KAZ-Fraktion: „Ausrichtung Kommunismus”
Beitrag von Conny Renkl (Kommunistische Arbeiterzeitung – KAZ)
Einer der größten Beiträge Kurt Gossweilers zur Erforschung des Faschismus ist die gründliche Untersuchung der Kapitalfraktionen im deutschen Monopolkapital. Sie zieht sich durch die Werke „Großbanken, Industriemonopole, Staat – Ökonomie und Politik des staatsmonopolistischen Kapitalismus 1914–1932 (1971)[1], „Die Röhm-Affäre“ – Hintergründe-Zusammenhänge-Auswirkungen (1983 auf der Grundlage seiner Dissertation aus dem Jahr 1963). Und es spricht für den hohen Stellenwert der Gossweilerschen Analyse wie natürlich auch für die Expertise und den Mut des Papyrossa-Verlags, diese Schriften vor kurzem neu aufgelegt zu haben. Abgerundet und zusammengefasst werden die Aussagen dieser Bücher durch die „Aufsätze zum Faschismus“ (1988), die darüberhinaus weitere Beweise vorlegen, die die Verantwortung des Kapitals für den Faschismus aufzeigen.
Die Fragestellung
Die Bedeutung der Frage nach den Kapitalfraktionen hatte Kurt aus der berühmten Definition des Faschismus durch Dimitroff abgeleitet: „Der Faschismus an der Macht, Genossen, ist, ... die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.“
Wer sind diese Elemente damals und heute? Welche besonderen Interessen hatten sie gegenüber den anderen „Elementen des Finanzkapitals“? Wie konnten sie sich gegenüber diesen Elementen durchsetzen? Und daraus ableitend: Wann geht die herrschende Klasse auf den abenteuerlichen Kurs in Richtung Faschismus und Krieg und wer setzt sich dabei gegen wen durch?
Dahinter steht die noch allgemeinere Fragestellung: Wie entsteht im Kapitalismus politischer Wille und politisches Handeln? Wie entstehen aus divergierenden ökonomischen Interessen der Einzelkapitale politische Vorstellungen des Gesamtkapitalisten und des Staates? Wie wird die Politik zum konzentrierten Ausdruck der Ökonomik – um eine Formulierung Lenins aufzugreifen?
Als Vater der Theorie der Monopolgruppen stellt Gossweiler Jürgen Kuczynski heraus. Sein Buch „Großbanken etc.“ widmet er deshalb auch der kritischen Auseinandersetzung mit Kuczynskis Ergebnissen (s. S. 11). Diese Theorie ist in ernsthafter und gründlicher Forschung und in scharfen, aber solidarischen Auseinandersetzungen der Historiker aus der DDR und aus anderen sozialistischen Ländern entstanden (s. z.B. das Protokoll einer Tagung der Deutschen Historiker-Gesellschaft, erschienen unter dem Titel: Monopole und Staat in Deutschland 1917-1945). Sie wurde aber auch in z.T. heftiger Polemik mit krassen, aber auch schamhaften (z.B. Tim Mason) bürgerlichen Verdunklern und Weißwäschern aus der westlichen Historikerzunft entwickelt und verteidigt.
Gossweilers Analyse ist eine scharfe Waffe gegen die heute dominanten Faschismustheorien vom Typ „wahnwitziger Alleintäter Hitler“, verselbständigte irrational-faschistische Führungselite, wildgewordene Kleinbürger und Volksmassen – im Kern immer das Primat der Politik vor der Ökonomie postulierend und somit aus den mächtigen Herrn von Bank und Industrie letztlich arme von den Faschisten getriebene Opfer zu machen statt Agenten des monopolkapitalistischen Expansionszwangs.
