Für Dialektik in Organisationsfragen
Einkauf der 28-Stundenwoche gegen entsprechende Lohnkürzung
Diese Forderung hat der IG-Metall-Vorstand einer Arbeitszeitkonferenz am 27. Juni in Mannheim der IGM untergejubelt. Sie soll als „qualitative“ Forderung gemeinsam mit der noch zu beschließenden Lohnforderung bei der kommenden Tarifrunde durchgesetzt werden. Zur Konferenz waren rd. 850 Kolleginnen und Kollegen – die Tarifkommissionsmitglieder aller 7 IGM-Bezirke – eingeladen. Ihnen wurde u. a. vom IGM-Vorsitzenden Hofmann erklärt: „Die Beschäftigten wollen Arbeitszeiten, die zu ihrem Leben passen, selbstbestimmte Arbeitszeiten, die man sich leisten kann. Unser Zielbild ist: Wir wollen, dass die Beschäftigten ihre Arbeitszeit – etwa bis zu 28 Stunden – verkürzen können, zeitlich befristet, immer mit dem Rückkehrrecht zur 35-Stunden-Woche. Ob es der Hausbau ist, ein Tag weniger pendeln, das Ansparen von Zeitkonten für eine Weltreise – diese Freiheit jedem zu öffnen, der es will, auch wenn es mit Entgeltkürzungen verbunden ist – dieses Wahlrecht ist für viele attraktiv.“ (Ein Beispiel zu den Entgeltkürzungen – siehe Kasten).
Für diejenigen, die gerade nicht auf Weltreise sind und die Arbeitszeit verkürzen wollen, weil sie Kinder oder Pflegebedürftige betreuen müssen oder durch Schichtarbeit besonders belastet sind, ist ein „Entgeltausgleich“ vorgesehen. Gegenüber der Presse hat der IGM-Vorsitzende dazu festgestellt: Das Kapital muss ihn als „zeitgemäße Sozialleistung“, ähnlich wie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, zahlen[1]. Der „Ausgleich“ soll dann auch für die unteren Entgeltgruppen gefordert werden. Welche der unteren Entgeltgruppen dafür in Frage kommen sollen, hat Hofmann nicht gesagt.
Dafür hat er den aus dem Osten angereisten Metallerinnen und Metallern mehr oder weniger klar gemacht, dass sie mit der für sie geltenden 38-Stunden-Woche auch weiter zu den „Unteren“ gehören. „Sie trugen T-Shirts mit dem Aufdruck ‚35 reicht‘“, berichtet die Süddeutsche Zeitung, „eine Betriebsrätin aus Brandenburg wurde heftig beklatscht für ihre Feststellung, dass der Mauerfall nun genauso lange her sei wie die Zeit, da die Mauer gestanden habe, nämlich 28 Jahre. ‚Und viele Menschen fragen, warum soll ich drei Stunden länger arbeiten, nur weil ich im Osten geboren bin?‘“[2]Hofmann hat ihr darauf die Antwort gegeben. Es gibt zu wenige IGM-Mitglieder unter den im Osten Geborenen. Unter dem Stichwort „Anpassung Arbeitszeit Ost“ heißt es in seinem Redemanuskript: „Denn Tatsache ist auch: In der Fläche haben wir heute nicht die erforderliche Organisationskraft.“
Mit diesem Argument flüchten nicht erst seit heute große Teile der Gewerkschaftsführer vor zu organisierenden Kampfmaßnahmen, um die Organisation dadurch auch in der „Fläche“ zu stärken. Darüber hat bereits Rosa Luxemburg in ihren Ausführungen über die Bedeutung der Massenstreiks der russischen Arbeiter im Zusammenhang mit der Revolution 1905 berichtet. Hofmann will die Organisationskraft weiter entwickeln und hat erklärt: „Wir wollen diese Angleichung. Und: Dies geht nur aus eigener Kraft. DieseAuseinandersetzung wird an den Montagelinien bei VW in Zwickau, in der Lackiererei von Porsche und im Rohbau von BMW in Leipzig entschieden und nicht auf Konferenzen.“
Aber auf Konferenzen wird entschieden, was dann nachher in den Betrieben – vielfach durch Streik – durchgesetzt werden muss oder was abgewürgt wird, weil es nicht ins Konzept passt. In dem Sinne hat der IGM-Vorsitzende die Arbeitszeitkonferenz dafür genutzt, um mit der Vorgabe vom „Wahlrechts-Zielbild“ Fakten zu schaffen. Damit sollen mögliche andere „Zielbilder“ aus dem Osten, von den „Montage-, Rohbau und sonstigen Linien“ aus den Betrieben rechtzeitig abgeblockt oder in die Vorstands-Gleise umgelenkt werden. Hierbei geht es insbesondere gegen Forderungen nach täglicher und wöchentlicher Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich für alle – und wie oft gefordert – Personalausgleich.
