Donnerstag, 8. Oktober 2015
Rechte Ausschreitungen haben Heidenau bundesweit in die Schlagzeilen gebracht. Rost und Farbe sollen der Stadt nun helfen, sich mit sich selbst zu versöhnen.
Von Cornelius Pollmer, Heidenau
Am Montagnachmittag, kurz vor halb fünf, geht in Heidenau das Miteinander mit einem lauten Klonk verloren. Das "R" ist gefallen. Auf dem "E" daneben spielt ein Junge nun Superman, er hat sich waagerecht auf den Mittelbalken gelegt. Ein anderer erkundet ausdauernd die Vielfältigkeit des "A" ein paar Meter weiter links - von der Seite kann man sich an dieses "A" sehr gut schräg anlehnen. Und darunter durchkrabbeln? Geht auch.
Gleich soll das R wiederaufgerichtet werden, so war es von Anfang an geplant. Und dann steht da, auf dem Platz der Freiheit, ein 1,5 Tonnen schwerer Wunsch: MITEINANDER. 2,27 Meter hoch, 15 Meter lang, Stahl, auf Bodenplatten verschweißt. Warum? Und wozu?
Die erste Frage führt zurück in den August dieses Jahres, als das sächsische Heidenau zur Chiffre wurde für eine neue Eskalationsstufe im Protest gegen die Unterbringung geflüchteter Menschen. Vor dem ehemaligen Praktiker-Baumarkt gab es zwei Nächte lang heftige Ausschreitungen, die öffentliche Ordnung erlitt eine Niederlage nach Lehrbuch: zu wenig und überforderte Polizei, Randale wie im Rausch. Als der Qualm verweht war, reiste Vizekanzler Sigmar Gabriel nach Heidenau, danach auch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ihre Besuche waren geprägt von einer gewissen Ratlosigkeit und wenn es in diesen Tagen der hellen Aufregung einen Halt gab, dann waren es die Ruhe und Sachlichkeit, mit der Heidenaus Bürgermeister Jürgen Opitz sich den vielen und doch fast immer gleichen Fragen von Journalisten stellte.
"Ein tiefer Riss durch unsere Stadt"
Wozu nun dieses Kunstprojekt? Opitz steht am Montag ein paar Meter neben dem gefallenen "R", man hat ihm ein Mikro gereicht, damit er den stählernen Buchstaben ein paar gesprochene hinzufügt zum Zwecke der Erläuterung. Er habe den Eindruck, sagt Opitz, dass "seit ein paar Wochen ein tiefer Riss durch unsere Stadt geht". Und es gibt auf beiden Seiten des Risses eine gewisse Sprachlosigkeit - zwischen denen, die Angst haben oder sogar hassen, und denen, die die Aufgabe Asyl irgendwie anzunehmen versuchen. Das MITEINANDER aus Stahl "soll Diskussionen anregen", sagt Opitz, und so ein Miteinander im übertragenen Sinne wieder ermöglichen.
Zusammengeschweißt hat die Buchstaben der Künstler Hüseyin Arda. Arda wirkt wie ausgedacht, so gut passt es, dass er genau an diesen Ort nun seine Buchstaben gebracht hat. Er nutzt über sein Netzwerk freie Ateliers in Berlin, Istanbul - und Dorfhain, einem Idyll im Nordwesten der Sächsischen Schweiz. Wenn Arda in der Türkei von seinem am Wald gelegenen Atelier in Dorfhain erzählt und vom Rauschen der Roten Weißeritz, dann muss er sich nicht groß mit der Lagebeschreibung aufhalten: "Dresden kennen dort die meisten, wegen Pegida, bei Heidenau ist das nicht ganz so", sagt Arda.
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