Die Ergebnisse der Gossweilerschen Analyse
Gossweiler kommt zum Ergebnis, dass die reaktionärsten usw. Elemente des Finanzkapitals in den „alten“ Industrien, der Schwerindustrie um die Vereinigten Stahlwerke mit Haniel (damals u.a. Deutsche Werft/HDW, GHH, MAN heute mit 73 % bei Volkswagen = Piëch/Porsche, ...), Hoesch, u.a. unter der Führung der Deutschen Bank mit so berüchtigten Repräsentanten wie v. Stauss, Kirdorf, Vögler zu suchen waren. Sie bildeten ursprünglich die „alldeutsche“ Fraktion im deutschen Monopolkapital. Diese drängte besonders zur Vernichtung der Arbeiterbewegung und ihrer Gewerkschaften unter Ausschaltung nicht nur der Kommunisten, sondern auch der Sozialdemokratie. Sie waren es auch, die besonders zur kriegerischen Neuaufteilung der Welt drängten. Den Ausschlag aber bei der Machtübertragung an Hitler gaben die Industriemonopole aus den „neuen“ Industrien, von Chemie/Elektro, die auch unter der Führung der Deutschen Bank standen wie Daimler und BMW, Siemens und die IG Farben (nach dem Krieg BASF, Bayer, Hoechst u.a.). Sie gaben den Ausschlag, als sie in den Verhandlungen unter Vermittlung der Bankhäuser Schröder und Stein zwischen den Novemberwahlen 1932 und dem Machtantritt Hitlers sich mit der Schwerindustrie (und dem eng mit ihnen verbundenen preußischen Adel, den sog. Junkern) einigten – zunächst auf einen Reichskanzler Hitler, der von der DNVP (um den ehemaligen Krupp-Direktor Hugenberg) und die Zentrums-Clique um von Papen (seit Juni 1932 parteilos)„eingerahmt“ werden sollte. Zur Erinnerung: Diese Regierung hatte keine Mehrheit im Parlament.
Damit stellte Chemie/Elektro, der sog. Reformflügel des Finanzkapitals, sein „Maximal-Programm“ zurück. Dieses sah u.a. vor:
„5. Verbreiterung der Massenbasis der faschistischen Diktatur durch geringfügige Zugeständnisse und durch Heranziehung auch rechtssozialistischer und christlicher Gewerkschaftsführer an den faschistischen Staat.
6. Deutsch-französische Allianz, natürlich unter deutscher Führung auf der Grundlage der Zusammenarbeit der deutschen und französischen Chemie- und Kalikonzerne und einer Minderheitsbeteiligung der französischen Schwerindustrie an der verstaatlichten deutschen Rüstungsindustrie, mit dem Ziel der Beherrschung Europas und der Niederwerfung und Aufteilung der Sowjetunion als Vorstufen zur Errichtung der deutschen Weltherrschaft.“ (aus Kurt Gossweiler, Röhm-Affäre und Monopole, S. 158, in: Deutsche Historiker-Gesellschaft, Monopole und Staat in Deutschland 1917-1945, Westberlin 1973)
Mit der Machtübertragung an die Hitler-Faschisten war damit die Fraktion im deutschen Finanzkapital gescheitert, die eine Verständigung mit Frankreich d.h. mit dem französischen Monopolkapital und Heranziehung der rechten Sozialdemokratie ins Auge gefasst hatte. Ihre Hauptprotagonisten Schleicher und Röhm wurden am 30. Juni 1934 von der SS ermordet.
Der schwerindustrielle Flügel (ohne Thyssen u.a.) um die Deutsche Bank, nunmehr mit Unterstützung von IG Farben und Siemens, stand aber in scharfer Auseinandersetzung mit dem sog. „Amerika“-Flügel um die Dresdner- und Danat-Bank (geschwächt durch die Beinahe-Pleite im Juli 1931) mit der AEG sowie Thyssen u.a., die unter Vermittlung von Hjalmar Schacht (damals auch Präsident der Reichsbank) eng mit dem US-Finanzkapital, insbesondere dem Morgan-Trust verbunden waren.
„Die Unterschiede zwischen der politisch-strategischen und ökonomischen Konzeption der Schacht-Thyssen-Gruppierung und derjenigen der Göring/IG-Farben lassen sich auf folgende äußerst grobe, modellhaft konstruierte Formel bringen:
Schacht/Thyssen: Die gesteckten Ziele sind nur zu erreichen, wenn wir uns der Unterstützung der USA, wenigstens der wirtschaftlichen, versichern. Ohne diese Unterstützung reicht unser Potenzial nicht aus, um einen Krieg gen Osten, gegen die Sowjetunion, und später auch gegen Westen zu führen. Dieser Krieg kann auf keinen Fall geführt werden, bevor wir uns nicht bei optimalem Tempo der Rüstung, das heißt, möglichst unter Vermeidung inflationärer und sonstiger krisenhafter Erscheinungen, bis an die Zähne bewaffnet, die notwendigen Vorräte angelegt und Reserven bereitgestellt haben.