Sie sollen Gewerkschaftsmitgliedern, Gremien und Belegschaften ausgetrieben werden. Wie aus Vorstandsetagen, Tarifabteilungen u. a. Gremien verbreitet wird, ist das angeblich nicht mehr möglich und das ist nicht nur bei der IG Metall so. Nach einem ver.di-Beschluss von 2015 ist diese Forderung nicht mehr „zeitgemäß“. Was dafür als Begründung genannt wird, ist u. a. in einem Buch mit dem Titel „Gute Arbeit“ veröffentlicht. Mit Blick auf die laufende „Arbeitszeitkampagne“ hat die IGM es 2017 herausgegeben. Unter der Überschrift „Arbeitszeiten für ein gutes Leben – sicher, gerecht und selbstbestimmt“ schreibt IGM-Vorsitzender Hofmann darin u. a.: „Es muss Antworten geben auf die Ausdifferenzierung der betrieblich geprägten Arbeitszeitpraxis wie auch auf die gestiegene Diversität der Problemlagen und Wünsche der verschiedenen Beschäftigtengruppen. Es muss berücksichtigen, dass die Neuregulierung der Arbeitszeit gerade nicht über eine einfache und für alle verbindliche ‚Zahl’ – wie die 35 – möglich ist und gerade deshalb eine Vielzahl von Handlungssträngen verbinden muss: von tariflichen Rahmensetzungen über betriebliche Vereinbarungen bis hin zum konkreten Arbeitszeitverhalten der einzelnen Beschäftigten ...“ Zu den„Handlungssträngen“ zählt Hofmann an anderer Stelle „Wahlarbeitszeiten“, die neben der Forderung nach „mehr Verfügungsrechten, Lebensphasenorientierter Arbeitszeiten und anlassbezogener kurzer Vollzeit“ ebenso von der IGM-Abteilung Tarifpolitik vertreten und verbreitet werden. Mit dem Ziel, die Belegschaften an solche Arbeitszeiten zu gewöhnen und sie durchzusetzen, wurde bereits 2015 vom Projekt „DenkraumArbeit“ bei der Friedrich-Ebert-Stiftung ein sich gegen kollektive Arbeitszeitverkürzung richtendes Programm entwickelt. Der IGM-Vorstand ist darüber bestens informiert. Wie ebenfalls der DGB, war er u. a. mit dem Leiter der Grundsatzabteilung, Prof. Dr. Wolfgang Schröder und Armin Schild, Bezirksleiter des IGM-Bezirks Mitte, daran beteiligt. Die aus einem intellektuellen Zirkel von 61 „Mitwirkenden“ und 11 „Themenpat_innen“ bestehenden Denkraumarbeiter haben hierbei für die „Neuregulierung der Arbeitszeit“ festgestellt: „Im Zentrum der aktuellen Arbeitszeitdebatte steht nicht die Frage nach pauschal kürzeren, längeren oder flexibleren Arbeitszeiten. Es geht vielmehr um die Frage, wessen Ansprüche und Wünsche an die Gestaltung der Arbeitszeit, wessen Flexibilitätsvorstellungen sich im konkreten Arbeitsalltag durchsetzen – diejenigen des Betriebs oder die der Beschäftigten? Es geht also um die Durchsetzung von Zeitsouveränität – um Selbstbestimmung über die individuelle Zeitverwendung“. (Der Vorschlag für die „selbstbestimmte Zeitsouveränität“ im Wortlaut – siehe Kasten).
Über ihre damalige an der Denkarbeit beteiligten Staatssekretärin, Yasmin Fahimi, konnte sich auch Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles aus dieser Quelle bedienen. 2016 hat sie ein „Wahlarbeitszeitgesetz“ vorgeschlagen: „Mit Rechten für Beschäftigte, ihre Arbeitszeit der Lebensphase anzupassen, oder Lage der Arbeitszeit und Ort der Arbeit mit dem Arbeitgeber erörtern zu können.“[3].
