die Verpflichtung zur Humanität und zur Wahrheit, wir wollen eine gerechte Gesellschaftsordnung erkämpfen – wir rechtfertigen keinen Völkermord. Wir sind entsetzt!
Sie übernehmen kritiklos die Version dieses Doğu Perinçek – ja, sie feiern ihn auch noch und Funktionäre ihrer Partei posieren auch noch stolz mit diesem Menschen auf veröffentlichten Fotos. Nicht zu fassen!
G.A.

Die Antwort aus der Schweiz:

Lieber Genosse Ackermann,
Kurzantwort:
Allgemein: Wir gehen von der These aus, dass die USA den Mittleren Osten neu aufräumen wollen, um die funktionierenden Nationalstaaten zu beseitigen und – gestützt auf ethnische und religiöse Spannungen, die tüchtig angeheizt werden – die Region in ein Chaos zu verwandeln. Die Zuschrift von kommunisten-online.de ist Ansporn, diese These gelegentlich eingehender als dies schon geschehen (bzw. gelesen worden ist) zu begründen und zu belegen. Dass die Türkei NATO-Mitglied ist, wird ihr dieses Schicksal nicht ersparen, sowenig wie dem früheren Jugoslawien seine Nähe zum Westen geholfen hat. Wie im Ersten Weltkrieg die Entente-Mächte fördern die Imperialisten – die sich 1927 in Lausanne widerwillig mit der Tatsache einer türkischen Republik abgefunden haben, welche eine der drei Pforten zum Mittelmeer eigenständig kontrolliert – den terroristischen Separatismus auch heute und auch in der Türkei. US-Waffenlieferungen werden von der PKK zugegeben. Diese bietet sich an, die westlichen Interessen im Mittleren Osten zu vertreten, darunter die Energiezufuhr. Aus dem Gesagten versteht sich, dass wir den Medienrummel gegen die Türkei sehr kritisch beurteilen, ähnlich wie die letztjährige Propaganda gegen Brasilien (entgegen dem linken Chorgebrüll, dass es keine WM geben werde) oder wie in Sachen Ukraine, wo wir mit unserer Position am Anfang auch ziemlich allein dastanden.
Nach Perinçeks These befände sich Deutschland in einer gemeinsamen Front mit Eurasien einschliesslich Westasien. In objektiver Hinsicht trifft die behauptete Tatsache m.E. zu. Aber überdies Perinçek geht zumindest implizit davon aus, dass die deutsche Führung sich auch subjektiv sich in diese gemeinsame Front einreihe oder als dazugehörig erkenne, mehr als dies nach aussen signalisiert wird. Darüber habe ich auch meine Zweifel, in dieser Allgemeinheit und Eindeutigkeit wie Perinçek die Sache darstellt. Aber immerhin: Wie bei der Ukraine, oder bei der Politik der „Sanktionen“ zeigen sich ebenfalls in der Syrienfrage Risse innerhalb des NATO-Lagers, die sich in Deutschland auch in regierungsnahen Kreisen bemerkbar machen. Ferner: Perinçek will an das Erbe der kemalistischen Revolution anknüpfen. Warum sollte man ihm das krumm nehmen? Mustafa Kemal ist für die Türkei, was Simon Bolivar für Lateinamerika: ein Held der nationalen Befreiung von Feudalismus und Imperialismus.
Zum EGMR-Urteil Perinçek vs. Schweiz: Sehr einverstanden mit der einleitenden Feststellung des bürgerlichen Klassencharakters des EGMR, der mir besonders aus den schändlichen Urteilen zugunsten der nach 1974 in Portugal enteigneten Grossgrundbesitzer bekannt ist. Auch deswegen sollte die Schweiz ihr eigenes Strafrecht so revidieren, dass einer nicht nach Strassburg wallfahrten muss, um zu seinem Recht zu kommen. Konkret geht es vor allem um den Maulkorb gegen unvoreingenommene Forschung und Meinungsäusserung zu den Vorfällen in Srebrenica 1995.
Was die Geschichte von 1915 betrifft, so sind auch uns wie den meisten Leuten zahlreiche Darstellungen aus vorwiegend „armenischer“ Sicht bekannt, und leider nur wenige aus „türkischer“ Sicht. Es bräuchte wohl eine internationale Historikerkommission, der alle Archive offen stehen müssten und die bereit wäre, diese historische Frage unvoreingenommen zu untersuchen. Das ist eine Fleissarbeit, die unmöglich zur Aufgabe von kommunistischen Internetportalen werden kann.
Einzelne Sachpunkte Eurer Kritik verdienen gewiss eine vertieftere Stellungnahme und erfordern mehr Zeit. Diese vorläufige Antwort dürfte aber ausreichen um klarzustellen, dass wir unseren Redaktionskurs fortsetzen, unbeirrt von Druckversuchen von wem auch immer, egal ob der sich nun „im stillen Kämmerlein“ winden mag oder meinetwegen auf dem Jahrmarkt seine „Kreise zieht“.
Mit freundlichem Gruss
Marcel Hostettler, Bern

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