Göring/IG Farben: Unsere Ziele werden uns unvermeidlich in Gegensatz zu allen am status quo interessierten Großmächten bringen. Der Krieg lässt sich nicht auf den Kontinent (einschließlich Sowjetunion) beschränken, sondern Großbritannien und wahrscheinlich auch die Vereinigten Staaten werden im Krieg von Anfang an auf der Gegenseite stehen. Ihr Ziel ist es zunächst, Deutschland und die Sowjetunion sich im Kampf gegenseitig erschöpfen zu lassen. Das gegnerische Lager wird bald den deutschen Rüstungsvorsprung aufholen. Unser Potenzial reicht für einen längeren, großen Krieg nicht aus. Der einzige Ausweg liegt in einer maximal forcierten Rüstung für eine Reihe von Blitzkriegen, mit denen man nicht mehr lange warten kann, und wirtschaftlich in einer wenigstens zeitweilig aufrechterhaltenen Autarkie als Mittel gegen Blockade.“ (D. Eichholtz/K. Gossweiler, Noch einmal: Politik und Wirtschaft 1933-1945, in Argument, Juli 1968, S. 221)
Die Schacht/Thyssen-Linie, das heißt Unterordnung unter den US-Imperialismus, wird 1936 mit dem Vierjahrplan unter Führung der IG Farben zurückgedrängt. 1937 tritt Schacht als Wirtschaftsminister zurück, als Reichsbankpräsident, der immerhin die Finanzierung der Kriegsrüstung finanziell und währungspolitisch abgesichert hatte, wird er im Januar 1939 abgelöst. Thyssen verlässt im September 1939 Nazideutschland (wird aber von Vichy an die Gestapo ausgeliefert; er wird als „Sonderhäftling“ in „Ehrenhaft“ gehalten, u.a. in Sachsenhausen und Buchenwald).
Was dann kommt, ist bekannt: Mit dem Überfall auf Polen wird der Schlag gegen den Westen vorbereitet, der den Rücken frei machen soll gegen den eigentlichen Feind des Imperialismus, gegen die Sowjetunion. Die alldeutsch-schwerindustrielle Linie hatte sich durchgesetzt und die übrigen Fraktionen des Finanzkapitals für sich gewonnen durch die Riesenprofite, die zunächst die Aufrüstung, dann der Krieg brachte.
Erst war also die Fraktion ausgeschaltet worden, die die Verständigung mit Frankreich suchte, um zur Weltdominanz zu gelangen (Röhm-Affäre), dann die Fraktion, die zum gleichen Ziel die zeitweise Unterordnung unter der US-Imperialismus befürwortete (Amerika-Flügel um Thyssen/Schacht), so dass nur noch die Fraktion übrigblieb, die nun auch den Krieg mit dem „Westen“ vorbereitete.
Die wissenschaftliche Leistung ...
Die Entwicklung der Fraktionen verfolgt Gossweiler zurück in die Anfangsjahre des deutschen Imperialismus als sich die Kapitalisten der Ruhrkohle- und Stahlindustrie mit den preußischen Junkern 1878 auf eine Schutzzollpolitik für Eisen (gegen englische Kapitalisten) einerseits und Getreide (gegen Importe aus Russland und Amerika) andererseits einigten. Im gleichen Jahr erfolgte mit dem Sozialistengesetz das Verbot der damals revolutionären Sozialdemokratie (damals SAP, seit 1890 SPD).
Damit ist auch das Profil sehr knapp umrissen: Von der Konkurrenz in der Existenz bedroht und deshalb aggressiv nach Außen und Innen, den Staat benutzen ohne sich von ihm ins Geschäft hineinregieren zu lassen.
