Sonntag, 4. Oktober 2015
Erste Hintergründe zur Phase 2 der Marineoperation EUNAVFOR MED, die aktuell bereits im Bundestag debattiert wird
„Phase 2“
Ergänzung zu IMI-Analyse 2015/031: Marineoperation im Mittelmeer - in:
Ausdruck (Oktober 2015)
http://www.imi-online.de/2015/08/31/marineoperation-im-mittelmeer/
Laut Darstellung der Bundesregierung – ein Beschlussdokument hierzu
liegt nicht vor – hat der Rat der Europäischen Union „am 14. September
2015 die Feststellung getroffen, dass die Voraussetzungen für den
Phasenwechsel gegeben sind und der Übergang in die Phase 2 i) gemäß dem
Beschluss des Rates (GASP) 2015/778 erfolgen kann“. Die Bundesregierung
hat sich entschlossen, für den deutschen Beitrag zu Phase 2i ein Mandat
des Bundestages einzuholen. Das Mandat sieht u.a. vor, auf Hoher See
Schiffe anzuhalten, zu durchsuchen oder umzuleiten. Hierzu soll die
Bundeswehr u.a. „Kräfte zum Anhalten und Durchsuchen“ bereithalten,
außerdem sind Fähigkeiten des „Militärische[n] Nachrichtenwesen[s]
einschließlich Abschirmung des Einsatzkontingents“ vorgesehen. Auch im
Antrag der Bundesregierung zu Phase 2i wird die Seenotrettung nicht als
Aufgabe genannt, sondern lediglich festgestellt, dass „für alle im
Rahmen von EUNAVFOR MED eingesetzten Schiffe die völkerrechtliche
Verpflichtung zur Hilfeleistung für in Seenot geratene Personen
fort[gilt]“.
Das Völkerrecht findet sehr häufig Erwähnung im Antrag der
Bundesregierung wie auch im Ratsbeschluss, womit die Bundesregierung und
ihre EU-Partner eine Rechtsauffassung zum Ausdruck bringen, wonach es
eben Aufgabe der Militärs sei, Boote mit Migranten aufzubringen, zu
kontrollieren und umzuleiten und eine entsprechende Praxis im Mittelmeer
etablieren. Die Rechtsquelle, auf die sich Bundesregierung und Rat dabei
stützen, ist das Zusatzprotokoll vom 15. November 2000 gegen die
Schleusung von Migranten auf dem Land-, See- und Luftweg zum
Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende
organisierte Kriminalität, das im Januar 2004 in Kraft trat, nachdem es
von 40 Staaten ratifiziert wurde. Von Umleiten und Beschlagnahmen ist
darin jedoch keine Rede, es erlaubt lediglich, „geeignete Maßnahmen im
Hinblick auf das Schiff sowie die an Bord befindlichen Personen und die
an Bord befindliche Ladung zu treffen“, sofern „Beweise dafür gefunden
werden, dass das Schiff für die Schleusung von Migranten auf dem Seeweg
benutzt wird.“ Ausdrücklich hält das Zusatzprotokoll fest, dass es nicht
„die anderen Rechte, Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten von
Staaten und Einzelpersonen nach dem Völkerrecht, namentlich dem
humanitären Völkerrecht und dem Völkerrecht auf dem Gebiet der
Menschenrechte und insbesondere, soweit anwendbar, de[n] ... Grundsatz
der Nichtzurückweisung“ berührt. Da eine entsprechende
Operationalisierung und Praxis in Umsetzung der relativ neuen
Rechtsquelle bisher so gut wie nicht stattgefunden hat, ist noch völlig
unbestimmt, was etwa als Beweis aufzufassen ist und wie das Prinzip der
Nichtzurückweisung Geltung erhalten kann. Grundsätzlich beziehen sich
Übereinkommen und Zusatzprotokoll nur auf „Schleusungen“, die
bandenmäßig und mit dem Ziel der „unmittelbaren oder mittelbaren
Erlangung eines finanziellen oder sonstigen materiellen Vorteils
begangen“ werden, Fluchthelfer ohne kommerzielle Interessen dürften also
im Mittelmeer nicht von der Bundeswehr behelligt werden. Auch hier ist
aber völlig unklar, wie das in der – in diesem Fall quasi
rechtssetzenden Praxis – umgesetzt werden soll.
Um all diese Fragen im Vorfeld zu klären, wird aber keine Zeit bleiben.
Die erste Lesung des Antrags der Bundesregierung wurde auf Donnerstag,
den 24.9.2015 festgelegt, vermutlich wird die zweite Lesung samt
Abstimmung bereits in der Woche darauf stattfinden. Operationspläne und
Einsatzregeln liegen den Abgeordneten nicht vor. Wahrscheinlich befinden
sie sich noch in Ausarbeitung durch den EU-Militärausschuss und das PSK,
welches zu einem späteren Zeitpunkt hinter verschlossenen Türen den
Übergang in Phase 2 beschließen wird.
IMI-List - Der Infoverteiler der
Informationsstelle Militarisierung
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