Gesetzlicher Mangellohn
Von Susan Bonath
Gut abgesichert? In etlichen Regionen sind Beschäftigte trotz Mindestlohn auf Hartz IV angewiesen
Foto: Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbild/dpa
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Die deutsche Wirtschaft boomt. Monat für Monat bejubelt die Bundesagentur für Arbeit (BA) neue Beschäftigungsrekorde. Aber die Armut wird trotzdem nicht weniger. Prekäre Jobs, für die sie lediglich den gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,84 Euro in der Stunde erhalten, sind für viele Lohnabhängige Alltag. Trotz Vollzeitarbeit können viele Betroffene ihren Lebensunterhalt nicht ohne staatliche Hilfe bestreiten. In 63 von 401 deutschen Landkreisen und Städten sind selbst die von Jobcentern und Grundsicherungsämtern anerkannten Wohnkosten so hoch, dass der aktuelle Mindestlohn nicht ausreicht, um aus dem Leistungsbezug hinauszukommen. Das geht aus einer aktuellen Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor, welche diese am Donnerstag veröffentlichte. Vor einem Jahr galt dies »nur« für 19 Landkreise, wie die Linke-Abgeordnete Susanne Ferschl am selben Tag in einer Mitteilung betonte. Es werde deutlich, wie der propagierte Anspruch, mit der Lohnuntergrenze die Armut zu bekämpfen, und die Realität immer weiter auseinanderdrifteten, so die Politikerin.
So müssten Alleinstehende ohne weiteres Einkommen in sieben Städten und Landkreisen schon heute über zehn Euro pro Stunde bei einer Vollzeittätigkeit verdienen, um dem Hartz-IV-Bezug zu entrinnen. Die meisten dieser Kommunen und Kreise, wie München, Starnberg, Ebersberg, Kelheim und Fürstenfeldbruck, liegen in Bayern. Aber auch in Frankfurt am Main wäre ein Stundenlohn von 10,19 Euro nötig, um nicht mehr auf Transferleistungen angewiesen zu sein. Bis der Mindestlohn diese Höhe erreicht, dürften jedoch noch einige Jahre ins Land gehen – in denen die Wohnkosten weiter steigen werden. Im kommenden Jahr soll die Lohnuntergrenze um 35 Cent auf 9,19 Euro angehoben werden, 2020 erfolgt eine weitere bescheidene Erhöhung um 16 Cent auf 9,35 Euro.
Aus der Antwort der Regierung geht zudem hervor, dass in weiteren 27 Gebietskörperschaften alleinstehende Vollzeitbeschäftigte schon heute wenigstens 9,19 Euro pro Arbeitsstunde erhalten müssten, um nicht mehr mit Arbeitslosengeld II aufstocken zu müssen. Dazu gehören unter anderem die Städte Stuttgart, Wiesbaden, Köln, Münster, Karlsruhe, Ingolstadt und Offenbach. Nur knapp darunter können Menschen aktuell kalkulieren, die etwa in Hamburg, Berlin, Nürnberg oder Mannheim leben. In 49 weiteren Kommunen und Kreisen ist eine mit mehr als neun Euro vergütete Vollzeitstelle nötig, um als Alleinlebender aus der Leistungsbezugsfalle herauszukommen.
Denn Hartz IV geht auch für Beschäftigte mit allerlei Auflagen und Repressionen einher. So können sie zum Beispiel verpflichtet werden, sich einen besser entlohnten Job zu suchen. Legen sie entsprechend verlangte Bewerbungen nicht vor oder versäumen einen Termin, können Jobcenter selbst aufstockende Vollzeitjobber bis zum Wegfall ihrer Leistung sanktionieren. Laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit galten beispielsweise im März 2018 rund 64.000 von insgesamt 132.000 Sanktionierten nicht als »arbeitslos«.
Hinzu kommt: Die Linksfraktion bezieht ihre Berechnung auf die vor Ort individuell festgelegten Mietobergrenzen für Hartz-IV-Bezieher. Die sind oft so niedrig, dass es dafür kaum Wohnungen gibt. In Thüringen etwa liegt die maximal anerkannte Bruttokaltmiete für Einpersonenhaushalte bei durchschnittlich gerade mal 280 Euro; in Schleswig-Holstein sind es 349, in Bayern 373 Euro. Die Folgen gehen aus einer BA-Statistik unter dem Titel »Wohnkostensituation« hervor: Danach mussten die knapp 3,2 Millionen Hartz-IV-Haushalte allein im Januar 2018 insgesamt 1,53 Milliarden Euro für Miete und Heizkosten aufbringen. Der Staat erkannte davon aber nur 1,47 Milliarden Euro an. Rund 60 Millionen Euro mussten Betroffene somit aus ihrem bescheidenen Budget für Essen, Kleidung, Strom und Teilhabe für die Miete abzweigen. Pro Haushalt sind das knapp 19 Euro pro Monat.
Kein Geheimnis ist es, dass der Zuwachs an sozialversicherungspflichtigen Jobs auf aktuell knapp 32,8 Millionen vor allem im Niedriglohnsektor erfolgte. Rund neun Millionen Beschäftigte arbeiten heute für den Mindestlohn oder geringfügig mehr. Der garantiere »vielerorts, besonders in Bayern, keinen Mindestschutz«, kritisierte die Linke-Abgeordnete Ferschl. Er sei zu niedrig, die Mieten zu hoch. Wer in Vollzeit arbeite, müsse sich ohne Hilfe ein Dach über dem Kopf leisten können. Sie mahnte: »Eine Lohnuntergrenze, die nicht mal für das Mindeste im Leben reicht, ist ein Mangellohn.« Dabei habe vor allem die CSU im Bund für die Prekarisierung von Arbeit gekämpft und derweil in Bayern die Privatisierung von Wohnraum forciert, so Ferschl. »Wer sich für niedrige Löhne einsetzt und gleichzeitig für steigende Mieten sorgt, der organisiert Armut und soziale Spaltung.«
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