Dem gegenüber stehen die damals neuen Industrien wie Chemie und Elektro, die mit überlegener Technik eine führende Rolle auf den Weltmärkten erobert haben und durch ihre raschen technischen Entwicklungen und durch Patente hohe Extraprofite erzielen. Sie sind für Freihandel und versuchen, ihre gesellschaftliche Basis zu erweitern durch Bestechung einer Oberschicht der Arbeiter und durch Reformen Führer aus Gewerkschaften und Partei herüberzuziehen.
Dabei halten beide Gruppierungen an ihren monopolistischen und den gesamtimperialistischen Zielen Deutschlands fest – die neuen Industrien kommen jedoch mit dem Flair des Modernen, Liberalen und Fortschrittlichen daher.
... gegen Schematismus
Es zeichnet den Wissenschaftler im besten Sinne aus, dass er keine Schemata liefert, sondern auf mögliche Einwände eingeht:
„Die gegensätzlichen Linien der Schwerindustrie und der neuen Industrien sind zwar objektiv vorhandene, von denen es aber auf beiden Seiten eine Vielzahl von Abweichungen und oft geradezu eine Verkehrung der Fronten und ein Überlaufen ins gegnerische Lager gibt. Kapitalismus ist nicht nur gleichbedeutend mit tausendfachen Interessengegensätzen, sondern auch mit tausendfachen Interessenverflechtungen, aus denen sich ein verwirrendes Gewebe ergibt, durch das sich die Linien der unterschiedlichen Gruppeninteressen – an einer Stelle deutlich, an einer anderen kaum erkennbar – als Grundmuster hindurchziehen.“ (S. 28)
Das öffnet auch den Blick auf eine von Schematismus freie Sicht auf die Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus. Ja, die Monopole haben sich den Staat weitgehend untergeordnet, aber um die Durchsetzung der Interessen der einzelnen Monopole und ihrer Allianzen gibt es Konkurrenz, z.T. heftig, so weit sogar, dass sich manche blenden lassen und als fortschrittlich oder liberal gelten lassen, was in Wirklichkeit nur eine andere Verkleidung der Diktatur des Finanzkapitals ist.
Es gilt das dominierende Interesse herauszufinden, das letzten Endes die Linie des Handelns bestimmt. Erst damit gewinnen wir einen Schlüssel für das „Verständnis der konkreten Einwirkung der Monopole auf die Politik, für die Umsetzung von Ökonomie in Politik durch das Monopolkapital.“ (s. S. 36)
... durch Anerkennen von Schwächen
Große Forscher sind sich auch der offenen Fragen und der Defizite der eigenen Analyse bewusst, hier nur ein paar Beispiele: In seinen Schriften weist Gossweiler verschiedentlich darauf hin, dass etwa Fraktionen im Monopolkapital der anderen imperialistischen Großmächte und die Widersprüche zwischen diesen Imperialisten z.B. zwischen Großbritannien und den USA in den 1920er Jahren im Kampf um die Aufteilung der Ölquellen und der Einflusssphären in den arabischen Staaten und im Iran, im sog. Nahen und Mittleren Osten, stark vernachlässigt werden mussten.
Auch die Rolle bestimmter Zwischenstaaten wie z.B. die Niederlande mit bedeutenden Monopolen wie Philips oder Shell, oder Schweden und die Schweiz, die als Drehscheiben, Vermittler z.T. ausschlaggebend Entscheidungen beeinflussen konnten.
Oder auch die Aktenlage: Zwar, klagte mir Kurt einmal, waren der DDR viele Akten zur Deutschen und Dresdner Bank in die Hände gefallen, ein schwieriges Terrain blieb aber für die Historiker der DDR die Entwicklung in Bayern, jedenfalls soweit sie mit August von Finck verknüpft ist und damit mit solch gerade heute wieder bedeutenden Teilen des deutschen Finanzkapitals wie Allianz und Münchner Rück.
... durch Aufdecken der Gesetzmäßigkeit
Doch durch all diese Schwierigkeiten hindurch legt Gossweiler die Gesetzmäßigkeit hinter der Bildung von Gruppierungen im Monopolkapital offen:
langes Zitat:
„Das Beispiel Bethmann Hollweg und Ludendorff kann uns helfen den dialektischen Wirkungsmechanismus imperialistischer Politik, die spontane Kombination von gegensätzlichen imperialistischen Interessen im imperialistischen Gesamtinteresse, besser zu verstehen. Auf dem Boden der kapitalistischen Konkurrenz erwächst unausweichlich die Konkurrenz verschiedner Linien imperialistischer Politik. ...