Spaltung der Klasse, der Belegschaften nach Arbeitszeitmodellen und weitere Zerfledderung der Tarifverträge
Das ist zwangsläufig die praktische Auswirkung des hier wie warme Semmel angepriesenen Arbeitszeit-Selbstbestimmungsprogramms. Die DenkraumArbeits-Experten haben das offensichtlich genauso wenig wie die Erhaltung bzw. Stärkung gewerkschaftlicher Kampfkraft als Problem der „aktuellen Arbeitszeitdebatte“ gesehen. Im Gegenteil: Sie fordern ganz offiziell Spaltung und weitere Flexibilisierung der Tarifverträge als Voraussetzung zur Verwirklichung ihres „Basisarrangements“. „Gewerkschaften stehen dabei vor einer besonderen Herausforderung: Ihre Unterstützungsaufgabe besteht im Konflikt um die Zeitsouveränität nicht darin, dieselbe Regelung für möglichst viele Arbeitnehmer_innen durchzusetzen, sondern darin den bestmöglichen Gestaltungsrahmen für möglichst viele individuelle Lösungen der Zeitkonflikte aufseiten der Beschäftigten zu schaffen.“
Für den „Gestaltungsrahmen“ beim nächsten Warnstreik oder auch für Urabstimmung und Streik heißt das dann „aufseiten der Beschäftigten“: Stopp, so einfach ist das nicht, wir müssen zuerst mal prüfen, wer überhaupt zu welcher Zeit im Betrieb ist. Aber das ist längst nicht alles. Bei der IGM-Umfrage im Frühjahr haben sich 68 Prozent der Befragten die 35-Stunden-Woche gewünscht oder sie als Forderung aufgestellt. Sie wird mit allen aus den verschiedensten Branchen, Bereichen und Betrieben kommenden Forderungen nach Verkürzung der Wochen-Arbeitszeit auf die IGM-Basis von 35, den „individuellen Lösungen“ untergeordnet. Dabei bleiben nicht nur unsere Kolleginnen und Kollegen im Osten auf der 38-Stunden-Woche hocken, sondern ebenso alle anderen auf der jeweils geltenden tariflichen Arbeitszeit. Forderungen nach „pauschaler“ Verkürzung der Ausbeutungszeit in den Betrieben kann dann entgegengehalten werden: Was willst du denn damit? Nach unserem „Basisarrangement“ kannst du selbstbestimmen, wie lange du im Zeitkorridor von ca. 41 (aktuell mit Überstunden) bis z.B. 28 Stunden in der Woche arbeiten bzw. deine Arbeitszeit verkürzen willst.
Begräbnis fürs „Wahlarbeitszeitgesetz“?
Zumindest vorerst. Bundesarbeitsministerin Nahles hat ihr Projekt nicht durchsetzen können. Mitte Juni musste sie darauf bezogen erklären: „In der Bundesregierung haben wir keine Abstimmung hingekriegt.“[4]Damit ist auch die zweijährige Experimentierphase zunächst einmal vom Tisch, die – „wissenschaftlich begleitet und tarifvertraglich abgesichert“ – als Pilotprojekt dafür vorgesehen war. Offensichtlich versucht der IGM-Vorstand als am „DenkraumArbeit-Arrangement“ Beteiligter, dafür in die Bresche zu springen und Schrittmacher für eine gesetzliche Regelung zu machen. Für sein „Zielbild“ hat er jedenfalls ebenso bereits eine zweijährige Tarifvertrags-Testphase angekündigt. Dafür müssen in allen 7 IGM-Bezirken – neben den „Entgelttarifen“ – alle Manteltarifverträge gekündigt werden. Weil keine Teilkündigungsmöglichkeiten vereinbart sind, gilt das nicht nur für die Arbeitszeit-, sondern für alle anderen Paragraphen, wie z. B. Urlaub usw. Befürchtungen, die Manteltarifverträge „nicht mehr zuzukriegen“, hat der IGM-Vorsitzende entgegengehalten: „Wenn wir klar benennen, warum wir gezwungen sind den Mantel zu kündigen und es uns nur um diesen einen Punkt geht, werden die Arbeitgeber kein Öl ins Feuer gießen – schon gar nicht mit Themen, von denen sie wissen, dass damit die Hütte brennt.“
Wann brennt denn die Hütte?
