Sonntag, 4. Oktober 2015
BVerfG: Parlamentsvorbehalt (cm)
IMI-Aktuell 2015/522
http://www.imi-online.de/2015/09/24/bverfg-parlamentsvorbehalt/
Am 23. September 2015 hat das Verfassungsgericht über eine Klage der
Grünen-Fraktion entschieden, welche der Meinung war, dass die
„humanitäre“ Operation Pegasus zur Rettung von deutschen und anderen
westlichen Staatsbürgern in Libyen 2011 zumindest nachträglich vom
Bundestag beschlossen werden müsse.
Das BVerfG hat geurteilt, dass es sich zwar um einen grundsätzlich
zustimmungsbedürftigen bewaffneten Einsatz und nicht um eine humänitäre
Operation gehandelt habe, dass aber wegen Gefahr im Verzug eine
Zustimmung durch das Parlament in diesem Fall nicht einzuholen war und
auch nachträglich nicht einzuholen sei, da der Einsatz zu diesem
Zeitpunkt schon beendet war und das Parlament ja nur über seine
Zustimmung, aber nicht die Rechtmäßigkeit des Einsatzes entscheidet:
„Der Bundestag ist auch nicht dazu berufen, über die Rechtmäßigkeit des
exekutiven Handelns verbindlich zu urteilen. Es ist deshalb davon
auszugehen, dass einem nachträglichen parlamentarischen Beschluss keine
Rechtserheblichkeit mehr zukommen kann.“ Auch wenn der Bundestag seine
Zustimmung verweigere, gelte damit die Entscheidung der Exekutive im
Vorfeld und damit der Einsatz nicht als rechtswidrig. Zu erinnern ist in
diesem Fall daran, dass der Einsatz bewaffneter Fallschirmkräfte damals
zwar angeblich mit der Führung der Aufständischen, nicht aber mit der
amtierenden Regierung in Tripolis abgesprochen war, d.h. es handelte
sich um eine Souveränitätsverletzung und damit einen Akt, der im
damaligen Kontext dem im Urteil ausführlicher diskutierten
„historische[n] Bild eines Kriegseintritts“ nahekommt.
Alarmierend sind im übrigen noch andere Formulierungen im Urteil des
BVerfG. So heißt es in Urteil
(http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2015/09/es20150923_2bve000611.html)
wie in begleitender Pressemitteilung
(http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2015/bvg15-071.html):
„Der konstitutive wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt ist
nicht auf Einsätze bewaffneter Streitkräfte innerhalb von Systemen
gegenseitiger kollektiver Sicherheit beschränkt, sondern gilt darüber
hinaus allgemein für bewaffnete Einsätze deutscher Soldaten im Ausland.“
Was meint das Gericht hiermit? Hat es nicht selbst im Widerspruch zum
Wortlaut des Grundgesetzes eins bewaffnete Auslandseinsätze unter der
Bedingung (und mit der Begründung) ermöglicht, dass diese in einem
System gegenseitiger kollektiver Sicherheit stattfinden?
Der rechtspolitische Korrespondent der Tageszeitung taz, Christian Rath,
geht sogar so weit, das Urteil generell als Freibrief für geheime
Operationen der Bundeswehr zu interpretieren
(http://www.taz.de/!5235470/): „Damit hat Karlsruhe für heimliche
Kommandoaktionen der Bundeswehr den Parlamentsvorbehalt faktisch
ausgehebelt. Denn solche Aktionen können naturgemäß nicht vorab
diskutiert werden. Die neue Einschränkung gilt nicht nur für
Hilfseinsätze, sondern auch für militärische Kommandos. Immer wenn die
Bundeswehr schnell und geheim handelt, ist künftig keine Zustimmung des
Bundestags mehr nötig“. Allerdings hat das Gericht auch behauptet, dass
"die Frage[...] ob Gefahr im Verzug gegeben war, [...]
verfassungsgerichtlich voll überprüfbar" sei und damit immerhin das
Verfassungsgericht nachträglich über die "Rechtmäßigkeit" eines
Einsatzes entscheiden könne. Fast scheint es, als wolle sich das Oberste
Gericht in Fragen von Bundeswehreinsätzen an die Stelle des Parlaments
setzen. (cm)
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