Welche der konkurrierenden Linien imperialistischer Politik im gegebenen Zeitpunkt realisierbar ist, hängt viel weniger von der ökonomischen Stärke der hinter ihr stehenden Monopole ab als von der innen- und außenpolitischen Gesamtlage des jeweiligen Imperialismus, d.h. vom inneren Kräfteverhältnis und von der Stärke im Vergleich zu dem imperialistischen Konkurrenten bzw. vom Kräfteverhältnis zwischen Imperialismus und Sozialismus. Aus dieser Wechselwirkung der verschiedenartigsten Kräfte ergibt sich, dass aus dem Kampf der Strömungen und Gruppen innerhalb der kapitalistischen Klasse durchaus nicht immer die stärkste Gruppe als Sieger hervorgeht, sondern dass sich gewöhnlich jene Gruppen durchsetzen, deren spezifische Gruppeninteressen in einem gegebenen Zeitpunkt am meisten dem Gesamtinteresse des jeweiligen Imperialismus kongruent sind und deren individuelle Lage am meisten der des jeweiligen Imperialismus entspricht. Daraus ergibt sich, dass man aus der Zusammensetzung einer Regierung nicht ohne weiteres Schlussfolgerungen über die Stärke der miteinander um die Vormachtstellung ringenden Monopolgruppen ziehen kann. Will man – bei Kenntnis ihrer allgemeinen Zielsetzung – die Ursachen für die konkrete Politik einer imperialistischen Regierung aufdecken, dann kann am Anfang nicht die Analyse der Zugehörigkeit ihrer Mitglieder zu bestimmten Gruppen der Monopolbourgeoisie, sondern muss die Untersuchung der Gesamtsituation des zu untersuchenden Imperialismus stehen.
Aus dem Gesagten ergibt sich als eine Eigenart imperialistischer Politik, dass die Vertreter einer bestimmten imperialistischen Linie die einer anderen gewöhnlich, und nicht einmal zu Unrecht, als Gegner ansehen und bekämpfen, die der erfolgreichen Durchsetzung der eigenen Linie Hindernisse in den Weg legen, und dass dennoch sie alle sich ergänzen, aufeinander angewiesen sind und erst zusammen die Kontinuität imperialistischer Politik über die gegensätzlichsten Situationen hinweg möglich machen. Ja, erst die gleichzeitige Existenz verschiedener Linien imperialistischer Politik gibt dieser die Elastizität, sich an neue Situationen anzupassen und eine kompromittierte und festgefahrene Politik gegen eine ‚neue‘ auszutauschen, die dasselbe Ziel auf geschicktere Weise zu erreichen sucht, zugleich bietet erst diese Vielfalt die Möglichkeit, jederzeit eine Massenbasis für jede Variante imperialistischer Politik vorzubereiten.“ Zitat Ende aus Großbanken, ...(S. 56 f.)
Dieses „Gossweilersche Gesetz“ bestätigt in seiner Analyse der Politikentwicklung im deutschen Imperialismus glänzend die Dialektik von Einheit und Widerspruch.
Die Bedeutung für heute
Wir können den Ball von Kurt Gossweiler aufnehmen:
Das strategische Ziel des Gesamtimperialismus war seit 1918 die Beseitigung der Sowjetunion. Diesem Ziel waren die zwischenimperialistischen Widersprüche untergeordnet, aber wenn auch z.T. verdeckt, höchst wirksam. Der Faschismus in Deutschland wurde unter dem Gesichtspunkt des Antikommunismus und Antisowjetismus von den westlichen Alliierten gefördert. Innerhalb des deutschen Monopolkapitals wurde die Linie eines Ausgleichs mit Frankreich 1934 im Juni-Massaker, der sog. Röhm-Affäre, liquidiert. Die Linie der Unterordnung unter die USA wurde 1936 mit der Hitler-Rede zum Vierjahrplan beseitigt. Der Angriff auf die Sowjetunion sollte nicht stattfinden als Werkzeug der Finanzgewaltigen in New York, London oder Paris, sondern auf eigene Faust und Rechnung durch vorherige Unterordnung Frankreichs und Resteuropas unter Einschluss (oder Neutralisierung bis zum Sieg über die SU) Großbritanniens.