Es ist wohl offensichtlich so, dass die Kapitalisten in Kenntnis der Streikfreudigkeit der IGM-Führung keine größeren Hüttenbrände befürchten. Mit ihren massiven Angriffen auf den 8-Stunden-Tag, die 11-stündige Ruhezeit zwischen 2 Arbeitstagen usw., haben sie längst Öl auf die Lampen und ins Feuer gegossen, ohne dass darauf eine gewerkschaftliche Reaktion erfolgt ist. Was dabei die Arbeitszeit angeht, brennt ihr Feuer sozusagen als „ewiges Licht“, solange ihr System, die kapitalistische Lohnarbeit und Ausbeutung existiert. Die Inhalte der Manteltarifverträge sind hierbei je nach Situation, schon immer ein ebenso beliebtes Angriffsziel des Kapitals, um sich abgerungene Zugeständnisse zurückzuholen. Dass dies jetzt auch bereits geplant ist, hat Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger am 17. Juli 2017 im Interview mit der Gesamtmetall-Presse angekündigt. Mit einer Anleihe bei der griechischen Mythologie stellt er dort fest: „Wenn Herr Hofmann die Manteltarifverträge kündigen lässt, nur um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen, dann öffnet er die Büchse der Pandora.“
Zur Erläuterung: Die Pandora ist die von Zeus erschaffene erste Frau auf Erden – die aus Rache für den Raub des Feuers – eine Büchse (Büchse der Pandora) mitbrachte, in der alle Übel der Menschheit zunächst eingeschlossen sind, dann aber entfliehen.“[5]
Auf die Arbeitszeit-Paragraphen der Manteltarifverträge bezogen, heißt das im Kapitalistendeutsch: Wer die Büchse öffnet, dem fliegen hierbei auch alle anderen mit „entflohenen“ Paragraphen um die Ohren. Wie die Flucht im Fall der Büchsenöffnung organisiert werden kann bzw. soll, hat der Kapitalverbandspräsident wie folgt erklärt: „Wenn sie den Manteltarif jetzt aufmachen, dann haben sie eine konkrete Forderung der IG Metall in ganz Deutschland, aber in jedem Tarifbezirk anders geartete Forderungen der Arbeitgeber. Das wird ein unbeherrschbarer Prozess.“
Aufgrund der Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 Tarifvertragsgesetz bleiben die sogenannten „normativen“ Bestimmungen gekündigter Tarife weiter in Kraft. Das heißt, sie sind trotz „Unbeherrschbarkeit“ fürs Kapital verbindlich. Aber die Kapitalisten können während der Nachwirkung versuchen, den Belegschaften, einzelnen Kolleginnen oder Kollegen, Gruppen oder Abteilungen neue Arbeitsverträge mit schlechteren Bedingungen abzupressen. Auf diese sich real ergebende Möglichkeit hat Präsident Dulger im o. g. Interview ebenfalls bereits hingewiesen: „... die Unternehmen werden dann selbst mit den Mitarbeitern Regelungen treffen – von der Wochenarbeitszeit über die Urlaubsdauer bis zu den Pausenregelungen. Das heißt, es gibt eine Tarifflucht, die sich gewaschen hat.“ [6]
Das „neue Arbeitskampfkonzept“ Feuerwehrübungen für den Fall, dass die Hütte brennt
Mit diesen Androhungen hat Gesamtmetall-Präsident Dulger deutlich gemacht, mit welchen Brandbeschleunigern die Metall- und Elektrokapitalisten der IGM gegebenenfalls die „Hütte“ anzünden und sie befeuern wollen. Zunächst noch unabhängig davon steht fest: Im September müssen seitens der IGM-Führung nach Beschluss in den Tarifkommissionen, die Tarifverträge in 7 Tarifgebieten gekündigt werden. Für die Kündigung der Manteltarifverträge muss hierbei vorher klar sein, ob sich die Belegschaften das o. g. Vorstands-Zielbild als „Gute Arbeitszeiten für alle“, und „neue Arbeitszeitkultur“ haben aufschwatzen lassen. Daran hat der IGM-Vorsitzende schon bei der Arbeitszeit-Konferenz keinen Zweifel gehabt und für seine Durchsetzung angekündigt: „Die IG Metall geht dieses Jahr erstmals mit dem neu beschlossenen Arbeitskampfkonzept in die Tarifrunde. 2016 haben wir eine Feuerwehrübung gemacht. 2018 könnte es ernst werden ...“ Für den möglichen Ernstfall sind im „neuen Arbeitskampfkonzept“ 24-Stunden-Streiks in dafür ausgesuchten Betrieben vorgesehen. Hierbei besteht allerdings die Gefahr, dass die IGM-Führung die Paragraphen des Manteltarifs bei den „Feuerwehrübungen“ je nach Situation zum Löschwasser macht. Einerseits, um den oben von Dulger angekündigten Ernstfall mit Zugeständnissen ans Kapital erst gar nicht eintreten zu lassen und andererseits, um eigene „Zielbilder“ damit durchzusetzen.