Im Ergebnis des 2. Weltkriegs waren die Sowjetunion und die antikolonialen Befreiungsbewegungen und die Arbeiterbewegung in den kapitalistischen und imperialistischen Ländern erstarkt, aber auch die USA. Das strategische Ziel des Gesamtimperialismus war nun das Rollback des sozialistischen Lagers inklusive der DDR. Die USA waren zur dominierenden Macht im Imperialismus geworden. Ihre zwei Hauptziele, erstens, die Dominanz im Imperialismus aufrecht zu erhalten und zweitens, den Widerstand der Arbeiterklasse und der unterdrückten Völker unter Führung der SU zu brechen, erschienen zunächst nicht widersprüchlich. Der Widerspruch zwischen den beiden Hauptzielen des US-Imperialismus entfaltete sich innerhalb und außerhalb der USA erst im Lauf der Nachkriegsjahre.
Der auf Westdeutschland reduzierte deutsche Imperialismus konnte ohne Unterstützung des US-Imperialismus nicht an den Wiederaufstieg denken. „Bollwerk gegen den Osten“, aggressive Frontstellung gegen die Sowjetunion und die DDR und scharfe Unterdrückung des kommunistischen Einflusses in Westdeutschland selbst – damit wurden die Dollars eingeworben. Doch schon durch die Montanunion mit Frankreich 1951 schaffte sich der alte schwerindustriell-alldeutsche Flügel des deutschen Monopolkapitals eine Ausgangsbasis, um mit den USA zu rivalisieren durch Stärkung des Einflusses in Europa. Der unverbesserliche Separatist und nationale Verräter Adenauer war über seine vielen Verbindungen zu Frankreich und zu den USA (Kölner Klüngel, McCloy etc.) der geeignete Mann, dieses Doppel-Spiel zwischen dem französischen und dem US-Imperialismus im Gesamtinteresse des deutschen Imperialismus an führender Stelle zu betreiben und mit der Spaltung Deutschlands zu krönen.
Es würde in diesem Rahmen zu weit führen, auf die weitere Entwicklung der Kapitalfraktionen einzugehen. Soviel nur: Nach der vollständigen Wiederherstellung der Deutschen Bank 1957 finden wir in ihrem Aufsichtsrat die Namen solch bekannter Nazi-Kriegsverbrecher wie Hermann Schmitz von den früheren IG Farben, Helmut Zangen von Mannesmann und Hermann von Siemens – ja von wem wohl?
Die Dresdner ebenfalls 1957 rundum auferstanden, kann ihren Aufsichtsrat mit Alfried Krupp von Bohlen und Halbach und Friedrich Flick schmücken. Soviel zur Kontinuität der Strukturen in Deutschland, die Krieg und Faschismus hervorgebracht haben!
Schluss
Wir erhalten mit der Theorie der Kapitalfraktionen einen Seismographen, der die Erschütterungen in der herrschenden Klasse anzeigt. Und solche Erschütterungen sind für Revolutionäre ja eine Vorbedingung von Revolution: Wenn die Herrschenden untereinander nicht mehr einig sind, nicht mehr so können wie sie wollen ...[2]
Und sie ist ein Mikroskop, unter dem wir schärfer sehen können, welche Interessen hinter manchen Positionen, die auf den ersten Blick nach Frieden und Demokratie aussehen, nur eine Variante der Politik der Monopolbourgeoisie steckt.