„Denn viele Probleme brauchen zur Lösung parallel einen erweiterten tarifpolitischen Rahmen“, hat Hofmann festgestellt: „Zum Beispiel Wahlarbeitszeiten oder Rückkehrrechte aus Teilzeitarbeit, belastbare Regelungen für Arbeitszeitkonten einschließlich durchsetzbarer Entnahmerechte der Beschäftigten oder auch solidarische Aufzahlungen bei notwendigen Arbeitszeitreduzierungen ...“ („Gute Arbeit“ S. 63 3. Abs.)
Das lässt sich einschließlich der „Wahlmöglichkeit“ – die 28 Stundenwoche mit entsprechendem Lohnverlust – alles im „geöffneten Mantel-TV“ gut platzieren. Gleichzeitig besteht dabei die Möglichkeit, den „Arbeitszeitmodellen“, die sich aufgrund jahrelanger Zugeständnisse ans Kapital mit einem Milliardenberg unkontrollierter Überstunden usw. durchgesetzt haben, eine Rechtsgrundlage zu verschaffen. Die „Problem-Lösung“ im „erweiterten tarifpolitischen Rahmen“. Hierbei haben die vom IGM-Vorsitzenden angesprochenen „Lösungen“, genauso wenig mit realer Arbeitszeitverkürzung zu tun, wie das o. g. „Zielbild“.
Auf Basis der kapitalistischen Lohnarbeit heißt die damit verkündete Art von „Selbstbestimmung“ in der „digitalen Arbeitswelt von morgen“ allerdings auch nur: Du musst deine Arbeitskraft nach wie vor an einen Kapitalisten verkaufen. Dann vereinbarst du – wie alle anderen, für die das bei einer „geregelten Arbeitszeit“ feststeht – zu welchen Zeiten, täglich oder wöchentlich, er dich beim Gleiten im „Korridor“ ausbeuten kann. Die Voraussetzung dafür, dass du beim „guten Leben“ in diesem System mit deiner Familie, mit Frau und Kindern nicht verhungerst.
Die Metallerinnen und Metaller entscheiden für welches Zielbild sie die „Hütte“ bei der bevorstehenden Tarifrunde brennen lassen wollen. Dabei müssen sie aufpassen, dass sie durch „entflohene“ Paragraphen aus den Manteltarifverträgen nachher nicht ärmer sind als vorher. Deswegen empfiehlt es sich, dass sie versuchen, die „Problemlösungen“ selbst in die Hand zu nehmen und sich wieder an die eigenen Forderungen nach längst überfälliger Arbeitszeitverkürzung erinnern und dabei zu der Einsicht kommen: Selbstbestimmung kann es nur ohne Kapital, ohne die Klasse der Kapitalisten geben. Davon können wir nur reden, wenn wir in den Gewerkschaften wieder beginnen, für die Beseitigung des kapitalistischen Ausbeutungssystems, für eine andere Gesellschaftsordnung, für den Sozialismus zu kämpfen. Alles andere, das ganze Gerede von Guter Arbeit, selbstbestimmten Leben, womit uns die Gewerkschaftsführer und andere pausenlos zudröhnen, bleibt auf der Ebene von Phrasendrescherei. Gedacht als Futter für diejenigen, die sich daran berauschen wollen, um sich den Kapitalismus damit schön zu reden.
Ludwig Jost
Kosten der „attraktiven Wahlmöglichkeit“ an einem Beispiel für den Einkauf der 28-Stunden-Woche.
Bei einem angenommenen Stundenlohn von 20 Euro – bei 35 Wochenstunden macht das ein Monatseinkommen von 3.045 Euro. Das liegt im Bereich der Entgeltgruppen 9 und 10 im Metalltarif, ohne Zulagen und Überstunden gerechnet. Bei 28 Stunden heißt das Verzicht auf mtl. 609 Euro und mal 12, jährlich auf 7.308 Euro. Und bei den für den Tarifvertrag vorgesehenen 2 Jahren kommen dabei 14.616 Euro raus. Die Forderung, mit der Metallerinnen und Metaller tariflich durchsetzen sollen, was sie selber, jedenfalls die Mehrheit, mit einem größeren Verzicht ihres Einkommens bezahlen müssen.
Davon sind nicht nur alle Durchschnittsberechnungen im Arbeitsvertrag, Urlaub, Urlaubsgeld, anteiliges 13. Monatseinkommen betroffen, sondern ebenso Krankengeld, mögliches Arbeitslosengeld und Rente. Zu dem dafür vorgesehen „Entgeltausgleich“ für bestimmte besonders belastete Gruppen hat Gesamtmetall-Präsident Dulger im Interview erklärt: „Wer will, kann doch heute schon kürzer treten, dank des Teilzeitgesetzes und flexibler Regelungen in den Betrieben. Es stimmt auch nicht, dass die Metaller mit einem Durchschnittseinkommen von 55.000 Euro in Baden-Württemberg sogar von 63.000 Euro – sich nicht mehr Freizeit leisten können und dafür einen Lohnausgleich brauchen.“
Was die IG BCE für die im Osten Geborenen tut – 30 Jahre Wartezeit für die Angleichung an den Westtarif
„Für die chemische Industrie in Ostdeutschland hat die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IGBCE) die tariflichen Wochenarbeitszeiten neu vereinbart. Im Tarifbereich arbeiten rund 30.000 Beschäftigte, der gewerkschaftliche Organisationsgrad vermutlich bei 40 Prozent und etwas mehr. In drei Stufen wird jeweils zum Januar 2019, 2021 und 2023 die tarifliche Arbeitszeit um eine halbe Stunde pro Woche von aktuell 40 auf 38,5 bei vollem Lohnausgleich verkürzt.
Die IG BCE hält sich damit zugute, dass damit hinsichtlich der tariflichen Bestimmungen in der chemischen Industrie die Angleichung von Ost- und Westdeutschland abgeschlossen sei. Im Westen gilt seit 1993 die 37,5-Stunden-Woche. Die ‚fehlende’ Stunde sieht die IG BCE in einem Tarifvertrag ,Lebensphasenorientierte Arbeitszeit’ aufgehoben, die je Beschäftigten im Betrieb eine Stunde zur Verteilung vorsieht.“
(SoZ – Sozialistische Zeitung, 2. Juli 2017)
Die Flucht der deutschen Gewerkschaftsführer vor dem fehlenden Organisationsgrad
Rosa Luxemburg schreibt dazu:
„Die Stellung mancher Gewerkschaftsführer zu der Frage erschöpft sich gewöhnlich in der Behauptung: ,Wir sind noch nicht stark genug, um so eine gewagte Kraftprobe wie einen Massenstreik zu riskieren.’