Kurt Gossweiler hat im Vorwort zu „Großbanken ...“, auf die damalige neue Ostpolitik eingehend, dazu ausgeführt:
„Der Sozialdemokratismus ist seit Jahren darum bemüht, die flexible Variante imperialistischer Politik, wie sie z.B. in der ‚neuen Ostpolitik‘ der Brandt-Scheel-Regierung praktiziert wird, als eine echte Alternative zur offen aggressiven politischen Linie eines Franz-Josef Strauß anzubieten. Der moderne Revisionismus unterstützt solche Bemühungen durch die Verbreitung der These, die flexible, raffiniertere imperialistische Politik sei eine Linie ‚vernünftiger‘, ‚realistischer‘ Politiker, die sich zur friedlichen Koexistenz und damit zur Absage der Beseitigung des Sozialismus bekehrt hätten. Ultralinke Abenteurer wiederum treten mit der Behauptung auf, die Unterschiede der beiden taktischen Linien der Politik des Imperialismus seien für die Arbeiterklasse völlig ohne Belang, so dass man sie überhaupt nicht berücksichtigen dürfe.“[3]
Vielleicht hätte die Konterrevolution 1989 nicht so einfach siegen können, wenn die Kommunistischen – und Arbeiterparteien auf Kurt Gossweiler gehört hätten. Statt: vom Revisionismus durchsetzt, von der Friedensfähigkeit des Imperialismus im Allgemeinen zu schwärmen und die Aggressivität des deutschen Imperialismus im Besonderen zu unterschätzen. Und vielleicht hätte die Linke in Westdeutschland besser dem Siegeszug des deutschen Imperialismus widerstanden, wenn sie statt in der Friedensbewegung mit ihrem Hauptstoß gegen den US-Imperialismus aufzugehen, sich stärker dem Aggressionskurs des Monopolkapitals im eigenen Land widersetzt hätte.
Kurt Gossweiler wollte eigentlich nichts mehr zu Faschismus schreiben, sondern sich nur noch der Klärung der Frage nach den Ursachen des Siegs der Konterrevolution und die Rolle des Revisionismus widmen. Seiner Lust zur Teilnahme an den Diskussionen in der Linken sei Dank hat er diesen Vorsatz nicht wirklich eingehalten. Ganz in der Tradition seiner Forschungen veröffentlicht er 2005, im zarten Alter von 87 Jahren: Der deutsche Imperialismus und der Platz des Faschismus in seinem Herrschaftssystem heute:
„Der deutsche Imperialismus hat aus den zwei Niederlagen, die er erlitt, als er im Alleingang bzw. mit nur so schwachen Bundesgenossen, wie Österreich und Türkei im ersten, Italien und den Satellitenstaaten der ,Achse’ Berlin-Rom in Europa im zweiten Weltkrieg glaubte, die ganze übrige Welt niederringen zu können, gelernt und daraus die Schlussfolgerung gezogen: er kann den dritten Anlauf zum Griff nach der Weltherrschaft nicht mehr mit einem durch Waffengewalt unterworfenen Europa als Hinterland unternehmen, sondern nur mit einem Europa, das Deutschland als die stärkste ökonomische und politische Macht des Kontinents als Führungskraft einer Europäischen Union anzuerkennen bereit ist.
In der Tat hat die BRD als stärkste ökonomische Macht in Europa und dritt- oder gar zweit-stärkste ökonomische Macht in der Welt die Vorherrschaft in der Europäischen Union erlangt und strebt danach, die Europäische Union unter deutscher Führung zur ökonomisch, politisch und militärisch den USA zunächst ebenbürtigen, dann aber sie überholenden Macht auszubauen.“
Auf dieser Gossweilerschen Grundlage aufzubauen ist sinnvoll und lohnenswert, um wieder die Monopole ins Blickfeld zu bekommen und damit das Profitsystem. Ohne Sturz dieses Systems durch die Arbeiterklasse und ihre Verbündeten werden Krieg, Elend, Unsicherheit der Existenz, faschistische Gefahr unvermeidliche Begleiter unseres Lebens sein.
Kurt, der Analytiker der größten Niederlagen der Arbeiterbewegung, des Faschismus 1933 und der Konterrevolution 1989, blieb trotzdem immer revolutionärer Optimist. Er zitierte gelegentlich die Vietnamesen: Erstens sind wir dagegen, zweitens haben wir keine Angst!
Conny Renkl
https://kaz-online.de/artikel/die-theorie-von-fraktionen-im-monopolkapital
http://offen-siv.kommunistische-geschichte.de/kurt-gossweiler/
http://offen-siv.kommunistische-geschichte.de/Bucher/Festschrift.pdf
http://offen-siv.kommunistische-geschichte.de/Bucher/Festschrift.pdf
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