Nun ist dieser Standpunkt insofern ein unhaltbarer, weil es eine unlösbare Aufgabe ist, auf dem Wege einer ruhigen, zahlenmäßigen Berechnung festzustellen, wann das Proletariat zu irgendeinem Kampfe ,stark genug sei’. Vor 30 Jahren zählten die deutschen Gewerkschaften 50.000 Mitglieder. Das war offenbar eine Zahl, bei der, nach dem obigen Maßstab, an einen Massenstreik nicht zu denken war. Nach weiteren 15 Jahren waren die Gewerkschaften viermal so stark und zählten 237.000 Mitglieder. Wenn man jedoch damals die heutigen Gewerkschaftsführer gefragt hätte, ob nun die Organisation zu einem Massenstreik reif wäre, so hätten sie sicher geantwortet, dass dies bei weitem nicht der Fall sei und dass die gewerkschaftlich Organisierten erst nach Millionen zählen müssten. Heute gehen die organisierten Gewerkschaftsmitglieder bereits in die zweite Million, aber die Ansicht ihrer Führer ist genau dieselbe, was offensichtlich ins Unendliche gehen kann. Stillschweigend wird dabei vorausgesetzt, dass die gesamte Arbeiterklasse Deutschlands bis auf den letzten Mann und die letzte Frau in die Organisation aufgenommen werden müsse, bevor man ,stark genug sei’, eine Massenaktion zu wagen, die alsdann, nach der alten Formel, sich auch noch wahrscheinlich als ,überflüssig’ herausstellen würde. Diese Theorie ist jedoch völlig utopisch, weil sie an einem inneren Widerspruch leidet, sich im schlimmen Zirkel dreht. Die Arbeiter sollen, bevor sie irgendeinen direkten Klassenkampf vornehmen können, sämtlich organisiert sein. Die Verhältnisse der kapitalistischen Entwicklung und des bürgerlichen Staates bringen es aber mit sich, dass bei dem „normalen» Verlauf der Dinge, ohne stürmische Klassenkämpfe, bestimmte Schichten – und zwar gerade das Gros, die wichtigsten, die tiefstehenden, die vom Kapital und vom Staate am meisten gedrückten Schichten des Proletariats – eben gar nicht organisiert werden können.
Andererseits aber können die Gewerkschaften, wie alle Kampforganisationen des Proletariats, sich selbst nicht auf die Dauer anders erhalten, als gerade im Kampf, und zwar nicht im Sinne des Froschmäusekrieges in den stehenden Gewässern der bürgerlich-parlamentarischen Periode, sondern im Sinne heftiger, revolutionärer Perioden des Massenkampfes. Die steife, mechanisch-bürokratische Auffassung will den Kampf nur als Produkt der Organisation auf einer gewissen Höhe ihrer Stärke gelten lassen. Die lebendig dialektische Entwicklung lässt umgekehrt die Organisation als ein Produkt des Kampfes entstehen.“
Was ist „DenkraumArbeit“?
„Der DenkraumArbeit ist ein gemeinsames Dialogprojekt zum Wandel der Arbeitswelt der Friedrich-Ebert-Stiftung und des Progressiven Zentrums. Rund 100 Expert_innen aus Wissenschaft, Politik, Gewerkschaften, Wirtschaft und Verbänden engagieren sich hier seit Anfang 2014 ehrenamtlich in vier thematischen Arbeitsgruppen: Arbeitszeitpolitik; Zukunft der Arbeit im digitalen Wandel; Arbeitsmarkt, Einkommen, Soziale Sicherung; Qualifizierung und Weiterbildung.“
Der Vorschlag für die selbstbestimmte Zeitsouveränität:
Wahlarbeitszeit als neues Basisarrangement
Dazu wird ausgeführt: „Als neues Basisarrangement für eine mögliche lebensphasenorientierte Variation der Arbeitszeit ohne Statusveränderung bietet sich das Konzept der Wahlarbeitszeit an. Wahlarbeitszeit bedeutet, dass jede/r Beschäftigte ihre/seine individuelle Normalarbeitszeit innerhalb eines Korridors (etwa zwischen 32 und 40 Stunden) nach seinen Wünschen ohne Angabe besonderer Gründe frei wählen kann.
Die gewählte Arbeitszeit ist dann jeweils für einen bestimmten Zeitraum von etwa zwei bis drei Jahren für die Beschäftigten ebenso wie für den Betrieb verbindlich und innerhalb dieser Frist nur in gegenseitigem Einvernehmen abänderbar. Danach erfolgt eine Neufestsetzung der individuellen Normalarbeitszeit innerhalb des Korridors. Auf diese Weise wird ein angemessener Ausgleich zwischen dem Flexibilitätsbedarf auf Beschäftigtenseite und dem Interesse der Betriebe an verlässlicher Personalplanung gewährleistet.“
„Und um dies durchzusetzen bedürfen die Beschäftigten eine Verhandlungsposition auf Augenhöhe. Deren Herstellung ist die dringlichste Aufgabe der Tarifpartner sowie der Politik.
Denn im Konflikt um mehr Zeitsouveränität gibt es für die Beschäftigten gegenwärtig noch keine faire Ausgangslage.“
https://kaz-online.de/artikel/arbeitszeitverkuerzung-die-zum-leben-passt
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